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Vie »Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abend». Bezugspreis^ vierteljährlich , Mark. Durch di« Post bezogen 1,20 Mark. Annahme von Inserat« bi, vormittag zo Uhr.1 Inserat« werdrn mit io p für die Spaltz«tle b»«chn« Tab«llarisch«r:5atz nach d»s»nd«r«m Tarif Lokalzeitung für die Ortschaften Gttendorf-Gkrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Druck und Verlag von Hermann Rühl« in Groß-Dkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla No. 10. Mittwoch, den 23. Januar 1907. 6. Jahrgang. Hundesteuer. Di« sür do« lausende Jahr fällig- Hundesleuer ist bi« 30. Januar 1907 gegen Entnahme der Hundesteuermarkcn aus dem Gemeinde-Amt hierzu entrichten. Nach Fristoblaus beginnt da« geordnete Beitreibungsverfahren, Ottenäork-Noriträork, am 8. Januar 1907. Der Gemeindrvorstand. Oerttiches und Sächsisches. Dttendorf-Vkrilla, den 22. Januar >907. fI Am vergangenen Sonntag hatte man hier Gelegenheit, den reformerischen RcichStagS- wahl-Kandidaten, Herrn KlaserinnungSmeister und Kaufmann Johanne« Wetzlich au« Trcsden in einer gutbesuchten Wählerversammlung im „Gasthof zum schwarzen Roh" sein Programm darlegrn zu hören. Der Herr Kandidat, ein sachlicher fesselnder Redner, behandelte aus führlich das Programm der deutschen Resorm- partei. An der Politik der Reichsregierung übt ;der Redner Tadel, ebenso an der Zu sammensetzung des „Steuerbuketts", daß der letzte Reichstag gutgeheißen, nach Ansicht des Redner» hätten jedoch verschiedene Steuern, so z. B. die Erbschaftssteuer viel höher und weitreichender gegriffen werden müssen. In der Kolonialftage steht Redner vollständig auf nationalen Boden und tritt sür Bewilligung der nöligen Mittel zur völligen Niederwerfung de» Ausstande« und sür Hebung der Kolonien ein. Die bei Beginn der Versammlung eingeräumte Redefreiheit wurde in ausgiebigster Weise benutzt, e« sprachen allein fünf Redner der sozialdemokratischen Partei, wovon besonders Herr Lehmann den Standpunkt sein-r Partei darlegte. Herr Fabrikbesitzer Boheim sprach sachlich und sehr geschickt gegen die Sozial demokratie sür die nationale Sache. Die Versammlung s-lbst verwies sich in vi-ler Beziehung interessant, und eine große Anzahl Wähler wird in ihr Aufklärung und An regung gefunden haben. Di« liberale Wahlagitation im Wahl kreise Drr»den-Neustadt ist z. Z. in lebhaftestem Gange. Schon seit einiger Zeit spricht der Kandidat vr. Barge, jeden Tag im Wahlkreise, neuerdings sogar öfter« zweimal an einem Tagt. Dit Versammlungen waren bisher fast ausnahmslos vollständig überfüllt und nahmen durchweg «inen sehr guten Verlaus. Ein zweite« Flugblatt wird in großer Zahl im Kreist verbrritet. Außerdem aber treten die liberalen Redner auch in zahlreichen gegnerischen Versammlungen aus. Insbesondere Huben sic ihren Standpunkt bisher in nicht weniger als 12 großen sozialdemokratischen Versammlungen energisch vertreten und zwar nicht nur im eigentlichen Dresdner Stadtbezirk, sondern auch in den Vororten und darüber hinaus: in Kaditz, Mickten, Wahnsdors, Weixdorf, Moritzburg und Radebeul. Es kann nicht geleugnet werden, daß auf diese Weist ein gutes Teil Aufklärung in kolonialer und nationaler Beziehung in die Arbeiterkreise getragen wird; hat doch einer der Redner, «in Afrikaner, in einer der Ver sammlungen sogar ansehnlichen Beifall ge funden. Die Agitation wird bis zum Wahl tage mit aller Energie weitergesührt werden. Alle Freunde der Sache werden dringend ge beten, nach Möglichkeit finanziell und persönlich mitzuhelfen, sei e» als