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No. 31. PAPIER-ZEITUNG. 891 Verlags thätigkeit. Form zu geben, sondern nur Industrielle, die bedrucktes Papier abliefern. Sie gleichen ihren Maschinen, von denen man nichts als dass sie die Auflage recht rasch fertig- Bücher-Krisis. Die Klagen über fühlbaren Rückgang des Bücher-Absatzes finden auch in Frankreich Wiederhall. Das » Bulletin de la Chambre Syndicale des Impri meurs typographiques enthält in seinen Hef ten von Februar und März einen lesenswerthen Aufsatz über die Bücherkrisis, dessen wesentlichen Inhalt, der ohne weiteres auch auf deutsche Verhältnisse passt, wir nachstehend wiedergeben. In einem lesenswerthen Bericht, »Rapport sur l’imprimerie et la librairie ä l'exposition de 1889«, sagt Rene Fouret, ein an erkannt tüchtiger Sachverständiger, Folgendes: Es ist erstaunlich, wie rasch in den letzten Jahren Personen, die vorher Niemand kannte, eine umfassende Verlagsthätigkeit in Szene setzten, wie Der »Gaulois« erzählt, dass eine Anzahl Verleger, welche ihre Bücherwaare nicht abzusetzen imstande sind, eine grosse Lotterie I einzurichten beabsichtigen. Eine Million Loose zu je einem Franken soll ausgegeben werden, und jedes Loos soll gewinnen. , Die Theilnehmer sollen ihre Wahl nach verschiedenen Literatur- I gattungen treffen dürfen, jeder Band soll mit 50 Cent, bewerthet Es ist schon'mehrere Jahre her, seit die Klagen über schlech ten Stand des Buchgewerbes zum ersten Male ertönten, und seit dem sind sie nicht mehr verstummt. Dieser bedauerliche Zustand erstreckt sich nicht allein auf den Buchhandel, sondern auch auf den Buchdruck, die Schriftgiesserei, den Papierhandel, die sämmt- lich mehr oder weniger darunter leiden. Einige sind der Ansicht, dass diese Zeit der Bedrückung bald vorübergehen müsse und kümmern sich nicht weiter darum, Andere, und wohl die Meisten, halten diesen Zustand für sehr bedenklich und wahrscheinlich andauernd und sehen sich nach allerlei Mitteln um, wie man seine verderbliche Wirkung wenigstens mildern könnte. Den eigentlichen Ursachen des Missstandes hat noch keine von beiden Gruppen nachgespürt, obschon die Erkenntniss dieser Ursachen allein die Wege zur Besserung zeigen kann. Man sagt: es sei niemals so viel gedruckt und gelesen wor den wie heutzutage. Das ist wahr; aber man liest weniger aus Interesse für einen Gegenstand, als um jenen krankhaften Neuig keitsdurst zu befriedigen, der unsere Zeit kennzeichnet, um Un bekanntes, womöglich Verbotenes kennen zu lernen. Wenn sich die Zahl der »Leser aus Neugierde« vermehrt hat, so hat sich die Zahl der wirklichen Leser und ernsten Bücher freunde, welche Bücher kaufen, um sich zu bilden und sich eine gute Bibliothek zu schaffen, erheblich verringert. Grosse Verlagsan stalten werden bestätigen, dass ernste und weitausschauende Ver lagsunternehmungen jetzt weniger Abnehmer finden als früher. Die Getreuen, welche sonst jedem gediegenen Unternehmen zum Erfolge verhalfen, sind seltener geworden. Man kauft heutzutage, ohne sich für kommende Zeit zu verpflichten, bevorzugt, von tausend Seiten in Anspruch genommen, das Fertige, mit einigem Geräusch sich in ansprechender Form Aufdrängende, und wendet sein Augenmerk hauptsächlich den vorübergehend interessirenden Erscheinungen zu. Daher kommt der mehrfach zu beobachtende Misserfolg ernster, gediegener Unternehmungen und der rasche Erfolg seichter Eintagswaare. Was die ungünstige Marktlage für grössere buchhändlerische Unternehmungen am besten kennzeichnet, ist die rasche Herab setzung der Preise, welche in den letzten Jahren vielfach auf dem Büchermarkt beobachtet werden konnte. Solch schnelle Entwerthung verstimmt die Lesewelt und ent- inuthigt die Sortimentsbuchhändler. Man ärgert sich über die Preisherabsetzung eines Werks, das man vor wenig Monaten theuer gekauft hatte, und verzichtet künftig darauf, ähnliche Werke sofort nach erfolgtem Erscheinen zu kaufen, in der ziem lich sicheren Voraussicht, dass der Preis doch bald herunter gehen werde. Die Bücherkäufer, welche solche Erfahrungen machten, wer den nicht allein verstimmt, sondern auch unsicher und misstrauisch. Der geringe Gehalt der Erzeugnisse leichterer Gattung, welche vorübergehende Erfolge erzielten, hat den Leser blasirt gemacht. Er beobachtet, zögert und schiebt auf, in Erwartung besserer Leistungen. Um dieses Zögern zu überwinden und die Neugier zu reizen, arbeitet der ganze Verlagsbuchhandel mit angespannten Sinnen. Man verblüfft