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Ottendorfer Zeitung : 10.11.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190711108
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19071110
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19071110
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-11
- Tag 1907-11-10
-
Monat
1907-11
-
Jahr
1907
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 10.11.1907
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^)o!mscde Kunösckau. Deutschland. ^Kaiser Wilhelm wird nach den neuesten Bestimmungen aut der Reise nach England nun doch von der Kaiserin be gleitet sein, da die Erkrankung der Braut des Prinzen August Wilhelm, die im Berliner Stadt schloß an den Windpocken daniederlag, sich als nicht gefährlich herausgestellt hat. Der Kaiser wird sich übrigens nach dem Besuche Englands nicht nach Holland, sondern zur Erholung nach der Insel Wight begeben. Wann der somit aufgeschobene Besuch in Holland statt findet, ist noch nicht bestimmt. * Der Unterstaatssekretär des Reichskolonial amts v. 8 indequist erklärte in einer Unter redung, daß er sich über die Lage in Süd - weitafrika vorläufig noch nicht äußern könne: im allgemeinen glaubt er, sie als günstig be zeichnen zu können. Er hofft, daß dieses Schmerzenskind der Verwaltung nunmehr einer guten Zukunft entgegengehe. Simon Köpper, der sich auf englischem Gebiete befindet, ist wohl in der Lage, Unannehmlichkeiten zu bereiten, jedoch bedeute er durchaus keine Gefahr mehr für Südwestafrika. * Wie verlautet, ist der bisherige Unterstaats sekretär im Auswärtigen Amte Herr v. Mühl berg zum Gesandten am Vatikan ausersehen, wenn auch die Ernennung bisher noch nicht formell vollzogen ist. Von unter richteter Seite wird als Nachfolger der derzeitige Gesandte in Teheran Dr. Stemrich genannt. *Jn einer amtlichen Erklärung widerspricht die deutsche Regierung dem Gerücht, sie habe den Zusammentritt der holländisch-bel gischen Konferenz, die bessere Be ziehungen zwischen den beiden Nachbarländern anbahnen soll, verhindern wollen. * Wie verlautet, werden im diesjährigen Kolonialetat bedeutende Mittel iür denEisen - bahnbau in Deutsch-Ostafrika ge fordert werden. * Der preuß. Landtag, dessen Wiedereröffnung nunmehr auf den 26. d. festge setzt ist, wird vor Weihnachten die Enteig nung s v o r l a g e für die Ostmarken und das Lehrerbesoldungs - Gesetz beraten, während der Etat Mitte Januar und die Beamten gehältervorlage erst Anfang Februar eingehen werden. *Der oldenburgische Landtag ist mit einer Thronrede durch den Minister präsidenten Willich eröffnet worden. * Der Dampfer „Adolf Woermann" ist mit einem Schutztruppen - Heimtransport, bestehend aus 620 Unteroffizieren und Mannschaften sowie 17 Offizieren aus Deutsch - Südwest - afrika in Kuxhaven angekommen. Der nächste Heimstransport trifft am 23. November hier ein. Osterreich-Ungarn. *Der Streit der Parteien im öster reichischen Abgeordnetenhause wird mit jedem Tage ernster. Jede Arbeitsmöglichkeit ist zurzeit unterbunden. Auch der Ausschuß, der über den Ausgleich mit Ungarn beraten soll, scheint nicht zustande zu kommen wegen des andauernden Parteienhaders. *Jm ungarischen Abgeordnetenhause erklärte Ministerpräsident Wekerle, das Kabinett Fejervary werde im Interesse des Friedens, entgegen dem Wunsche der Mehrheit, nicht unter Anklage gestellt werden. Das Kabinett Fejer vary wird beschuldigt, bei den Verhandlungen mit Österreich gegen Ungarns Interessen ver stoßen zu haben. Frankreich. * Die Pariser Blätter, allen voran der