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in den Garten treten; Harry sprang auf und ging dem Ge- mit Alice zu besprechen. Als ich später zu Tisch herabkam, fand ich außer meinem diesem Bilde strahlend glücklich aus, und als ich dies äußerte, Verlobten auch Herrn Osborne Apfeldiebe. (S. 7.) entgegnete Herr Osborne weh- müthig: „Ja — so lange sie Helene Norton hieß, war sie auch glücklich — der Sonnen schein war ihre Lebensbedin gung, und als dieser aus ihrem Leben schwand, siechte sie da hin und starb." „Und wie gelang es Ihnen, dies Bild anfertigen zu lassen, Herr Osborne?" fragte ich nach einer Weile. „Ich selbst hatte in früherer Zeit eine Bleistiftskizze von Helene angefertigt, und nach dieser sowohl, wie nach einer Photographie, welche sich im Besitze Ihrer Verwandten mütterlicherseits befand, hat ein geschickter Maler dies kleine Bildniß aus geführt." „Meiner Verwandten müt terlicherseits? fragte ich er staunt. „Ich habe niemals davon gehört, daß wir über haupt Verwandte besitzen, Herr Osborne!" „Ei — haben Sie den jungen Southcote vergessen, Cora?" rief Herr Osborne sichtlich unangenehm über rascht. „Er hat's wirklich an keinen Bemühungen, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, fehlen lassen, und es thut mir leid um Ihren Vetter, daß Sie ihn so vollständig igno- riren!" „Ich kenne ihn nicht, Herr Osborne," sagte ich abweisend, „und ich hege auch nicht den Wunsch, ihn kennen zu lernen — ich glaube nicht, daß wir in irgend einer Hinsicht zusam menpassen oder übereinstimmen würden!" „Woher wollen Sie denn das wissen, da Sie ihn nicht kennen, Cora? Aber ich — ich kenne Edgar Southcote, und ich sage Ihnen, Sie wer den nicht leicht seines Gleichen finden! O, Cora, wenn Sie das Bild Ihrer Mutter an sehen, erinnern Sie sich daran, daß sie an einer vorgefaßten Meinung, die jeglicher Grund lage entbehrte, zu Grunde ge gangen ist! Sie sind leider Gottes weit mehr das Kind Ihres Vaters, als Ihrer Mutter — hüten Sie sich vor der Klippe, an welcher das Glück Ihrer Eltern scheiterte und zerschellte! Wenn Sie anwesend; anfänglich störte mich das, aber bald war ich mit seiner Gegenwart ausge söhnt, da mein Vater fast gar nicht sprach und Herrn Osbor nes gleichmäßige Heiterkeit auf die Dauer ihren Einfluß auf ihn doch nicht verfehlte. Harry war sehr lebhaft und aufgeregt — mitunter schien er mir nicht frei von Zwang, und alles in allem war ich froh, als die Mahlzeit sich ihrem Ende näherte. Nach aufgehobener Tafel entfernte sich Harry mit dem Versprechen, später nochmals kommen zu wollen, und nachdem mein Vater sich zurückgezogen hatte, um sein kurzes Schläfchen zu machen, zog Herr Osborne ein kleines Etui von braunem Saffian aus der Tasche und sagte leise: „Cora — hier bringe ich Ihnen ein kleines Hochzeitsgeschenk — ich weiß, Sie werden's gern tragen." Das Etui öffnend, erblickte ich eine feine goldene Hals kette, an welcher ein großes, mit kostbaren Steinen besetztes Medaillon hing. Einen Aus ruf der Bewunderung aus stoßend, entnahm ich das Schmuckstück seinem Behälter, und nun erst entdeckte ich, daß die Rückseite des Medaillons ein in zarten Farben ausge führtes reizendes Frauenköpf chen umschloß. „Ach — welch reizend liebliches Gesichtchen," rief ich entzückt. „Armes Kind — ich ahnte eS, daß Sie das Bild nicht kennen würden," murmelte Herr Osborne, sich mit der Hand über die Augen fahrend. „Es stellt meine arme Mama vor?" fragte ich athem- los. „Ja — ich weiß, daß nur ein einziges kleines Bild von ihr existirt und daß Ihr Vater dasselbe unter sicherem Ver schluß hielt — er zeigte es Niemandem und wird alle Ihre Fragen nach einem etwaigen Bilde Ihrer verstor benen Mutter dahin beant wortet haben, daß kein solches vorhanden sei, nicht wahr?" Ich nickte stumm. - Mit Thränen in den Augen betrachtete ich das holde, lehrten entgegen, während ich ins Haus eflte, um noch Einiges von hellblondem Haar umrahmte rosige Gesichtchen mit seinen mit Alice zu besprechen. süßen, blauen, lachenden Augen — meine Mutter sah auf „Es gab eine Zeit," fuhr Herr Osborne fort, „in welcher ich Ihre Mutter geliebt habe; es brach mir nicht das Herz, daß sie einen Andern mir vorzog, allein vergessen habe ich sie niemals, und Sie, Cora, sind mir um so lieber als Helene Nortons Tochter." glauben, ein Unrecht erlitten zu haben, sprechen Sie sich aus, und wenn es sich erweist, daß dies Unrecht nicht nur in Ihrer Einbildung besteht, vergeben Sie es — es ist das schöne Vorrecht Ihres Geschlechts, vergeben zu dürfen! Aber wohin gerathe ich," unterbrach sich hier Herr Osborne plötzlich Photographie-Bcrlag von Franz Hanfstängl in München.