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Ottendorfer Zeitung : 24.02.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190702241
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19070224
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19070224
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-02
- Tag 1907-02-24
-
Monat
1907-02
-
Jahr
1907
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 24.02.1907
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Vie Ukronreäe. Vor nunmehr bald zwanzig Jahren hat Kaiser Wilhelm II. im Weißen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin seinen ersten Reichstag eröffnet. Damals stand das Land noch unter dem Eindruck der Trauer, in die es durch das Hinscheiden zweier Kaiser versetzt worden war. Getreuer Ratgeber des deutschen Kaisers aber war Fürst Bismarck, und der heutige Leiter der deutschen Politik Fürst von Bülow saß als Gesandter Deutschlands in der Hauptstadt Rumäniens. Die Zeit hat nicht nur den Raum, in dem die Feier vor sich geht, verändert, auch ein gut Test der Personen, die eine Rolle in der ge schichtlichen Szene zu spielen berufen sind, wurden durch andre ersetzt. Vor dem Thron stand am 19. d. Fürst v. Bülow und lauschte den Worten aus kaiserlichem Munde, die kurz die Aufgaben des neuen Reichstages er läuterten ... Man war diesmal weit über die Grenzen Deutschlands hinaus auf die Thronrede ge spannt und es darf von vornherein gesagt wer den, daß man in seiner Erwartung durch die kaiserlichen Worte einigermaßen enttäuscht wurde. Ju gedrängter Kürze werden die Aufgaben — nur die allernächsten — des neuen Reichstages qufgeführt, wird kurz die Krisis gestreift, die am 13. Dezember v. die Ursache zur Auflösung des Parlaments ward. Im Namen der verbündeten Regierungen äußert der Kaiser zunächst die Genugtuung über den Ausfall der Reichstagswahlen, durch die das deutsche Volk bewiesen hat, „daß es Ehr' und Gut der Nation ohne kleinlichen Parteigeist treu und fest gehütet wissen will." An die Versicherung, daß alle verfassungsmäßigen Rechte und Befugnisse gewissenhaft geachtet werden sollen, knüpft der Monarch die Hoffnung, daß der neue Reichstag es als seine heilige Pflicht betrachten werde, Deutschlands Stellung unter den Kulturvölkern tatbereit zu bewahren und zu befestigen. Den weitaus größten Teil der kaiserlichen Kundgebung nehmen die Ausführungen ein, die sich mit der Frage befassen, die vor zwei Monaten den Anlaß zur „inneren .Krise" bot. Die Forderungen, mit denen die Regierung in bezug auf die Kolonialpolitik vor den Reichstag treten wird, sind gegen die am 13. Dezember abgelehnten Forderungen beträchtlich erhöht. Denn außer der Erledigung eines Nach tragskredits für Südwestafrika (über dessen Höhe die Thronrede nichts sagt) wird die Regierung noch einmal den Bahnbau Keetmanshoop - Kubub verlangen, mit dessen Ablehnung sie sich im vorigen Jahre ein verstanden erklärt hat. Damit sind aber die Kolonialfragen noch nicht erledigt, die den neuen Reichstag beschäftigen werden. Ihm wird aber mals der Vorschlag für Errichtung eines (unter dem Kolonialdirektor Prinzen Hohenlohe abge lehnten) selbständigen Kolonialamtes gemacht und ein (ebenfalls schon einmal abgelehnter) Gesetzentwurf betr. die Entschädigung der An siedler in Südwestafrika vorgelegt werden. Der Kaiser wendet sich sodann der Nieder lage zu, die die Sozialdemokratie im letzten Wahlkampfe erlitten hat. Der Monarch gibt seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß „einer Bewegung