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Pariser Neuheiten. Paris, 21. Dezember 1891. Seitdem es Sitte geworden ist sich zum Jahreswechsel Karten ernsten und heitern Inhalts zuzusenden, kann man wohl sagen, dass jedes Jahr ein reiches Füllhorn von kleinen allerliebsten Ueberraschungen über uns ausschüttet. In neuester Zeit ist man bemüht, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, und der wohlgemeinte Glückwunsch soll nicht wenige Tage nach Empfang für immer verschwinden, sondern soll uns das ganze Jahr hindurch praktische Dienste leisten als Kalender. Dieses Mal entwickeln sich hierin ganz besonders neue Ideen. Die Schaufenster zeigen bunte Geigen, Mandolinen, Harfen, Guitarren und Tambourins. Dürfte man diesem Vorzeichen trauen, so wären wir voll berechtigt, auf ein recht glückliches Jahr 1892 zu hoffen, in welchem uns Allen der Himmel voller Geigen hinge. Welch’ reizender Schmuck am Schreibtisch: neben dem Bücherbrett solch’ eine kleine Mandoline aus Pappe, deren Boden in drei Ein schnitten die farbigen Bänder mit den Monats- und Wochennamen trägt. (Vgl. Nr. 75, Seite 1996, Neuheiten von Schäfer & Scheibe, Berlin.) Anders sind die Tambourins eingerichtet. Entweder be festigt man drei kleine aneinander, von denen jedes ein Band trägt, oder ein grosses Tambourin mit breitem Gehänge von verschieden farbigen Pompons wird mit drei Bändern ausgestattet wie die Mandoline und die Geige. Jede Oeffnung für das Band ist mit kleinen Malereien geschmückt. Hier bewachen drei zierliche Kätzchen das ordnungs mässige Aufziehen des Kalenders, dort sitzen gravitätische Eulen dabei, oder junge Dämchen wenden und drehen sich in den an- muthigsten Stellungen, oder sie schauen einem Reiter nach, der ganz oben am Rande schon so verschwindend klein ist, dass man sich zuerst fragt: Wonach schauen die Mädchen aus? Statt der Bänder ist oft ein kleiner Kalender zum Abreissen geschickt in die Darstellung hineingeklebt. Die Kalendertafel hat hinten oft noch eine kleine Tasche, die zum Aufnehmen von Woll- und Seidenfäden der eifrigen Stickerinnen bereit ist. Aber überall, wo es nur möglich ist, hat die heitere Lebensfreude diese Gegenstände mit leuchtenden, gelben und rothen Schleifen geschmückt, die ent weder zum Anhängen dienen oder nur putzen sollen. Ganz originell sind auch die grossen Mondsicheln mit bunter Malerei. Von einem Horn zum andern zieht sich eine dunkelgrüne starke Schnur, die den Kalender trägt und in Quasten endigt; in gleicher Weise sind grosse Tauben oder Eulen zu diesem Dienst herangezogen. Man will sogar noch mehr bieten und giebt dem schon so heiter ausgestatteten Kalender noch eine kleine Wetterprophetin zu, die je nach Laune der Witterung ein blaues oder rosenrothes Kleid trägt; sie ist oft von einem Zwerge begleitet, der den Kalender auf dem breiten Rücken trägt; oder sie beugt sich zum Fenster einer Burg heraus und hängt den Kalender an, vielleicht als Zeichen für ein Stelldichein. Auch Herr Laubfrosch, ihr eifriger Verehrer, klettert mit seinen langen dünnen Beinen die Sprossen der an das Fenster gelehnten Leiter hinauf. Manchmal giebt ein lustiger, weisser Pudel seine Vorstellungen als Wettermelder, oder ein Schweinchen mit mächtiger Schleife auf dem Rücken guckt ernsthaft in die Kalender blätter. Unter den Almanachen, die keine Neujahrs wünsche tragen, oder dieselben erst auf dem Titelblatte zeigen, sind besonders jene heraus zuheben, deren Deckel mit marmorirtem Goldstoff bekleidet sind und in grossen grünlichen Buchstaben die Inschrift »Kalender 1892« tragen. Auf der mit dunkelgrüner Seide bedeckten Innenseite des Deckels befindet sich ein elegant ausgestatteter Bleistift. Die Blätter zeigen als Randschmuck entweder Radirungen oder Silhouetten. Sehr geschmackvoll sind die Deckel in Nachahmung von dänischem Leder in Dunkelgrün oder Resedafarben. Links ist ein breiter Rand in Gold oder farbiger Ausführung aufgepresst, welcher dicht aneinander gedrängte Blüthen, vorzugsweise Stiefmütterchen darstellt; oder derselbe Deckel hat nur die goldige Inschrift »Almanach,« in deren Anfangsbuchstaben ein hellblaues Florband eingeknüpft zu sein scheint. Ganz neu ist links ein breiter Rand von erhabenen farbigen Blüthen auf Goldgrund, während der Deckel mit broschirter Seide bekleidet scheint. In derselben Weise ausgeführt sah ich einen Rand von wilden Rosen auf braunem Grunde zu einem beigefarbenen Deckel mit erhabenen weissen Punkten. Schwärzliche Dornenzweige bildeten den Abschluss dazwischen, sowie die Inschrift. Auch das beliebte japanische Leder findet bei diesen Almanachen Verwendung. Man wählt ein recht grosses Muster für die Aussenseite, ein kleines für innen; durch je zwei Längsschnitte oben