Diskussionsredner, sei t« durch Mitwirkung bei dec Organisation oder sonstwie. Anmeldung beim Liberalen Wahl- Bureau, Hollacks Restaurant, Dresden-Neustadt, Königsbrückerstraße 10, nachmittags« 3—6 Uhr und Sonntag vormittags, Geldsendungen an Herrn vr. v. Mangoldt, Dresden-Altstadt, Bergstraße 44. —* Die Einnahmen der sächsischen Staats- risenbahnen betrugen nach den vorläufigen Festsetzungen im Monat Dezember 1906 ins gesamt 11378000 Mk. Gegenüber dem gleichen Monat des Jahres 1905 sind dies 122440 Mk. mehr. Hiervon erbrachte der Personenverkehr 3 702 000 M., mehr 118 390 M und der Güterverkehr 7 676 000 M., mehr 4050 M. Hiernach ergab sich für daö Jahr 1906 eine Gesamtcinnahme von 143958977 M., welche die de« Jahres 1905 um 9 820059 M. also nahezu um 10 Mill. Mark übersteigt. Dieses Ergebnis kann als sehr günstig bezeichnet werden und läßt den andauernden wirtschaftlichen Aufschwung deutlich erkennen. Aus dem Personenverkehr stammten hiervon 49 464548 M., mehr 2 990 752 M., und aus dem Güterverkehr 94594 429 M.. mehr 6829 307 M. Dresden. Se. Majestät der König hat genehmigt, daß der Amtsrichter bei dem Amts gerichte Pirna Christian Ernst Julius Ludwig Sächtling vom 1. April ab an das Amtsgericht Königsbrück versetzt werde. Großvoigtsberg. Im hiesigen Dorsbach wurde der Leichnam eines neugeborenen Kinde» weiblichen Geschlechts gesunden. Die Mutter des Kindes ist noch nicht ermittelt, Zittau. Der hiesige, älteste Gasthof, da« Hotel ^Goldene Sonne, wurde am Freitag abermals zwangsweise versteigert. Die auf dem Grundstück ruhende Hypothekenlast beträgt 205000 M. während der Wert des Grund stück« aus 247350 M. geschätzt ist. Das Höchstgebot gab die frühere Inhaberin des Hotels, Frau verw. Schröter, mit 140300 M ab, worauf ihr auch der Zuschlag erteilt wurde Da« Hotel ist erst im September vorigen Jahres zwangsweise versteigert und damals von den Restaurateur Heiland au« Dresden für 2050 00 M. erstanden worden, Da die ein- gegangenen Verpflichtungen nicht eingehalten wurden, mochte sich eine neue Zwangsver steigerung notig. Chemnitz. Seit etwa 4 Monaten wurde in Chemnitz und Umg. zahlreiches falsche« Geld in Umlauf gebracht, meist Zw-imarkstücke. Jetzt ist e« den Bemühungen der Polizei ge lungen, eine förmliche Falschmünzerbande aus» zuheben. Zunächst wurde in Lichtenstein ein schon oft vorbestraftes Subjekt, ein 29 Jahre alter Eisengießer aus Chemnitz festgcnommen, al« er eben wieder falsche Geldstücke veraus gaben wollte. Die Polizeiverwaltung zu Lichtenstein teilte gleichzeitig der Chemnitzer Kriminalpolizei mit, daß ein zweiter Gauner nach Verausgabung von Falschstücken die Flucht ergriffen und sich möglicherweise nach Chemnitz gewandt habe. Daraufhin glückte eö der Chemnitzer Kriminalpolizei, diesen zweiten Falschmünzer in der Person eine« ebenfalls schon mehrfach vorbestraften 21jährigen Händlers aus Lichtenstein sestzunehmen und in dessen Gesellichasr zwei weitere Mittäter einen 28 jährigen Handarbeiter aus Bernsdorf bei Chemnitz und einen 27 jährigen Handarbeiter aus Chemnitz in Nummer Sicher zu bringen. Die Verhafteten waren sämtlich in Chemnitz wohnhast. Die Haussuchungen, die alsbald bei ihnen vorgenommen wurden, ergab ein er kleckliches Sümmchen Falschgeld, ferner Form kästen, Metalle, die zur Herstellung der falschen Geldstücke verwendet wurden, Werk zeuge u. a. m. Alle Gegenstände wurden be schlagnahmt. Crimmitschau. In diesen Tagen jährt es sich zum dritten Male, daß der große Streik der hiesigen Weber sein Ende erreich Hatte auch die hiesige Industrie im ersten Jahre nach dem Streik