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Ottendorfer Zeitung. Vie „Vttendorfer Zeitung» erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Sezugspreir vierteljährlich , Mark. Durch die Post bezogen ,,S0 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. BUt wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode. Annahm« »sn Inserat« bl, »»«mittag i» Uhr?, Inserat« w«rd«n mit io p für di« Spalizril« b«r«chn« Labrllarlschrr'Satz nach b»sond«r«m Laris Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühl« in Groß-Vkrilla No. 22. Mittwoch, den 20. Februar 1907. 6. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Vtiendorf-Dkrilla, den 2s. Februar sgor. —* Durch den gestern Abend Uhr von hier nach Königsbrück verkehrenden Zug wurde in Nähe der Laußnitzer Düngerexport« Gesrllschast ein in der Deichertschen Ziegelei beschäftigter Arbeiter tödlich überfahren. —*.* Unter zahlreicher Beteiligung der Mitglieder sowie vieler eingeladener Gäste feierte am vergangenen Freitag im Gasthof »um schwarzen Roß der Landwirtschaftliche Verein Ottendorf-Okrilla sein 5. Stiftungsfest. Unter den Klängen der Königsbrücker Stadt- kapelle welche vorzügliches leistete, eröffnete der Vorsitzende. Herr Gutsbesitzer E. Beck die Tafel und begrüßte die Anwesenden auf» herzlichste. Di« Tafel verlief in humorvollster Weise und wurden verschiedene Toaste gesprochen, auch ge dachte der Vorsitzende so recht im Sinne der Anwesenden zu handeln, mit voller Begeisterung wurde aus unsern allbeliebten Sachsenkönig ein kräftige» Hoch anSgebracht, worauf alle die Sachsenhymne anstimmten. Besonder« Dank erntete auch Herr Gemeindevorstand Pirnbaum, welcher in kurzen Worten seiner Freude Ausdruck gab, daß der Verein so weiter blühen und gedeihen möge, wie er es bisher getan habe, zum Wohl der hiesigen Landwirtschaft. Nach Auflösung der Tafel widmeten sich Alt und Jung dem Tanz in heiterer Stimmung bi» in die frühesten Morgenstunden. Koschwitz. Kürzlich bemerkten an einem Nachmittag in dem Nachbarorte Bühlau die Angehörigen eine» hiesigen Gutsbesitzers, daß Fußspuren in die oberen Räume des Wohnge bäude» führten. Der B'sitzer ging diesen noch und siehe da, unter einem Bette versteckt lag ein Dieb, der sich eingeschlichen hatte. Dieser ging auch ruhig mit, doch plötzlich stieß er den ihn festhaltenden Gut»besitz«r zur Seite und durch einen kühnen Sprung durch das Fenster erlangte er di« Freiheit. An und für sich wär« bi»her der Fall noch harmlos gewesen, wenn nicht der freche Spitzbube bereit« ein Portemonnaie mit ungefähr 130 Mark ge stohlen und mitgenommen hätte. Das Porte monnaie wurde später im Walde, wohin er geflüchtet war, wieder aufgefunden, natürlich war e» leer. Meißen. Die Zitterkrankheit, die in der 2. Bürgerschule wieder aulgebrochen war, scheint ihrem Ende entgegenzugehen. Von den 14 davon befallenen Kindern die sofort au» der Schul« entfernt worden waren und ihren Unterricht in dem hiesigen Johannisstift er hielten, haben 10 Kinder entlassen werden können und sind ihren Klaffen wieder zugeteilt worden, während die übrigen 4 Kinder zurzeit noch nicht völlig von der Krankheit befreit sind. Röderau. Einen beklagenswerten Unfall fiel am Sonnabend gegen Mittag hier ein junges Menschenleben zum Opfer. Al» man im hiesigen Brauereigrundstück mit dem H-rau»- fahren eine« mit Fässern beladenen Wagen« beschäftigt war, blieb der dabei behilfliche Lauf bursche (Konfirmand) Trampler an einem der Torpseilrr stehen, wurde von dem an der Seite de» Wagen» hängenden Faß gegen den Tor- pseilrr gedrückt und derartig gequetscht, daß er nach kurzer Zeit verstarb. Riesa. Einbrecher machten in der Nacht zum Freitag unsere Stadt unsicher. Während es in einem Falle den lichtscheuen Gesellen ge lang, in das Lobesche Lederwarengeschäft au der Weltinerstraße einzudringen und etwa 6 Mark bare« Geld