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Ottendorfer Zeitung : 30.10.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190710304
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19071030
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19071030
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-10
- Tag 1907-10-30
-
Monat
1907-10
-
Jahr
1907
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 30.10.1907
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politische Kunälckau. Deutschland. *Wie amtlich aus dem Haag gemeldet wird, trifft Kaiser Wilhelm am 20. n. an Bord der „Hohenzollern" in Amsterdam ein und begibt sich am selben Abend nach dem Haag. Reichskanzler Fürst v. Bülow empfing in Klein-Flottbek eins Abordnung des Deutschen Arbeiter-Kongresses. Der Reichs kanzler erklärte der Abordnung, daß die Re gierung bestrebt sein werde, die Verhältnisse des Arbeiterstandes nach Kräften zu bessern. * Der Scheckgeietzentwurf wird vor aussichtlich schon in nächster Zeit dem Bundes rat zugehen. Die zu dem vorläufigen Ent wurf geäußerten Wünsche aus der Handels-, Industrie- und Bänkwelt sollen weitgehende Berücksichtigung finden. *Die oldenburgische Regierung legte dem Landtag einen Gesetzentwurf über die Einführung des gleichen und direkten Wahlrechts vor. Österreich-Ungarn. * Die Besserung, die im Befinden des Kaisers Franz Joseph eingetreten ist, macht, wie amtlich gemeldet wird, erfreuliche Fortschritte. ' Frankreich. " Der russische Minister des Nutzern, Iswolsky, der gegenwärtig in Paris weilt, erklärte einem Besucher, daß er während der englisch- r u ssische n V erhandln n gen Deutschland und Frankreich in gleicher Weise auf dem Laufenden erhalten habe. Er führte ferner aus, Rußland brauche Ruhe; es wolle keine Abenteuer und verfolge eine friedliche Politik. Wie verlautet, ist die Anleihe, deret- wegen Herr Iswolsky nach Paris gekommen ist, noch nicht abgeschlossen. Die Verhandlungen mußten wegen der Erkrankung des Ministers abgebrochen werden. Belgien. * In Brüssel ist die internationale Konferenz zur Unterdrückung des Mädchen handels züsammengetreten. Deutschland ist durch den Major Wagner vertreten. Holland. * Der Arbeitgeberverband in Rotterdam hat den streikend en Hafenarbeitern angekündigt, daß er über sie die Sperre ver hängen werde, wenn sie nicht umgehend die Arbeit wieder aufnehmen. Balkanstaaten. *Zum türkisch-persischen Grenz- streit hat die türkische Regierung jetzt nach einer Meldung aus Teheran erklärt, daß sie alles aufbieten werde, um diese Angelegenheit in zuvorkommender Weise zu erledigen. Schweden. *Der Minister des Nutzern v. Trolle er klärte zu den Perhandlungen betr. eine inter nationale Bürgschaft für die Unverletzlich- keit Norwegens, datz es jedenfalls nicht die Politik Schwedens sei, die die von Nor wegen angestrebte Bürgschaft notwendig mache. K ö n i g O s kar und das schwedische Volk hätten gegenüber Norwegen friedliche Absichten. Ruhland. *Die Revolutionäre entfalten seit einigen Tagen wieder eine eifrige Tätigkeit. Glücklicherweise gelang es der Polizei, ver schiedene Anschläge rechtzeitig zu verhindern. So wurde unter dem Hauptpolizeiamt in Peters burg eine Mine entdeckt. Die Polizei nahm 40 Verhaftungen vor. Die Zahl der in den letzten Wochen Verhafteten beträgt über 800. Amerika. *Der deutsche Militärattache in Washington, Major Körner, überreichte in der Militärakademie zu Westpoint die Büsten