und unten sind breite dunkelfarbige Bänder gezogen. Diese Einschnitte folgen den Umrissen des Musters, und so scheint oft ein Fächer, eine grosse Blüthe oder ein Schirm auf dem Bande zu liegen. Auch durchgehende Stoff bekleidung in Damastgewebe ist sehr beliebt, wozu man gern Band schleifen mit langen Enden fügt. Zu einem schwarzen Grund mit gelb seidenen Mondsicheln und wellenförmigen Linien nahm man gelbes, auch moosgrünes Band. Ein anderer Deckel ahmt weisses starknarbiges Leder nach, hat an den äussern Ecken Flieder-und Veilchensträusse und ist mit zwei lila Schleifen zusammengehalten. Diese weissen lederartigen Deckel ziert oft eine farbige Malerei, zu welcher altgothische Muster als Vorbild gedient zu haben scheinen, mit denen fleissige Mönche die Ränder ihrer engbeschriebenen Hefte schmückten: — viel Gold, Blau und Roth ist dazu verwendet. Diese Almanache werden an Goldschnüren aufgehängt und haben niemals Bandschleifen, welche ihrem Charakter nicht entsprechen würden. Bei jedem neuen Gange durch die Geschäftsräume entdeckt man neue Muster! Jene obenbesprochenen Tambourins mit Zieh kalender sind mit ganz reizenden in farbig und Gold ausgeführten Zigeunergruppen geschmückt; man hat den Eindruck, als klinge und singe es in ihrem Lager vor jenem Zelt mit dem grossen Kessel und seiner alten Hüterin. Die künstlerische Auffassung der Zigeuner gestalten erinnert an jene drei trägen Gesellen, die schlafend, rauchend und geigend den vorbeifahrenden Dichter einst begeisterten. Eine kleine vergoldete Lyra, mit rother Seidengaze überspannt, trägt auf den Saiten aus Goldfäden einen zarten Kalender, dessen Blätter aus einanderstehen wie Schmetterlingsflügel. In das klargewebte Gold band zum Aufhängen ist eine rothe Atlasschleife geknüpft. Kleine, sehr zierlich gearbeitete Mandolinen mit langem Hals haben eine Landschaft auf dem Resonanzboden; die feinen goldenen Saiten sind darübergezogen. Der kleine Abreisskalender findet sich auf der Rückseite. Tanzkarten, jene zierlichen leichten Büchelchen, die nur wenige Blätter mit der Aufschrift der Tänze enthalten, und an seidenem Bande oder seidener Schnur den farbigen Bleistift tragen, werden jetzt mit der Einladungskarte zusammen ausgeschickt, damit die Engagements schon vor dem Ballabend geschlossen werden können. Meist ist die Deckelbekleidung aus gemustertem Seidenstoff oder in gelungener Nachahmung desselben ausgeführt. Bei der erstgenannten Ausstattung wird der Stoff nicht umgeschlagen, sondern einfach am Rande abgeschnitten, das macht die Kärtchen leichter und giebt ihnen den Charakter des Flotten und Flüchtigen. Und welcher Tänzerin scheinen die Stunden nicht rasch zu fliehen? Der Arbeiter mag hier alle kostbaren Seidenfleckchen benützen, die in den Läden und Werkstätten der Schneiderinnen für ihn abfallen; kein Stückchen ist da zu klein, und je toller die Phantasie hier die Muster zu sammenstellt, desto besser! Die innere Bekleidung, ebenfalls von Seide, ist nie der äussern ähnlich. Das Monogramm der Gastgeber drückt man je nach Laune irgendwo auf. Wenn die Einladende geistreich genug ist, so schreibt sie wohl auch auf die letzte Seite des Bücheichens irgend einen netten Gedanken hin; — für diesen Zweck ist das Blatt leergelassen. W. Schlimm für die Kuh! Die bekannte Maschinenfabrik C. B. Cottrell & Sons in New York kleidete eine Empfehlung ihrer neuen Buchdruckschnellpressen in »Paper and Press« in die Form nachstehenden Gleichnisses: Als Georg Stephenson vom Parlamente das Recht erbat, die erste Eisenbahn im Vereinigten Königreiche zu bauen, wurde ihm eine Frage vorgelegt, die nach Ansicht vieler Personen seinen grossen Plänen den Todesstoss geben würde. Man fragte: »Was wird geschehen, wenn eine Kuh der Lokomotive in den Weg läuft?« Alles sah ernst darein. Die einzige Folge musste ja sein: Un vermeidliche Entgleisung und Zerstörung der Lokomotive, nebst grossem Verlust an Eigenthum und Menschenleben. Stephenson jedoch beantwortete die Frage sehr bestimmt in 7 Worten.: »Es würde schlimm sein für die Kuh!« Was hat Dies aber mit dem Buchdruck-Gewerbe zu thun? Und inwiefern berührt es Dich, mein Freund? Sieh’ hier! Bei Benutzung Deiner alten Maschinen stellst Du Dich jedem Fortschritt in den Weg. Der Fortschritt lässt sich jedoch nicht aufhalten, der Fortschritt geht unbehindert seinen Weg. Ihm kannst Du nicht widerstehen, aber es wird schlimm sein für Dich. Thue es nicht. Lass’ uns die Neuanschaffung von Maschinen gehörig zusammen überlegen. Wir wollen einige Daten über den Vortheil bei Verwendung neuer statt alter Maschinen niederschreiben, und Du wirst die Dinge in anderem Lichte sehen. (Folgt Hervorhebung verschiedener Vorzüge neuerer Cottrell’schen Maschinen.)