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Der Angerufene blieb stehen. Leichtfüßig sprang sie zu ihm hin, hing sich an seinen Arm und sagte ihm einige Worte. Dann eilte sie davon, während der Herr auf den Doktor zuschritt und ihn freundlich willkommen hieß. Der Doktor blickte in ein joviales, von weißen Haaren um rahmtes Gesicht. Ein gewaltiger Schnurrbart gab demselben ein martialisches Aussehen. „Meine Tochter bringt gleich den gewünschten Wein," sagte der alte Herr und nahm sieben dem Gaste Platz. „Sie sind wohl eben mit dem Schiff gekommen und wollen sich unsern schönen Rhein gründlich besehen?" Fritz Treutler bejahte, und bald entspann sich zwischen den Beiden eine lebhafte Unterhaltung. Indessen kam auch die Rhein nixe mit einem Präsentirbrctt, auf dem neben mehreren Flaschen drei Römer standen, und setzte sich zu den Beiden. Der Vater entkorkte eine Flasche. Ein lieblicher Duft entstieg ihr, und unbeschreiblich lieblich dünkte dem Doktor auch das rosige Antlitz der blonden Fee. „Auf das Wohl des Vater Rhein und der holdseligsten seiner Nixen!" rief er, begeistert das Glas hebend, und lächelnd thaten die Beiden ihm Bescheid. Lange noch saßen sie bei einander. Der Alte fand offenbares Wohlgefallen an dem jungen Manne, dessen Seele immer mehr von sanftem Zauber eingesponnen wurde. Leise schlugen die Wellen des Rheins gegen das Ufer, und süß, wie das Girren einer wilden Taube, klang das Lachen des blonden Mädchens. Da auf einmal tönte der gellende Pfiff eines Dampfschiffes unharmonisch in die schönen Träume, die der Doktor eben mit offenen Augen träumte. Er sprang hastig empor. „Ist dies der Dampfer nach Köln?" fragte er seinen Wirth. Dieser nickte. „Dann muß ich fort?" sagte Fritz Treutler betrübt. „Was bin ich schuldig, Herr Wirth?" „Nichts," lachte dieser, „denn ich habe kein Gasthaus. Sie waren mir und meiner Tochter ein angenehmer Besuch." „Kein Gasthaus?" rief der Doktor bestürzt. „Ja, wo ist denn dann das ,Rosengärtchen'?" „Nebenan," erwiderte der alte Herr gemüthlich. „Und das Fräulein Rheinnixe ist also auch nicht das Käthchen, das ich von meinem Freunde grüßen soll?" forschte der Doktor auf geregt weiter. „Bewahre," sagte der Alte) „das Fräulein Rheinnixe heißt im gewöhnlichen Leben Aennchen Gottwald, und ich bin ihr Vater, der Oberst a. D. Gottwald." Ganz bleich vor Bestürzung verneigte sich der Doktor tief. „Doktor Fritz Treutler, Privatdozent der Geschichte an der Univer sität B-!" stellte er sich vor. „Dann muß ich tausendmal um Ver zeihung wegen meines Jrrthums bitten. Herr Oberst, gnädiges Fräulein, können Sie einem reuigen Sünder vergeben?" Der Oberst klopfte ihm auf die Schulter. „Ihr Jrrthum hat uns ein paar angenehme Stunden verschafft, Herr Doktor," sprach er freundlich, „wir haben daher nur Ursache, ihm dankbar zu sein. Hcht wahr, Aennchen?" Aennchen nickte erröthend. Da läutete der Dampfer, der indessen angelegt hatte, zum Einsteigen. Fritz Treutler ergriff die Hand des Obersten und schüttelte sie. „Tausend Dank!" rief er. Hierauf beugte er sich über Aennchens zarte Rechte und küßte sie. „Darf ich sagen ,Auf Wiedersehen'!" sagte der Oberst herzlich, und „Auf Wiedersehen!" flüsterte Aennchen und sah ihn mit ihren schönen blauen Augen innig an. Zum letzten Male läutete die Glocke. Der Doktor mußte fort. Kaum war er auf dem Schiffe, so setzte sich dasselbe in Bewegung. Ihm war zu Muthe, als habe er eben den herrlichen Schatz ge hoben, der tief drunten im Rheine versenkt liegen soll, und in der Freude seines Herzens stieß er einen Hellen Jauchzer aus. »LhooLwA!" sagte eine spindeldürre Miß, die neben ihm stand, und wich entsetzt zurück. Ihn kümmerte das nicht. In seiner Brust sang und klang eS: „Am Rhein, am grünen Rheine, Da blühet mir das Glück; An Eine, ach an Eine, Denk ich voll Lust zurück. Schweig, Sehnsucht, still, bald bin ich hier Und pflück' die schönste Rose mir Am weiten grünen Rheine!" * * * Es war Herbst geworden, ein rheinischer Herbst voller Lust und Fröhlichkeit. Ueberall Jubeln, Lachen, Singen! — Die Wein lese war im besten Gange. An der Pforte ihres Gartens^stand Schön - Aennchen und schaute träumerisch in die Ferne. Sie