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ich mich verrathen und betrogen! Herr Osborne, mein Vater, Alice — o, wie sie über mich lachen mochten! All diese schlimmen Gedanken zogen niit Blitzesschnelle durch meinen Kopf, und dann meinte ich, wenn ich allein sei, werde ich mich eher in das Geschehene finden können. Ich drückte auf die elektrische Glocke, Harry blickte mich fragend an, und ich sagte kurz: „Ich will mir nur von der Dienerin mein Zimmer zeigen lassen." „O, Cora — darf ich das nicht thun?" „Nein, ich danke," gab ich finster zurück, und als jetzt ein Diener erschien und nach meinen Befehlen fragte, gebot ich ihm, mir eins der Stubenmädchen zu schicken, damit es mich in mein Zimmer begleite. Gleich daraus erschien ein frisches, hübsches Mädchen in schwarzem Kleide und weißer Schürze, belud sich mit meinem Mantel und führte mich ins erste Stockwerk in das Zimmer, welches ich als Mädchen bewohnt hatte. Das Mädchen, welches mich aufmerksam und geschickt bediente, blieb, nachdem ich geäußert hatte, ich bedürfe für jetzt nichts weiter, ab wartend an der Thüre stehen, und endlich fragte es schüchtern: „Die gnädige Frau kennen mich gewiß nicht mehr — ich bin ja Anny Winter — die Nichte des alten Winter, der so lange Diener beim Vater der gnädigen Frau gewesen ist." „Ah, wirklich — lebt Ihr Onkel noch?" „Das will ich meinen, und wie freut er sich darauf, die gnädige Frau, die er als Kind kannte, wiederzusehen." „Nun, grüßen Sie ihn einstweilen und bestellen Sie dem gnädigen Herrn, ich würde heute Abend nicht mehr Hinunter kommen und ließe ihm Gute Nacht wünschen, ich bin müde und will zu Bette gehen." Anny-knixte und entfernte sich, während ich wie zerschlagen in den niedrigen Sessel sank, der am Kamin stand. In die sprühenden Flammen blickend, suchte ich mir klar zu machen, was nun werden sollte. Daß ich Edgar Southcotes Gattin war, stand fest, und mit Scham und Zorn empfand ich das immer wieder. Harry Southcote, der Mann, der mich um worben, dessen Liebe ich erwidert und in dessen Hand ich ver trauend die meine gelegt, war für mich gestorben, und an seiner Stelle stand der verhaßte Vetter, der mich durch eine Täuschung gewonnen hatte — er gedachte mich für den Verlust von Cottisivalde zu entschädigen, indem er mich heirathete! Zufällig berührte meine Hand das Medaillon mit dem Bilde meiner Mutter — ich fragte mich mit bitterem Hohn, ob diese an mir verübte Täuschung wohl gar der Segen sei, den das Bild mir verbürgen gesollt? Jedenfalls mochte ich das Me daillon fürs erste nicht mehr sehen — ich löste die Kette, die ich seit meiner Hochzeit beständig getragen, von meinem Nacken und legte den Schmuck bei Seite. Jeßt klopfte eS; ich rief Herein, und auf der Schwelle stand mein Gatte mit einem Diener, welcher ein silbernes Tablet mit Thee und kalter Küche trug. Nachdem der Diener das Tablet abgesetzt und sich wieder entfernt hatte, fragte Harry, der noch immer neben der Thür stand, mit gepreßter Stimme: „Cora — darf ich näher treten?" „Weshalb fragst Du?" entgegnete ich bitter, „Du bist der Herr dieses Hauses — mir steht nicht das Recht zu, Dich von mir zu weisen!" „O, Cora," murmelte er kummervoll, „nicht diesen Ton — wenn ich gefehlt habe, so bin ich mehr als hinreichend dafür bestraft!" Forschend blickte ich ihm ins Gesicht — nein, das war nicht mein Harry — wo hatte ich nur meine Augen gehabt? Zug für Zug erkannte ich das Gesicht des schönen Knaben wieder, der damals nach Cottisivalde gekommen war — Harry war ein Ideal gewesen, welches nie existirt hatte, und Edgar Southcote, der Betrüger, stand vor mir. „Berücksichtige die Verhältnisse, Cora," bat mein Gatte jetzt flehend, „und frage Dich, ob ich noch nicht genug gelitten habe! Anstatt der freudigen Erwartung, mit welcher sonst ein junger Ehemann dem Augenblick entgegensieht, in welchem er seine heißgeliebte junge Gattin in sein Heim führen darf, sah ich dem heutigen Tage mit bangen Befürchtungen entgegen, und diese Befürchtungen sind leider Wahrheit geworden. Und doch bin ich