das Volk durch die grosse Zahl der Illustrationen, die Menge und Mannigfaltigkeit des gebotenen Stoffes, den billigen Preis, und all diese erstaunlichen Leistungen werden Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. ältere, wohlberufene Firmen mitgerissen wurden, weil sie nicht Zurückbleiben wollten; wie sie ihre Anstrengungen verdoppelten, ihre Erzeugung vervielfachten und so eine ungesunde Ueber- produktion schaffen halfen. Verhältnissmässig niedrige Druck preise, die Billigkeit und Leistungsfähigkeit der modernen Wieder gabeverfahren, das Sinken der Papierpreise haben diese Ueber- Produktion nicht unerheblich begünstigt. Es steht zu befürchten, dass eines Tages dieser Ueberfluss an Bücherwaare unserm Gewerbs zweige schaden muss, der weniger als irgend ein anderer geeignet ist, sich in den Dienst von Augenblicks- und Zufallsarbeiten zu stellen«. Diese Uebererzeugung, von der Fouret spricht, ist in der That vorhanden und macht den Verlagsbuchhändlern heisse Köpfe. Äusser den angegebenen Ursachen ist es vorzugsweise die ungewöhnliche Macht und Ausbreitung der illustrirten Zeit schriften, welche den Verlagswerken in Büchform den besten Nährboden wegnimmt. Die Romane bekannter Schriftsteller werden jetzt meist erst in illustrirten Zeitschriften, auch wohl in einigen Tageszeitungen abgedruckt, bevor sie in Buchform er scheinen. Die Mehrzahl der Buchkäufer hat sie dann schon ge lesen und fühlt keine Veranlassung, sie als Buch nochmals zu kaufen. Und was von Romanen und Novellen gilt, das gilt auch von anderen Literaturzweigen: Wissenschaft, Kunst, Technik usw. Der Kulturmensch des 19. Jahrhunderts, fin de sicle, schöpft seine Belehrung über diese Wissensgebiete nicht mehr aus Büchern, sondern in einer oberflächlicheren, schmackhafteren, weniger geistige Aufnahmearbeit erheischenden Form aus Zeitschriften. Die Zeitschrift hat einen grausamen Sieg über das Buch davongetragen, und in der unerhörten Entwickelung der Presse ist auch eine der heilsamsten, für den Erfolg eines Buches früher wichtigsten Kräfte zu Grunde gegangen: die unbeeinflusste Kritik. Die literarische Kritik im ursprünglichen Sinne besteht nur noch dem Namen nach und wird nur noch von vereinzelten vor nehmen Zeitschriften gepflegt. Die grosse Menge der Zeitungen und Zeitschriften lässt sich ihre Meinung vom Verleger liefern, dessen »Waschzettel«, die stets eine vollständige, natürlich äusserst günstige Besprechung enthalten, getreulich Abdruck finden. Wenn man diesen lobhudelnden Ergüssen Glauben schenken dürfte, wären alle Erzeugnisse des Büchermarktes Meisterwerke ihrer Art, wie sie nie bisher geschaffen wurden und nie wieder geschaffen werden können. Wenn man die Wirkung dieser unermesslichen Lobes- fluthen in Betracht zieht, darf man sich nicht mehr wundern, wenn das Publikum skeptisch wird und sich schwer entschliesst, auf eine Empfehlung in Zeitungen hin ein Buch zu kaufen. Die wirkliche, ehrliche Kritik hat heutzutage fast allen Einfluss verloren; Erfolg oder Misserfolg eines Buches sind von ihr unab hängig. Die Mühe, welche sich die Buchhändler um den Absatz eines Buches heutzutage geben müssen, ist wahrhaft beängstigend, und wenn der erhoffte Erfolg dennoch ausbleibt, glaubt der beunruhigte Verleger oft, es mit dem Preise versehen zu haben und beschliesst, künftig noch billiger zu liefern. Auch der Buchdruck leidet unter diesen Zuständen. Die Ver leger fordern bei der üblich gewordenen Hast, in der sie ihre Unternehmungen herausbringen, rascheste Fertigstellung, ein ge wisses elegantes Aussehen ohne innere Gediegenheit und — be scheidenste Preise. Der grösste Theil aller Verlagswerke wird jetzt in Provinz städten hergestellt, und schon wurde der Versuch gemacht (dies gilt natürlich nur für Frankreich; Red. d. P.-Z.) Drucksachen im Auslande herstellen zu lassen. Oberflächlich Urtheilende halten diesen Wettbewerb für heil sam, weil er die Bücherpreise ermässigt. Man könnte mit dieser Auffassung einverstanden sein, wenn der Wettbewerb sich auch auf gegenseitige Steigerung der qualitativen Leistungen bezöge, aber gerade das Gegentheil ist der Fall, und die Leistungshöhe der Buchdruckereien wird immer tiefer herabgedrückt. Viele Buchdrucker sind nicht mehr die verständnissvollen Mitarbeiter, welche bestrebt sind, den Gedanken der Verfasser angemessene übertrumpft durch das Versprechen, künftig noch mehr und noch andres erwartet, Besseres zu leisten. Das ist die ungesunde Vollblütigkeit der stellen.