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Ottendorfer Zeitung : 12.04.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-04-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190704123
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19070412
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19070412
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-04
- Tag 1907-04-12
-
Monat
1907-04
-
Jahr
1907
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 12.04.1907
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Gefährliche Ausbrecher. Aus dem Untersuchungsgefängnis in München - Gladbach sind zwei gefährliche Einbrecher nachts aus gebrochen, indem sie aus den Zellentüren die unteren Türfüllungen ausbrannten und die Korridortür mit einer vom Bett abgerissenen Eisenstange aufbrachen. Wüste Schlägereien zwischen italieni schen Arbeitern nnd Soldaten haben sich in dem niederrheinischen Orte Lintorf abgespielt. Etwa 20 Italiener fingen mit auf Urlaub be findlichen Soldaten Streit an, in dessen Ver lauf die Fremden mehrere Revolverschüsse auf die Soldaten abfeuertern. Darauf zogen diese blank und verwundeten vier Italiener so, daß sie ins Krankenhaus gebracht werden mußten. Von der Behörde ist strengste Untersuchung ein geleitet worden. x Zum Gedächtnis der Opfer der Nagolder Einsturzkatastrophe. Aus Anlaß des Einsturzes des Gasthofes „Zum Hirschen" in Nagold (Württemberg), bei dem 51 Personen getötet und 57 mehr oder minder schwer verletzt wurden, hat die Stadtbehörde am ersten Jahres gedenktage (5. April) auf den Massengräbern der Opfer dieser Katastrophe ein gemeinsames Denkmal in Gestalt einer kleinen Grabkapelle errichtet, in der in goldenen Buchstaben die einzelnen Namen der Verunglückten ange bracht sind. ob. Eine zeitgemäste Versicherung. Die Wiener Kaffeehäuser werden von Uberzieher- und Schirmdieben in einem Maße heimgesucht, wie vielleicht in keiner andern Großstadt. Die Besitzer der verschiedenen Etablissements haben sich deshalb zu einer Versicherungsgesellschaft zusammengeschlossen, um ihre Gäste gegen die Diebe zu schützen. Die Gäste können Ver sicherungsscheine erhalten, die zum mindesten 1,20 Mk. kosten, je nach der versicherten Summe. Der Besitzer eines solchen Scheines ist gegen den Diebstahl seines Paletots, Hutes oder Schirms in allen Restaurationen und CaM ver sichert, deren Besitzer der Vereinigung an- aehören. Diese neue Art einer Versicherung dürfte auch bald in andern Großstädten sich Eingang verschaffen. Einen merkwürdigen Selbstmord be ging die 30 jährige Krankenwärterin Karoline Redl in Wien, die medizinische Studien gemacht hatte. Sie glaubte Krankheitserscheinungen an sich wahrzunehmen. Da sie dahinzusiechen iürchtete, entnahm sie dem chirurgischen Inventar ihres Chefs ein Messer und stieß es sich mit aller Kraft in die Herzgegend. Die Rettungsgesell schaft legte sofort einen Verband an und brachte die Unglückliche in eine Klinik, wo sie bald nach der Aufnahme starb. Ein gigantisches Rettungswerk. An dem Riesendampser „Sucvic" der White Star Line, der auf den Lizard - Felsen am West- cingang des englischen Kanals strandete, ist ein Bergungswerk vollzogen, das die Fortschritte der modernen Technik und besonders die Vor- züalichkeit des heutigen Schiffsbanes zeigt. Das 58s Fuß lange Riesenschiff war nämlich so aus gelaufen, daß auf der einen Seite des Riffs das 400 Fuß lange Hinterteil, auf der andern das kürzere Vorderteil sich befanden. An eine Rettung des Fahrzeuges im ganzen war nicht zu denken, wohl aber an die des größeren Stückes mit den wertvollen Kessel- nnd Maschinen unlagen. Die Dynamitsprengungen, durch die unter den größten Schwierigkeiten die Taucher die