Friedrichs des Großen und des Generalfeldmarschalls Grafen Moltke als Geschenk des deutschen Kaisers. Generalmajor Grant nahm das Geschenk als Vertreter des Kriegssekretärs Taft mit herzlichem Dank ent gegen. Afrika. * Vor Casablanca sind mit den Eingsborenen- stämmen neue Fr i e densverhandlungen eingeleitet worden. General Drude glaubt, daß sie erfolgreich sein werden und daß es ihm gelingen werde, den Norden Marokkos in kurzer Zeit völlig zu beruhigen, trotz der anrückenden Streitkräfte Muley Hafids. Asts«. *Der Kaiser von Korea forderte in einem Erlaß seine Untertanen auf, den von den Japanern eingeführten Reformen keinen Widerstand zu leisten. Man hofft in Tokio, daß nun endlich die Rühe im Lande einkehren wird. * Aus Wladiwostok wird gemeldet, daß die dortigen Uferbauten, deren Errichtung Generalleutnant Kuno Graf v. Moltke. 800000 Rubel kostete, zu s amm enstür z t en. Durch diesen Zusammenbruch ist man einem empörenden Betrug auf die Spur gekommen. ProreK Moltke-^aräen. Die Beleidigungsklage des früheren Komman danten von Berlin, Generalleutnants z. D. Grafen Kuno v. Moltke gegen den bekannten Herausgeber der .Zukunft', Maximilian Harden, gelangte am Mittwoch vormittag vor der 448. Abteilung des Amtsgerichts Berlin-Mitte zur Verhandlung. Zur Anklage stehen einige Sätze aus einer Reihe von acht Artikeln der ,Zukunft', die sich über die Zeit .vom Oktober 1906 bis April 190? verteilen. Sie -beschäftigen sich mit dem Einfluß, den der Fürst - »r-- K Irrungen. 16^ Roman von Gräfin Baudissin. lFortl-dungv Edgar fand es angenehm, einen neutralen Gegenstand zu erörtern und antwortete eifriger als gewöhnlich, sich im Sinne Olgas aus sprechend. Ab und zu wanderte sein Blick wohl zu der alten Dame hinüber, er hätte sie gerne wieder freundlicher gesehen. In dem Glauben, daß Sibylle nicht nur bei Olga, sondern auch bei der Tante gut angeschrieben sei, dachte er sich durch eine günstige Be urteilung derselben, die ihm doch völlig gleich gültig war, liebenswürdig zu machen. Nemesis strafte aber diese Berechnung, indem sie ihn ganz andre Resultate, als er erwartet hatte, er zielen ließ. Olga meinte: „Da redet Man nun viel von Undankbarkeit. Das arme Kind hat sich ja blutenden Herzens losgerissen. Sie hat gefleht und gebeten, das tun zu dürfen, was sie nun einmal nicht -affen konnte - alles vergeblich. Der Geheimrat blieb wohl seiner Frau zu Gefallen unerbittlich und dies- „Ist ja eine ganz ungebildete Frau, nicht wahr?" „Hausbacken, kleinbürgerlich, spießbürgerlich, wie Sie's nennen wollen. Ihr erstes und letztes Wort ist: Hausfrauentüchtigkeit und Haussrauen- würds!" „Worunter sie die Koch- und Backkunst ver steht?" entgegnete Edgar lächelnd. „Natürlich, einer Malerin spricht sie jedes Recht aus Achtung, ja auf Liebe ab. Mehr noch, sie glaubt nicht, daß unser Herrgott einem Mädchen Anlage zur Kunst gibt, sondern hält das für des Teufels Werk. Sie können denken, wie Sibylle dort im Haufe litt!" „Und doch sollte sie dankbar sein? Wenn ein kinderloses Ehepaar ein fremdes Geschöpfchen annimmt, so kann man wohl behaupten, daß die guten Leute es sür sich selbst und nicht für das unbekannte kleine Wesen tun. Stimmt die Sache nachher nicht, scheint es mir das einfachste auf der Welt, daß man sich wieder trennt. Die so genannten Wohltäter haben zumeist den Instinkt, sich selber mehr als dem offiziellen Gegenstands ihres Erbarmens wohlzutun. Es ist unglaublich viel Humbug