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Ottendorfer Zeitung : 30.01.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190701305
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19070130
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19070130
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-01
- Tag 1907-01-30
-
Monat
1907-01
-
Jahr
1907
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 30.01.1907
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Vie hauptsächlichsten Ergebnisse -er Reichstagswahl. Wie vorauszusehen war, ist diesmal die Wahlschlacht eine besonders heftige gewesen. Besonders in den großen Industriestädten, die bisher überwiegend von Sozialdemokraten im Parlament vertreten waren, gestaltete sich die Werbearbeit und die Wahl auf regend. Soweit bisher zu übersehen ist, haben die liberalen Parteien nicht nur einen beträchtlichen Stimmenzuwachs (gegen 1903) zu verzeichnen, sondern gewinnen m.ch einige Mandate, die zum Teil der Sozialdemokratie verloren geben. Die wichtigsten Wahlergebnisse sind folgende: In fünf Wahlkreisen Ber lins wurden die bisherigen sozialdemokratischen Kandidaten Fischer, Heine, Singer, Schmidt, Ledevour wieder gewählt, während im ersten Wahlkreise (Stichwahl zwischen Kämpf (srs. Vp.) und Arons (soz.) stattfinden muß. Die beiden großen Vorortwahlkreise um Berlin: Nieder barnim und Beeskow-Storkow wurden von der Sozialdemokratie wieder errungen. Dagegen verlor im Reiche die Sozialdemokratie eine ganze Anzahl von Mandaten. So gingen z. B. Königsberg, Breslau, Halle, Magdeburg, Leipzig u. a. an die vereinigten bürgerlichen Parteien verloren. (Mülhausen, Elsaß, wurde von der Sozialdemokratie gewonnen.) Das Zentrum wird im neuen Reichstag ungefähr in derselben Stärke vertreten sein. klolinscbe Kunösckau- Deutschland. * Der Kaiser ließ sich im Königl. Schlosse zu Berlin die Kadetten vorstellen, die demnächst in Armee und Marine eingereiht werden. * In Gegenwart des Kaisers wurde in Berlin das neue Gebäude der Akademie der Künste eröffnet. * Der Staatssekretär des Äußeren V.Tschirschky empfing Herrn v. Martens, der vom Zaren ab geordnet ist, um mit den europäischen Groß mächten Rücksprache wegen der zweiten Friedenskonferenz zu nehmen. * Kolonialdirektor Dernburg ist von seiner süddeutschen Vortragsreise, nachdem er vom Großherzog von Baden in Karls ruhe empfangen worden ist, nach Berlin zurück gekehrt. "Der Bun des rat Hut beschlossen, die Gebühren für die Untersuchung des eingeführlen Fleisches herunterzusetzen. "In Würdigung der gegenwärtig an vielen Orten bestehenden Teuerungsverhält- nisse sind vom Preuß. Minister der öffentlichen Arbeiten den Eisenbahndirektionen besondere Mittel zur Bewilligung von Unterstützungen an bedürftige Hilfsbedienstete und Arbeiter zur Ver fügung gestellt worden. Insgesamt soll 1 Mil lion Mark dafür aufgewandt werden. "Der lippische Landtag beschäftigte sich, wie aus Detmold berichtet wird, in längerer heftiger Debatte mit der Wahlrechts vorlage. Die liberalen und sozialdemokra tischen Abgeordneten forderten die Einführung des gleichen Wahlrechts, dem jedoch von der Mehrzahl der Abgeordneten und auch von der Regierung ent wgcngetreten wurde. Schließ lich wurde die Vorlage in die Kommission ver wiesen. Österreich-Ungarn. * Wie aus Wien berichtet wird, hat Kaiser Franz Joseph dem ungarischen Miliisterrat in der Angelegenheit des Justizministers Polonyi völlig freie Hand gelassen. Es heißt, der