Halbierung des Schiffes bewirkten, mußten wehrfach unterbrochen werden wegen stürmischen Weiters, so daß es 14 Tage dauerte, bis alle Arbeiten vollendet waren. Trotzdem haben die Verbände so ausgezeichnet gehalten, daß nach dem Abschleppen das 400 Fuß lange Schiffs wrack sich völlig dicht zeigte und, von zwei Schleppern in Tau genommen, nach Southampton ubergeführt werden konnte. Dort wird durch Anflicken eines neuen Vorderteils vermutlich das Schiff wieder in seinen früheren Zustand gebracht werden. Mauereinsturz im Vatikan. In den vatikanischen Gärten in Rom, die den vatikanischen Museen gegenüber liegen, ist eine 6 Meter hohe Wauer in einer Länge von etwa 50 Meter ^gestürzt und hat eine Orangenpflanzung, die ein LieblingSansenthalt Papst Leos war, voll ständig mit Trümmern bedeckt. In das Fundament der Mauer war schon vor längerer Zeit Wasser eingedrungen, wodurch der Einsturz herbeigeführt zu sein scheint. Der Plan einer schwimmenden Aus stellung, die in wirksamster Weise den Export der Erzeugnisse des Gewerbe-, Industrie- und Kunst- fleitzes fördern soll, wird, wie der,B. L.-A.' be richtet, in Belgien gegenwärtig von interessierten Kreisen der Verwirklichung zuzuführen gesucht. An der Spitze deS Unternehmens steht der bekannte belgische Polarforscher de Gerlache, der im Verein mit dem Schiffbauer Gillon bereits ein detailliertes Projekt ausgearbeitet hat: zu seiner Ausführung rechnet man nicht nur auf lebhafte Mitwirkung von feiten der Industriellen und Kaufleute, sondern auch auf Unterstützung des Staates. Das Fahr zeug, das die Wander-Ausstellung bergen und nach entlegenen Küsten führen soll, um in den Häfen des Auslandes durch das Mittel der An schauung kräftig iür Belgiens Handel zu werben, ist als ein Dampfer von geringem Tiefgänge ge dacht : ein Flächenraum von 3200 Quadratmeter steht darauf den Ausstellern zur Verfügung. Ein großer Saal soll für Empfänge, Vorträge und dergleichen dienen, kleinere Räume für die Ausstellung von Werken der bildenden Kunst. Von dem auf 5' z Millionen Frank veranschlagten Gesamtkapital sollen 3>/i Millionen aus den Bau des Schiffes selbst kommen, der Restbetrag dient als Betriebs kapital. Vertreter der Negierung, der Industrie und der praktischen Wissenschaften sollen den Stab des Kreuzers bilden und im Verein mit den diplo matischen Repräsentanten Belgiens in den auf der Kreuzfahrt berührten Ländern für den Grund gedanken des Unternehmens wirken. Neue amerikanische Nordpolfahrten. Amerika wird in diesem Jahre zwei Nordpol- Expediiionen oMenden.. Kommander Peary hat bereits die 800 000 Mk. in Händen, deren er zu seinem erneuten Vorstoß gegen den Pol be darf; sein bewährtes Expeditionsschiff „Roosevelt" w'rd bis Ende Juni wieder seeklar sein, und am 1. Juli will der Nordpolsahrer Peary, der erst vor kurzem von einer Nordpolar-Expedition heimgekehrt ist, von New S)ork nordwärts in See gehen. Er ist voller Vertrauen und rechnet mit Sicherheit ans einen guten Erfolg, voraus gesetzt, daß der Sommer 1908 normal verläuft. Zu gleicher Zeit rüstet sich auch Anthony Fiala zu einer neuen Expedition. Er hat ebenfalls bereits eine Expedition nach dem Pol geführt. ob. Kampf in einer Gefangenenzeste. Die griechische Polizei entfaltete bei der Ankunft des Königs von Italien in Athen eine fieber hafte Tätigkeit und verhaftete alle Personen, die irgendwie verdächtig erschienen. So wurde ein verdächtiger Engländer aus Malta verhaftet und im Athener Polizeigefängnis in eine Zelle gesperrt, in der sich zwei griechische Verbrecher befanden. In der Nacht hörten die Wächter aus dieser Zelle wüsten Lärm dringen. Als sie die Tür öffneten, fanden sie den Malteser aus mehreren Wunden blutend um Boden liegen. Er