sonst regierungssreundliche ,Temps', verurteilen die schnelle Unterzeichnung des Vertrages betr. die Neurralität Norwegens. Es wird getadelt, daß SchweoenS Wunsch, das Protokoll mit zu untersertigen, von Frankreich (wie den andern Vertragschließenden) abgelehnt wor- oeu sei. Migtanv. * Lie Frauenrechtlerinnen, die mit ihren Bestrebungen um das Wahlrecht von dem Ministerpräsidenten bisher immer abge wiesen worden sind, haben nunmehr beschlossen, sich mit einem Gesuch direkt an den König zu wenden. Es ist aber sehr fraglich, ob sie dort ein willigeres Ohr finden werden. Schweiz. * Der Bundesrat hat bei der Bundes versammlung die Genehmigung der internatio nalen Übereinkommen betr. daS Verbot der Nachtarbeit der Frauen und der Ver wendung des weißen Phosphors in der Zünd holzindustrie beantragt. Italien. * Im Prozeß gegen den ehemaligen Minister Nasi, der vor dem Senat begonnen hat, wurde zunächst die Anklageschrift verlesen, wonach der Minister beschuldigt wird, 52 213 Lira nach und nach im Amte veruntreut zu haben. Holland. *Der frühere liberale Minister Vanhouten wies in einer bemerkenswerten Rede auf die große Unsicherheit hin, in der man sich in Holland befinde, falls die Königin ohne Nachkommen sterbe. Jetzt, wo die Krone eine Verfafferungsänderung behufs Wahlrechts erweiterung beantrage, wäre es die Pflicht der Kammern, ihrerseits die Krone auf die noch größere Notwendigkeit hinzuweisen, daß die Erbfolge zu gleicher Zeit in der Verfassung auf befriedigende Weise gelöst werde. Als wünschens werte Änderungen schlägt Vanhouten vor, die Erbfolge eines fremden Prinzen von der Zustimmung der Kammern abhängig zu machen und jene auch über die Wahl der Regierungs form — Monarchie oder Republik — entscheiden zu lassen. Ferner bemerkte Vanhouten, in un mittelbarer Nähe der Königin befänden sich zwei Personen, der Prinzgemahl und die Königin mutter, denen das Volk weit lieber die höchste Würde im Staate übertragen möchte als einem unbekannten Herrscher. Austlaud. * Die Wiederher st ellung der Flotte macht gute Fortschritte. Wie aus Nikolajew gemeldet wird, lief dort der vierte Torpedo bootszerstörer in kurzer Zeit vom Stapel. Die sämtlichen neuen Schiffe sollen auf russischen Werften und ohne Zugrundelegung fremder Modelle gebaut werden. * Eine neue finnländische Ar tz e i t e r l i g a hat sich gebildet, die nach ihrem Programm bezweckt, die Lage der Arbeiter zu heben, ohne den andern Klassen zu nahe zu treten und ohne die Produktion des Landes zu beeinträchtigen. Die Liga verwirft die sozial demokratische Theorie betr. das Eigentum, ver wirft das politische und wirtschaftliche Programm der Sozialisten und verurteilt die Beziehungen der finnländischen Sozialisten zu den russischen Revolutionären und die feindliche Haltung des Sozialismus gegenüber der Religion. Balkanftaate«. *Die türkische Regierung beschloß, für die Befestigungen am Bosporus ein zweites, zehn Kompanien starkes Genie-Regiment zu errichten. * In Kleinasien nimmt die moham medanische Bevölkerung des Bezirks Erzerum von Tag zu Tag eine drohendere Haltung gegenüber der Regierung ein. Sie will von dem neuen Gouverneur Vehab Pascha nichts wissen und hat an die Zentralregierung ein Telegramm gerichtet, in dem sie ihren Entschluß kundgibt, ihn nicht anzuerkennen. Auch aus andern Gebieten wird von einer sich immer mehr ausbreitenden mohammedanischen Bewegung berichtet. In Konstantinopel sind daher umfassende militärische Maßregeln angeordnet worden. Amerika. * Einer Meldung aus Washington zufolge hat der in Manila (Philippinen) weilende