bei derartigen Sachen!" „Jetzt gehen Sie zu weit, mein alter guter Geheimrat ist selbstlos genug, aber schwach gegen seine Frau und diese kann eben kein Ver ständnis h^rstellig machen, das über ihre Koch töpfe hinaus geht, wenn sie's auch noch so gerne möchte." „Mich hat es jedenfalls nicht überrascht, daß Sibylle entflohen ist, sie paßte nicht nach Trebs- dorf — entschieden höher beanlagt — nebenbei wunderhübsch! Ich fand sie höchst pikant und anziehend!" „Der Geheimrat tut mir leid," versetzte Olga, „er hatte sie sehr lieb!" „Niemand steht ihm ja im Wege, wenn er sie auch hinfüro als Tochter betrachten will. Das Lange und Breite davon ist hier, wie überall: Jeder geht seinen eigenen Weg, ist gut Freund mit den Mitwanderern, oder wendet sich je nach Charakter entrüstet oder gleichgültig von Philipp zu Eulenburg und die Liebenberger Tafel runde auf den Kaiser zu erringen suchte, mit gewissen anormalen Gefühlsrichtungen einiger Herren dieses Kreises und mit der Gefahr, die nach Ansicht des Angeklagten sür das Vaterland darin liege, wenn ein Kreis so gearteter Männer Einfluß auf die Entschließungen des Herrschers qewinne. Graf Kuno v. Moltke erblickt in einzelnen Stellen dieser Artikel den Vorwurf, daß er abnorme Neigungen habe. — Angel. Harden: In diesen Artikeln habe ich einen politischen Zweck verfolgt. Dazu habe ich beiläufig auch die Person des Pcivat- klägers erwähnt. Ich habe nicht ein Wort mehr ge sagt, als mir zur Erreichung dieses Zweckes not wendig erschien. Ich habe nie ein Wort von dem, was ich gesagt habe, zurückgenommsn und werde nie ein Wort zurücknehmen. Nach meiner Über zeugung ist der Vorwurf homosexueller Veranlagung nicht erhoben. Was ich darüber denke, werde ich sagen, wenn ich darum befragt werde. In diesen Artikeln habe ich nichts davon gesagt, soydsrn nur gesagt, daß nach meiner Überzeugung, die ich be weisen werde, der Kläger abnorme Empfindungen hat. — Bors.: Herr Beklagter, haben Sie nicht das Bedürfnis, dem Herrn, der Ihnen gegenübersteht, der in den schlimmsten Verdacht gekommen ist, vor aller Welt eine Erklärung abzugeben, daß Sie sagen: „Ich will ihm eine strafbare Handlung nicht zur Last legen, ich würde mich bereit finden, im Interesse des ganzen Landes hier einen Vergleich zu schließen." — Haroen: Ich würde zu meinem Bedauern auf diese Anregung nicht eingehen können. Zwischen dem Grasen Moltke und mir gibt es auf dieser Erde keine Möglichkeit eines Vergleichs. Niemals! Ich würde lieber ins Zucht haus gehen, ehe ich mich mit ihm vergleiche, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist der: ich konnte als Politiker im Interesse des Landes — und habe es getan — die Möglichkeit eines Ver gleichs haben. Der Herr Kläger hatte einen Ver wandten zu mir geschickt. Als Angeklagter kann ich einen Vergleich nicht mehr cingchen. Ich kann nicht den Schein erregen, als hätte ich hier, irgend etwas zu scheuen in dieser guten Sache, die ich gut vertreten habe, nach Meinem Wissen, so gut ich es kann. Als Angeklagter den Schein erregen, als wollte ich mich der Strafverfolgung entziehen, das tue ich nicht. Alles, was seit dem 11. Mai seitens des Privatklägers und seiner Freunde öffentlich und geheim, direkt und indirekt geschehen ist, macht cs mir unmöglich, auf einen Vergleich einzugehen. — Justizrat Dr. v. Gordon: Auch für uns ist ein Vergleich unmöglich. — Frau Lili v. Elbs geb. v. Heyden, geschiedene Gräfin Kuno Moltke, 39 Jahre