noch derselbe Mann, zu welchem Du vor wenigen Stunden sagtest: „Bin ich nicht Dein Weib?" — derselbe, der am Altar geschworen hat, Dich zu lieben und hochzuhalten — derselbe, an dessen Hand Du Dein Vaterhaus verließest! Cora—ich habe dich getäuscht—fern sei es von mir, meinenFehlbeschönigen zuwollen, aber der Beweggrund dieser Täuschung war meine Liebe zu Dir! Du kannst mich verdammen, wenn Du willst, allein Du kannst nicht leugnen, daß ich der Mann sei, dem Du Dein Herz geschenkt hast!" „Gerade das leugne ich," versetzte ich hart, „Du bist nicht Harry — Du bist Edgar Southcote! Edgar Southcote hätte ich niemals Herz und Hand geschenkt — der, dem ich Beides gab, ist todt, und weder auf Erden noch im Himmel werde ich ihn je wieder finden! Du hast meinen Harry gemordet, wie Du mein Herz gemordet hast — was that ich Dir, daß Du mich so unglücklich machen mußtest! Du redest Dir ein, Du müßtest mich großmüthig dafür entschädigen, daß Dir Cottis- walde zufiel und —" „Ach, Cora — wohin verirrt sich Deine Leidenschaft," unterbrach mein Gatte mich mit tiefem Schmerz, „hast Du denn nicht einen Funken von Mitleid für mich, daß Du mir solche Worte sagen kannst?" „Nein," rief ich hart, „ich verlange kein Mitleid, aber ich empfinde auch keines für Dich — ich verlange nur Gerechtig keit! Mitleid ist demüthigend für mich — verschone mich ein für alle Mal damit! Und nun laß mich allein — ich muß in Ruhe darüber nachdenken, was nun werden soll." (Fortsetzung folgt.) Im „WofengärLchen". Erzählung von Hedwig Hoepfner. „Und kommst du dort am grünen Rhein Ins liebe kleine Städtchen, Dann grüße mir den goldnen Mein, Und grüß' mir auch das Uäthchenl" ^Ko hatte der dichterisch veranlagte Freund geschrieben, als er Doktor Fritz Treutler anempfahl, auf seiner Rheinreise ein paar Stunden Rast in dem altersgrauen, poesieumwobenen Nestchen zu machen, an dessen Landungsbrücke der junge Privatdozent eben lehnte und dem Dampfer nachschaute, welcher ihn hierher ge- bracht hatte. „Laß' die modernen Hotels, die leider auch schon diesem trau lichen Flecken die Gemüthlichkeit rauben wollen, beiseite," hatte der Frennd gerathen, „und geh' ins „Rosengärtchen", das ist ein kleines Gasthaus, beinahe unmittelbar am Landungsplatz der Schiffe: Du kannst es nicht verfehlen. Es zeichnet sich aus durch seinen Rosenflor, sowie vor allem durch den edlen Tropfen, auf den der Wirth hält .und den das liebliche Haustöchterchen, das Käthchen, jedem Gast kredenzt." Das hatte Doktor Fritz Treutler sich nicht zweimal sagen lassen, und darum wandte er sich jetzt suchend der Häuserreihe zu, die das Ufer besetzte. Da — dies rosenumkrünzte Haus mußte das betreffende sein, es war gar kein Zweifel! Die Pforte des kleinen Vorgartens war weit und einladend geöffnet, und er trat ein. Ein wenig unbelebt für ein Wirthshausgärtchen sah eS hier freilich aus. Nur einige Stühle und Tische standen umher. Vor einem Rosenbeete kniete ein junges Mädchen. Eine blonde Haar fülle quoll unter dem großen Strohhut hervor. Sicher, das war das Käthchen. Doktor Fritz Treutler entdeckte einen kleinen Altan, der einen herrlichen Ausblick auf Deutschlands stolzesten Strom gestattete. Hier ließ er sich nieder. In diesem Augenblick wandte das Mädchen den Kopf nach dem Gaste um und sprang mit einem Aufschrei des Erschreckens oder Staunens empor. Fritz Treutler sah bewundernd in ein reizendes Antlitz. Er begriff jetzt schon, warum sein Freund dem „Rosengärtchen" eine so liebevolle Erinnerung bewahrt hatte. „Bitte, schöne Rheinnixe, auf ein Wort!" rief er hinüber. Sie kam näher. „Kann ich eine Flasche Rüdesheimer bekommen?" sagte er. Nun lächelte sie. „Da muß ich erst den Vater Rhein fragen," erwiderte sie. „Hoho, bin ich bei dem Alten selber zu Gaste?" scherzte er. Sie nickte ernsthaft, nur in ihren Augen sprühte es schelmisch. „Gewiß, mein Herr," bestätigte sie. „Dies ist seine Privatwohnung, und nur wenigen Sterblichen ist es vergönnt, hier hereinzukommen!" „Vater Rhein, höre einmal!" rief sie jetzt einem sich nähernden Herrn zu.