war von den Griechen, die gesehen hatten, daß er Geld bei sich habe, überfallen und übel zugerichtet worden. Der Engländer mußte ins Krankenhaus überführt werden. ob. Der Roman einer Tänzerin. In einer Zeitung in Buenos Aires konnte man kürzlich lesen: „Ein tragisches Ende insofern, als das Opfer jung, schön war und allem An schein nach einer glänzenden Zukunft entgegen ging, ereignete sich in der Calle Juntel kurz nach Mittag. Fräulein Millie Parker schob sich eine Kugel in die Brust und starb, ehe ärztliche Hilfe herbcigerufen werden konnte. Die Selbst mörderin, die erst 21 Jahre alt war, gehörte zu den acht „Palast-Mädchen", die vor einigen Monaten aus England kamen, um im Zirkus Braun in Colisto aufzutreten." Fast sollte man meinen, es handle sich um einen alltäglichen Selbstmord, dies scheint aber nicht der Fall zu sein, es dürfte vielmehr ein ganzer Roman vor liegen, der mit dem Tode eines jungen Menschen lebens endigte. Millie Parker hatte erst vor etwa drei Jahren in London ihre Ausbildung vollendet und sofort Stellung bei einer Truppe gefunden, die sich „Palast-Mädchen" nannte. Der Erfolg dieser Truppe war überall ein unge mein großer, und ein Engagement nach Buenos Aires versprach den einzelnen Mitgliedern große Reichtümer, weshalb im Januar 1905 die Fahrt nach Südamerika nngetreten wurde. Kurz nach der Ankunft in Argentinien schrieb Millie Parker ihrer in London verheirateten Schwester, daß sie einen Burschen getroffen habe, dem sie von Herzen gut sei. Er habe ihr sogar einen Motor wagen geschenkt und !ei ihr ebenfalls sehr zu getan. Die Künstlerin schrieb ihren Angehörigen regelmäßig, die letzte Postkarte trug das Datum des 18. Februar. Eine Woche später war sie tot. Die andem Mitglieder der Truppe waren schon vor einiger Zeit zurückgekehrt, und er zählten der Mutter, daß die Tochter verheiratet sei. Die Trauung habe am 22. Oktober 1906 stattgefunden, der Bräutigam sei ein junger Millionär. Die Mutter schrieb darauf an die Tochter, erhielt aber keine Nachricht und erst vor einigen Tagen den Ausschnitt aus der Zeitung. Der Selbstmord, wenn es sich um ejnen solchen handelt, wird also nie seine Auf klärung finden. Gin Orkan hat die Brücken in Alexandria im Staate Louisiana (Ber. Staaten) zerstört, wobei 25 Personen ums Leben kamen und 50 verletzt wurden. Ferner winden über 100 Häuser durch die Gewalt des Stmmes zerstört. Gericbwkalle. Koblenz. Der Stationsvorsteher Kirchberg von der Moselbahnstation Winnigen stand wegen fahr lässiger Gefährdung eines Eisenbahntransportes Vor der hiesigen Strafkammer. Nm 17. Okober v. war ein nach Cobern zu fahrender Güterzug auf einen vorher in derselben Richtung abgelassenen Güterzug aufgerannt, weil der zweite Zug das Ab fahrtssignal erhalten hatte, ohne daß eine Rück meldung der Blockstation Codern erfolgt war. Der Materialschaden war sehr bedeutend. Es wurde festgestellt, daß die Station Winningen in 24 Stunden 120 fahrplanmäßige Züge passieren. Der Angeklagte war Fahrdienstleiter, Schalterbeamter, Güterexpient, Verwalter der Stationskaffe und Güterkaffe und oft mußte er auch noch eine Weiche umlegen. Das Gericht erkannte aus eine Strafe von 10 Mk. Magdeburg. Der Unteroffizier Fiebelkorn vom 140. Infanterie-Regiment wurde vom Kriegs gericht wegen fortgesetzter schwerer Mißhandlungen Untergebener, von denen einer Selbstmord verübt hatte, zu acht Monat Gefängnis verurteilt; Degra dation wurde nicht ausgesprochen, weil Fiebelkorn nicht aus unedlen Motiven gehandelt hätte. Mä Msfenlcbaft. L. Der Naturalismus im Sterbe». Die letzten zwei Jahrzehnte des verflossenen Jahr hunderts haben in der Literatur eine gewaltige Revolution gesehen. Besonders die dramatische Kunst suchte nnd