alt, bekundet auf Befragen des Vor sitzenden, ob der Privatkläger dem weiblichen Ge schlecht besonders abhold ist: Ja, meine persönliche Ansicht ist die,, daß Graf Moltke dem weiblichen Geschlecht sehr abgeneigt ist. Das habe ich aus dem Verhalten des Grafen während meiner un glücklichen Ehe ersehen. — Justizrat Bernstein: Haben gnädige Frau nicht zu Ihrem früheren Gatten kurz vor der Scheidung gesagt: „Was wird denn bloß Majestät dazu sagen, wenn wir so aus- cinandergehen und uns scheiden lassen?" Ihr früherer Gatte habe darauf geantwortet: „Majestät wird gar nichts sagen können, denn Seine Majestät wird nur dasjenige erfahren, was ich will. Dafür werde ich sorgen!" — Zeugin: Jawohl, das hat er ge sagt. — Justiztat Bernstein: Hat Graf Moltke nicht ein andres Mal gesagt: „Du bist mir nicht als Mensch zuwider, sondern nur, weil du ein Weib bist." — Zeugin: Das stimmt ebenfalls! — Der nächste Zeuge Leutnant Wolf v. Kruse, der Sohn der ge schiedene Gräfin Moltke, wird darüber befragt, ob er bemerkt habe, datz Graf Moltke eine Abneigung gegen das weibliche und eine Vorliebe für das männliche Geschlecht Hatto. Der Zeuge führt an: Ich sah als Kind, wie Graf Moltke das Taschen tuch Philipp Eulenburgs küßte und dabei rief: „Mein Geliebter, meine Seele!" Ich war damals etwa zehn oder zwölf Jahre alt, aber mir kam dies Benehmen eines Mannes schon ganz wunderlich vor. — Vors.: Hatten Sie als Kind nicht auch ein Spiel, bei dem Sie den Verkehr des Grafen Moltke mit dem Grafen Eulenburg nachahmten? — Zeuge: Jawohl, wir machten das schwärmerische Anhimmeln der beiden Männern nach. — Graf Moltke, vom Vorsitzenden befragt, erklärt, daß er nicht behaupten wolle, datz seine Frau hier vor Gericht bewußt die Unwahrheit sage. Das Bild der Ehe werde aber von ihr verzerrt. Als von der klägerischen Partei noch weitere Bewcisanträge gestellt werden, erklärt Harden: Ich habe keinerlei Skandal machen wollen, sondern nur den Zweck verfolgt, daß die beiden Freunde Fürst Eulenburg und Graf Moltke aus dem Lichtkeije des deutschen Lebens verschwinden. Im weile.eu Verlauf der Verhandlung stellt der Beklagte zunächst folgende weitere Bsweisanträge: Im Interesse meiner Sicherheit und meines Rusts kann ich auf einige weitere Beweise nicht verzichten: 1) Es ist behauptet morden, der General-Leutnant Graf Kuno v. Monte habe von den Artikeln der ihnen ab, wenn sie eine andre Straße ziehen. Mir ist deshalb das viele Gerede über Auf opferung und Wohltun langweilig! Was steckt dahinter? Wir find allzumal Egoisten, denken zehnmal an uns selbst, bevor wir einmal einen andern berücksichtigen. Möchten wir doch ehrlich genug sein, das selbst zu bekennen!" „Wie, Sie wollen doch nicht den Selbstkultus förmlich predigen?" fragte Olga lachend. „Wie' mau sich täuschen kann ! Ihr ernstes, oft feier liches Wesen gab mir den Glauben, datz Sie einen hohen moralischen Standpunkt einnähmen! Was Sie aber eben sagten, ist ja haarsträubend, was würde aus der Menschheit werden, wenn Ihre Annahme richtig wäre?" „Mein Grundsatz, gegen den Sie nichts ein- wenben können, ist: Tue deine Pflicht, indem du eisern festhäM an den Geietzen des Staates» dem du angehörst, und dabei erzeigst du in erster Reihe dir selbst, in zweiter deinem Vater lands den besten Dienst. — Vflichtgefühl und fester Wills heißen die Faktoren, welche letzeres groß gemacht haben — das übrige, welches sich in der Menschen Seels umhectreibt, mag oft