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3 „Ohne mich?" „Sie lassen mir keine Wahl Sir." „Aber ich — ich dulde es nicht, ich befehle Dir, zu bleiben." „Ich bin nicht Ihre Dienerin, Sir. Nur einer Dienerin kann man Befehle ertheilen." Sie nahm ihren Fächer, ihre Handschuhe und wandte sich mit spöttischem Gruße zur Thür. Aber er kam ihr zuvor und drehte den Schlüssel um. Ihr mit zornfunkelnden Augen und zugleich triumphirend ins Gesicht sehend, rief er: „Ich will doch mal sehen, ob ich Dich nicht bändigen kann." Sie zuckte kühl mit den Schultern, und ein tückischer Blick schoß aus ihren Augen zu ihm herüber. Schnell zum Fenster tretend, das auf den belebten Platz vor dem Hotel heraus ging, sagte sie: „Sie machen sich einer ungesetzlichen Handlung schuldig, Sir. Oeffnen Sie sofort, oder ich rufe um Hilfe." Sie öffnete das Fenster. Das Geräusch der vorüber- promenirenden Gäste drang in das Logirzimmer des streitenden Ehepaares hinein. Bessies Mienen und Gebärden verriethen wilde Entschlossenheit. „Nochmal, Sir, öffnen Sie! Eins, zwei —" Er stöhnte und biß sich die Lippen wund, aber er ge horchte. Nur keinen Skandal, kein Aufsehen erregen! Die Hände vor das zuckende Gesicht geschlagen, warf er sich auf einen Stuhl am Tisch. Bessie schritt, ohne ein weiteres Wort zu erwidern, hoch erhobenen Hauptes an ihm vorüber, den lockenden Klängen zu, die aus dem feenhaft erleuchteten Ballsaal herüberklangen. Fritz Hammer machte eine Bewegung, als wollte er sich auf raffen und ihr nachstürzen, aber er sank sogleich wieder, aus tiefsterBrustseufzend, in seinen Stuhl zurück. Die geballten Fäuste gegen seine Stirn pressend, verharrte er eine ganze Weile in einem Zustand dumpfen Schmerzes, zorniger Selbstverachtung. Welch ein Thor, welch ein unsinniger Thor er gewesen! Wie hatte er sich nur von ihrem glatten Gesicht und ihren heuchlerischen Reden so hinters Licht führen lasfen können? Hatte er es denn nicht gewußt, daß sie kein Herz, kein Gemüth, kein Ehrgefühl besaß, daß sie ein eitles, oberfläch liches Ding war, das nur Sinn hatte für Putz und Ver gnügungen? Welch ein Loos, sein Leben lang an eine herzlose Kokette gefesselt zu sein! Was nützte ihm nun sein Glück, di« Aussicht, schnell reich zu werden? Konnte er je daran denken, mit Bessie als seiner Gattin nach Deutschland zu seinen Eltern zurückzukehren? Würde sie ihn nicht kompro- mittiren und unmöglich machen bei Verwandten und Freunden? Lange grübelte der Einsame über diese Frage nach. DaS Herz wurde ihm schwer und schwerer, und in fassungs lose Verzweiflung ausbrechend, warf er die Arme über den den Tisch und preßte sein thränenüberströmtes Gesicht darauf. Eine Stunde mochte er so, ganz darniedergedrückt von seinem Unglück, zugebracht haben, als er sich mit plötzlichem Ruck erhob. War er nicht ein Narr, daß er sich mit nutz losen Grübeleien quälte, daß er hier einsam saß und weinte wie ein Kind? Seine Pflicht war, über Bessie zu wachen, di« nun doch einmal seinen Namen trug. Mit bebenden Händen kleidete er sich an. Seine erhitzte Phantasie zeigte sie ihm, wie sie im Ballsaal wie eine Bacchantin dahinwirbelte, von einem Arm in den andern fliegend, unersättlich in ihrer Tanzeslust. Er sah sie, wie sie in den Anlagen des Hotelgartens an der Seite Mister Cutters wandelte, ihn mit kokettem, herausforderndem Lächeln zu immer kühneren Huldigungen anfeuernd. Heiß und kalt durchschauerte es ihn, und er machte sich Borwürfe, daß er zu lässig sei in seiner Pflicht als Gatte. Wenn Bessie nun einmal ohne Freude und Tanz nicht leben konnte, warum stellte er sich nicht ihr als Tänzer zur Ver fügung? War er nicht jung und gesund, war Spiel und Tanz nicht seinen Jahren angemessen? Unten im Saale bot sich dem Eintretenden ein glänzen des Bild. Wie geblendet stand er, wie betäubt von dem auf ihn eindringendeu Tanzgewirr und Lichterfülle. Aber auch, nachdem er rasch den ersten Eindruck überwunden und aus dem Chaos der hin und her