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AilsckufferTageblatt r. sialt Nr. 20 Sonnavena ürn 24. Januar IY2S Stilles Glück Das erste Hemdchen für mein Kind, Da liegt es fertig von der Nadel, Noch niemals nW' ich so geschwind, Noch nie so gut und ohne Tadel. Ob wohl das Leinen weich und sein? Bedachtsam prüft' ich's immer wieder: Dir soll der Schmerz ein Fremdling fein, .Kein Fältchen drück' die Keinen Mieder! Das süß« Glück, noch fass' ich's kaum, Sv lang' ersehnt, nun doch errungen — Halt denn mein Arm — ist es kein Traum — Ein Herzenskindchen bald -umschlungen? Germanias mnMer SpröWna. Nach ziemlich langwierigen und nicht weniger hefti gen Eeburtswehen hat das neue deutsche Kabinett endlich doch das Licht dieser schönsten aller Welten erblickt. Sein erster Schrei wurde, wie dies nun einmal bei neuen Welt bürgern meist der Fall zu sein pflegt, nach all der fieber haften Erwartung und den zahlreichen phantastischen Kombinationen über sein Aussehen von den lieben » Anverwandten und Paten mit den verschiedensten Ge- ! fühlsäußerungen begrüßt und je nach Temperament ! und Empfindungseinstellung derselben gleich vom ersten Tage an günstig oder -abfällig beurteilt. Glaubten die einen, es am besten sofort mit einem obligaten schwarz-weiß-roten Bändchen schmücken zu müssen, schien das liebe Kindlein den anderen hinwiederum für diesen an sich gar nicht einmal unüblen Schmuck durchaus nicht geeignet. Im Gegenteil .... Jeder hatte etwas auszusetzen, zu mäkeln und die Lobeshymnen verklangen leise. So ging es hübsch weiter, auch nachdem Dr. Luther's erste Reichs- lanzlerrede glücklich vom Stapel gegangen war. Und warum .. arides das noch tmu.^c unvaue...-, ... zerbrechen an Kreise der lieben Parteipaten, die sich un> die Wege des jungen Sprößlings geschart haben, ihre Gaben und — Wünsche in mehr oder minder zittrigen Händen sich gegenseitig mit mißtrauischen und mißgünstigen Augen be- trackten? Mr aber wollen hoffen und wünschen, daß der neue Sprötzling unserer Mutter Germania gedeiht und sich recht bald zu lebensfrischer Kraft und innerer Stärke entwickelt, die er nötig haben wird, um so mancherlei Fährnisse seines weiteren Lebensganges zu überwinden. Eine Ueberraschung hat sein erstes Auftreten gewiß keinem gebracht. Bisher allerdings auch keine allzu herbe Enttäuschung. Nun heißt es vor allem, ihn nicht in seinem ersten Entwicklungsstadium stören, damit wir endlich einmal wieder zu ruhigeren Ver hältnissen im Innern kommen, ohne die wir nach wie vor mangels notwendiger Geschlossenheit nach außen ein Spiel ball unserer lieben Feinde bleiben würden. Der Name des neuen Kanzlers verführt wohl nur allu seicht zu banalen Vergleichen, aber auch zu allzu übertriebenen Hoffnungen jener unbelehrbaren Optimisten, die einst in jedem Moltke den großen Schweiger, und vielleicht noch heute in jedem Musikus Wagner „Richard den Einzigen" wieder erstanden wähnen. Ein starker Mann an rechter Stelle ist uns zwar sehr not. Nicht aber darf man Uebermäßiges von einer Persönlichkeit erwarten, die zwar auf einem Spezialgebiet Anerkanntes, zu lefften wußte, im großen Spiel der Völker Die drei Wnen Bernhausens.! 3j Roman von Fr. Lehne. Sie war ganz bei der Sache und achtete der lächelnd Vorübergehenden nicht. In iprem braunen Haar, das z in krausen Löckchen unter dem kecken Hütchen hervor- qucll, hingen die Schneeflocken und schmolzen in der Wanne ihres Blues zu kleinen Perlen. Mit einem leisen Schreckensruf hört« sie plötzlich in ihrem Bombardement auf. Eine frische Männer stimme hatte gerufen: „Halt, meine Gnädige,, das kostet Straie!" Und gleich daraus saß ein wohlgezielter Sckn.ebali ans ihrem Rücken als Revanche für den, der sein Ziel verfehlt hatte und anstatt auf dem Schul ranzen des Buben an einem grauen Militärmaniei hastete. Doch ehe der schmucke Einjährige noch ein weiteres Wort sagen konnte, war sie errötend davongeeilt. „Him mel, das