fand Ausdruckssormen und Darstellungsmittel, die bis dahin im „Reich der Bretter" verpönt waren. Und da sich die neue Kunst unmittelbare Wiedergabe der Natur zur Aufgabe macht, faßte man die ganze Bewegung unter dem Sammelnamen des Naturalismus zusammen. Aber wenn einerseits nicht verkannt werden darf, daß einige hervorragende Vertreter dieser Kunstrichtung insbesondere im Drama Werke von bleibendem Wette geschaffen haben (z. B. Hauptmann: „Die Weber" und „Fuhrmann Henschel") so wird anderseits zugestanden werden müssen, daß in neuester Zeit kein Werk dieser Kunstgattung mehr geschaffen wurde, das einen Merkstein im dramatischen Schaffen der Gegenwart bedeutete. Das Gesetz der Ent wickelung, das sich allüberall geltend macht, wirkt auch in der Kunst. Nur ist ein neuer Weg, eine neue, das Sehnen und Hoffen um spannende Form noch nicht gefunden. Von denen, die nach einer solchen suchen, ist der Berliner Bernstein-Sawersky zu nennen, der früher als Redakteur der .Peitscht energisch gegen den Naturalismus zu Felde zog. In seinem Drama „Vorbestraft" aber ist er noch ganz in den überwundenen und von ihm selber oft angegriffenen Kunstgesetzen ge fangen. Das Problem ist dankenswert und könnte einem starken Talent Stoff für ein Menschheitsdrama geben. Bernstein-Sawersky aber zeigt mit so verbrauchten Mitteln, daß die Einrichtung, den Zeugen vor Gericht nach seinen Vorstrafen zu fragen, eine schwere Härte unsres Gerichtsverfahrens ist, daß man unwillkürlich eine Strafreds zu hören, nicht aber ein Drama zu sehen glaubt, das Menschheitsschicksale auf zeigen soll. Die Erstaufführung hatte denn auch einen starken äußeren Erfolg, weil eben das „Problem" an sich interessierte, aber mit dem Bühnenstück, (das nach dem Grundsatz: „es gibt allerlei Menschen", aufaebaut ist) konnte man sich nicht befreunden. Die Verschmelzung des Naturalismus mit der rührseligen Romantik der Bühnendichter vor 1870 ist also für diesmal mißlungen. König Eduard in Biarritz. s König Eduard ist in Biarritz eine so volkstümliche Gestalt wie in Manenbad und auch hier bewegt er sich ungezwungen und freundlich mitten unter dem eleganten inter nationalen Publikum, das den schönen Badeort jetzt erfüllt. In den ersten Tagen seiner An wesenheit freilich hat er unter der Zudringlich keit neugieriger Amerikaner, die sich um ihn herumdrängten, ihn grüßten und ihre Opern gläser auf ihn richteten oder ihn mit der Taschenkamera „knipsten", viel zu leiden ge habt. Einmal mußte er sogar direkt vor einer Horde von Fremden, die ihn umringten, den schleunigen Rückzug antteten, um sich ihrer zu erwehren. Aber nachdem der Unwillen des Königs über solches Benehmen in der Presse deutlich ausgedrückt worden ist, befleißigen sich die Badegäste einer großen Zurückhaltung und es zeugt von einer nicht geringen Selbstüber windung, daß viele Leute, wenn sie den König in seinem grauen Anzug und grauen Hut, von seinem Terrier gefolgt, daherschreiten sehen, eine absichtlich gleichgültige Miene annehmen und scheinbar in Gedanken versunken über das Meer fchauen. Der König führt in der Zurück gezogenheit seines Erholungsaufenthaltes ein sehr regelmäßiges Leben. Um V-8 nimmt er sein Frühstück ein und widmet sich dann bis um V,12 seinen Geschäften in seinem Arbeits zimmer oder unter dem Zelt auf der Terrasse des Hotel du Palais, wo er wohnt. Dann unternimmt er allein oder in Begleitung seines Leibarztes Sir James Reid einen Spaziergang. Dieses tägliche Programm wird aber durch häufige Ausflüge belebt, die König Eduard im Automobil in die malerische Umgegend von Biarritz unternimmt und bei denen er gern die romantischen spanischen Städte und verborgenen Dörfer besucht. Das Frühstück wird dann telegraphisch