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Alice zuckte erschreckt zusammen. „Sie sollten das nicht sagen, Fräulein Cora," meinte sie dann scheu und leise, „ich bin doch keine Zigeunerin oder Wahrsagerin!" „Ei, Alice — Du wirst doch Spaß verstehen?" fragte ich lachend, und dann sprachen wir von Verschiedenem, was noch zu besorgen war, worauf Alice nur versprach, mich am nächsten Tage in verschiedene Läden zu begleiten. „Sagen Sie mir, Fräulein Cora," fragte Alice plötzlich, „wohin gehen Sie denn eigentlich, wenn Sie von der Hochzeits reise znrückkommen?" „Es ist noch nicht bestimmt, wo wir wohnen werden, Alice," sagte ich hastig, „jedenfalls aber irgendwo in Cam bridgeshire — hoffentlich finden wir ein Haus in der Nähe von Cambridge selbst." „Ja," nickte Alice, und dies ,ja' machte mich fast ärger lich, denn es klang gerade so, als ob Alice weit mehr wisse, als ich selbst. In diesem Augenblicke klang vom Garten Herr ns Harrys Stimme — er hatte mich am Fenster gesehen, und als er jetzt meinen Namen rief, warf ich meine Arbeit bei Seite und eilte hinunter. Arm in Arm auf- und abgehend, hatten wir einander alles Mögliche zu erzählen, und plötzlich sagte Harry: „Wenn's mir nachginge, mein holdes Lieb, würdest Du an unserem Hochzeitstage anstatt des Myrtenkranzes einen Kranz von Vogelbeeren in Deinen braunen Locken tragen." Ich mußte herzlich lachen, aber Harry blieb ganz ernst und meinte, die rothen Vogelbeeren seien seine Lieblinge, und später wolle er mir auch sagen, weshalb. „Sage mir's doch jetzt," bat ich. „Nein — erst wenn wir verheirathet sind, mein Liebling." „Am Ende hängt Deine Vorliebe mit irgend einer jungen Dame zusammen?" forschte ich neckend. Zu meiner Bestürzung ward Harry glühend roth, und das gab mir zu denken; vielleicht verstand er meinen Gesichts ausdruck richtig zu deuten, denn er sagte nach einer Weile sanft und leise: „Cora — Du bist die einzige Dame, welche je für mich in Frage kam!" Zweifelnd blickte ich ihn an, aber als er dann davon sprach, was ivir nach jenem achten September beginnen würden, da wandten sich meine Gedanken sofort von der Vergangen heit ab und der Gegenwart zu. Jetzt erschien mein Vater am Fenster der Bibliothek und winkte uns, hereinzukommen. Mein Vater hatte sich in diesen vierzehn Tagen viel mit Harry beschäftigt, und es schien mir, als ob er großen Gefallen an ihm fände, während Harry so ehrfurchtsvoll und zartfühlend ihm gegenüber war, daß er schon allein dadurch mein Herz hätte gewinnen müssen, wenn es nicht schon das seine geworden wäre. Was mich besonders beglückte, war meine Uebcrzeugung, daß Harry nicht nur mir zu Liebe so herzlich gegen meinen Vater war, und ich glaube, mein Vater fühlte das ebenfalls. Als wir jetzt in die Bibliothek traten, sahen wir meinen Vater an seinem Schreibtische sitzen, der mit amtlich aus sehenden Papieren und Schriftstücken bedeckt war. Harry einen Wink gebend, bat er ihn, Einsicht von verschiedenen zu nehmen und, während die Beiden sich mit leiser Stimme über Dies und Jenes beriechen, wollte ich rasch hinauf in mein Zimmer schlüpfen, um meine Arbeit zu holen. Als ich aber die Hand auf den Thürgriff legte, blickte mein Vater auf, und mich ernst ansehend, sagte er: „Bleib' hier, Cora — ich habe hernach mit Dir zu sprechen." Gehorsam kehrte ich an meinen Platz zurück, und dann zerbrach ich mir den Kopf darüber, was wohl mein Vater mit mir zu bereden haben könne — im allgemeinen hatte er noch nie den Wunsch geäußert, meine Ansichten zu hören, und wenn ich an die Zukunft dachte, mußte ich mir mit bitterem Kummer eingcstehen, daß er mich kaum vermissen werde. Plötzlich legte mir mein Vater die Hand auf die Schulter und sagte freundlich: „Komm' her, Cora — setze Dich zu uns und laß uns das Programm des Tages, welcher eine, so Gott will, glückliche Aera in Deinem Leben einleiten soll, fest stellen." Ziemlich widerwillig leistete ich der Aufforderung Folge — es war mir nicht angenehm, meine und Harrys Zukunftspläne mit meinem Vater zu erörtern, denn ich fühlte, daß er selbst von jedem Antheil an dieser Zukunft aus- geschlosfen sein wollte. Mein