hätte Papa oder Thora sehen sollen!" dachte sie „Wie ein Straßenmödel hab' ich mich benommen und nickt wie eine Komtesse Bernhausen! Daß ich im mer vergesse, wer ich bin! Eine Komtesse Bernhausen schneeballt sich doch nicht aus offener Straße mit Schul buben und einem Einjährigen! Wenn es wenigstens noch ein Leutnant gewesen wäre!" Annelies hätte sich zu gern einmal umgedreht. Aber sie wagte es nicht, denn ihr war, als hörte sie das leise Klingen von Sporen hinter sich. Nascher schritt sie aus, so gut es das enge Röckchen erlaubte. Auf einmal blieb sie stehen und suchte erschreckt in ihrem großen Muff herum. Eiskalt überlief es sie — das kleine, darin verborgen gehalene Paketchen war nickt mehr da. Giselas Spitzenkragen, zu dem sie eine möglichst ähnliche Spitze hatte besorgen wollen! Unwillkürlich drängten sich Tränen in ihre Augen. Welcher Leichtsinn, welche Unzuverlässigkeit von ihr, z nachdem sie sich selbst erboten, Gisela, die so tief in der Arbeit steckte, diese Besorgung abzunehmen! Langsam und gedrückt kehrte sie um, suchend den Blick aus den Boden geheftet. Aber in dem tiefen Schnee war das kl.'inc, in Seidenpapier gehüllte Päck chen sicher nicht wiederzufinden. „Haben gnädiges Fräulein etwas verloren?" Sie blickte erschreckt ob dieser unvermuteten Anrede aut. Es war der Ein'ährige von vorhin, der vor ihr stand „Darf ich mnsuchen helfen? Oder ist dieses viel leicht der in Verlust geratene Gegenstand?" Dabei vielt er ih: ein kleines, flaches Paketchen entgegen. Freudig griff sie danach. „Ja, a — vielen Dank! Mir ist em Stein vom Herzen, daß ich es wiederhabe. Hatzen Sie es denn gesunden?" s jedoch sich erst als Führer erweisen muß. AUzuleicht kommen wir sonst wieder in das schöne Land der Utopie, wo wir Deutsche uns nun einmal gar zu gern aufhalten, dessen Klima uns aber noch nie recht bekommen ist. Darum wollen wir die neuen Männer erst einmal richtig arbeiten lassen. Taten sollen uns zeigen, welche Hoffnungen auf Erfolg wir in sie setzen dürfen, ohne an unserem gefunden Menschenverstand Schaden zu nehmen, wie wir dies in ähnlichen Fällen so oft getan haben. Erfahrung sollte uns klug gemacht haben. Allzu hohe Erwartungen führen meist zu entsprechend tiefen Enttäuschungen und diese wieder er schüttern und lähmen nur auf's neue den gesamten Volks körper, der endlich Ruhe braucht, um genesen zu können. preußischer Landtag. (8. Sitzung.) tt. Berlin, 22. Januar. Heute wickelte sich die Beratung von Anfang an in ruhigen Bahnen ab. Kleine Vorlagen wurden behandelt. Ein Antrag des Zentrums über Gewährung von Notstandskrediten für Erntejchäden in den westlichen Provinzen und Ost preußen wurde denc Hauptausschuß überwiesen. Ein Antrag der Sozialdemokraten verlangte einen besonderen ständigen Ausschuß für Wohuuugs- und Heimstättenwesen. Da die Vor beratung im Siedlungsausschuß gewünscht wurde, aber an dererseits Bedenken gegen diesen Ausschuß vorgebracht wurden, beschloß man Überweisung an den Geschästsordnungsausschuß. Die Vorlage über den Anschluß der in Lippe wohnhaften Tierärzte an die TierärztekaMmer der Provinz Westfalen wird in allen drei Lesungen ohne Aussprache erledigt und unver ändert angenommen. Die Verordnung vom 17. Dezember 1921 zur Einschränkung öffentlicher Bekanntmachungen geht an den Rechtsansschuß. In der ersten Beratung des Entwurfs zu einem Gesetz über die Wasserverhältnisse auf dem Fluß Lippe wird der Entwurf einem besonderen Ausschuß überwiesen. Die Novelle zum Wanderlagcrstcucracsetz geht an den Haupiausschuß. Die „Glelck da, wo ich Gnädig« zuerst gesehen hab«, antwortete er lächelnd. .