Justizminister werde während des von ihm gegen seine Verläumder angestrengten Prozesses sein Entlassungsgesuch einreichen. "Das österreichische Abgeordnetenhaus hat das Gesetz betr. die Versorgung der Militär-Witwen und -Waisen ange nommen. Es folgte darauf die Behandlung über einenDringtichkeitsnntrag betr. das Rekruten- konlingent. Abg. Stein erhob dabei schwere Be schuldigungen gegen Erzherzog Franz Ferdinand wegen Verwendung von Mannschaften zu Privat zwecken. Frankreich. *Der Minister des Auswärtigen Picbon kündigte für die ersten Februartage das Zu sammentreten des zur Ausarbeitung des marokkanischenPolizeireglements berufenen Komitees in Tanger an, dessen Mit glieder Kriegsminister Gebbas, der künftige schweizerische Polizeichef, ein französischer und ein spanischer Stabsoffizier sind. Sie werden den Diplomaten in Tanger einige Vorschläge für die Einrichtung der Polizei unterbreiten. * Zum Etatsgesetz hat der Senat die von der Deputiertenkammer angenommenen Artikel des Finanzgesetzes, nach denen Adelstitel be steuert werden sollen, abgelehnt. (Wie bei solchen Mißhelligkeiten zwischen Kammer und Senat das Budget zustande kommen soll, ist vorläufig nicht abzusehen.) * Der Heeresausschuß der Kammer beschloß auf Antrag seines Vorsitzenden Berteaux ein stimmig, von der Regierung die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes, der den Offizieren der Reserve und der Territorialarmee, die wegen Parteinahme für Dreyfus von früheren Ministern oder Militärgerichtshöfen aus dem Heere entfernt wurden, ihren Offiziersrang wiedergeben soll. * Bei der Inventaraufnahme in der Kirche Sainte Anne d'Auray kam es zu einem Zusammenstoß zwischen Gläubigen und Polizei beamten. Die Gendarmen wurden beschimpft, ein Sicherheitsbeamter verletzt. Mehrere Per sonen wurden verhaftet. England. *Jn Regierungskreisen macht sich eine starke Strömung gegen das Oberhaus geltend. Der Präsident des Handelsamtes, der dem liberalen Kabinett sehr nahe steht, äußerte, man müsse den Kampf bis aufs Messer führen. Das Land erwarte vom Premierminister, daß er einen Ausweg finde, um künftighin die An maßungen des Oberhauses abzuwehren. Belgien. * ImKongostaat sind drei Gewerbe schulen geschaffen worden, womit wieder einer der Wünsche, die von der Untersuchungskommission für den Kongo geäußert wurden, seine Erfüllung findet. Schweden. * Im Reichstage wird die Regierung dem nächst eine Vorlage zur Arbeiters chutz- gesetzgebung einbringen. Diese Regierungs vorlage wird alle Streitpunkte berücksichtigest, die beim letzten Streik, der sich vor einigen Tagen über ganz Schweden auszudehne« drohte und durch vermittelndes Eingreifen der Regie rung beigelegtwurde,zum Ausdruck gekommen sind. *Die Arbeitgeber-Vereinigung beschloß, sämtliche Arbeitskonflikte durch Über einkommen mit der Organisation der Gewerk schaften beizulegen. Norwegen. "Der Regierung wurde aus Paris mit geteilt, daß man zur Beschlußfassung über die verlangte Garantie der Neutralität Nor wegens noch einige Zeit haben müsse. Auch Deutschland hat gegen den Text des norwe gischen Antrages Einwendungen erhoben. Spanien. "Infolge der fortgesetzten Schwierigkeiten, die das Kabinett bei allen seinen Gesetzentwürfen in den Cortes findet, hat der Ministerpräsident dem Könige die Abdankung des gesamten Kabinetts überreicht. Man glaubt, er werde aufs neue mit der Kabinettsbildung betraut werden. Rustland. "Der Zar bestätigte den Beschluß des Ministeriums, nach dem alle der ersten