bestellt und dem Bürgermeister des Örtchens, dem der Ausflug gilt, streng an befohlen, die Ankunft des Herrschers zu ver heimlichen, damit kein unliebsames Aufsehen ent stehe. Der König zeigte besonderes Interesse an dem baskischen Nationalsport, dem „Pelota", und hat einem Match des Weltchampions Chiquito de Cambo erst kürzlich beigewohnt. Schnell fließt die Zeit in diesem angenehmen Leben dahin. Der König nimmt das Diner gewöhnlich in seinem privaten Speisezimmer detz Hotel du Palais, das mit einer wundervollen Garnitur alter französischer Möbel ausgestattet ist. Selten sind mehr als 15 Gedecke aufgelegt und König Eduard gibt sich in ganz zwanglos liebenswürdiger Weise. Wenn er „bei Nitz", dem Sammelpunkt der mondänen Lebewelt, ißt, dann ist seine Tafel durch grüne Wandschirme vor den forschenden Augen Unberufener ge schützt. Das Souper findet nie später statt als um V-9 Uhr, und früh zieht sich der König schon zurück, nimmt also nur sehr selten an dem regen Nachtleben teil, das auch noch nach dem Theater in den Straßen von Biarritz herrscht. Kuntes Allerlei. ob. Ein galanter Gatte. Frau (ärger lich) : „Solch Eigennutz wie bei dir ist mir noch nicht vorgekommen. In der Nacht war hier im Hause ein Lärm und so viele ungewohnte Ge räusche, daß ich kein Auge zutun konnte. Du aber schliefest wie ein Bär. Wenn nun Ein brecher hier gewesen wären und mich sortgeholt hätten." — Mann (ruhig): „Beruhige dich nur, dich hätten sie sicher wiedergebracht." ob. Einverstanden. Geschäftsinhaber zum Stellung suchenden Kommis: „Bedaure sehr, ich mache alle Arbeit allein." — Kommis: „Gur, das würde mir auch passen!" Sie gehen," beschwichtigte der Amtsdiener den 'n offenbarer Ratlosigkeit Dasitzenden. Strecker erhob sich und ging in das Nebenzimmer. Gleich darauf Hötte man deutlich das Schließen einer Tür in demselben. „So, nun müssen Sie noch einmal hier ein- ueten, da ich, ehe Herr von Bosse kommt, noch Ein kurzes Dokument mit dem Herrn Aktuar an- iertigen muß, dessen Inhalt Ihnen nicht bekannt Werden darf. Nachher werde ich dann noch ewige Fragen bezüglich des Geldbriefes an Sie sichten," sagteStrecker, nachdem er aus demNeben- Zimmer wieder zurückgekehrt war. Mit offenbarem Widerstreben und erdfahlem Antlitz gehorchte Nolle der Aufforderung, Strecker verschloß lächelnd die Tür hinter ihm, blieb aber nn derselben noch stehen und horchte. „Ein schlauer Bursche das," jagte Strecker Me zum Aktuar. „Hören Sie? Da will er die Tur, die nach außen führt, öffnen und ent- Nuschen; gut, daß ich sie vorsorglich verschloß und den Schlüffe! abzog. Das war ein ver nünftiger Gedanke um der angeblichen Ankunft ves Leutnants. Der Patton schwitzt Blut vor Angst, dem Leutnant gegenübergestellt zu werden. Selbstverständlich kennt er den Herrn von Bosse Mcht — hat ihn wohl nie gesehen. Na Watte, Hu wollen dich noch ein wenig zappeln lassen. Wo der Kerl sich nur die Kenntnis der Osfi- Are angeeignet hat? — Oder — sollte er?" «m Gedanke durchblitzte den Richter. Hastig M er nach dem Kuvert, in dem Nolles Anitürpaß gesteckt hatte und das nun im Vapierkorbe lag. „Da haben wir's I — Sehen Sie her! Ist das nicht geöffnet gewesen, ehe ich es erbrach?" sagte Strecker, indem er dem Aktuar das Kuvert hinschob. „Ja, das kann schon sein," meinte der Aktuar. „Und dann hat er erst die Namen auf dem Zettel einstudiert, um uns täuschen zu können. Ein geriebener Bösewicht. Na warte, da werde ich dich gleich hierbehalten. — Sie haben doch unsre Unterredung zu Protokoll genommen?" „Ja — genau." Nach einer Weile schritt Strecker zur Tür und ließ Nolle wieder eintreten. „Weshalb versuchten Sie soeben, die Tür zum Korridor zu öffnen ?" fragte der Amtsrichter den mit einem scheuen