„Gnädigste gingen aber ft schnell daß ich kaum folgen konnte." .,Nochmals danke ich Ihnen. Der Verlust wäremü f:)c unangenehm gewesen." Er konnte doch nun gehen — sie hatte sich doch ge mögend bedankt! Aber stet« blieb er neben ihr stehen „Gestalten Gnädigste, daß ich Sie begleite? Beanspruchte er diesen Vorzug etwa als F'ndcr- tobn? Run, ungezogen durfte sie jetzt nicht sein wenn sie anch sein Verlangen als Keckheit zu emfOndev glaubt«. Deshalb neigte sie sehr zurückhaltend den Kopf was ex «bei gar nicht zu bemerken schien Sehr ver gnügt blieb er an ihrer Seite, nachdem er sich kur vorgestellt: „Kießling!" Also ein Bürgerlicher! Sie rümpfte das Näschen Aber ihre angenommene Kälte, ihr gemachter Hochmui chmclzen vor seiner fri'chen, sröbli-b-n Art. „Sind Sre vielleicht aus Seesburg?" fragte sie überrascht. „Aus Seesburg an der Oder?" „Ja, gnädiges Fräulein. Kennen Gnädigste mein Heimatdörschen?" Lächelnd verneinte sie. „Nur aus Erzählungen. Ein- —" sie besann sich ein wenig — „eine Schul- sreundin vcn mir wohnt dort." „Und wer ist das, wenn ich fragen darf?" „Främze Mahlers." „Fränze Mahlers, das Pfarrerstöchterchen? Das freut mich aber. Ich bin bei Pfarrers wie zu Hause. Dann darf ich Fränze wohl auch Grüße von Ihnen sagen, wenn ich Ostern auf Urlaub gehe?'" „O ja, bitte, tun Sie es!" riet sie lebhaft. „Es wird mir eine besondere Freude sein, Gnä digste! Aber — ich weiß ja nicht, von wem ich —" Lächelnd sah sie ihn von der Seite an. „Oh. sagen Sie nur von der Annelies, dann weiß sie es schon." „Annelies!" wiederholt« er, und dann noch einmal mit zärtlicher Betonung, sie innig ansehend: „Anne lies! Welch ein schöner, poetischer Name!" Sie errötete bis hinter dis rosigen Ohrmuscheln. Dana blieb sie vor einem Spitzengeschäft stehen. „Hier trennen sich unser« Wege. Ich habe einzukausen Noch mals meinen Dank!" Mit einer sehr erhabenen Ge bärde neigte sie das Köpfchen. Doch er ging noch nicht. „Darf ich gnädiges Fräu lein denn nicht Wiedersehen?" Seine blauen Augen schmeichelten und bettelten, und ihre anfängliche Entrüstung über dieses Verlangen schwand immer mehr. Aber sie, eine Kom tesse Bernhausen, konnte doch einem bürgerlichen Ein jährigen lein Stelldichein bewilligen! Sie besann sich einen Augenblick. „Wenn es der Zufal will, Herr Kießling — vielleicht. Wenn es wie der schneit und ich nochmals ein Paketcken verliere —" augememe Necynung uver oen Staatshaushalt für 1920 uno die Übersicht von den Staatseinnahmen und -ausgaben sur 1920 und 1921 gehen an den Rechnungsausschuß. Die Ver ordnung zur Änderung des preußischen Ausführungsgesetzes zum FinanzauSgleichsgesetz vom 30. Oktober 1923 liegt dem Hause zur Genehmigung vor. Sie wird dem Hauptausschu^ überwiesen. Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Ände rung des Schutzpolizeibeamtengesetzes in Verbin dung mit der Beratung des Antrags der Deutschen Volks- Partei über die Beförderungsverhältnisse usw. der Schutzpolizei- beamten. Ohne weitere Erörteruug überweist das Haus beide Gegenstände dem Ausschuß für Beamtenfragen. Damit ist die Tagesordnung erledigt und es tritt Ver tagung ein. Abstimmung Freitag. Der Ältestenrat bestimmte, daß am Freitag die Abstimmun gen über die Vertrauens- bzw. M i ß t r a u e n s a n - träge gegen die Negierung stattfinden sollen, außer dem sollen Anträge über den Veanttenabbau, über die Reform des höheren Schulwesens sowie der kommunistische Amnestie anttag verhandelt werden. Darauf will sich das Haus bis zum 3. Februar vertaaen. polttilcbe kuncklcbsu 1 Der frühere bayerische Kronprinz gegen Ludendorff. Nach einer Münchener Meldung teilt die Vertretung des früheren Kronprinzen von Bayern mit, daß die Verhandlungen am 15. Januar an der endgül tigen Weigerung Ludendorffs, die geforderte Genugtuung zu leisten, gescheitert seien. Die Er klärung, die der General jüngst veröffentlicht habe, fei ge eignet, den Anschein einer vollen Genugtuung zu er wecken. Das sei nicht der Fall. Der Kronprinz müsse er warten, daß nur er die Form zu bestimmen habe, die ihm Genugtuung für die gegen ihn gerichteten schweren und unwahren Angriffe geben» könnte. Gedenktag für die Opfer des Weltkrieges Wie bereits gemeldet wurde, soll der 1. März 192.) als Gedenktag für die Opfer