variieren, sich in tausend verschiedene Formen kleiden — es ist so sehr Nebensache, daß sein Studium mich nicht verlockt." Nach diesen Worten, die er mehr sür sich als zu den Anwesenden gesprochen, erhob er sich und verabschiedete sich, fester als je ent schlossen, sich durch niemand sein Dasein, sollte heißen, ein glänzendes Emporsteigen, verkümmern zu lassen. Olga sagte, nachdem er gegangen: „Er ist ein tüchtiger, fester Charakter!" .Zukunft' erst verspätet Kenntnis bekommen, und er Habs den Sinn der Artikel erst spät verstanden, und deshalb könne von einer Verjährung keine Rede sein. Diese Behauptung des Privatklägcrs, dic die Grundlage der ganzen Anklage bildet, ist bewußt unwahr. Ich berufe mich auf den anwesenden Frhrn. v. Berger, der mit dem Privatkläger schon im November von dem einen Artikel ge sprochen und ihm vollständig in das Gesicht gesagt hat, was die Sache bedeutet. 2) Der Chefredakteur Dr. Liman wird bezeugen, datz der Komplex der Tatsachen, die später geschildert worden sind, in erster Reihe garnicht auf den Generalleutnant Grafen Kuno v. Moltke zugespitzt ist, sondern auf den Fürsten zu Eulenburg. Ich bitte, Herm Dr. Liman darüber zu hören, datz Fürst Bismarck über Eulenburg in der krassesten Weise den Vor wurf der Homosexualität ausgesprochen hat. Und wenn nun der Führer dieser Gruppe, zu der Graf Kuno von Moltke gehört, in solcher Weise von dem ersten Beamten des Reiches der Homosexualität beschuldigt wird, so liegen doch die Rückschlüsse nahe. 3) Ich beantrage, Leim Polizeipräsidium die Genehmigung sür die Dezernenten des betreffenden Ressorts ein zuholen, darüber Auskunft zu geben, was sie über' den Fürsten Philipp zu Eulenburg, den Grafen Willi Hohenau und den französischen Herrn wissen. Als diese Dinge in der Öffentlichkeit spielten, erhielt-ich einen Brief des KapiiänleutnantS Ernst v. Reventlow, wonach er an der Hand eines früheren Gesprächs mit .mir eidlich erhärten könne, daß ich von irgendwelcher tätlichen Verfehlung des Grafen v. Moltke nichts gesagt habe, und aus welchen Motiven ich ge handelt habe. Da der Privatkläger sich durch die Benennung „Der Süße" beleidigt fühlt, so würde ich mich auf die kompetenteste Persönlichkeit, den Chef des" MUtärkabinetts beziehen, der sich über dey Privai'läger in Ausdrücken crgangcw hat, -die ich nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit wieder- bolen könnte. — Es wird sodann baantragt, den Fürsten Philipp Eulenburg als Zeugen zu laden. Von diesem ist ein ärztliches Attest eingegaiMM wonach es ihm unmöglich ist, an Gcrichtsstelle zu erscheinen. Am dritten Tage der Verhandlung beschließt das Gericht, den Fürsten Eulenburg, der durch ein Attest des Dr. Leppmann feine Unfähigkeit, an Gerichtsstelle zu erscheinen, bekunden läßt, in seiner Wohnung dem Zeugen Bollhardt gegenüberzustellen. Kriminal kommissar v. Tresckow soll den Zeugen begleiten. Der Beklagte Harden schlägt sodann noch vor, den jetzigen Ehemann der Frau v. Elbe (geschiedene v. Moltkes über sein Zusammenleben mit der Zeugin zu vernehmen. Ferner soll auch die Mutter der Zeugin über dic Mißhandlungen ver nommen werden, denen ihre Tochter während ihrer Ehe mit dem Grafen Moltke ausgesetzt war. — ES entspinnt sich sodann ein langer und heftiger Streit über die Liebenberger Tafelrunde und darüber, ob Graf Moltke von den Verfehlungen einiger seiner Freunde Kenntnis gehabt hat. Graf Moltke bestreitet dies mit aller