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1056 PAPIER-ZEITUNG. No. 37. Der Gehalt der Ofengase an Sauerstoff sollte 1/2 pCt. nicht übersteigen. Wird mehr gefunden, so kann dies an der Führung der Oefen, an mangelhafter Einrichtung derselben oder an Undichtig keiten der Leitungen liegen. Wenn die Thatsache einmal auf diese Weise festgestellt ist, kann sie auch sicher beseitigt werden. H. Berichte unserer Korrespondenten. Aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Mankato, Minn., 9. April. Wir leben wieder einmal in einer jener unheimlichen Perioden, welche durch das unerklärlich lange und selbst vollständige Aus bleiben der fälligen Post gekennzeichnet sind. Die Papier-Zeitung vom 10. März, fällig am zweiten darauffolgenden Donnerstag, also am 24. März, traf erst zusammen mit der Nummer vom 13. März, fällig den 27., am 29. März hier ein. Die beiden folgen den Nummern vom 17. und 20. März langten pünktlich zur fälligen Zeit an, während die Nummer vom 24. schon wieder fünf Tage überfällig ist. Diese Verzögerungen sind zu gross, um durch den Unter schied in der Ozeanfahrt erklärt werden zu können. Es liegt vielmehr Grund für die Annahme tieferer Differenzen vor. Die Annalen des Bundesgeheimdienstes und das jetzt dem allgemeinen Publikum zu dein unerhört billigen Preise von 1 Cent zugänglich gemachte Monats - Supplement zum Postamtsblatt enthalten ein Material, welches auf die Sicherheit des Postdienstes der V. St. ein bedenkliches Licht wirft. Es vergeht kein Jahr ohne eine Reihe grosser Postdiebstähle. Man kann dabei drei bestimmte Richtungen unterscheiden: erstens die Beraubung der Postwagen und Post züge, zweitens die Beraubung der lokalen Dienstpostwagen im Verkehr mit den Bahnanschlüssen, drittens die Unterschlagung von Postsachen durch Beamte. Die erstere Richtung ist in Europa wohl aus der amerikanischen Romanliteratur bekannt. Höchstens mag beigefügt werden, dass jeder Fall von Postwagen- oder Post zugberaubung in der Regel eine Reihe von weiteren ähnlichen Fällen nach sich zieht. Der dem Menschen im allgemeinen an geborene Nachahmungstrieb zusammen mit dem dem Amerikaner im besonderen innewohnenden Hang zum Abenteuerlichen, Auf regenden, Wild verwegenen bieten eine genügende Erklärung hierfür. Die zweite Richtung ist eine, raffinirte Ausgeburt der ersteren. Zum Abenteurer, der stark auf den Zufall hin operirt, gesellt sich in diesem Falle noch der kaltrechnende Geschäftsmann, der den Werth der Zeit kennt und den Schauplatz der That »aus des Waldes düstern Gründen« nach der Grossstadt verlegt, wo er in ebensoviel Minuten zum Ziel gelangen kann, als er dort Stunden und selbst Tage brauchen würde. Was die dritte Richtung, die der Unterschlagung, betrifft, so wird mir nur beim Gedanken daran, was ich persönlich darunter zu leiden gehabt habe, schon ganz graulich«. Ich empfehle daher für transatlantischen Postverkehr wiederholt die Absendung einer »Sekunda sowohl von Briefen und Drucksachen, als von Proben usw. mit einem nächstfälligen Dampfer. Von Post-Unregelmässigkeiten, deren Zeuge ich in Sioux City war, will ich nur noch erwähnen, dass ich eines Abends sechs Postkarten der Silberhorn-Schlächterei vom Boden aufhob, in welchen im ganzen über mehr als 1600 Dollar für verkaufte, d. h. bezahlte Kuhhäute quittirt waren. Der Angestellte des Hauses hatte die Karten aus einer massenhaften Zahl von Poststücken, die er in den Einwurf entleerte, zu Boden fällen lassen. Beim Abmarsch der Briefträger, der vom ganzen Corps auf einmal nach einem gegebenen Glockenzeichen erfolgt und nach Stunde und Minuten gebucht wird, wie auch die Rückkunftszeit jedes einzelnen Trägers seinem Konto »kreditirt« wird, fand ich am hellen Tage einen an ein Engroshaus gerichteten Brief, von dem sich herausstellte, dass er Rimessen enthielt. Die sehr grossen und weiten Ledertaschen sind meist bis an das Kinn des Trägers mit Poststücken angefüllt, und man darf sich höchstens wundern, dass bei der Ueberbürdung der Leute und der ihnen dadurch aufgedrungenen Eile nicht noch mehr Sachen auf diese Weise verloren gehen, als es in Wirklichkeit geschieht. Man liest bisweilen in der anglo-amerikanischen, besser wie gewöhnlich unterrichteten Presse ein Stück Moral, etwa wie folgende Notiz im Sioux City Journal: »Wir Amerikaner sind alle zusammen zu nervös und unstät. Wir sollten uns mehr, als bisher geschah, den schwerfälligen Deutschen (dullGerman) zum Vor bild nehmen . Das ist aber auch Alles. So lange der ungeheure, natürliche Reichthum des Landes vorhält, wird