Kriegsselretär Taft seine Absicht, Europa zu bereisen, aufgegeben. Aste«. *Zur Weltausstellung in Tokio, die im Jahre 1912 staltfinden ioll, sind bereits viele Anmeldungen eingegangen. Deutsch land hat seine Beteiligung jedoch noch nicht zugesagt, weil in industriellen Kreisen wenig Neigung für den Plan besteht. Man darf aber wohl annehmen, daß aus politischen Er wägungen das Reich durch eine würdige Aus stellung in Tokio vertreten sein wird, in der Unterricht, Kunst, Wissenschaft, Heer- und Marinewesen zur Darstellung gelangen. * Aus Englisch-Indien kommen über aus beunruhigende Nachrichten von einer infolge von Mißernten drohenden Hungersnot. In einem Maß des Gouverneurs wird der Auf schub der Steuerzahlung sowie die Gewährung eines Vorschusses von mehreren Millionen an gekündigt. ProreK 8Mow-Lranä. Vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Berlin II fand am 6. d. die Verhandlung gegen den Schriftsteller Adolf Brand statt, der wegen Beleidi gung des Reichskanzlers Fürsten v. Bülow ange klagt war. Die Verhandlung war nicht interessant wegen ihres Ergebnisses oder wegen des Angeklagten und seiner Beschuldigungen, sondern wegen der er schienenen Zeugen, unter denen der Reichskanzler und Fürst Philipp zu Eulenburg an erster Stelle genannt werden müssen. Vor Eintritt in die Verhandlung erklärt Rechtsanwalt Dr. Barnau: Es erscheint zweifelhaft, ob der Angeklagte imstande ist, der Verhandlung körperlich zu folgen. Er hat schon wiederholt Ohnmachts- anfälls gehabt, und zwar nach ärztlichem Attest noch gestern srüh. Er hat erklärt, daß er unter allen Umständen vor Gericht erscheinen wolle, es erscheint mir aber zweifelhaft, ob er einer mehr stündigen und vielleicht den ganzen Tag währenden Verhandlung gewachsen sei. — Erster Staats anwalt Dr. Preuß: Mir liegt ungemein viel daran, daß heute verhandelt wird, damit nach außen hin schon festgestellt wird, wie wenig halt bar sämtliche Angaben des Angeklagten sind. Ich beantrage, daß irgendein Arzt zugezogen wird, der hier assistiert und event. seine Hilfe leisten kann, übermäßig anstrengen wird die Sache ja kaum. — Der Angeklagte ist, wie der Vorsitzende durch Be fragen feststellt, jetzt 36 Jahre alt. Er ist mehrfach vorbestraft, so wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften zu zwei Monat Gefängnis, 1900 in Tilsit wegen Beleidigung zu zwei Monat Gefängnis, dann wegen öffentlicher Beleidigung (Affäre mit dem Abg. Lieber) zu einem Jabr Gefängnis, noch mals wegen Verbreitung, unzüchtiger Schriften zu 200 Mark Geldstrafe und wegen Vergehens gegen die öffentliche Ordnung zu drei Monat Gefängnis. Es wird sodann das Flugblatt verlesen, in dem Brand behauptete, der Reichskanzler sei homosexuell veranlagt und müßte daher ein Interesse an. der Abschaffung des 8 175 haben. Ais erster Zeuge wird der Reichskanzler vernommen und erklärt: Ich erkläre unter meinem Eide, daß homosexuelle, perverse, normwidrige Neigungen und Gelüste mir seit jeher nicht nur im höchsten Grade widerwärtig, sondern auch vollkommen unbegreiflich gewesen und erschienen sind. Diese meine eidliche Erklärung bezieht sich nicht nur auf Zuwiderhandlungen gegen 8 175 St.-G.