Halt geboten worden sei, die sich, alles bestehende Gute und Lebenskräftige ver neinend, gegen Staat und Gesellschaft in ihrer stetigen friedlichen Entwickelung richtet." Auch gegen den Widerstand und ohne die Mithilfe der Sozialdemokratie soll die Fürsorge für die wirtschaftlich Schwachen auf gesetzlichem Wege fortgesührt werden; denn die „verbündeten Re gierungen sind entschlossen, das soziale Werk in dem erhabenen Geiste Kaiser Wilhelms des Großen fortzuführen." Mit weit wärmeren Worten, als man nach den bisherigen amtlichen Äußerungen hätte er warten dürfen, spricht der Kaiser sodann von der Haager Friedenskonferenz und erklärt, daß die allgemeine politische Lage zu der Hoffnung be rechtige, daß der Frieden aufrecht erhalten bleibe. Die Beziehungen Deutschlands zu seinen Verbündeten sind (wie im Vorjahre) herzliche, die zu den andern fremden Mächten „gute und korrekte". Der Kaiser schließt mit dem Wunsche, daß der Wille zur Tat auch über den Arbeiten des Reichstages zum Heile Deutschlands walten möge. Die Thronrede sagt kein Wort von einer Flottenvorlage (von der in letzter Zeit be sonders in Frankreich viel geredet wurde) und läßt überhaupt — zum erstenmal seit langer Zeit — alle Fragen der Wehrmacht unberührt. Vielleicht darf man das als ein günstiges Zeichen dafür ansehen, daß die „guten und korrekten Beziehungen zu den fremden Mächten" den Frieden verbürgen — zum Seile Deutsch lands. — Ll. v. löormlcde Rundlckau Deutschland. * Der Kaiser traf in Wilhelmshaven zur Teilnahme an der Rekrutenvereidigung ein und wird über Bremerhaven, Helgoland und Bremen nach Berlin zurückkehren. * Wie verlautet, hat das Reichsmarineamt beschlossen, das ost asiatische Kreuzer geschwader und die w est afrikanisch e Station um je einen kleinen Kreuzer zu ver stärken. *Dem Reichstage ist eine neue aus führliche Denkschrift über die Kolonien zp- gegangen. * Staatsminister v. Möller hat, nachdem im Wahlkreise Mühlhausen-Langen salza die Voraussetzungen, unter denen er die ihm angetragene Reichstagskandidatur aunahm, jetzt durch Aufstellung von freisinnigen, konser vativen und andern Kandidaten hinfällig ge worden sind, von seiner Kandidatur Abstand genommen. — Die Nachwahl in Mühl hausen-Langensalza findet am 1. März statt. *Wie der .Bayrische Kurier' meldet, wurde in der Angelegenheit der von diesem Blatte veröffentlichten Briefe aus dem Flotten verein der verantwortliche Redakteur Siebertz auf Veranlassung der Berliner Staatsanwalt schaft als Zeuge vernommen. Er verweigerte jede Auskunft über den Erwerb des betreffenden Materials und gab eine dahingehende Erklärung zu Protokoll. * Der polnische Schulkinderstreik geht in Westpreußen jetzt in schnellerem Tempo zurück. Gegenwärtig sind noch 223 Schulen mit 7089 Kindern ausständig gegen 241 mit 7719 vor vierzehn Tagen. Österreich-Ungarn. *Jm Hinblick auf den Zusammenhang, der zwischen der Behandlung des ungarischen Zoll tarifs und der Handelsverträge im ungarischen Reichstag und den Ausgleichsverhand lungen zwischen Österreich und Ungarn be steht, unterzogen die beiden Ministerpräsidenten die gesamte Lage einer eingehenden Be sprechung. Frankreich. * Der österreichisch-ungarische Botschafter Graf Khevenhüller, dem Minister Pichon die seinerzeit in der Pariser Nunziatur beschlag nahmten Papiere übergeben hat, wird im Einvernehmen mit allen Beteiligten die Dokumente den einzelnen Kabinetten (Wien, Berlin, Quirinal in Rom, Madrid, Brüssel usw.) zur Verfügung stellen. Die Sortierung ist im Gange. (Die Regierung