heftig zu kämpfen, so >at sie sich in den darauf folgenden Jahren lereits wieder auf die frühere Höhe gebracht. Gegenwärtig sind die hiesigen Webfabriken der maßen gut beschäftigt, daß die vorliegenden Aufträge nur mit Ausbietung aller Kräfte er- edigt werden können. Es sind sogar in etzter Zeit verschiedene Belriebserweiterungen )urch Ausstellung neuer Webstühle erfolgt. Bei einem großen Teil der Weber sind auch in den letzten Jahren die Löhne etwas aufgebessert worden. Pockwa. Schwerverletzt wurde der Porzellan- maler Hofmann in Oderhohndorf, wahrscheinlich nfolge einer Verwechslung überfielen ihn in )er Nähe der sogenannten Tautenhaffchen Linde zwei unbekannte Männer, die mit Messern auf ihn losstachen und mit einem so genannten Gummi-Totschläger schlugen, daß er blutüberströmt zusammensank. Auf zwei zu Hilse eilende Männer schossen die Rowdys, zogen dann ober vor, zu verschwinden. Jeden alls liegt ein Racheakt vot. Falkenstein. Ein großer Schaden ist der siesigen englischen Gardinenweberei, der Dresdner Gardinen-Aktiengesellschast gehörig, entstanden. Re Dampfmaschiene blieb plötzlich infolge eines Defektes unter lauter Detonation stehen. Es wird mehrere Tage dauern, ehe der Betrieb voll gehen wird. Netzschkau. AuS einer hiesigen Färberei rnd schon seit längerer Zeit Waren gestohlen worden, was dem Verlustträger recht empfindlichen Schaden zusügte. Von verschiedenen Tuchrollen waren von Zeit zu Zeit Stücke abgeschnitten worden. Jetzt gelang e«, einem im Betriebe beschäftigten Arbeiter einige Diebstähle nachzu weisen. Nus der Woche. Je näher der Wahltermin heranrückt, um so höh-r gehen die Wogen der Erregung. Ein altes Bild, und nur für den interessant, der abseits von der Parteien Haß und Gunst das bunte Wechselspiel, das man „Wahllaklik" nennt, zu überblicken vermag. Aus der Fülle der üblichen und genugsam bekannten Wahl vorgänge hebt sich aber diesmal einer besonders hervor: da« Auftreten des neuen Kolonial- direktor» Dernburg, der in fleißiger Werbe arbeit für die Kolonien eintrttt. In Berlin, Hamburg, Dresden, München, Stuttgart läßt er sein gewaltiges Wort erklingen und ein breiter Strom begeisterter Anhänger war schon sein eigen. Das Ungewöhnliche hat Un gewöhnliches im Gefolge. Man hat den schneidigen Kolonialdirektor (ohne sein Wissen und ohne seinen Willen natürlich!) in ver schiedenen Wahlkreisen als Reichstagekandidaten ausgestellt. Die Sache an sich ist nicht übel. Zeigt sie doch, daß weite Kreise Vertrauen zu dem neuen Manne haben. Aber praktischen Wert hat eine solche Aufstellung nicht, die über dies auch nur die Stimmen zersplittert. Denn sollte Dernburg wirklich hier oder dort gewählt werden, so müßte er sein Amt als Kolonial direktor niederlegen, um sein Mandat ausüben zu können. Nun, der Schritt vom Bank- zum Kolonialdirektor war, wenn er auch finanzielle Einbuße bedeutete, allenfalls noch zu machen: denn junger, überschäumender Kraft bot sich au dem kolonialen Felde reiche Tätigkeit; aber der Schritt vom Kolonialdirektor zum einfachen M- d. R. ist doch zu weit und würde außerdem auch die eben liebgewonnsne Tätigkeit wieder unliebsam umgrenzen. — In Frankreich find die Verhältnisse unverändert. Der Kirchenstreit ist auch nach den neuen Gesetzen des „Ver- mittelungsministers" Briand noch nicht bci- gelegt, da der Papst nach wie vor an seinem früheren Standpunkt unverrückbar festhält Wenn aber nicht alle Anzeichen trügen, hat das Trennungsgesetz und die ganze Art seiner Durchführung dem Minister Clemenceau mehr Feinde wie Freunde geschaffen; denn die Ver öffentlichungen