-B., sondern auf alle und jede homosexuelle Neigung, Anlage und Empfindungen in jeder Form und in jedem Grade. Endlich ist auch in der Flugschrift noch behauptet worden, ich stünde hinter den Angriffen, welche die .Zukunft' gegen eine Reihe bekannter Persönlich- reiten mit bezug aus Homosexualität und Kamarilla gerichtet hat. Ich stehe diesen Angriffen ganz fern, habe sie weder veranlaßt noch beeinflußt. Als Reichs kanzler und als Mensch habe ich es für meine Pflicht ge halten, den gegen mich erhobenen unerhörteuBeschuldi- gungen sofort und öffentlich entgegenzutreten. Und wie jeder Staatsbürger habe ich das Recht, gegenüber der artigen Angriffen zu appellieren an den Schutz der Gerichte und den Ernst der Gesetze. — Der nächste Zeuge ist Fürst Philipp zu Eulenburg (der im Hardenprozeß geladen, aber nicht erschienen war). Er sagt aus, daß ihm von allen den Anschuldigun gen gegen den Reichskanzler nichts bekannt sei. Zugleich erklärt der Zeuge, daß die >m Harden prozeß gegen ihn erhobenen Anschuldigungen un wahr und völlig aus der Luft gegriffen seien. Nachdem auch die weiteren Zeugen absolut nichts aussagen können, was auch nur im geringsten die Behauptungen Brands erhärten könnte, und nach dem insbesondere festgestellt ist, daß Geheimrat Scheefer nie mit seinem Vorgesetzten, dem Reichs kanzler, in vertraulichem Verhältnis gestanden hat, gibt der Verteidiger im Namen des Angeklagten folgende Erklärung ab: Mein Mandant, der Ange klagte Brand, hat im Laufe der heutigen Verhand lung die Überzeugung gewonnen, daß feine Beschuldi gungen gegen den Reichskanzler Nicht aus Wahrheit beruhen. Er würde nicht anstebcn, d errUärung auch persönlich dem Reichskanzler gegenüber abzu geben. Die Beweisaufnahme wurde damit ge schloffen. Das Urteil lautete nach dem Anträge des Staatsanwalts auf Iftz Jahr Gefängnis bei sofortiger Verhaftung, Unbrauchbarmachung der Platten und Tragung der Kosten des Prozesse- sowie der Veröffentlichung des Urteils. Ueffelexplofion aus dem Schulschiff „Blücher". Unsre Marine ist, nachdem sich erfreulicher weise seit längerer Zeit kein größerer Unfall ereignet hatte, von einem folgenschweren Unglück heimgesucht worden. An Bord des bei Mürwik in der Flensburger Föhrde vor Anker liegenden, jetzt als Hulk dienenden früheren Schulschiffes „Blücher" explodierte der Hilfsdampfkessel, wobei 10 Personen ihren Tod gefunden haben, wäh rend über 20 schwer verletzt wurden. Die Explosion ereignete sich morgens während des im Maschinenraum erteilten Unterrichts an die Maschinistenanwärter. Von außen sah man ganz plötzlich eine mächtige Rauch- und Feuergarbe, die das Schiff für einen Augenblick völlig einhüllte. Der Teil des Mittelschiffs, in dem der Kessel ruhte, war völlig zerstört. Aus den Trümmern heraus waren lautes Schreien und entsetzliche Hilferufe vernehmbar. Durch die gewaltige Explosion wurden die Leute gegen die Wände und Decken geworfen. Der Anblick, der sich den Zuhilseeilenden bot, war wegen der Art der Verletzungen ein entsetzlicher. In der Hauptsache waren den Verletzten Beine und Arme abgeschlagen, andern waren wieder die Köpfe abgerissen und die Brust total zerquetscht. Die Zahl der Toten beträgt zehn. Unter den Ge töteten und Verletzten befinden sich keine Offiziere, es sind Bootsleute, Deckoffiziere sowie Maschinistenanwärter. Die Gesamt zahl der Verwundeten beträgt 20. Die Flensburger Schiffswerft sandte bereitwilligst Leute mit Dampfern zur Hilfeleistung. Das Garnisonlazarett ließ sämtliche Tragkörbe an Bord bringen. Die Schwerverletzten wurden in das Garnisonlazarett in Flensburg gebracht. Zehn Privatärzte aus der Stadt bemühken sich, den Verletzten Hilfe zu bringen. Die Ursache der Explosion ist bisher unaufgeklärt. Von j>iab un6 fern. Auf dem Schlachtfelde von Lützen ist am 6. d. eine Gedenkkapelle eingeweiht worden. In Vertretung des Kaisers war Prinz Eitel Friedrich erschienen. Im Ballon von Basel nach London. Der dem Frankfurter