hat auf Einwirkung Briands also die beabsichtigte Veröffentlichung der Dokumente unterlassen.) England. * Auf der in London demnächst stattfindenden Kolonial-Konferenz werden sämtliche Kolonien Vorzugstarife für das Mutterland in Vorschlag bringen. *Das Unterhaus hat den von den Konservativen eingebrachten, gegen die Regierung gerichteten Zusatzantrag zur Adresse mit 374 gegen 111 Stimmen verworfen. Italien. *Der deutsche Botschafter in Rom, Graf v. Monts, sprach der italienischen Regierung aus Anlaß des Todes des Dichters Car- ducci das Beileid der deutschen Regie rung aus. Norwegen. * Die Regierung beschloß die Reform der Rechtschreibung amtlich durchzuführen. Später soll die neue Orthographie zu Ende des Jahres bei allen Regiemngsdepartements und Zentralbehörden eingeführt werden. Die Reform bedeutet einen entscheidenden Bruch mit der dänischen Sprachgemeinschaft, welche in der Schrift noch immer fortdauerte. Rußland. *Die Gerüchte, daß der Ministerpräsident Stolypin noch vor dem Zusammentritt der neuen Duma zurücktreten werde, treten mit jedem Tage bestimmter auf. Es heißt, der Zar unterhandele bereits mit seinem Nachfolger. * Bei den A b g e o r d n e t en w ah l en in Polen siegten die nationalen Kandidaten, indem in 33 Wahlkreisen 28 National-Demokraten ge wählt wurden. InWarschau beteiligten sich an den Urwahlen 50000 Wähler. Der Wahl kampf war scharf; in manchen Bezirken fanden sogar Zusammenstöße und Aufläufe statt. Einige Straßen, in denen sich Wahllokale befanden, mußten militärisch bewacht werden. In Lodz siegten bei den Urwahlen ebenfalls die Nationa listen mit einer Mehrheil von 33 Wahlmännern. * In Odessa befürchtet man neue Juden verfolgungen. Die dort ansässigen Fremden erklärten, ihre Läden schließen zu müssen, wenn dis auswärtigen Konsulate nicht gemeinsam für die Sicherheit der Fremden sorgen könnten. Balkanstaaten. * Die serbische Skupschtina erörterte den Zusammenstoß zwischen dem Leutnant Milosawljewitsch und vem Abgeordneten Pawle, der in einem Zeitungsartikel das serbische Königs haus beleidigt hatte. Mehrere Abgeordnete er klärten, durch das Benehmen Milosawljewitsch' sei das Heer entehrt. Der Ministerpräsident ver sprach eine strenge Untersuchung. Amerika. * Meldungen aus New Jork zufolge, ist es nun zwischen Honduras und Nicaragua trotz der Vermittelung Roosevelts doch zu einem Zusammenstoß gekommen. An der Grenze haben Truppen der Republik Honduras die Grenzwache Nicaraguas überfallen. * Die Einw and erun g s fr a g e in den Der. Staaten wird nun mit Hilfe eines Hinter türchens gelöst werden. Die japanische Regie rung wird künftighin an Kulis keine Aus wanderungspässe mehr erteilen und die kali fornischen Behörden verpflichten sich daiür, japanische Kinder unter 16 Jahren, die englisch sprechen, zu ihren Schulen zuzulassen. Afrika. *Aus Tanger wird gemeldet, das diplo matische Korps werde demnächst über die Aus führung gewisser Bestimmungen der Akte von Algeciras beraten, namentlich Einrichtungen gegen Waffenschmuggel und die bei der Enteignung von Grundstücken im öffentlichen Interesse einzuhaltenden Vorschriften. Die Ver treter des Sultans werden an den Beratungen teilnehmen. Deutscher Reichstag. Am 19. d., bald nach 1 Uhr, dem für die Sitzung des neuen Reichstages anberaumten Zeitpunkte, be ginnt der Sitzungssaal sich erst langsam, dann rascher zu füllen, bis schließlich die Besetzung des Hauses annähernd lückenlos ist, so lückenlos, wie wohl noch niemals bei Eröffnung eines neuen Reichstages. Auch die Tribünen sind dicht besetzt. Am Bundes- ratstische: Graf v. Posadowsky. Der Alterspräsident b. Winterfeldt- Menkin (kons.) eröffnet 1 Uhr 15 Minuten die Sitzung und fragt zunächst an, ob ein Mitglied des Hauses älter sei als er; er sei am 2. März 1823 geboren. (Es meldet sich niemand.) Dann eröffne ich aus Grund des 8 1 der Geschäfts ordnung des R ichstages die Sitzung. Als Schrift führer berufe ich die Abgeordneten Pauli-Ebers- Walde, Rimpau (nat.