des Weltkrieges begangen werden. Der Reichsminister des Innern hat die Landes regierungen gebeten, die hierzu erforderlichen Anordnun gen im Verwaltungswege zu treffen und darauf hinzu- wirken, daß Lustbarkeiten an diesem Tage nach Möglich keit unterbleiben und sämtliche öffentlichen, tunlichst auch die privaten Gebäude halbmast flaggen. Die Veranstal tung entsprechender Feiern hat der Volksbund „Deutsch« Kriegsgräbersürsorge" in die Hand genommen. Die kirch lichen Behörden haben ihre Mitwirkung an der Begehung des Tages zugesagt Verhältnis Oesterreichs zu Deutschland. Der ehemalige österreichische Vizekanzler Dr. Fran k, der dieser Tage inBerlin weilte, äußerte sich Vertretern Wiener Blätter gegenüber über die Beziehungen Osterrcichs zu Deutschland. Er sagte u. a. „So wohl Deutschland wie Österreich haben das Bestreben, sich in den großen Linien der deutschen Politik nicht von einander zu entfernen. Alle Nachrichten, die darüber hin aus von einer Änderung der österreichischen Politik sprechen, sind Unsinn. Österreich und Deutschland sinh jetzt wieder zunächst auf sich selbst angewiesen und müssen sich, so gut sie können, dem Diktat der Entente fügen, tveil irgendeine andere Lösung, wie Zollunion oder Anschluß, infolge der außenpolitischen Verhältnisse unmöglich ist." Lachend, oay die Grübchen in ihren Wangen sich vertieften, schlüpfte sie in das Geschäft. Er spähte sehnsüchtig nach dem reizenden Mädchen durch die Scheiben. Gab es wohl etwas Lieblicheres als dieses rundliche, resolute, braunäugige Geschöpschen mit dem vorwitzigen Stumpfnäschen in dem allerlieb- - stsn Gamingesichtchcn? Herrgott, wenn er nur wüßte, wo sie wohnte! Annelies hieß sie — das war das ein zige, was er von ihr ersahrcn hatte. Sonst war sie ge schickt allen seinen Fragen ausgewichen. Er nahm sich vor, auf si« zu warten, ihr nachzugehen. Er lief also vor dem Geschäft aus und ab— und im en scheidenden Augenblick, als sie aus dem Laden trat, mußte er vor > seinem Vorgesetzten Front machen, wurde dadurch aus- ! gehalten — und in dieser kurzen Minute war sie sei- l uen Blicken im Gewühl der Straße entschwunden. Der große Gesellschaftssaal der Baronin Gutten- - bcrg war der Tummelplatz einer fröhlichen, ausgelas senen Menge. Er war mit Tannengirlanden geschmückt, aus denen farbige Glühbirnen aufleuchteien. Hinter großen Tannen spielte «in Orchester lustige Weisen. Größtenteils kannten sich die Geladenen. Man wußte, man war unter sich, und das gab eine ange nehme Sicherheit, daß man sich, ohne Gefahr zu laufen, an die fal'che Adresse zu kommen, auch einmal gehen lassen konnie. Zierliche Nokokodamen scherzten mu Minnesängern; stolz einherschreitende Edelsrauen halten Mühe, sich der Neckereien moderner Pierrots und Picr- rettcn zu erwebren — ein lustiges Leben und Treiben s herrschte überall. Ein schlanker Pierrot in schwarzer Seite mit Lila besetzt verfolgte hartnäckig eine in eine schwere wein rote Samtrobe gekleidete Renaissancedame, d«rsn köst liches goldbraunes Haar in dicken Locken auf den mar- morweißen Hals fiel. Wie ein Bild von ein.m alten Meister mutete diese hoheitsvolle, königliche Erscheinung an. Die schwarze Halbmast« ließ ein sanft gerundetes Kinn und einen entzückendcn Mund frei. Der Pierrot hatte endlich seinen Arm unter den ihren geschoben. „Donna Gisela —" stürmisch drückte er ihre Sand. „Endlich kann ich Euch sagen, wie sehr ich einen Augenblick ersehnt hab« —" „Nein, nein — nicht hier, nicht heute!" unterbrach sie ihn hastig, sich scheu umblickend. Doch niemand in dem bunten Gewühl achtete ihrer, achtete darauf, daß der Pierrot sie in eine der lauschi gen Nischen zog, die in den Nebenrüumcn durch Eseu- wände oder schwere Vorhänge gebildet waren. „Donna Gisela — hört mich!" Er ließ ihr« Hand nicht. „Oder wollt Ihr mich nicht hören? -- Nehmt die Maske herumcr, damit ich Euer Gesicht ganz seycu ! ^nn — ks!" Er batte di« feine Schnur aclest und