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WchMtt für WM beiiage zu Qr. 80. Lonnabencl, clen 11. Juli 1914. Betrachtung mm 5. Sonntag nach Trimtatis. I. Petr. 3, 8—18: „Endlich aber seid allesamt gleich- gesinn->t, mitleidig, brüderlich, barmherzig, freundlich." Der Herr sagt es zu seinen Jüngern und zu dem Volke, das vor ihm steht: „Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." Er hat seine Jünger zuerst im Auge, sie, die alle Tage mit ihm wandelten, mit diesem Worte, die den Glauben und das Bekenntnis zu ihm ge wonnen hatten, daß er Christus sei, der Sohn des leben digen Gottes Sie sollten nun auch nach außen hin be weisen, daß sie seine Art, sein Wesen in sich ausgenommen hatten. Ein Christentum ohne Werte, eine Glaube, der sich nickt betätigt, kann niemals der rechte Glaube sein. Frei lich die Hauptsache und das Erste bleibt immer das, daß uns der Heiland mit seinem ganzen Leben, seinem Leiden und Sterben und Auferstehen als das große Gottesgeschenk vor Augen schweben und das Herz erfüllen muß, in welches wir alle Tage bineingreifen, wenn wir sündigend vom rechten Wege weichen Aber in diesem großen Gnadenge schenke liegt auch eine heilige ernste Pflicht, ein mächtiges Vorbild für unser Handeln und Wandeln So ruft cs denn der Apostel den Christen zu: „Seid allesamt gleich- gesinnet." Immer wieder muß an dieses Wort erinnert werden. Was man in der Welt stehet, atmet nicht den Geist des „Gleichgesinnetseins" Die Welt ist so ganz anders geartet als das, was aus Christo und seiner Art stammt Man kann es bei ihr auch noch entschuldigen, daß sie sich über allerlei Ungleichheiten im Leben erbittert, daß sie mit tiefer Verbitterung steht, wie Bildung und Besitz, Rang und Stand ihre Schranken gezogen haben zwischen Bruder und Bruder, daß ein herzlicher Verkehr herüber und hinüber oft ganz undenkbar erscheint. Wo man nichts anderes hat und kennt als diese Welt, wo man nur für sie arbeitet, ringt und strebt und seine Kräfte einsetzt, wo man auch das Netz auswirft, um einen Fang zu tun — aber immer nur einen Fang für dieses zeitliche Leben, um in seiner Existenz vorwärts zu kommen und in der Ehre und Geltung bei der Welt weitere Schritte vorwärts zu tun — da ist es ja auch schwer, daß man nicht scheel sehen soll auf den, der etwas voraus hat in der Bildung. „Der hat andere Bildung, es ist frühzeitig an ihn mehr gewandt worden — so spricht die Welt, verärgert abseits stehend — er ist von vornherein in anderer Lage gewesen als ich, er hat sich ganz anders ent wickeln können, er kann nicht mein Bruder sein" Es ist Weltart, daß der Unglückliche den Glücklichen meiden muß, und der im Kampfe Unterliegende dem anderen seinen Sieg und seinen Vorsprung nicht gönnen kann. Das wird aber anders, so bald wir im Glauben unsere Augen über diese Welt hinweg erheben zu den Bergen des Heils, wo wir einst ewig bleiben und wohnen möchten. Bei diesem Ausblicken denken wir an das eine große Vaterauge dort, das über uns wacht und das mit Wehmut und Schmerz stehet, wenn man in Trägheit und Schwachheit von dem Wege zu den Höhen des Heils weichen möchte. Wir sehen das eine Vaterhaus, in welchem wir einst unsere letzte Zuflucht finden möchten. Wir denken an das heilige Blut, das für uns alle geflossen ist und das unsere Schuld sühnt, wenn wir mit Schmerz es fühlen, daß unsere Sünde und Untreue wieder einmal das heilige Band zwischen uns und unserem Gotte zerrissen hat. Das gibt dir einerlei Gesinnung in der Christenheit — sonst nichts in der Welt. Das Leben trügt so oft und hält nicht, was es verspricht; aber, wenn