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796 PAPIER-ZEITUNG. No. 28. Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhaben angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Hintertreppen-Romane, Zugabe-Unwesen usw. Der geschätzte Einsender des Artikels: »Der Hintertreppen- Roman« in Nr. 5 des laufenden Jahrgangs schliesst mit den Worten: »Nicht eher werden die Schäden der Hintertreppenliteratur schwin den, bis sowohl Schriftsteller als auch Verleger und Vertreiber mit gutem Willen und im Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeit, nicht bloss mit der Sucht nach Gewinn an ihre Aufgabe herantreten.« Nun, da sind wir ja sofort an der Quelle des Uebels und werden uns nur fragen müssen, wie dieser Sucht nach Gewinn ohne Nachtheil für Press- und Redefreiheit auf gesetzlichem Wege abzuhelfen sei. Wenn wir warten wollen, bis die Schriftsteller, welche sich mit der »Fabrikation« der gedachten Waare be schäftigen, freiwillig von ihrer »Mark-erzeug enden« Arbeit ab- stehen, bis die Verleger und Vertreiber derselben sich ent schliessen, Umschau zu halten nach besseren und sittlich höher stehenden Arbeiten, so hat es gute Wege damit; ich glaube, der jüngste Tag bräche eher an. Ich bin mir sehr wohl bewusst, welch’ ein gefährlich Ding es ist, alles vom Staat und von der Regierung zu verlangen, zumal in unseren Tagen, und ich habe auch anderseits einen heillosen Respekt vor der Zensur seligen Angedenkens. Allein es will mir scheinen, als ob wir zu diesem letzten Mittel greifen müssten, um die breiten Schichten des Volkes, welche heute noch meist ebenso kerngesund sind, wie je in vergangenen Tagen, vor der gefahrdrohenden Verseuchung durch Sudeleien zu schützen, wie sie sich in den letzten Jahren besonders breit gemacht haben. Ich denke hierbei neben vielem Anderen an die beiden traurigsten Ereignisse der Neuzeit, den Tod des Königs Ludwig und den des Erzherzogs Rudolph, und an die daraus entstandenen »lite rarischen Erzeugnisse. Leider muss ich bekennen, dass wir auch bei dem eifrigsten Bestreben, hierin Wandel zu schaffen, sehr bald wieder am Ende unseres Witzes angelangt sein werden. Wir werden uns dem Staat, der Kirche und der Partei gegenüber befinden, und ein Gott müsste es sein, der diese drei unter einen Hut bringen könnte, d. h. sie dazu vermöchte, ein Werk einstimmig und ohne Rückhalt für sittlich gut zu erklären. Unbedingt unmöglich aber ist es, Einen damit zu beauftragen, ohne Benachtheiligung der Anderen. Und doch werden wir uns zu irgend einem Versuche in dieser Richtung entscldiessen müssen, wenn es uns in, Wirk lichkeit darum zu thun ist, Abhilfe zu schaffen. Eine Abänderung des Pressgesetzes dahin, dass alle Werke, deren Vertrieb durch den Kolportagebuchhandel beabsichtigt ist, vollständig im Manuskript vorliegen müssen und durch eine Kommission zu prüfen sind, würde es möglich machen, dass mancher Schund sich schon gar- nicht an die Oeffentlichkeit wagen würde und manch’ anderer am Erscheinen verhindert werden könnte. Dies würde für manchen »Schriftsteller« dieser Art im Hinblick auf den für solche Er zeugnisse heute üblichen Weg allerdings einen gewissen Zwang bedeuten; allein es ist besser, Einen in seiner von ihm miss brauchten Freiheit zu beschränken, als Hunderten tropfenweise Böses zufügen zu hissen, ohne dass sie es im Grunde eigentlich wissen, noch weniger erkennen. Aber »gutta cavat lapidem.« In dem bestregierten »Staate im Staat«, der katholischen Kirche, ist es Niemandem erlaubt, ohne die Billigung des Vor gesetzten eine Zeile zu veröffentlichen; warum also nicht, durch ein Staatsgesetz erforderlichenfalls, für die Laienwelt etwas dem Aehnliches schaffen, eine Art von allgemeinem »Wohlfahrts ausschuss? Wenn wir heutzutage durch besondere Gesetze für das leibliche Wohl des Menschen sorgen, warum diese Sorge nicht ausdehnen auf das geistige Gedeihen der Menschheit? In welcher Art eine solche Kommission eine wirklich segens reiche Thätigkeit entwickeln könnte, will ich näher auseinander setzen. Angenommen, man errichtet für Nord-, Mittel- und Süd deutschland je eine Kommission in Berlin, Leipzig und Stuttgart oder München, bestehend aus je drei vom Reiche ernannten Ver trauensmännern (weder Prediger, noch Beamte im Dienst, welche beide Kategorieen wohl nicht unbefangen und unabhängig sein möchten), ferner je drei von dem Börsen verein für den deutschen Buchhandel abgeordneten Verlegern und je 3 Privatpersonen, deren Wahl dem betreffenden Stadtoberhaupte zufällt. Jeder Orts kommission steht das Recht zu, durch eigene Wahl weitere Privatpersonen als Hilfsmitglieder zu ernennen, sobald