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No. 28. PAPIER-ZEITUNG. 797 darauf zu richten haben, diese so zugfähig wie nur möglich zu machen; denn hierin und im Titel liegen meist die Ursachen von Erfolg oder Misserfolg. Ist nur die Prämie »packend« und der Titel gut erfunden, so übersieht die Menge selbst die oft grenzen lose Leere des Inhalts. — Um wie viel grösser ist der Erfolg also, wenn Beides in harmonischem Einklang steht. * # Ich gehe nun zu dem Zugabe-Unwesen über, und da muss ich doch zuerst erstaunt an alle Betreffenden die Frage richten, warum Zugabe-Unwesen? — warum Unsitte? Derjenige muss doch blind sein wollen, der sich dem Zuge der Zeit entgegenstellt; warum also nicht lieber vom Zugabewesen sprechen, dieses Wesen in ein System bringen, und da die Zu gaben, wie Herr Kräuter in Worms selbst zugiebt, verlangt werden, nicht die Kunst und die Wissenschaft selbst in den Dienst dieses Systems stellen? Was sind denn die Zugaben anders als Lockmittel, als Reklame? — Und Reklame an sich selbst ist schon eine Kunst, die freilich in Deutschland noch recht wenig gepflegt wird und vielleicht auch daher in vielen Fällen noch ungeschickt und ungelenk auftritt; aber todtmachen wird sie sich nicht mehr lassen. Wenn mir ein Ellenwaarenhändler eine Waare, die einen Thaler kostet, bei Baarzahlung für 27 Silbergroschen lässt, was ist das anders als Zugabe, als Reklame? — Ich soll wiederkommen und wieder kaufen. Etwas Unrechtes kann ich darin nicht er blicken, und dasselbe gilt von dem Gebrauch, dass Kleinhändler den Schulkindern Kleinigkeiten beim Einkauf, sagen wir: schenken. Wenn ein Kind beim Wurstler 1/2 Pfund Wurst kauft und ein kleines Scheibchen für sich erhält, werden wir darin ein Unheil sehen? Freilich, wie ich schon oben bemerkte, ist die Reklame in Deutschland noch manchmal ein läppisches Kind, nicht er zogen und schlecht geleitet. Und wie der Baum der gepriesenen und gefeierten Zivilisation so manche schlimme Ausschläge zeitigt, die unbedingt abgeschnitten werden müssen, so mag es auch beim Zugabewesen zu manchen Ungeheuerlichkeiten gekommen sein, allein das darf den denkenden Menschen nicht dazu bestimmen, sofort das ganze Wesen zu verdammen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sehen wir doch lieber zu, ob es nicht möglich wäre, diesem Zugabewesen die Berechtigung sogar zu einem gedeihlichen Er blühen zu verschaffen! Ich nehme keinen Anstand, dies zu billigen; ich trete sogar nach zwei Richtungen hin warm für solche Versuche ein, und zwar im Interesse der Kinder selbst und zum Vortheil des Papierfachs im allgemeinen. Eine Bemerkung muss ich noch gleich hier zu dem letzten Aufsatze des Herrn Kräuter in Nr. 7 machen: der Lehrer soll seinen »erzieherischen Einfluss« zur Abhilfe geltend machen. Das hiesse doch in vielen Fällen den Bock zum Gärtner setzen; denn wie oft schon hat die Papier-Zeitung sich gegen den Handel der Lehrer erklärt: — und würde ein Auftrag wie der erwähnte nicht seinen Handel begünstigen? Gesetzt den Fall nun, ich wäre Schreibwaarenhändler und gäbe einem Knaben, der bei mir für 20 oder 25 Pf. Sachen kauft, ein kleines Chromobild, welches vielleicht 1 Pf. kostet, und thue dasselbe auch in der Folge beim zweiten Einkauf usw. Das erste Bildchen könnte z. B. die Apfelscene aus »Wilhelm Teil« darstellen, das nächste die Giftpflanze Fingerhut in farbiger Aus führung, ein drittes den deutschen Kaiser Karl den Grossen, ein viertes Christoph Columbus, ein fünftes das Heidelberger Schloss, ein sechstes die Regenbogenfarben, ein siebentes eine Scene aus »Kaiser und Abt« von Bürger, ein achtes vielleicht das Deutsche Panzerschiff König Wilhelm usw. Würden solche Kleinigkeiten unsittlich und verwerflich zu nennen sein? — Würden sie nicht zur Belehrung dienen, zur Anregung und Aufmunterung? Und welcher verständige Vater, welcher einsichtsvolle Lehrer, oder welche wohlmeinende Schul behörde selbst würde mit irgend einem Schein von Recht dagegen Verwahrung einlegen können? Ich gehe weiter und sage: solche Bildchen sollten sogar von Seiten der Schulbehörde als Fleisszeichen für guten Schulbesuch und tadelloses Betragen in allen Volksschulen zur Vertheilung kommen; denn, gestehen wir es uns nur offen, die Erziehung der breiten Schichten des Volkes liegt noch sehr im Argen und wartet mit Sehnsucht auf einen Heiland. Die kleinen Götter und Halb götter dieser Welt sprechen wohl viel von Volksaufklärung und versprechen viel, aber auch sie gleichen den Auguren. Sollten diese meine Auslassungen Gnade vor den Augen der Redaktion finden, so möchte ich mich mit dem Thema »Zugabewesen« noch ein Mal beschäftigen, da sich zum Nutzen