au» der Ladenkaffe, sowie eine Partie Sohlenleder im ungefähren Werte von 80 Mark zu erbeuten, wurden die Diebe, von denen bisher jede Spur fehlt, bei dem Bemühungen, das Vorhängeschloß der Laden tür zum Geschäftsladen der Firma Gebrüder Riedel aus der Göthestraße zu öffnen, gestört und suchten ihr Heil in der Flucht. Wrndischfähre. Einer rohen Tat fiel in der Nacht zum Freitag der bejahrte Gemeinde wächter Hofmann von Wendischsähre zum Opfer. Er wurde, auf einem Dienstgangc be griffen, von einer Rotte junger Burschen an gegriffen, schwer mißhandelt. zu Boden ge worfen und dabet mit dem Kopfe mit solcher Wucht gegen einen eisernen Zaun geschlagen, >aß der Bedauernswerte eine 10 Zentimeter ange Kopfwunde und eine bis aus den Knochen reichende Wunde zwischen Auge und Nasenbein davontrug, sodaß ärztliche Hilse in Anspruch genommen werden mußte. Die Täter sollen aus Porschdorf stammende Schiffer ein, die von Hoffmann bei Ausübung groben Unfug» (wie Anzünden von Straßenlaternen) betroffen worden sind. Oschatz. E'n großes Unglück wurde "am Sonnabend nachmittag durch die Aufmerksam keit des Streck'Npcrsonals in Bornitz verhütet. Gegen 5 Uhr nachmittags wurde von Bornitz der Station Oschatz gem ldet, daß in den von Dresden kommenden, noch Leipzig durchgehenden Zuge ein Abteil 2. Klafft in Brand geraten ei. Durch Signale wurde der Zug kurz vor der Station Oschatz zum Stehen gebracht. Das Feuer hat e den in Brand geratenen Wagen bereits stark beschädigt und auch einen zweiten Wagen ergriffen, ohne daß das Zug personal den Brand bemerkt hatte. Nachdem die Wagen losgekoppelt waren und man das Feuer mit Mühe gelöscht hatte, konnte der Zug nach kurzem Aufenthalt die Fahrt sort- setzen. Man nimmt an, daß das Feuer durch Hcißlausen der Achsen entstanden ist. — Großes Aussehen hat der Selbstmord des Lehrers Zieger aus Borna bei Leipzig, der sich am Sonnab-nd im Gasthof zu Ganzig mit Cyankalt vergiftete, hervorgerufen. Ueber die Ursachen de« Selbstmordes teilt der aus dem Leben Geschiedene, ein 30jähriger Mann, in hinterlassenen Briefen selbst mit, daß er infolge de» Leipziger Bank-Krach« und einer Inanspruchnahme seitens unterstützungs bedürftiger Verwandter, die seine Leistungs fähigkeit überstieg, in finanzielle Schwierigkeiten geriet, die ihn schließlich in den Tod lrieben. Er habe in seinem Heimataorte Ganzig, in dem sich daü Grab seines Vaters befinde, be graben sein wollen und deshalb hier seinem Leben ein Ende gemacht. Z. bestimmte da« in seinem Besitze Vorgefundene Geld zur Be streitung der Kosten des Begräbnisses und bat seine Familie — er hinterläßt eine Frau und eine erwachsene Tochter — erst nach 10 Uhr vormittags von seinem Tode zu benachrichtigen Siebenlehn. In der Brandstisteraffäre stand jetzt vor dem Freiberger Schwurgericht wieder eine Verhandlung an. Der Vorsitzende führte vor Eintritt in die Vernehmung der Angeklagten au», daß die Verhandlung schon ein Vorspiel in der letzten vorjährigen Schwur gerichtsperiode, in der Strafsache gegen den Produktenhändler Päßler in Siebenlehn, ge habt habe und auch noch ein weit umfangreicheres Nachspiel in der nächsten Schwurgerichtöperiode haben werde. Die Vernehmung der Ange klagten entrollte das Bild einer vollständig vorbereiteten, und durchgeführten Brandstiftung. Da» Urteil lautete für Angeklagte auf zwei Jah'e Gefängnis, für eine dritte Angeklagte auf sieben Monate Gefängnis. Bei allen drei Angeklagten ist die erlittene Untersuchungshaft voll angerechnet worden. Leipzig. Von mehreren kanonenähnlichen Schlägen erdröhnte am Sonnabend Vormittag in der 11. Stunde die Luft in der Nähe des preußischen Bahnhofs Plagwitz-Lindenau. Er schreckt kamen aus allen Häusern die Bewohner auf die Straße gestürzt, man fürchtete eine große Explosion in einer der umliegenden Fabriken. Bald aber klärte sich die Sache — sehr zum