Blick nach allen Seiten Eingettetenen. Erst als Nolle sich überzeugt, daß der offenbar von ihm gefürchtete Leutnant von Bosse noch nicht eingettoffen war, schien er seine Ruhe und Festigkeit wiedererlangt zu haben. Er durchschaute jetzt, daß man ihm mit der Er zählung von dem Leutnant nur eine Falle stellen wollte. „Herr Amtsrichter, ich hatte, offen gestanden, die Absicht, davonzugehen/' gab Nolle, ohne eine Spur von Verlegenheit zu zeigen, zur Ant wort. „Ich habe," fuhr er weiter fort, „wie ich vorhin sagte, meine Botentasche in fremden Händen gelassen und bin überaus besorgt um sie." „Wo haben Sie denn die Tasche niederge legt und weshalb behielten Sie dieselbe nicht bei sich?" „Es regnete vorhin stark, auch ist sie lästig zu tragen." Nolle gab den Ott an, wo er die Tasche wollte niedergelegt haben. Strecker sandte hier auf den Gerichtsdiener an den bezeichneten Ott mit der Weisung, die Tasche zum Postamts zu bringen. Dann wandte er sich wieder an den mit düsteren Blicken ihn soeben anstarrenden Nolle. „Sie verstehen sich geschickt auf die Eröff nung fremder Briefe, oder leugnen Sie, dieses Kuvert hier geöffnet zu haben?" fragte Strecker jetzt in strengem Tone, dicht an den Mann heranttetend. Der Angeredeie richtete sich scheinbar ver letzt auf. „Herr Amtsrichter — ich bin ein ehrlicher Mann!" „Das wird sich bald zeigen. — Ach, stellen Sie sich nur nicht so entrüstet, es sind ja alles Faxen, die Sie mir vormachen," sagte Strecker in ruhigem, vernichtenden Tone, als Nolle bettoffen einige Schritte zurücktrat. „Sie heißen weder Nolle, noch waren Sie Bursche beim Leutnant von Bosse, da Sie ihn ebensowenig kennen, als die andern Herren, deren Namen Sie mir vorhin so geläufig herzusagen wußten." „Herr Amtsrichter — das — das ist ein Irrtum Ihrerseits," fiel Nolle gehobenen Tones ein. „Nur ruhig, — erst spreche ich! Sie haben bis heute mit großer Schlauheit Ihre Rolle als Pseudo-Nolle gespielt, und wäre Ihnen das Offnen dieses Briefes besser geglückt, dann hätten Sie mir meine Aufgabe, Sie zu ent- larven, recht schwer gemacht. Daß Sie Herrn von Bosses Eintritt hier zu fürchten hatten, bekundete Ihr heftiges Erschrecken und Ihre Verlegenheit vorhin, als ich dessen Anwesenheit in hiesiger Gegend erwähnte. Durch die in letzter Zeit stattgehabten Ermittelungen und durch Ihr heutiges Benehmen gewinnt man die Überzeugung, daß nur Sie den Postsekretär Fokmer während der Abwesenheit desselben beflohlen haben können. Die Absicht, der Magd Ihres Vorgesetzten Kas ersparte Geld ab zuschwindeln, haben Sie nicht erreicht. Ihre Sicherheit erforderte nun, eine andre Geldquelle ausfindig zu machen, und so fielen Sie auf dem schon bei Ihrem Eintritt in den Postdienst ge hegten Gedanken, einen im Dienste noch uner fahrenen Beamten zu bestehlen. Hierzu bot sich bald die Gelegenheit, als die Magd, mit der Sie jeden Tag am Posthause ein geheimes Zn- sammentreffen batten, eines Abends die Hoftür offen gelassen hatte, während sie zu der Zeit, als Sie dort eintrafen, abwesend war. — Nun, was antworten Sie darauf?" fragte Strecker mit einem Anflug von Gemütlichkeit, als er sah, wie es in den Zügen des finstern Gesellen arbeitete. „Mir — mir fehlt die Sprache auf dies« Beschuldigungen " platzte endlich Nolle mit gut gespielter Entrüstung heraus. „Ach, gchen Sie doch!" winkte Strecker belustigt. „Natürlich leugne ich alles." „Freilich, das ist ja so sehr leicht — viel leichter, als Gegenbeweise vorzubringen," nickte der Richter und setzte sich hinter den Tisch. „Nun, wenn Sie weiter nichts zu erwidern haben, dann sind wir ja fettig." Strecker griff nun zu der Klingel. Slü i» (Fortsetzung folgt.)
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