Duma vorgelegten Gesetzentwürfe nach vorheriger Prüfung im Minislerrat der zweiten Duma vor gelegt werden. "Ter „Verband des russischen Volkes" hat sich gespalten. Die neue Fraktion, die im Gegensatz zum Verband ihren nichtrevolutionären friedlichen Charakter hervor hebt, heißt „Rußland für die Russen". * Ein neuer überfall wird aus Warschau gemeldet: Bei der Station Andrzew im Kreise Kjebze überfielen mehrere Personen einen Post wagen und erschaffen den den Wagen be gleitenden Soldaten. Dem Führer der Post gelang es, die Geldbeutel in Sicherheit zu bringen. Balkanstaaten. "In der bulgarischen Sobranje kam es bei einer Besprechung der letzten Studenten kundgebung gegen den Fürsten zu äußerst heftigen Auseinandersetzungen. Schließlich aber wurde dem Ministerium mit knapper Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Amerika. " Der englisch - amerikanische Zwischenfall auf Jamaika scheint nach einem Austausch von sehr höstich gehaltenen Noten endgültig erledigt zu sein. In diesem Sinne äußerte sich auch Präsident Roosevelt. Afrika. "Die marokkanischenRegierungs- truppen hatten ihr erstes Gefecht mit den Anhängern Kaid Zellals vom Stamme der Beni Msaur, bei denen sich Raisuli aufhält. Obwohl die Regiemngstruppen siegreich blieben, hatte das Treffen nicht den gewünschten Erfolg. Kaid Zellal und Raisuli sollen nach dem Süden in das fast unwirtliche Gebirge entkommen sein. Aste«. "Der Emir von Afghanistan scheint bei seinem Besuch auf englisch-indischem Boden am Reisen Gefallen gefunden zu haben. Wie man aus politischen Kreisen Londons berichtet, wird der Herrscher seine angekündigte Europa reise bereits in diesem Sommer machen. Welche Höfe er besuchen wird, ist noch nicht bestimmt. "Die chinesischeRegierung hält an ihrem Bestreben zugleich mit Reformen, dem Lande auch Ruhe und Sicherheit zu bringen, unbeugsam fest. Eine Bande von etwa sechzig Tschungtschusen machte einen Angriff auf einen chinesischen Flecken in der Nähe der Station Mnrawieto-Amurski. Der Angriff wurde von russischen Kosaken zurückgewiesen, dabei wurden zwei Tschungtschusen getötet und fünfzehn gefangen genommen. Die Gefangenen wurden den chinesi schen Gerichten übergeben und von diesen zum Tode verurteilt. Das Urteil ist vollstreckt worden. * Der kriegerische Stamm der Afridis (Nord indien) hat verschiedene Raubzüge auf eng lisches Gebiet unternommen. Mit Rücksicht auf die allgemeine Gärung im Lande beschloß die englische Regierung, nur einzugreifen, falls sich die Überfälle wiederholen. Vie neuen italienischen Panzer. Obwohl in Italien eifrig der Gedanke der allgemeinen Abrüstung gefördert wird, läßt man aber auch keinen Eifer bei weiterer Rüstung vermissen: „In der ewigen Stadt tagt", so wird der,Tägl. Rundsch.' geschrieben, „augen blicklich der große Rat der Admirale. Gegen stand seiner Beratungen bildet hauplsächlich das Tonnengewicht der zukünftigen Panzer. Wie bei uns in Deutschland, so fragt man sich auch hier: Wie weit sollen wir in dieser Hinsicht gehen? Die Marine-Ingenieure hatten den Auftrag erhalten, Pläne für Panzer von 16 000 Tonnen, mit acht Geschützen von 305 Millimeter usw. vorzulegen. Dieser Typ genügt aber vielen Räten der Admiralität nicht mehr. Da alle Fachleute nur noch das große Schlachtschiff für vollwertig halten, verlangen diese Herren noch einen größeren Tonnen gehalt, um möglichst an die englische „Dreadnought"-Klasse heranzukommen. Es sei nicht angängig, meinen sie, daß Italien, das einst mit