wogenden Paare die einzelnen Gesichter zu unterscheiden vermochte, dauerte es eine geraume Weile, bis er in dem Gewühl der Tanzenden Bessie entdeckt hatte. Ihre Wangen glühten, ihre Augen strahlten, ihre zierliche Gestalt drehte sich graziös in den Wendungen des Tanzes. Es war ein Anblick, der ihn mit manchen Schwächen ihres Charakters hätte aussöhnen und die Erinnerung an den jüngst durchfochtenen ehelichen Zwist in den Hintergrund hätte drängen können, wenn ihn nicht die Erscheinung ihres Tänzers von neuem mit Unruhe und Aerger erfüllt hätte. Es war Mister Cutter, der sie in seinen Armen hielt. Das kühne martialische Gesicht mit dem ihm eigenen Zug von trotzigem, keckem Selbstgefühl war ihm nie so widerlich, so baar jedes geistig belebten Ausdrucks erschienen, wie in diesem Augenblick. Er tanzte flott und gewandt, aber nicht elegant. Die Bewegungen ermangelten der Gleichmäßigkeit und vornehmen Mäßigung, sie hatten etwas wildes, darauf losstürmendes. Wo hatte er doch ähnlich tanzen sehen? Richtig, im wilden Westen, auf dem Ball, den die Einwohner von Lincoln, ein Gemisch von Farmern, Geschäftsleuten und Abenteurern jeder Art veranstaltet hatten. Die Musik brach ab, und Bessie nahm den Arm ihres Tänzers, der sie dem Ausgange zuführte. Sie näherte sich dem sie mit zwiespältigem Gefühl Erwartenden. Schon von weitem bemerkte ihn Bessie, und sich von dem Arm ihres Begleiters lösend, kam sie mit freundlichem Gesicht auf ihn zu. Sie begrüßte ihn herzlich und offenbar erfreut, als habe nie eine Uneinigkeit zwischen ihnen bestanden. „Da bist Du ja, Frederic! Ich habe schon immer nach Dir ausgeschaut. Der nächste Tanz ist ein Walzer. Den tanzst Du mit mir, nicht? Niemand tanzt den Walzer so gut wie Ihr Deutschen." Sie plauderten eine Weile lebhaft mit einander. Sein Mißmuth verflüchtigte sich mehr und mehr. Das glänzende Bild, das sich rings um sie entwickelte, bot überreichen Stoff zum Austausch von Bemerkungen. Strahlende von der Lust und der hastigen Bewegung geröthete Gesichter, sorglose Freude und Heiterkeit in allen Mienen, kostbare, entzückende Toiletten! Lachende Paare drängten an ihnen vorüber, kokette Blicke, übermüthige Scherzworte tauschend. Erhitzte Damen begaben sich, ohne auch nur ein Tuch über die in marmornem Weiß prangenden Schultern zu werfen, in den Garten hinab, um unter Palmen und Orangen lustwandelnd Kühlung zu suchen. Plötzlich zuckte Fritz Hammer in lebhaftem Schreck zu sammen, und sein Gesicht überzog sich im Nu mit fahler Blässe. War es denn möglich? Kaum zehn Schritte von ihm schritten drei Personen durch den Saal, zwei Damen und ein Herr. Mister Hunt, Carrie Hunt, und — nein er war keine trügerische Vor spiegelung seiner erhitzten Sinne — sie war es wirklich: Milli Sommer! Und jetzt erblickte auch sie ihn, und er bemerkte, wie ihre Augen sich weit öffneten und einen starren Ausdruck annahmen. In diesem Angenblick intonirte die Musik den Walzer, und Bessie legte schmeichelnd ihre Hand auf seinen Arm. „Komm, Frederic!" Ihn faßte ein Entsetzen. Obgleich er sich hastig um gewendet hatte, fühlte er doch immer noch Millis Blick, erschreckt, ungläubig, forschend auf sich ruhen. Heiße, glühende Scham überrieselte ihn. Mit einem Male kam ihm Bessies Schönheit banal, ihr Lächeln frech/ ihr Benehmen ge wöhnlich vor. „Laß mich!" sagte er, während er ihre Hand hastig von sich abschüttelte. „Aber was — was hast Du denn?" fragte sie verletzt, die Stirn runzelnd. „Ich — ich kann nicht," stammelte er. „Entschuldige, ich — ich ersticke hier." Und ohne sich weiter um sie zu kümmern, stürzte er hinaus, nur von dem einen Impuls beherrscht, sich und seine Schande vor Millis Augen zu verstecken. Bessie zuckte mit den Achseln, lachte hinter ihm her und winkte mit den Augen Mister Cutter heran, dessen kecke, wenig wählerische Galanterie ihrem Geschmacke entsprach. Draußen im Garten suchte Fritz Hammer die einsamsten Stellen auf. Ja, eine Schmach war es für ihn, der Mann