wir in Christo bleiben, dann haben wir Glück's genug und Trostes genug, und wir haben auch Frieden untereinander, denn wir haben Frieden in Gott und in der Gnade unseres Heilands. So lassen wir doch das Neiden und Ltrerten und Murren wider einander. Nie können wir dabei etwas gewinnen, wir machen uns das Herz nur schwer uud bringen uns noch um alle Freude und um allesGluck, welches uns die Güte Gottes -in diesem Leben geichenkt hat, und das wir hüten und wahren sollten als unser teuerstes Gut. Wollen wir Christen sein, dann hinweg mit allem Grolle und aller Bitterkeit gegen diejenigen, denen es schem^ar besser geht im Leben — und ein guter breiter Weg ist schon gebaut zur Erfüllung des Wortes: „Endlich seid allesamt gleichgesinnet, mitleidig, brüderlich, barmherzig, freundlich" Dabei wird jedermann erkennen, daß wir unser Herz nicht an die Dinge der Welt, sondern an den heiligen Gott gehängt haben, von dem wir nehmen: „Friede, Freude, Leben und Seligkeit." Verfckwörer-Nuäenten. A West- und Südeuropa gibt es Mordbuben des Anarchismus selten in den gebildeten Ständen, aber aus Südosteuropa stellt die „Intelligenz" die meisten Bombenwerfer. In dieser schönen Himmelsgegend haben die Staaten meist keinen allzu großen Bedarf an studierten Leuten. Überall dort, namentlich in Rußland, bildet sich daher em großes akademisches Proletariat, das im Elend sitzt und nun die verbessern möchte. Der vorige deutsche Reichskanzler, Fürst Bülow, hat sich sehr unwirsch über die Leute geäußert, soweit sie Berlin mit ihrer An wesenheit beehren. Er,hat sie „Schnorrer und Verschwörer" genannt und me schärfsten Maßregeln wider sie in Aus sicht gestellt, sobald sie sich, ohne Rücksicht auf unsere Gast freundschaft, bei uns „mausig" zu machen begännen. Das Gros der russischen Studenten und Studentinnen bei uns gehörte zu diesen Umstürzlern, so daß sogar die Zimmervermieterinnen , ansingen, an ihre Türen einen Zettel zu hängen: Nicht für Bussen! Darunter litten auch die politisch ruhigen Elemente aus dem Osten, die wirklich nur des Studierens halber zu uns kamen. Sie gründeten darum einen eigenen Verein nationaler Tendenz, der von der russischen Botschaft protegiert wurde und ge sellschaftlich glänzend auftrat, um den schlechten Eindruck der „anderen" zu verwischen. Viel weniger kümmerte man sich bei uns um die Studenten aus den Balkanländern, die harmloser zu sein schienen, bei ungeheurem Zigarettenverbrauch in den Cafes herumsaßen und nicht den leisesten Versuch machten, „Anschluß" an den deutschen Anarchismus oder Sozialismus zu gewinnen. Sie debattierten über Mazedonien und ähnliche interessante Gegenden, und das erschien un gefährlich. Man lächelte allenfalls über sie, wenn man an die Witzblattbilder dachte, an schwarze Bärte und Insekten pulver. Nun aber stellt es sich heraus, daß auch diese Ostlinge durchaus nicht so harmlos sind, wie man an nahm, daß auch sie zu den gefährlichsten Ver schwörern gehören, nur daß sie nationalistische statt anarchistischer Bomben werfen möchten. Verschiedene serbische Studenten in Berlin sind verhaftet, ihre Papiere beschlagnahmt worden, weil die deutsche Polizei An deutungen erhalten hat, wonach sie in irgendeiner Be ziehung zur „Omladina", zur Kampforganisation der groß serbischen Bewegung, stünden. Schon vor Monaten lief eine anonyme Anzeige ein, die die serbischen Verschwörer- Studenten in Berlin anschuldigte. Man hatte aber damals wenig Wert auf die Denunziation gelegt. Und auch heute erklären die jungen Leute, daß man sich in einem vollkommenen Irrtum befinde: sie trieben