dem Bau der großen Typs begonnen habe, jetzt hinter allen andern Mächten einher hinke. Es sei jedoch eine bessere Verteilung und Aufstellung der Geschütze zu erstreben, als sie auf dem englischen Schiffe stattgesunden habe. Mit den Panzerplatten wird sich der Ad miralitätsrat auch beschäftigt haben. Aber es verlautet noch nichts Näheres darüber, wohl um Börsenmanöver zu verhüten. So hatte der aus rein technischen Gründen angesagte Besuch des Marineministers in Term sofort eine Hausse der Men dieser Ouasi-Filiale von Krupp zur Folge, als aber dann ganz zufällig dieser Besuch einstweilen aufgeschoben werden mußte, begann eine widrige Baissespekulation. Darum wird wohl, wie gesagt, jetzt Stillschweigen ge wahrt über die zukünftigen Lieferungen von Panzerplatten. Die Absichten der Negierung lassen sich aber aus dem auffälligen Verhallen der offiziösen ,Tribuna' erraten. Bekanntlich sind die Panzerplattenlieferungen für'den neuen großen Kreuzer „S. Giorgio" der Terni vor- euthalten und der amerikanischen Midwal- Gefellschaft übertragen worden. Nun-plaudert die ,Tribuna' weiter aus, daß auch die Carnegie- und Bethlehem-Gesellschaften Italien Panzerplatten von der Güte der Kruppschen, aber zu billigerem Preise, angeboten haben. So werde das Kruppsche Monopol allmählich zerstört werden und nicht nur Italien werde daraus großen Nutzen ziehen, denn Krupp werde mit seinen Preisen überhaupt herunter müssen. . ." ^on uncr fern. Ein echter deutscher Seema««. Die New Dörfer Blätter heben jetzt lobend die Tapferkeit hervor, mit der Herr v. Vahsel, der erste Offizier der gestrandeten deutschen Dampfers „Prinzessin Viktoria Luise", der sich zur Zeit des Erdhebens in Kingston befand, Verwundete rettete und sie zu dem Dampfer „Port Kingston" brachte, wo sie ärztliche Hilfe erhielten, ohgleich er selhst durch fallende Bolten im deutschen Konsulat, wo er sich zu der Zeit des Erdstoßes aufhielt, erheblich verwundet worden war. 152 Soldaten erkrankt. Bei einer in Quednau bei Königsberg (Ostpr.) abgehaltenen Übung gemischter Truppenteile erkrankten infolge der starken Kälte plötzlich 152 Soldaten. Fünf Mann wurden ins Garnisonlazarett gebracht, ihre Entlassung dürfte in drei bis vier Wochen erfolgen. Die übrigen Mannschaften wurden als Revierkranke behandelt- der größte Teil von ihnen ist bereits als geheilt entlassen. Die noch nicht Entlassenen sind, weil gleichfalls nur leicht erkrankt, nur vom Außendienst befreir. Schwere Fälle liegen auch bei den Lazarett- kranken nicht vor. Zugzusammenstost. Auf der Station Langendreer-Nord stieß der Personenzug 473 Köln—Altenbeken infolge unrichtiger Signal gebung auf vier mit Eisen und Kohlen beladene Güterwagen. Die Lokomotive und eine Anzahl Wagen wurden stark beschädigt. Ein Berg schüler aus Dortmund erlitt lebensgefährliche Verletzungen des Rückgrats. Mehrere andre Personen sind leicht verwundet. Postunterschlagnng in Bayern. In Schwabmünchen wurde der Postadjunkt Böckl verhaftet, der sich durch gefälschte, verhundert fachte, an eine Münchener Bank unter Deck adresse eingeschickte Postanweisungen bei dieser allmählich ein Guthaben von 180 000 Mk. an gelegt hatte. Das Geld ließ er dann wieder unter der Adresse „Leutnant Scharrer im Truppenlager Lechseld, postlagernd Schwab münchen" allmählich zurückkommen, um sich die Wertsendungen selbst auszuhändigen. Dem Postamtsvorstand fielen schließlich die regen Geldtransaktionen eines im Truppenlager Lech feld gar nicht existierenden