Entschiedenheit, während Harden mit erhobener Stimme erklärt, det Graf müsse von allen diesen Dingen Kenntnis gehabt haben. Der nun mehr zurückgekehrte Kriminalkommissar v. Tresckow wird von dem Vorsitzenden vernommen und sagt aus: „Sc. Durchlaucht hat mich empfangen, ich habe meinen Austrag ausgerichtet, und er hat es abgelehnt, den Zeugen zu sehen oder von ihm gesehen zu werden. Seine Durchlaucht lag krank in: Bette und begründete seine Ablehnung wie folgt: Der Zeuge könnte glauben, ihn zu erkennen, und würde dann zum Eide zugelassen werden und schwören. Dazu möchte er cs nicht kommen lassen, er möchte sich auch wehren können und bitte, ihn in Gegenwart von Gcrichtspersoncn dem Zeugen gegcnüberzustellen und in seiner Wohnung zu vernehmen. Er wolle diesem Zeugen nicht wehrlos gegenüberstehen. — Auf Befragen Justizrat Bernsteins und des Vor sitzenden erklärt Graf Moltke, er sei wegen der Hardenschen Artikel aus dem Dienst (als Stadt kommandant von Berlin) geschieden, da er nicht unter der Wucht der Verleumdungen im Dienste bleiben wollte. Dr. Hirschfeld als Sachverständiger vereidigt, erklärt: Nach meiner Überzeugung ist der Beweis hier erbracht worden, daß hier ein von der Norm abweichendes Empfinden vorlicgt. — Der andre Sachverständige Dr. Merzbach widerspricht diesem Gutachten und kommt zu einer wesentlichen andern Darstellung. Da er aber wiederholt in seinem Gutachten von Dingen spricht, die im Prozeß noch gar nicht zur Sprache gekommen sind (seine Meinung also auf Erkundigungen bei der Partei des Grafen Moltke stützt) beschließt das Ge richt stuft Antrag Hardens, Herrn Dr. M.rzbach, nicht weiter zu hören. Sodann wird Platzmajor v. Hülsen vernommen, der erklärt, Graf Moltke müsse alle über den Fürsten Eulenburg im Umlauf befindlichen Gerüchte gekannt haben. Im übrigen vcrweigcrt der Zeuge, da er seine Wissenschaft aus amtlichen Quelle» nhöpst, die Aussage. Damit ist die Beweisaufnahme geschlossen. Als die Baronin nichts erwiderte, fuhr Olga fort: „Du bist sehr schweigsam gewesen, Tante Therese, dir ist doch nicht schlecht?" „Du solltest meine Ari nachgerade kennen, Kind, daß ich lieber höre, wie rede. Ich war bis jetzt wach genug — nun bin ich aber müde — sage mir gute Nacht I" Olga näherte sich der Tante, ihr den ge wohnten Handkuß zu geben, diese zog sie aber zu sich und ihr die Wange freundlich, streichelnd, sagte sie: „Wie jung, wie jung du noch bist. Dir imponierten Edgars Worte, nicht wahr? In deinen Jahren glaubt man so gern und leicht, den Stein der Weisen entdeckt zu haben. Iw bin bald achtzig Jahre a!t und habe viel nach gedacht; sollte ich jetzt sagen, worauf es im Leben anlommt, so müßte ich um Entschuldigung bitten wegen der vagen, unbestimmten Antworten, die ich nur zu geben vermochte.". Die Baronin lächelte mild und sanft, und Olga fiel es aufi wie schon vor einiger Zeit Herrn von Kalten, wie verändert und weich sie war. Indessen fuhr die Baronin fort: „Wie weit wirken die äußeren Verhältnisfe auf den Entwickslungsgang des Menschen? Wo wird Festigkeit zur Härte — Güte zur Schwäche? Sind diese Eigenschaften mühsam errungen oder angeboren? Wahrlich: grau ist alle Theorie und je länger wir in de: Praxis stehen, desto unsicherer blicken wir auf Ver dienste. Wohl uns, daß Gnade über allem waltet! Gute Nacht!" Die Baronin blieb allein und murmelte vor sich hin: „Es gibt ein Lustspiel, das heißt „Herz
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