physikalischen Verein ge hörige Ballon „Ziegler" hat unter Führung des Lustschiffers Dr. Wegener eine 40 stündige Dauer fahrt von der Schweizer Grenze bis in die Nähe der Hauptstadt Englands ausgeführt. Es ist dieses die zweitlängste Dauerfahrt, die überhaupt unternommen wurde. Der ebenfalls von Dr. Wegener gehaltene Rekord beträgt 52 Stunden. Damals ging die Fahrt von Berlin in großem Bogen über Jütland nach Aschaffenburg, dies mal begann sie in der Nähe von Basel, wo die Füllung des Ballons mit Wasserstoff erfolgte. Im Scherz war von einem der Mitfahrenden einem seiner Bekannten in London versprochen worden, sie im Ballon zu besuchen. Man be nutzte deshalb den glücklichen Zufall, der den Ballon an die Küste getrieben hatte, und beschloß die Überfahrt über ven Kanal, der in der Nacht bei schwachem Nebel erreicht wurde. Die Be völkerung der französischen Küste, die das Auf leuchten der Taschenlampen wahrnahm, warnte die Luftschiffer durch Zurufe, wie „Das Meer! Retter euch!" Glücklich wurde aber das Nord ende von London erreicht, wo man trotz der großen Finsternis um 1 Uhr nachts glatt landete. Hwei Kinder verbrannt. In Düsseldorf verursachten drei Kinder des Arbeiters Bauer, die in der elterlichen Wohnung in der Konkordia« straße allein gelassen waren, durch Spielen mit Streichhölzern einen Zimmerbrand. Lurch deu Qualm erstickten die veiven Mgereu Kwder, das ältere erlitt schwere Verletzungen. O Irrungen. 21) Roman von Gräfin Baudissin. iForlietzung.i Eine Hand berührte in diesem Augenblick von außen den Griff der Tür. Hugos Nerven- Mem war bis aufs äußerste abgespannt, der leise Ton machte ibn krampfhaft zusammen schrecken — eine Handbewegung — das leichte Papier mit seinem schweren Inhalt flog in den Kamin, wo die Flammen gierig daran empor züngelten. Von dem Moment, als der Türgriff berührt wurde, bis die Eintretende die Tür hinter sich geschloffen, waren nur Sekunden verflossen. Hugos bleiche Züge wandten sich letzterer zu, Er erkannte seine Mutter und bei ihrem An blick kam ihm die Besinnung zurück. Mit einer heftigen Bewegung beugte er sich vor, um zu retten, was noch zu retten war, und hielt bald nicht mehr das ganze, sondern «ur ein klägliches Überbleibsel des Papiers in Händen. Die Worte: „Mein letzter Wille!" starrten ihm entgegen, der untere Teil des Blattes fehlte, die Mitte war schwarz verkohlt. Es von sich werfend, preßte er die Hände mit dem Ausruf: „Ehrlos, ehrlos!" vor's Gesicht. Seine Mutter näherte fich ihm, tödlich er schreckt blickte sie auf die Szene, die sich ihr darbot. „Hugo," flüsterte sie fast tonlos, „ich bin's — deine Mutter — sage mir alles — ich kann's tragen — was es auch sei." .Ich war wahnsinnig," ries er, ihr beide Hände aus die Schultern legend und sie wie ' irrsinnig ansehend, „und — und was geschehen f — kann kein Gott rückgängig machen. Ihr! Unglücksraben behaltet recht — sagiet ihr doch immer, es müßte ein schlimmes Ende mit mir nehmen! Nun denn, ja — es ist da!" Schaudernd blickte er auf den handgreiflichen Beweis seiner Schuld und mit dem Ruf: „Fort, fort, nur sie nicht Wiedersehen!" stürzte er aus dem Zimmer. 