Leutnants auf, und er gab ahnungslos dem Postadjunkten auf, daß dem Leutnant Scharrer Geldsendungen künftig immer nur gegen gehörige Legitimation ausge liefert werden dürften. Daraufhin entfernte sich der Psendoleutnant heimlich und konnte infolge telephonischer Nachfrage in Mindlheim verhaftet werden. Er war zuerst mit 12 000 Alt. in, einer eisernen Kassette bis nach Türkheim ge laufen und hatte dort ein Fuhrwerk zur Weiter reise genommen. Groftfcuer im Strastburger Garnison- Lazarett. In der Nacht brach auf unauf geklärte Weise im Garnison-Lazarett I in der Krutenau Feuer aus. Das massive Gebäude brannte bis auf das vom Wasser schwer be schädigte Erdgeschoß völlig aus; die kranken Soldaten konnten sämtlich gerettet werden. Die Feuerwehr arbeitete die ganze Nacht hindurch. K 6etreu bis m äen Hoä. 11) Erzählung von Martha Neumeister. . (Forgttzung.! In den ersten Tagen des April trat die kleine Familie, von Kurts treuem Burschen begleitet, der seinen kranken Herrn nicht verlassen wollte, ihre traurige Reise nach Wiesbaden an. Der Abschied von den Freunden, in deren Mitte ihr kurzes, junges Glück einst erblüht war, wurde auch Kurt schwerer als er gedacht, und mit tiefer Rührung begrüßte er auf dem Bahnhofe das gesamte Offizierkorps deS Regiments, das sich zur Abreise des unter so traurigen Verhält nissen scheidenden jungen Paares hier ver sammelt hatte. Die Kameraden hoben den Leidenden aus seinem Rollstuhl in den Wagen, Tränen glänzten in aller Augen, als er ihnen mit stummem, innigen Händedruck dankte, und das schöne, blaffe Antlitz der einst so gefeierten jungen Frau, des reizenden Kindes, ihnen vom Fenster aus einen letzten Abschiedsgruß zuwinkte. Durch Vermittelung der Arzte hatte Elisabeth eine hübsche kleine Wohnung in ihrer neuen Heimat, die sie nach langsamer und beschwer licher Reise erreichten, bereits aus der Ferne gemietet. Das kleine Häuschen, weitab von dem geräuschvollen Treiben des eleganten Welt- bades, dicht am Bergesabhange gelegen, ent- 'prach vollkommen allen ihren Wünschen; nur wenige Stufen führten zu den Hellen, freund lichen Räumen hinauf und ermöglichten dem Leidenden tägliche Ausfahrten. in die nahen herrlichen Wälder. Die neuen, wohltuenden Eindrücke belebten ihn sichtlich, und die über raschenden Heilerfolge, von denen man ihm hier erzählte, erweckten auch ihm fülle Hoffnungen wieder. Doch die Badekur, die er sogleich mit Eifer begonnen, griff ihn außerordentlich an; seine Schmerzen nahmen zu, und seine Stimmung wurde wieder gereizt und verbittert. Seine einzige Freude, wie er stets wieder betonte, waren seine täglichen Ausfahrten, der fast be ständige Aufenthalt in frischer Waldesluft, die er daheim in seinem Krankenzimmer schmerzlich entbehrt hatte. Elisabeth und die Kleine be gleiteten ihn fast immer auf seinen Rollstuhl fahrten, bei denen er meist iu finsterem Schweigen verharrte, sie suchten stets ein same, dem großen Verkehr entlegene Wald wege auf, aber allmählich erregte das junge Paar selbst hier, wo man den Anblick so vieler Leidenden und eigenartiger Erscheinungen ge wohnt war, überall Aufsehen. Mitleidige sowie bewundernde Blicke folgten ihm, wenn Herr von Bernstorff mit dem schmerzlichen Leidenszug in seinem jungen, schönen Gesicht und den jetzt so traurig und schwermütig blickenden Augen in halb liegender Haltung im Rollstuhl gefahren wurde, die schlanke, reizende Frau und das blondlockige, liebliche Kind ihm zur Seite. 