Vater schien indeß meine Stim mung nicht zu bemerken, er stellte verschiedene Fragen an uns Beide und sagte dann mit leisem Lächeln: „Alles in allem ist's für Sie, lieber Harry, doch ein Glück, daß Cora nicht die reiche Erbin ist, für welche sie während ihrer Kind heit galt, denn wenn sie Besitzerin des Familiengutes wäre, würde ihrem Gatten die Verpflichtung abgelegen haben, seinen Namen abzulegen und den ihrigen anzunchmen — eine Be dingung, die entschieden härter ist, als die, den Brautstand auf drei Wochen zu beschränken." Nachdem mein Vater geendet hatte, entstand eine kleine Pause; zufällig zu Harry, der neben mir saß, aufblickend, sah ich sein sonst ziemlich bleiches Gesicht von glühender Röthe überfluthet — zugleich hatte ich die deutliche Empfindung, daß er es absichtlich vermied, meinem Blick zu begegnen. Und dann nahm er das Wort; seine Stimme bebte in einer Erregung, welche durchaus nicht im Verhältniß stand zu der Wichtigkeit des soeben Besprochenen, und als ich, von un bestimmter Angst erfaßt, seine Hand ergriff und lecse drückte, fühlte ich, daß diese eiskalt war. „Coras Besitz," sagte er jetzt, „gilt mir mehr, als das kleine Opfer, einen unbedeutenden Namen gleich dem meinen mit dem ihren zu vertauschen, und wenn Sie mir gestatten wollen, fortan den Namen Southcote zu führen, werde ich Ihnen beweisen, daß lch die Ehre, welche mir durch dies Zu- geständniß zu Theil wird, voll zu würdigen weiß. Ich stehe allein in der Welt, ich habe keinerlei Rücksichten auf Familien satzungen zu nehmen, und wenn ich's nicht für unbescheiden ge halten hätte, würde ich Ihnen schon selbst den Vorschlag ge macht haben, mich fortan den Namen Southcote tragen zu lassen. Sie besitzen keinen Sohn, aber indem Sie mir Cora anvertrauten, geben Sie mir mehr als den Namen, den führen zu dürfen und dadurch Ihr wirklicher Sohn zu werden, ich Sie hierdurch inständigst bitte!" Mein Vater warf einen forschenden Blick auf Harry. „Als ich in Ihrem Alter war, junger Mann," sagte er dann langsam, „hätte man mir alle Schätze der Welt bieten dürfen, ohne daß ich dafür meinen Namen hergegeben haben würde!" Wieder stieg dunkle Gluth in die Züge meines Verlobten, und ich selbst hätte in diesem Augenblicke gewünscht, er möchte sich nicht bereit erklärt haben, das Opfer, welches ich voll zu schätzen wußte, um meinetwillen zu bringen. „Ihr Name war Ihnen ein kostbares Erbtheil, Herr South cote," entgegneteHarry jetzt ernst, „in den Traditionen derFamilie aufgewachsen, haben Sie diesen Besitz kennen und schätzen ge lernt, während ich in frühester Jugend verwaist, keinerlei Er innerungen besitze, welche untrennbar mit meinem Namen verknüpft wären. Nicht, daß tch Ursache hätte, mich meines Namens zu schämen," fuhr er lebhafter fort, „nein, Herr Southcote, ich darf sagen, daß ich denselben stets mit Ehren getragen habe, aber um Coras wie um Ihretwillen will ich fortan gern den Namen Southcote führen, wenn dies Ihren Wünschen entspricht?" „Ich bin nicht selbstlos genug, um diese Frage zu ver neinen," sagte mein Vater, jetzt sichtlich erfreut; „ich habe mir stets einen Sohn gewünscht, der unseren alten Namen weiter führen könnte, und da Sie den Vorschlag gemacht haben, nehme ich ihn unbedenklich an. Unter anderen Um ständen würde ich gering von dem Manne denken, der so bereitwillig seinen Namen mit einem anderen vertauscht, aber in diesem besonderen Falle bin ich Ihnen von Herzen dankbar für Ihr Opfer, und es wird mir ein lieber Gedanke sein, daß niein Kind auch nach seiner Verheirathung noch Coralie Southcote heißt." Die letzten Worte meines Vaters ließen mich leise auf schluchzen, und ich schalt mich thöricht, daß ich jemals an seiner Liebe für mich hatte zweifeln können. Es war seine stolze, zurückhaltende Natur, die ihn im täglichen Leben so kühl und streng erscheinen und jeden Gefühlsausbruch als unpassend unterdrücken ließ. Zu Harry aufsehend, gewahrte ich, daß er immer noch heftig erregt war und mit sichtlicher Spannung jede Bewegung in den Zügen meines Vaters verfolgte. Mehrmals schien es mir, als ob er sprechen wolle, doch dann schloß er seine