-lib.), Eugeler (Zentr.) und Hermes (frs. Vp.). Darauf findet der Namens aufruf statt. Der Namensaufruf ergibt die Anwesenheit von 365 Mitgliedern, das Haus ist also beschlußfähig. Schriftführer Abg. Pauli-Eberswalde verliest eine Reihe von Eingängen. Alterspräsident v. Winterfeldt- Menkin beraumt die nächste Sitzung an auf Mittwoch 1 Uhr (Wahl des Präsidiums und der Schriftführer). Am20. d. eröffnet der Alterspräsident Abg. von Winterfeldt- Menkin die Sitzung. Schriftführer Abg. Hermes verliest die auf die Wahl des Präsidenten bezüglichen Be stimmungen der Geschäftsordnung, woraus das Haus zur Wahl des erstenPräsidenten schreitet. Die Wahl wird durch Namensaufruf und Abgabe von Stimmzetteln vollzogen. Mit 214 von 383 ab gegebenen Stimmen wird Graf Udo zu Stot- berg (kons.) zum Präsidenten gewählt. Abg. Spahn (Zentr.) halte 164, Paasche (nat.-lib.) 4, Freiherr v. Hertling (Zentr.) 1 Stinime. Abg. Graf Udo Stolberg: Meine Herren! Ich danke Ihnen für die sehr hohe Ehre, die Sie mir mit dieser Wahl erwiesen haben. Ich nehme die Wahl an. Präsident Graf Stolberg nimmt den Prä sidentenplatz ein und fährt fort: DaS an sich schon schwere und verantwortungsvolle Amt, das Sie mir übertragen haben, ist unter den jetzigen politischen Verhältnissen doppelt schwer und doppelt verantwor tungsvoll. Dazu kommt, daß die erprobte Amts tätigkeit, die hohe Begabung, die Schlagfertigkeit und die persönliche Liebenswürdigkeit meines Herrn Amts vorgängers noch frisch in unserm Gedächtnis steht und zu Vergleichen, unwillkürlich herausfordert. Ich weiß, daß ein Präsident nur daun etwas leisten kann, wenn er vom Hause unterstützt wird, und deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Meine Herren, ich will mein Amt unabhängig nach allen Richtungen hin, ich will cs gerecht und unparteiisch führen; ich will die Würde des Hauses wahren und seine Geschäfte nach Möglichkeit zu fördern suchen. Und meine Herren, wenn im übrigen das, waS ich leisten werde, hinter dem, was ich leisten möchte, noch so weit zurückbleiben sollte, so hoffe ich doch, daß Sie von mir sagen werden: Ilt äesint viros, tnmsu est Isuäauäa voluntas. (Wenn auch die Kräfte fehlen, so ist doch der Wille zu loben.) Meine Herren, ich spreche unserm verehrten Herrn Alters präsidenten unsern Dank für seine Mühewaltung aus, und ich bitte Sie, sich zum Zeichen dieses Dankes von Ihren Plätzen zu erheben. (Die Mitglieder dos Hauses erheben sich.) Es folgt die Wahl der Vize-Präsidenten. Der Reichstag wählt zum 1. Vizepräsidenten Abg. Paasche (nat.-lib.) mit 209 von 382 abge gebenen Stimmen, 167 Stimmzettel wurden leer abgegeben; 6 Stimmen waren zersplittert. Abg. Paasche nimmt die Wahl mit Dank an. Bei der Wahl zum 2. Vizepräsidenten wurden ab gegeben 379 Stimmen. Davon erhielt Kämpf (frs. Vp.) 205; ungültig waren 166, zersplittert 8, 166 Zettel waren unbeschrieben; je 2 Stimmen erhielten die Abgg. Naumann (frs. Vgg.) und Singer (soz.), je 1 Stimme die Abgg. Lattmann (wirtsch. Vgg.), Bebel (soz.), Schack (wirtsch. Vgg.) und Trimborn (Zentr.). Abg. Kämpf nimmt die Wahl mit Dank an. Es folgt die Wahl der Schriftführer. Das Ergebnis dieser Wahl wird am Beginn der nächsten Plenarsitzung bekannt gegeben werden. Zu Quästoren werden berufen die Abgg. Bassermann (nat.