8. Es war an einem heißen Julitage; vom wolkenlosen Himmel sandte die Sonne sengende Strahlen hernieder, als Herr und Fran von Bernstorff mit ihrem Töchterchen bei der Rückkehr von der täglichen Nachmittagsausfahrt ihre ge wohnte, letzte „Ruhe-Etappe", wie Kurt ost scherzend sagte, nahe ihrem Hause erreicht hatten. I Inmitten dichten Laubwaldes gelegen, gewährte die kunstvoll beschnittene Lichtung der kleinen Anhöhe, die rings von hohen Bäumen um standen war, eine weite, herrliche Aussicht über das blühende Land bis zu den dunklen Gebirgs ketten des Taunus. Auf Wunsch des Kranken beschloß die kleine Familie, auch heute hier zu rasten; er hatte nach tagelangen, furchtbaren Schmerzen zum ersten Male wieder Morphium bekommen und wollte die lähmende Müdigkeit, die ihn befallen, hier in kühlem Waldesschatten jetzt ausschlafen. Sein früherer Bursche, der in treuer Anhänglichkeit als Diener bei ihm ge blieben, schob ihn in seinem Rollstuhl sorgsam unter die üef hernieder hängenden Zweige eines Eichbaumes und ging dann auf Elisabeths An weisung nach Hause, um dort zur Heimkehr des Kranken alles vorzubereiten. Bald bekundeten seine ruhigen und üefen Atemzüge, daß er fest eingeschlafen war; die kleine Enka spielte still umher, wie es ihr zur Gewohnheit geworden, seit die Mutter ihr immer wieder liebevoll ein geschärft, daß der arme, kranke Papa keinerlei Lärm mehr vertragen könne. Elisabeth breitete eine leichte Decke über den Rollstuhl ihres schlummernden Gatten, nickte der Meinen freundlich zu und setzte sich, ein wenig entfernt von beiden, auf eine von dichtem Heide kraut umwucherte Bank unter einer blühenden Linde. Sie hatte den runden weißen Strohhut abgenommen, ihr dunkles Haar ringelte sich in leichten Löckchen über der weißen Stirn, unter der die tiefblauen Augen mit schwärmerischem, wehmutsvollen Ernst inS Weite blickten. Sie hatte fast geflissentlich im Glück und Leid ihrer Ehe ihre Gedanken und Erinnerungen an den fernen Jugendfreund stets zurückzudrängen ge sucht und von seinem und seiner Angehörigen Ergehen nichts mehr erfahren. Nun flogen ihre Gedanken weit zurück in ihre glückliche Kindheit und Jugend, zu dem traulichen Häuschen der geliebten Eltern dort in der fernen, füllen Vor stadtstraße, und in der zitternd heißen Scbwüle, die sie regungslos umgab, flutete ein Slrom von Erinnerungen unaufhaltsam durch ihre Seele. Da weckte sie ein plötzliches Geräusch fester, sich nahender Schritte aus ihrem träumenden Sinnen; mit weit geöffneten Auaen blickte sie dem Kom menden entgegen, täuschte sie sein Anblick oder war das Trugbild ihrer Erinnerungen zur Wirk lichkeit geworden? Georg, ihr Jugendfreund, den sie seit ihren glücklichen Mädchenjahren daheim nicht mehr ge sehen, trat aus dem dichten Buschwerk, das den schmalen Waldwad verdeckte, hervor. Nicht mehr der schmächtige, hoch ausgeschossene Jüng ling mit dem schwarzen Schnurrbärtchen in seinem blaffen, starkknochigen Gesicht und de« steifen, etwas linkischen Bewegungen, wie ihr seine Erscheinung an dem sonnigen Früh lingsmorgen ihres Kommunionstages so deutlich vor Augen schwebte, nein in voller Manneskrast, mit sicherer und stolzer Haltung, so stand er jetzt vor ihr. Seine sie hoch überragende Ge stalt war voll und kräftig geworden, das männ lich ernste Antlitz mit den festen, geraden Zügen, von starkem, schwarzen Vollbart umrahmt, tief gebräunt, und die dunklen Augen unter de» dichten, fast zusammengewachsenen Brauen
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