berechtigten Erstaunen der Leute — in einfacher Weise aus: Die königlich preußische Baumeistern hatte in der Nähe der Brücke, die über die Carl-Heines-Straße in Plagwitz-L. führt, mehrere sogenannte Knallkapseln, wie solche im Eisenbahnbetriebe zur Sicherung der Züge Verwendung finden, auSgelegt, um sie auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Zur Genug tuung der Bahn war dies ja vollständig der Fall, die Anwohner aber waren mit dem Er gebnis der Prüfung weniger einverstanden. — Besinnungslos aufgefunden wurde in der Nacht zum Sonnabend in der dritten Stunde m Hosraum de» Grundstücks Südplatz 2 der lasclbst bei einem Bäckermeister in der Lehre sehende 15 Jahre alte Max Kaiser au» Kirch berg. Den Lehrling hatte man kurz vorher um Hilfe rufen hören. Der herbeigeholte Arzt konstatierte Verletzungen am Unterleib. Mittels Krankenwagen« wurde der anscheinend schwer Verletzte nach dem Krankenhau» gebracht. Ver mutlich ist der Lehrling von einem Unbekannten den er bei einem geplanten Diebstahl gestört, an den Leib getreten worden. — Auf dem Freiladebahnhof an der Eutritzscher Straße geriet am Sonnabend der Bahnarbeiter Erfurth beim Zusammenkuppeln von Mgen zwischen die Puffer und drückte ihn den Brustkorb ein. Er war sofort tot Mylau. Am Sonnabend früh ^/,4 Uhr wurden die Einwohner durch Feuerlärm er schreckt. Es brannte in der Herrn Bernhardt Rätzer gehörigen, an der Netzschkauerstraße ge legenen Rätzer und Rüdingerschen Mechanischen Weberei. Das Feuer war in dem Verbindungs gebäude der beiden dreistöckigen Fabrikgebäude entstanden und hat hier wie in dem einen Saale des vorderen Fabrikgebäudes großen Schaden angerichtet. Der schnell herbeigeeilten Feuerwehr ist e« zu danken, daß das Feuer nickt noch größeren Umfang annahm. Das viele in die Fabiiksäle geschleuderte Wasser hat an den Wedstühlen vielen Schaden ungerichtet Die Entstehungsursache ist bi« jetzt unbekannt. Nus der Woche. Das wichtigste Ereigni« der abgelaufenen Woche war 'ohne Zweifel die Thronrede, die König Eduard VII. bei Wiedereröffnung d:S Parlament verlesen hall Eine nüchterne, zurück haltende Würdigung der Stellung Englands in der Welt und der Hinweis auf die schwere innere Krisis. Eduard kam wohlgelaunt au» Paris und konnte seinen Ministerium, die seine geheimnisvollen Reisen über den Kanal bedacht sam vorbereiten, Dank spenden; so tat er'» also am besten in einer Weise, die der Mehrheit des Lande« wohlgefiel, denn die Lords sind unter der liberalen Regierung überall al» lästig für die freiheitliche Gestaltung der Landetgesetze empfunden worden. Bei dem bevorstehenden Kampf gegen die überlieferten Rechte de» Ober hause» weiß jetzt da« Volk den König hinter seinem Ministerium. Was die Weltlage an belangt, so gab England» König die bei solchen Gelegenheiten gebräuchliche Versicherung, daß die Beziehungen zu allen Mächten freundschaft liche seien. Man darf ihm diesmal eher glauben al» im Vorjahre, wo die Wolken der Marokkokonferenz gewitterschwer den politischen Horizont bedeckten. — In der französischen Republik beginnt sich langsam eine merkwürdige Wandlung vorzubereiten. Als Clemenceau da» Ministerium übernahm, waren e» drei Dinge, die alle Welt mit Gespanntheit auf den Ministerstürzer und nunmehrigen Kabinetts bildner blicken ließen: Die Ausführung des TrennungSgesetzeö, die Aushebung der Militär gerichtsbarkeit und die Abschaffung der Todes strafe. Nach Meinung aller siegestrunkenen Republikaner mußte nun die französische Gesetzgebungskunst unerhörte Triumpfe feiern. Aber da« Register hatte ein Loch. Man hatte auf der roten Ministerbank vergessen, daß die Zeit nach ewigen unwandelbaren Gesetz«n fort schreitet und mit ihr die Menschheit. So kam e», daß in den Reihen der am meisten Be geisterten zuerst die Ernüchterunng eintrat. Ein Mord, der in seinen Einzelheiten die grauenvollsten