-lib.) und Schmidt- Warburg. Eingegangen sind zwei Interpellationen der Nationallibcralen und des Bundes der Landwirte aus Änderung des Weingesetzes und eine Inter pellation betr. die Enquete über die Verhältnisse der Privatbeamten. Nächste Sitzung Montag. (Etatsberatung.) ^!ad und fern. Neue Kohlenselder in Oberschlesien. Wie aus ^attowitz gemeldet wird, sind im Rybniker Kreise in jüngster Zeit ausgedehnte Steinkohlenfelder erschlossen worden, durch die das oberfchlesische .Kohlenrevier nicht unwesentliche Vergrößerungen in südlicher Richtung erfahren wird. Aus dem vor einigen Jahren vom FiskuS angekauften Gute Czuchow wird schon in nächster Zeit mit Errichtung einer neuen großen Gruben anlage begonnen werden. K Getreu bis in äen Hoä. 22j Erzählung von Martha Neumeister. (Fortsetzung.) Dann erhob sich Elisabeth still und ge faßt. Sie hatte treu und selbstlos ihre mütter lichen Pflichten an dem geliebten Kinde, dem teuren Vermächtnisse ihres Gatten, erfüllt, bis die lieblich erblühte Tochter, wie sie selbst einst getan, an der Seite des erwählten Gatten in die Feme gezogen. Gewohnt, ihr eigenes Ich stets dem Glücke ihrer Lieben unter zuordnen, dankte sie Golt aus innerstem Herzen, daß sich ihres Kindes Zukunft so glücklich ge staltet, wenn auch ihr eigenes Leben fortan seinen Sonnenschein verloren hatte. 14. Die glückstrahlenden Briefe Erikas und ihre lebhafte Schilderung all der Freuden und groß artigen Eindrücke, die sie auf ihrer herrlichen Reise an der Seite ihres jungen Gatten genoß, waren sonnige Lichtblicke in Elisabeths stillem, einsamen Leben. Sie hatte sich allmählich mit der ihr eigenen klaren Ruhe in die Unabänderlichkeit gefunden und aus Liebe zu ihrem Kinde, dessen junges Glück sie durch keine Klage beeinträchtigen wollte, wußte sie ihren Briefen an Erika stets den Anschein stiller, zufriedener Heiterkeit zu er teilen. Der herzliche Verkehr in ihrem kleinen Freundeskreise, ihre häuslichen Beschäftigungen sowie ihre täglichen Spaziergänge, die sie ost zu der stillen Ruhestätte ihres Gatten führten, boten ihren Mitteilungen ausgiebigen Stoff; jedes persönliche kleine Erlebnis, das Erika stets aufs höchste interessierte, schilderte sie ihr aus führlich, und der rege, geistige Verkehr mit ihrer Tochter, die ihr selbst so viel Neues und An regendes zu berichten hatte, gewährten Elisabeth stille, ungeahnte Freuden. So war der Sommer dahingeschwunden, das junge Paar befand sich längst in Rußland auf Rolphs großartigem Landgut, dessen prächtiges Schloß und herrlichen Park Erikas Briefe voll Entzücken schilderten. „Hier wird es jetzt schon herbstlich kalt," schrieb sie, „und ich freue mich über jeden Tag, der uns dem Weihnachtsfeste näher bringt, hoffen wir doch alsdann mit fester Zuver sicht auf die Erfüllung Deines Versprechens, Deinen lieben Besuch bei uns hier in der Feme. Wahrlich, unser Wiedersehen, meine ge liebte Mutter, dünkt mich doch die Krone all meines Glücks I" Von Georg hatte Elisabeth fest der Hochzeit ihrer Tochter nur fetten Nachricht erhalten. Er war im Laufe des Sommers bei seinem Bruder gewesen, dessen Zustand durch wiederholte Schlag anfälle immer trostloser geworden. „Noch schlägt sein Herz, noch atmet er," schrieb Georg tief erschüttert, „aber ich vermag sein bewußtloses Daiein, geistig und körperlich