dachte an einen lieblichen Sommertag voller Duft und Glanz, den Tag, da ihr Herz zum ersten Male gesprochen hatte. — Wo mochte der Doktor jetzt weilen? Oesters hatte er dem Vater und ihr von seiner weiteren Reise Karten gesandt; seit einiger Zeit aber hatten sie nichts mehr von ihm gehört. Rauschend legte eben wieder ein Dampfer an. Aennchen achtete nicht darauf. Da plötzlich tönte eine Stimme freudig bewegt neben ihr: „Fräulein Aennchen, grüß' Sie Gott!" Sie wandte sich rasch um und blickte in zwei liebe, strahlende Augen, dieselben, von denen sie eben noch geträumt hatte. Eine Blutwelle färbte ihre Wangen purpurroth, als sie dem Doktor die Hand zum Willkommen reichte. Er hielt die kleine Rechte fest und fragte leise: „Weißt Du, Aennchen, warum ich hier bin? Ich will mir vom grünen Rhein mein Glück holen! Bin ich vergebens gekommen?" Sie lächelte, und dieses Lächeln sagte ihm genug. Ohne auf die eben vorbeikommenden Winzer und Winzerinnen zu achten, schloß er die blonde Rheinnixe in die Arme. Die Burschen und Mädchen kicherten verständnißvoll, als sie das Paar sahen; dann sangen sie jauchzend: „Nur am Rheine will ich lieben, Denn in jedes Auges Schein Stehet feurig es geschrieben: Nur ani Rheine darfst du frei'n!" Wecrtvice. (Zu dem Bilde S. 1.) Im Dienst der Kirche erwachsen und groß geworden, hat sich die Malerei det christlichen Zeit, indem sie immer weitere Kreise umspannte, allmählich zu der weltlichen Kunst gemacht, die ihres ersten Ursprungs kaum noch gedenkt. Daß nun die Kunst der Gegenwart mit sichtlich wachsender Vorliebe wieder religiöse Motive darstellt, hat seinen guten Grund. Ein arger Jrrthum ist der Glaube, daß ein Raffael, ein Tizian, ein Murillo ihre Altarbilder nur malten, um von ihrer Frömmigkeit Zeugniß zu geben. Nein, in den religiösen Stoffen boten sich ihnen ohne weiteres eine Reihe allgemein bekannter und sofort allgemein verständlicher Motive, die sie zu Trägern ihrer malerischen Ideen machen konnten. Und aus demselben Grunde wendet sich die moderne Malerei diesen Stoffen auch wieder häufiger zu. Beatrice, „die Heilbringende", die unser Bild darstellt, die Dienerin des Himmels, welche wie ein helfender, rettender Engel von Hütte zn Hütte zieht — wem würde dies nicht ohne weiteres verständlich werden! Girr ScstetmeEeö. (Zu dem Bilde S. 4.) Flott will ich leben und müßig gehn, Alle Tage was Neues sehn, Mich dem Augenblick frisch vertrauen, Nicht zurück und nicht vorwärts schauen. Diese Worte des Jägers in „Wallensteins Lager" fallen einem unwillkürlich ein bei der Betrachtung unseres Bildes. Es ist die Zeit des dreißigjährigen Krieges, die uns unser Künstler in einem Ausschnitt mit packender Wahrheit vor Augen führt. Das sind die abenteuerlichen Gestalten, die den Augenblick genießen, da sie ja nicht wissen, was das „Morgen" bringt, die „gleichgültig unterm Doppeladler fechten wie unterm Löwen und den Lilien," die gestern Seite an Seite gekämpft haben, heute fröhlich zusammen zechen und morgen vielleicht als Feinde einander gegenüberstehen. Des Jüngsten Wiegenfest. (Zu dcm Bilde S. 5.) Die Gnadengabe des Himmels, die reine Freude — wie ist sie doch aus einem Füllhorn ausgegossen für den Reichsten und den Aermsten, wenn sie nur noch ein Herz haben, sie zu empfinden. Da ist kein Hüttchen zu eng, in das sie nicht einen ganzen Himmel trüge, keines, das sie nicht mit ihren Zauberflammen durchwärmte. Und wer freute sich nicht mit, wenn er auf unserer Illustration den lachenden Jüngsten betrachtet, den die Schwestern zu seinem Wiegen feste mit Kranz und Sträußchen geschmückt! Sieht man es dem kleinen Burschen doch gleich aus den ersten Blick an, daß er schon das Selbstbewußtsein, heute am Wiegenfeste die erste Rolle zu spielen, empfindet, nnd wenn er, von der Geschwister Hand unter stützt, zur Mutter eilt, so gut es die Füßchen zulassen, so lallt er ihr gewiß den Wunsch entgegen, auch vor ihr die Anerkennung seiner kleinen wichtigen Person zu finden. Ja, Mutlerglück und Kinderlust sind doch ein Paar unschätzbare Juwelen, die auch die dürftige Hütte reich machen und wenigstens zeitweise die graue Sorge um die Nothdurft des Lebens vergessen lassen.