keine Politik. Kann sein, kann nicht sein. Es wird unter ihnen un politische Streber geben und waschechte Mordgesellen. Denn auf der Balkanhalbinsel gilt die Bombe nun einmal als eine ganz honorige Waffe zur Erledigung nationaler Meinungsverschiedenheiten. Mehr noch bei den Bulgaren, als bei den Serben. Aber auch diese sind nicht Unschulds engel. Ganz offenbar erstreckt sich die großserbische Ver schwörung über Belgrad hinaus weit in das gesamte Ausland. Ein englisches Blatt behauptet sogar, daß die Zentrale der „Omladina" sich in den Bureaus der — Londoner serbischen Gesandtschaft befunden habe. Es bringt die Photographie eines halbverbrannten Briefes mit dem Gesandtschaftsaufdruck, in dem etliche tausend Pfund für die Beseitigung von „F. F." angewiesen werden, worunter angeblich Franz Ferdinand, der ermordete Erzherzog, zu verstehen sei. Das klingt unwahrscheinlich — denn in solchen Dingen gibt man nichts mit Firma-Aufdruck heraus — ist aber nicht unmöglich. Gerade die Gesandtschaften im nahen Orient sind stets der Sitz aller Verschwörungen gewesen. Nicht zuletzt die russische in Sofia. Auch englisches Geld hat da mit gearbeitet. Jgnatiews Brusttasche war mit Londoner Schecks gefüttert. Das „Balkankomitee" der Engländer hat jahrelang mit Unsummen gearbeitet. Nur das eine ist noch nicht aufgeklärt, ob auch die in Berlin der Ver schwörerei Angeklagten in Verbindung mit offiziellen «stellen gestanden haben. Aber man wird es schon heraus bekommen. Selbstverständlich haben wir keine Lust, Verschwörer studenten zu beherbergen, wir haben andere sittliche An schauungen als sie. Was in ihren Augen eine Heldentat ist, nennt unser Gesetz ein«: Meuchelmord. Infolgedessen kann die Wiener Polizei darauf rechnen, daß wir alles tun werden, um ihr bei ihren Nachforschungen über die internationalen Zusammenhänge der Serajewoer Attentate zu Hilfe zu kommen. Wir geizen nicht nach dem Ruhm von Genf, Znfluchts- und Beratungsort aller Umstürzler und Mordbuben der Welt zu sein, in deren Gesellschaft sich übrigens einmal auch der Studiosus — Peter Karageorgewitsch, Ler jetzige König Peter von Serbien, befand. * Besonders bemerkenswert und in gewisser Beziehung auffallend ist es, daß ein der Reichsregierung nahestehendes Berliner Blatt in der Annahmemöglichkeit, daß in Serbien die Serajewoer Attentäter und ihre Hintermänner zum mindesten stillschweigend geduldet worden sind, eine un gewöhnlich scharfe Sprache führt. Unter deutlichem Hinweis auf die deutsche Nibelungentreue, die Öster reich nie verlassen wird, betont das Blatt: Nicht nur Osterreich-Ungarn, nicht nur Deutschland, sondern das gesamte Europa, sei es monarchisch oder republikanisch gesinnt, sei es germanisch, romanisch oder slawisch, muß ein berechtigtes Interesse daran haben, zu wissen, ob sich in seinem berüchtigten politischen Wetterwinkel wirklich ein Staatsleben findet, das nicht nur den Mord seiner eigenen Staatsoberhäupter betreibt, sondern seine Mord waffe auch gegen Fürstlichkeiten anderer Staaten richten läßt. Politische Aunälchau. Deutliches Leick. * Wie Fürst Bülows „deutsche Politik" in fran zösischer Beleuchtung aussieht, darüber belehrt uns die soeben erschienene französische Ausgabe des Buches des ehemaligen Reichskanzlers „Die deutsche Politik". Die Übersetzung hat der Sohn des früheren Botschafters in Berlin Herbette besorgt, und der frühere Minister des Äußern Le Seloes hat das Vorwort zu der französischen Ausgabe geschrieben. Zu dem Kapitel „Das unversöhn liche Frankreich" wendet sich de Selves gegen die von Bülow vertretene Auffassung, daß