der Amerikaner den dull German nur in der Theorie zum Vorbild nehmen. Ungleich weniger harmlos als die eben erwähnten Fälle ist der folgende, als Postraub »dritter Klasse« zu betrachtende Fall, der noch auf lange Zeit hinaus in ‘den Postgemüthern fortleben dürfte. Wie die Briefmarken das Schönste am amerikanischen Post dienst, so sind die wahrhaft kunstvoll in Stahl gravirten Post noten das Schönste am Geldanweisungsdienst. Der Kongress wollte eine im Zahlenraum von 500 Cents »bewegliche« Banknote zur praktischen und allgemein verwendbaren Begleichung kleiner Beträge in beliebigen Summen, aber nicht über 4 Dollar 99 Cents, schaffen. So anerkennenswerth die Theorie war, so verhängnissvoll gestaltete sich die Praxis. Während die Postnote im Höchst betrag von 4 Dollar 99 Cents von irgend Jemand, selbst einem wildfremden Schulkinde, am Postschalter einkassirt werden kann, wenn nur irgend ein Name als Empfänger an der vorschrifts mässigen Ecke hingemalt ist, hat der Empfänger einer Geld anweisung, die bei 5 Dollar anfängt, also in ihrem Minimalbetrag nur 1 Cent höher ist, als die Postnote in ihrem Maximalbetrag, ein förmliches Verhör über seine Identität zu bestehen, bevor ihm, wenn er kein etablirter Geschäftsmann ist, das Geld aus- bezahlt wird. Diese Vogelfreiheit der Postnote gegenüber dem Bureaukratismus der Geldanweisung machte sich ein Briefträger des Chicagoer Hauptpostamtes so ausgiebig zu Nutzen, dass seine hauptsächlichsten Opfer heute noch nur mit Schrecken seiner gedenken dürften. Vom Frühjahr 1890 bis zum Sommer 1891 wurde eine der ersten Postversandtfirmen der 'Weltausstellungsstadt, die täglich Hunderte kleiner Geldaufträge erhält, durch das Nichteintreffen grosser Mengen solcher Aufträge und die infolgedessen herein regnenden Beschwerden aus den ländlichen Gegenden des Westens beinahe zur Verzweiflung getrieben. Der sehr fähige Bundes geheimdienst versuchte ehrlich und redlich der Sache auf die Spur zu kommen, ohne jedoch vor Ablauf eines ganzen Jahres, während welcher Zeit das unheimliche Verschwinden der Geld briefe ungeschwächt anhielt, zum Ziele zu gelangen. Unter dem Aufgebot des ganzen Scharfsinnes, dessen ein amerikanischer Detektiv der vom Bundesdienst bevorzugten Klasse fähig ist, wurde endlich folgender Sachverhalt zu Tage gebracht: Ein Briefträger, der zum Glücksspiel der Börse mehr Geld brauchte, als seine 960 Dollar betragende Jahresbesoldung gestattete, verfiel auf den Gedanken, die schwache Seite der Postnoten zur starken Seite seines Finanzwesens zu machen. So oft er die Briefe seiner eigenen Runde sortirt und in der Posttasche untergebracht hatte, that er regelmässig noch einen Griff in das W-fach des Sortir- regals seines Nachbarn, der davon keine Ahnung hatte. Zu Hause angelangt, wurde die Beute ohne viel Umstände geöffnet und nach Postnoten ausgesucht. Beim Einkassiren derselben gebrauchte er die Vorsicht, sich umzukleiden, und jeden Tag nur eine gewisse Anzahl derselben und unter häufigem Namenwechsel vorzuweisen. Endlich gelang es durch ein fein angelegtes, aber ermüdend umständliches Verfahren mit gezeichneten Postnoten, die aus ver schiedenen Gegenden des Westens an die Firma W. gesandt wurden, dem Thäter eine Falle zu stellen. Er war so sicher ge worden, dass er den Namenwechsel garnicht mehr für nothwendig hielt und in der letzten Zeit stets F. Brown unterzeichnete. Da von den abgesandten Briefen, welche die gezeichneten Postnoten enthielten, naturgemäss keiner auf diesen Namen lautete, so konnte es trotz der weitgehenden Vogelfreiheit bezüglich der Unterschrift iles Empfängers schon deshalb nicht schwer halten, den Thäter zu überführen, weil die Firma W. einen Angestellten Namens Brown nicht hatte. In neuester Zeit sprechen sich die Versandtgeschäfte in ihren Drucksachen über die Unzuverlässigkeit der amerikanischen Post mit einer Deutlichkeit aus, die in jedem andern Lande als dem jenigen der wunderbaren Objektivität den Staatsanwalt beschäftigen würde, ungefähr so: »Sie sollten diese Zeilen lesen! Die Ver. Staaten-Post hat eine Armee von Beamten und Angestellten. Denken Sie, dass diese alle ehrlich und rechtschaffen sind? Sicher nicht! Konsequenter Weise werden Sie Postnoten nicht als dasjenige Zahlungsmittel be trachten, welches mit Bezug auf Sicherheit die meisten Garantieen bietet! • G. Kraft. Soll man dich nicht aufs Schmählichste berauben, Verbirg dein Geld, dein Weggehn, deinen Glauben! Wer schweigt, hat wenig zu sorgen: Der Mensch bleibt unter der Zunge verborgen. 'West-Östlicher Divan VI.