13. Die kurze Sommernacht war dem Morgen grauen schon gewichen, als Frau von Oggers- hausen endlich ihre Haustür sich öffnen, wieder schließen und Hugo hinauf in sein kleines Schlaf zimmer gehen hörte. Sie rührte sich nicht, wie gebannt hatte sie alle die Stunden dagesessen, ihr Leben im Ge hör konzentriert, und nachdem nun endlich das ersehnte Geräusch von ihres Sohnes Rückkehr an ihr Ohr geschlagen, blieb sie noch in der selben Stellung, mit dem bis aufs äußerste ge spannten Ausdruck in dem sanften Gesicht. Meder verging eine lange Zeit. Der junge Tag war voll herauf gestiegen, da endlich be wegte sich die gebeugte Gestalt der alten Dame. Leise, kaum hörbar ging sie in ihr Schlaf zimmer, kühlte die pochenden Schläfen reichlich mit Wasser, veränderte ihren Anzug und warf Bettdecken und Tücher durcheinander, um Fragen der Dienerin nach der durchwachten Nacht zu entgehen. Dann schlich sie die Treppen hinauf, nahte sich geräuschlos ihres Sohnes Lager und ließ sich auf einem davorstehendeu Stuhl nieder. Hugo war ohne Plan und Ziel durch die Waldungen gestürmt, bis ein dumpfer Zustand von Erschöpfung an die Stelle des leidenschaft lichen Bedürfnisses nach Bewegung getreten. Sich in seinen Kleidern aufs Lager werfend, war er in einen tiefen, wiewohl unruhigen Schlaf gesunken. Bald wälzte er fich auf die eine, bald auf die andre Sette, die Lippen murmelten unver ständliche Worte, die Hand ballte sich drohend oder fuhr wie abwehrend durch die Luft. Frau von Oggelshausen folgte dem allen regungslos und erwartete mit der ihr eigenen Geduld, die ein Hauptzug ihres Charakters war, sein Erwachen. Dieses erfolgte erst ziemlich viel später mit einem plötzlichen Auffahren, als gelte es, einem bösen Traume zu entrinnen und ging in Entsetzen über, als ihm die Erinnerung des gestrigen Abends kam. Die Sonne stand hoch am Himmel, bevor das Gespräch zwischen Mutter und Sohn be endet war. Erstere hatte erst liebkosend ge beten, dann gefleht und beschworen. Hugos bitteren Selbstanklagen gegenüber hob sie her vor, daß m seiner Reue Entsühnung läge. „Verhalte dich vorläufig ruhig, mache dich und mich nicht durch ein voreiliges Wort sür immer unglücklich, es brächte niemand Nutzen. Denke an deinen Namen, an meine weißen Haare, an Olga, an das Andenken deines Vaters! Du kannst dein Versehen im stillen gut machen — Edgar alles überlassen" usw. usw. hatte seine Mutter beteuert und gefordert, und nachdem Hugo viele Stadien wechselnder Stim mungen und Ansichten durchgemacht, gab er endlich, wenn auch widerstrebend, nach. Die Erbschaftsangelegenheit Edgar über geben. sich auf und davon machen, später jede Annahme einer Teilung verweigern und nur ein so geringes Kapital annehmen, daß Edgar in fast ungeschmälertem Besitz des Gutes bliebe — das waren die vorläufigen Absichten des blassen, düster vor sich hinstarrenden junge» Mannes, als er fich am Mittag desselben Tages, auf die dringenden Bitten seiner Mutter hin, entschloß, ihr ins Herrenhaus zu folgen. Man erkannte in ihm kaum den Hugo von gestern wieder, doch fiel sein Ausdruck unter den obwaltenden Umständen niemand auf. In dem Trauerhause fanden Mutter und Sohn den Geheimrat, Herrn von Kalten, und Edgar um Olga versammelt. Letztere allein beobachtete Hugo scharf; ihr Herz zuckte schmerz lich — keine Aussicht mehr sür ihn auf irgend eine Erleichterung im Kampf ums Dasein! „Aber er wird sich durchringen — ich flehe z« ihm und lasse ihn nimmermehr!" gelobte sie innerlich, während sie die Beileidsbezeigungen der Freunde des Hauses entgegennahm. Dann teilten sich die Anwesenden in Gruppen. Herr v. Kalten unterhielt sich in einer Ecke deS Salons mit Hugos Mutter über Olgas nächste Zukunft. Der Geheimrat hatte Edgar abseits geführt und Olga benutzte diesen Moment, um Hugo ein Zeichen zu geben, daß er ihr folgen möge. Nun standen sie sich in einem kleinen Neben zimmer, das durch eine offenstehende Tür mit s dem Salon verbunden war, gegenüber.
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