Bluttaten hinter sich läßt, rüttelt« die Vergeltungsinstinkte der Masse wach. Und wie ein Sturmwind brauste di« Forderung durch daü Land: Tod dem Mörder! Einflußreiche Kreise wandten sich an den Senat mit der Bitte, den Gesetzentwurf zur Ab- chaffung der Todesstrafe die Zustimmung zu versagen Clemenceau aber, von dessen er- jabenen „Neubau der französischen Republik" Stein um Stein abzubröckeln beginnt, liegt krank daheim. — Die nächste Haager Frieden« konferenz wirft bereits ihre Schatten voran». Der vom Zaren abgeordnete Staatsrat Profeffor v. Marten» hat seine Rundreise an di« europäischen Fürstenhöfe bald beendet und äußert sich über die empfangenen Eindrücke überau» erfreut. Freilich verschweigt der diplomatische Frieden»apostel, daß er in bezug auf dem Hauptpunkt seiner Mission, nämlich die Erkunduug, wie man in Europa über die „Abrüstung" denkt, überall eine zwar rücksichts volle aber nicht mißzuverstehende Ablehnung erfahren hat- Die Zeitungen plaudern aber auch dieses Ergebnis der Rundreise de« russischen Unterhändlers au«, Dabei ist e« vielleicht zeitgemäß, auf eine Aeußerung zu verweisen, die vor Jahren der englisch« Friedensapostel Stead (der vor einiger Zeit auch vom deutschen Reichskanzler empfangen wurde) einem Petersburger Diplomaten gegen über tat: „Wenn man ein Dutzend Redakteur« der bedeutendsten Zeitungen in Europa hängen lassen würde, da« wäre der sicherste Weg zum Frieden!" Auch Profeffor Marten» tadelt da» „freie Wort der Presse." E« ist bedauerlich, wenn Leute, die im Dienste einer Kultnrauf« gäbe die Welt bereisen, ihre Mission am besten zu erfüllen glauben, indem sie die Notwendigkeit andrer Kulturarbeit al» der ihrigen leugnen. Die Zeitung ist eine Großmacht im Dienste der Kultur, und ihr« Berechtigung und Not wendigkeit leugnen, heißt den Geist der Zeit verkennen. — Der Geist der Zeit hat gegen wärtig ein W«s-n»m«rkmal, daß nicht zu über sehen ist: da« ist die innere Umwandlung di« sich in den meisten Staaten vollzieht. Be sonder» in Europa tritt diese Umwandlung in Erscheinung. Allüberall ertönt der Ruf nach größerer politischer Freiheit und überall trägt man ihn Rechnung. Mehr und mehr wird das Volk zur Beteiligung am öffentlichen Leben zugrlaffen. Die konsitutionelle Regierung die mit ihren Kämpfen da» vergangene Jahr hundert erfüllte, und die gegründet ist auf da» allgemeine Wahlrecht, ist nunmehr auch fast in allen kleineren Balkanstaaten eingeführt. — Freilich in Rußland, da» allerdings zum Teil im Gebiet de» selbstherrlich regierten Asien liegt, ist» mit den verfassungsmäßigen Volk«« rechten noch immer schlecht bestellt. Da» haben die Vorwahlen zur Reich«duma in grellem Lichte gezeigt. Wenn trotz aller Ver gewaltigungen und aller Gewaltmaßregeln der Behörden die Oppositionsparteien bi»her gesiegt haben, so mögen di« Machthabrr in Peters burg darau« erseh««, daß die Zeit nicht be ruhigend gewirkt hat. Der Leist der Freiheit«- liebe, der die erste Duma beseelte und in über- quellendrm Betätigung»drange ihre Arbeit«» sähigkeit hemmte, wird auch die neue Duma beleben. Herr Stolypin ist mit seinem System völlig unterlegen. Vielleicht braucht Rußland, vielleicht braucht der Zar in nächster Zeit einen Mann, der dem Geist der Zeit, der gebieterisch durch das Land des weißen Zaren weht, Rechnung zu tragen vermag. Die Vorsehung hat Witte, gegen den ein Attentat geplant war, das rechtzeitig entdeckt wurde, dem Lande er« halten." Seine staatsmännische Kraft kann dem ringenden Lande vielleicht eine Brücke zu ruhigeren Zeiten schlagen. Denn die russisch« Regierung muß entweder (unter Anwendung von Gewalt) da» Spiel verlieren, oder sie kann durch weise« Nachgeben di« Partie ge winnen. Noch nie hat jemand gesiegt, dem die Politik ein Glücksspiel war. Das hat zu seinem Schaden auch Napoleon I., der zeit weilige Beherrscher Europa«, erfahren,