sich die Einsendung von Manuskripten häufen sollte. Jeder Verleger hat das Manuskript vollständig mit seiner Erklärung, in welcher Art das Erscheinen des Unternehmens beabsichtigt wird, der Kommission seines Bezirkes zuzusenden; jedes Manuskript wird von mindestens drei Mitgliedern gelesen und geprüft, das Ergebniss der Prüfung dann seitens der gesammten Kommission in ein Urtheil zusammengefasst und einer damit beauf- tragten staatlichen Oberbehörde zugesandt, welchejenach dem Ausfall des Urtheils ohne weitere Erörterungen die Erlaubniss zum Druck ertheilen muss, oder die Genehmigung versagt. Ueber jede Einsendung muss innerhalb vier Wochen endgiltige Ent scheidung stattgefunden haben. In diesem Verfahren liegt eine gewisse Oeffentlichkeit; auf keinen Fall ist es die Zensur der alten Zeit, vielmehr eine Art von Geschworenendienst, aufs »Literarische« angewendet, und jeder verständige Mensch könnte dem Vorschläge zustimmen. Mir sind die Schliche und Kniffe des Kolportage-Buchhandels leider nicht unbekannt; auch ich habe, oft gegen meine bessere Erkenntniss, mitarbeiten müssen an der Verdummung, wenn nicht sogar an dem Betrüge der Massen. Ich könnte Bände schreiben über die Art und Weise, wie Kolportage-Romane usw., selbst solche religiösen Charakters, zu Stande kommen. Mit der Herstellung solcher Romane befassen sich nicht allein obskure Skribifaxe, sondern auch Schriftsteller, deren Namen sonst einen guten Klang in der Deutschen Literatur haben, welche sich Träger hoher Zivilisation nennen lassen und im Grunde genommen eigentlich penny-a-liners sind (für einen Penny die Zeile schreiben). Der Redaktion führe ich hier einige der mir bekannten namentlich an. (Es sind gute, bekannte Namen darunter. D. Red.) Meine genaue Kenntniss des Kolportage-Buchhandels und der Wege, wie ihm am ehesten und sichersten beizukommen ist, führte mich eben zu obigem Vorschläge. Wie der Arzt nicht allein heilen, sondern besser noch Mittel und Wege finden soll, wie Krankheit zu verhüten sei, so soll auch der Gesetzgeber sofort die Wurzel des Uebels treffen und ausrotten, bevor der Giftbaum Blätter und Blüthen gezeitigt hat. Bisher hatten wir es mit den Schattenseiten des Kolportage- Buchhandels zu thun, er hat aber auch seine Lichtseiten, und könnte sich als unübertreffliches Mittel zur Volkserziehung und Belehrung bewähren, wenn er abstände von dem Vertriebe jener gerügten Sensationsgeschichten, wenn es ferner den besseren Schriftstellern gelänge, den Volkston richtig zu treffen und sich in dem Gedankengange des einfachen Mannes zurecht zu finden, denn dieser sieht heute noch die Welt mit ganz anderen Augen an, als der Hypergebildete und der Verbildete »fin du siecle«. Der Volkscharakter im grossen Ganzen lässt sich heute noch sehr gut modeln; bei guter geistiger Kost bleibt er gesund, und schlechte Nahrung verdirbt ihn selbstverständlich. Das Erscheinen eines vollständigen Dickens« in Lieferungen wird in dem beregten Artikel als ein glücklicher Griff betrachtet; ich bezweifle es; — das ist nichts für das Verständniss der Massen, und ich möchte keine Auflage von 2000 Exemplaren garantiren. Die Absicht des Herrn Kolck in Troppau ist auch recht gut, aber ich fürchte, auch er wird sich keines Erfolges erfreuen, und ich sehe auch garnicht ein, warum man sich zuerst an die Zeitgenossen wenden soll. Unsere Literatur ist so reich an Schätzen, die es uns erlauben, auf das Geschreibsel der Gegen wart vorerst ganz zu verzichten; wir müssen nur daran gehen, sie zu heben. Sehr empfehlenswerth wären da in erster Reihe die Schriften von Otto Ruppius; seine Erzählungen gestatten fast sämmtlich spannenden Heftschluss, ein Haupterforderniss für die Kolportage, ohne dass ein solcher je in der Absicht des Schriftstellers ge legen hat. Gegen die Tendenz aller seiner Schriften ist nichts einzuwenden; auch finden sich in denselben reichlich Momente für kleine Bilder in Holzschnitt usw. Auch Serien von Werken, deren Verfasser einer gewissen gemeinschaftlichen Richtung zuneigen, würden sich zum Massen vertrieb gut eignen, wie z. B. Nathusius, Paalzow, Petzel u. a.; Anzengruber, Rosegger, Keller, Ludwig u. a.; Armand, Ger stäcker, Mügge, Jensen u. a.; Carlen, Bremer, Schwartz u. a.; Mühlbach, Redcliffe, Galen u. a. Eine solche Serie könnte z. B. aus etwa 50 Heften zu je 3 Bogen bestehen, so dass ihr Erscheinen im Laufe eines Jahres erfolgt. Jedes Heft sollte eine nette Illustration bringen, für welche es an guten Grundlagen nicht fehlen wird. Auch hier wird der gewandte Verleger es nicht an den üblichen Gratis prämien fehlen lassen dürfen und sein Augenmerk hauptsächlich