gänzlich gelähmt, nicht mehr Leben zu nennen. De/ hiesige Anstattsart, dem wir zu unendlichem Dank verpflichtet sind, pflegt den armen Kranken mit wahrhaft rührender Treue und Sorgsamkeit und meint, daß ihm noch ein monate- länges Siechtum bevorstehen könne." Georgs letztes Schreiben hatte Elisabeth zu ihrem größten Bedauern mitgeteilt, daß er selbst ans dringenden Rat des Arztes wieder einmal einige Sommerwochen seiner eigenen Gesundheit opfern müsse, da seine dienstliche Tätigkeit ihn wohl überanstrengt habe. Wahrscheinlich werde er die Kur in N. gebrauchen, die ihm vor zwei Jahren so gut bekommen sei. Seitdem hatte Elisabeth zu ihrer stillen Verwunderung keine Nachricht mehr von ihm empfangen und vermutete ihn längst in seiner Sommerfrische. Sie mochte es sich selbst nicht gestehen, daß sie im tiefsten Herzen hoffte, ihn auf seiner Rück reise bei sich hier begrüßen zu können. Es war an einem klaren, milden Herbst abend, ein warmer, feuchter Nebel breitete sich rings umher, als Elisabeth auf dem Rückwege vom Kirchhof, wo sie das Grab ihres Gatten mit frischen Herbstblumen geschmückt, die wohl bekannte, stille Waldeshöhe erreicht hatte. Fast jeder Ausgang führte sie zu dieser, an Er innerungen so reichen und wehmutsvollen Stätte, die ihres Mannes Lieblingsplatz gewesen; lang sam, in tiefem Sinnen war sie auch heute den schmalen Waldpfad dahingeschritten, nun stand sie auf der freien Bergeslichtung, ein frischer Luftzug umwehte sie, und tief aufatmend hob sie die gesenkten Blicke. War es ein Traumbild ihrer Phantasie, das sich ihren Augen erschloß, wie es ihr schon ein mal hier vor langen Jahren in greifbarer Wirk lichkeit an dieser Stelle erschienen war? Ms wäre er aus der Erde empor gewachsen, so stand plötzlich Georg, still und regungslos an den Stamm des alten Lindenbaumes gelehnt, vor ihr, und seine dunklen Augen blickten mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit in ihr heiß erglühen des Antlitz. Er streckte ihr wortlos beide Hände mtgegen, und als sie die ihren zitternd Hinern legte und in staunender, lieblicher Befangenheft zu ihm emporsah, während sie leise, wie träu mend, seinen Namen flüsterte, da flog ein Leben durch seine hohe, kraftvolle Gestalt. Seine Arme öffneten sich weit, und in inniger Umarmung, als wolle er sie nie mehr von sich lassen, zog er die Geliebte seiner Jugend mit heißem Ungestüm an sein Herz. Sie wehrte ihm nicht, wie er in dem so lange zurückgedämmten Feuer seiner Liebe ihr Antlitz mit glühenden Küssen bedeckte. Wie eine weihe volle Erinnerung an ihr einstiges, junges Liebesglück zog es wehmutsvoll durch ihre Seele, die sie jetzt voll und ganz dem teuren Jugendfreunde zu eigen gab, in dessen Liebe und Treue ihr nach allem Leid und Kampf ein neues Glück fortan erblühten sollte. Als wäre sie bisher müde und heimatlos auf beschwerlicher Wanderung umhergeirrt und Härte nun eine sichere Zuflucht gefunden, so lehnte sie im seligen Gefühl des Geborgenseins hingebend und vertrauensvoll in seinen Armen, die sie fest und schützend umfingen, und blickte still, mit verklärtem Lächeln zu ihm empor. „Endlich, Elisabeth, nun endlich bist du mein," flüsterte er, „nun steht nichts mehr hindernd zwischen uns beiden, nichts trennt uns mehr, du gehörst mir allein, du einzig Geliebte!" Er zog sie sanft hernieder auf die Bank unter dem Lindenbaum, wo er sie dereinst hier wredergefunden, und aneinander geschmiegt saßen sie Hand inHand, in stillen, seligen Träumen.
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