und Frommen unseres Faches noch Manches näher erörtern liesse. Und nun zu allerletzt noch zu den »unzüchtigen« Schriften! Ich bin im Grunde herzlich froh, dass ich nicht mehr deutscher Buchhändler bin, aber ich muss gestehen, dass es wohl an der Zeit war, und dass etwas geschehen musste, um manchen Aus wüchsen entgegenzutreten. Nur wird auch hier wieder der Unschuldige mit zu leiden haben, denn was ist züchtig? — Was ist unzüchtig? — Die Behörde wird unbedingt einen Index an legen müssen, da es ohne einen solchen nicht gehen wird. Als vor einiger Zeit ein Staatsanwalt gegen einen Verleger vorging, der Boccaccio’s Dekameron in billiger Ausgabe brachte, ging ein Schrei der Entrüstung durch die Presse; — mit Unrecht, wie ich mir schon damals sagte. Wenn auch dem »Wissenden das Dekameron ebensowenig wie der Casanova schadet, so thut Derjenige doch Unrecht, der diese Sachen der Gesammtheit und der Jugend durch Billigkeit zugänglicher macht. Dessen sollten die Verleger solcher Unternehmen eingedenk sein; sie sollten an ihre eigenen Söhne und Töchter denken, denn sie müssen zugeben, dass z. B. das Dekameron kein Lese buch für höhere Töchterschulen ist. Mehr noch, auch bei der Handhabung des Gesetzes in der Zukunft, möchten manche Bücher durchschlüpfen, welche auch nicht den leisesten Anspruch, nicht die geringste Berechtigung zum Dasein haben, und auf diese eben wollte ich im Anschluss an den Artikel in Nr. 8 aufmerksam machen. Ich meine jene Schriften, welche unter dem Deckmantel der Belehrung des Menschen über seine physiologischen Eigenschaften usw. und an geblich verfasst von Aerzten, nichts weiter sind als Sammel surien, berechnet lediglich auf die Erregung der Sinnlichkeit. Einen Nutzen gewähren sie absolut nicht und »züchtig« sind sie auch nicht zu nennen. Ich nenne als solche z. B. Laurentius, der persönliche Schutz, in Leipzig erschienen; Albrecht, der Mensch und sein Geschlecht, in Quedlinburg verlegt, neben anderen, deren Titel mir entfallen sind. Als Sortimenter weiss ich, in welcher ungefähren Zahl diese Schundschriften abgesetzt werden, und wer sie kauft. Hier nun könnte das Haus und namentlich die Presse helfend und hütend einschreiten, wenn sie Beide noch von ihrem hohen Berufe er füllt wären, was leider verneint werden muss. Die heutige Familie hat ja nicht mehr die Zeit, sich mit rationeller Kinder erziehung abzugeben, und die Presse wird auch von der Sucht nach Gewinn beherrscht. Auch bei ihr heisst es: Inserate brauchen wir, und das Geld: — non ölet! Sehen wir uns nur die Anzeigenspalten selbst sonst anständiger Zeitungen an; in eder wird man meine obige Behauptungen auf die eine oder die andere Art bestätigt finden. Stapelton, S. J., 22. Februar 1892. J. E. S. Wir werden die in obiger Zuschrift in Aussicht gestellten weiteren Auslassungen unseres geschätzten Korrespondenten um so lieber wiedergeben, als er die deutschen Verlagsverhältnisse gründlich kennt und durch langen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika, von wo er schreibt, auch andere Sitten und Ein richtungen kennen gelernt hat. Seinem Vorschlag, eine Zensur durch Fachmänner einzuführen, werden sich allerdings Bedenken und Schwierigkeiten in den Weg stellen; doch ist dieser Vorschlag um so bemerkenswerther, als der Verfasser selbst in der grossen Republik, dem freisten Lande der Erde, wohnt. D. Red. •>><■ Schrägschriften. Die Auslassungen über Schrägschriften in Nrn. 17, 19 und 23 bekunden, dass die Systemfrage überall lebhaft erwogen worden ist und zu brauchbaren Lösungen geführt hat. Es ist nun Sache der Buchdrucker, sich der dankenswerthen Bestrebungen derjenigen Giessereien, die hierin unter beträchtlichem Kostenaufwand den Vortritt übernommen haben, bei Bedarf an Schreibschriften zu erinnern und dadurch die übrigen Giessereien zur Nachfolge anzuspornen. Um nochmals auf das System zurückzukommen, will ich mich auf den Aufsatz in Nr. 19, S. 530 der Papier-Zeitung« beziehen. Dort wird die zweckmässige Theilung der Verbindungen zwischen den Buchstaben erörtert. Bei den bisherigen Besprechungen von Schrägschrift-Systemen wurde dieser Punkt erst in zweiter Linie behandelt und einer dauerhaften Stützung der bei solchen Schriften geraden Kegels üblichen Ueberhänge grössere Wichtigkeit bei gemessen. Das ist meines Erachtens unrichtig. Die Neigung zum Abbrechen besteht doch nur bei verhältnissmässig wenigen dünnen Buchstaben, wie l f t j, und es ist leicht, jederzeit Ersatz dafür zu beschaffen; man kann dieselben schon von vornherein doppelt oder dreifach beziehen. Der Dauerwerth einer Schreibschrift wird also dadurch weniger beeinflusst, als durch die Konstruktion