des ehemaligen Ministers Combes in der Wiener „Neuen Freien Presse" zeigen, daß ein großer Teil der einstigen lnhänger ClemenceauS jetzt gegen ihn Franz macht, weil er das Trennungsgesetz nicht chneidig genug handhabe. Auf der andern Seite wiederum wird die Durchführung des Trennungsgesetzes eine Vergewaltigung eines großen Teils der Volksgenossen genannt, ein grausamer Willkürakt, der eines freien Landes unwürdig sei. Noch hat zwar Herr Clemenceau die Mehrheit in der Kammer sür sich, aber diese Mehrheit ist keine erdrückende mehr, wie >nst. — In der abgelausenen Woche ist wieder einmal besonders viel von der zweiten Hmger Friedenskonferenz die Rede gewesen. die Veranlassung dazu bot der überraschende Entschluß der japanischen Regierung, der Ver handlung der Abrüstungsfrage im Haag zu- immen zu wollen. Begründit wird diese merkwürdige Meinungsänderung mit der Finanzlage des Landes, die eine dauernde Rüstung in keinem Falle vertrage. Da auch Italien durch seinen Minister des Aeußern, "iltoni, die V-rsicherung abgab, man werde aus der F iedenokonlerenz jedem Beschlusse zu- 'timm'N. der auf eine sofortige, gleichzeitige Abrüstung aller Nationen hinzielt, so ist nur noch Deutschland mit seinem Bundesgenossen Oesterreich-Ungarn übriggeblieben. Die beiden Regierungen weigern nach wie vor eine Be sprechung der Abrüstungsfrage. Und mit Recht. Denn eine sofortige und gleichzeitige Abrüstung der Völker bietet keine Gewähr für einen Macbtauögleich. Wer im Falle dec Not viele Bundesgenossen hat, braucht naturgemäß zu einem VerteidigungS- oder Angriffskriege viel weniger Militär, als eine Macht, die auf sich allein angewiesen ist. An dieser Klippe wird bis auf weiteres die Abrüstungsfrage wohl scheitern. — In Rußland haben sich die Verhältnisse nach einer Zeit, die sich durch eine gewisse Ruhe auszeichnete, wieder be deutend verschlechtert. Der politische Mord ist wieder an der Tagesordnung, Raub und Plünderung ein gewöhnliches Ereignis. Und je mehr die Regierung ihre Machtmittel an spannt, der Unordnung Herr zu werden, je unheimlicher werden die Mordtaten der Terroristen. Unter diesen Umständen kann man auch von der neuen Duma nicht viel er warten. Auf der einen Seite von dek Regierung, auf der andern von den unbe kannten, überall tägigen Meuchelmördern be droht, werden die Abgeordneten der zweiten Duma wohl schwerlich zu gewinnbringender Arbeit kommen. — Das Abenteuer in Marokko, das eine Zeitlang zu einem weltgeschichtlichen Drama zu werden drohte, ist glücklicherweise zu einer Vosse geworden, deren Held' der Räuberhauptmann Raisuli, Tangers abgesetzter Gouverneur, augenblicklich spurlos von der Bühne verschwunden ist. Ob er wieder auf taucht oder sich zu dem Thronprätendenten Bu Hamara schlägt, ist für die Ereignisse im nordafrikanischen Sultanat vollständig bedeutungs los Unter dem Druck der Mächte beginnt dort eine friedliche fortschrittliche Entwickelung. — Mohammed Ali, Persiens neuer Herr, der im Gegensatz zu seinen Vorfahren und seinen Untertanen nur eine Frau (seine Cousine) sein eigen nennt, scheint mit Rußlands und Englands Freundschaft nach und nach brechen und sich dafür an sein Volk anschließen zu wollen. Auf dem Marktplatz zu Teheran ließ er einen Fernsprecher anbringen, der zu seinen Schlosse führt, damit jedem Untertan Gelegen heit gegeben ist, mit seinem Herrscher direkt zu verkehren. Die Absicht ist gut, aber wie lange wird der „König der Könige" die Klingelei ertragen? Oder denkt der neue Herrscher mit der Weisheit des morgen ländischen Spruche»; „Wo Geräusch ist, hört man nichts I?"