Deutschland nur den maßvollen Ehrgeiz habe, sich mehr Luft zum Atmen zu verschaffen. „Die jungen deutschen Eichen", sagt de Selves, „hätten unter ihrem Schatten hundertjährige Bäume ge tötet, wenn die Baumfäller der Tripel-Entente nicht zur Hand gewesen wären, um manchmal nützliche Lichtungen der Aste - vorzunehmen . . . Das republikanische Frank reich hat seit 43 Jahren niemals eine drohende Politik gegenüber seinem östlichen Nachbar verfolgt. Die Form seiner Staatseinrichtungen würde gegebenenfalls ein ge nügendes Gegenwicht für französische Angriffsabsichten bilden. Die Bündnisse und Freundschaften, die es ge schlossen hat und eifriger als je pflegt, haben niemals ihre Spitze gegen irgend jemand gerichtet. Richtig ist, daß ein großes Volk wie das unserige nicht, ohne seinen Rang zu verlieren, die Vergangenheit vergessen kann. Es hat das Recht, unter der Gegenwart zu leiden und auf die Zukunft zu hoffen." * Die Beilegung des Slrztestreiks in Niedcrbarmm, von dem man befürchtete, daß er leicht größeren Umfang hätte annehmen können, ist durch Vermittlung des preußischen Handelsministeriums glücklich erfolgt. Das Ergebnis der Verständigung war die Verlängerung des vorläufigen Abkommens bis zum l. Oktober 1914 und die Erhöhung der Abschlagszahlung für das laufende Viertel jahr von 80 000 Mark auf 100 09^ frankreicst. x Die Untersuchung gegen die russischen Anarchisten Kiritschek und Trojanowski hat Anhaltspunkte dafür er geben, daß die beiden mit zahlreichen Anarchisten in Ver bindung standen. Bei Kiritschek wurde ein Schriftstück vorgefunden, das die Namen von etwa 20 ausländischen Anarchisten enthielt. Vier derselben wurden bereits fest- genommen. Der mit der Angelegenheit betraute Staats anwalt Gazier von Poitiers ist der Ansicht, daß der Anschlag Kiritscheks und Trojanowskis nicht gegen den Kaiser von Rußland, sondern gegen den Präsidenten der Republik gerichtet war, der nächsten Sonntag die Stadt Peronne im Somme-Departement besuchen will. Der Ort, in dem die beiden Russen verhaftet wurden, ist nur wenige Kilometer von der Bahnlinie entfernt, welche Präsident Poincars bei seiner Reise benutzen wird. Aus Grund der mit Kiritschek und Trojanowski vorgenommenen Verhöre ist der Staatsanwalt zu der Überzeugung gelangt, daß es sich um ein ernstes Komplott handelt, und daß die Ver hafteten, welche die Bomben nicht selbst hergestellt, sondern von Helfershelfern erhalten haben dürsten, mit der Aus führung eines Attentats betraut waren. Hsten-eick-Hngarn. X Die Verhaftung eines österreichische» Offiziers als Spion erregt allenthalben großes Aufsehen. Nach Mel dungen aus Lemberg begab sich der beim 5. Infanterie- Regiment stehende Leutnant Schmied vor einigen Tagen unter Vorschätzung einer Krankheit auf Urlaub nach Ostrow. Dort wurde er vom Stationsvorstand dabei be troffen, wie er die dortige wichtige Eisenbahnbrücke vermaß und zeichnete. Der Stationsvorstand verständigte das Regimentskommando des Offiziers in Tarnopol und die Gendarmerie. Schmied wurde, noch während er bei der Brücke weilte, von einem Gendarm mit vorgehaltenem Bajonett festgenommen und dem Militärgefängnis in Tarnopol eingeliefert. Bei ihm fand man eine große Anzahl Briefe und Aufzeichnungen, aus Lenen seine Schuld klar bervoraebt. Aus In- unck Auslanck. Haag, S. Juli. Der KriegSminip« hat folaeade Depesche aus Albanien erhalten: Koritza ist amS.SuÜgeaeaAbend in die Hände der vereinigten Epiroten und AuKändischen gefallen. Die holländischen Offiziere befinde» sich nxchdwf und find auf dem Wege nach Valona. Peking, 9. Juli. Die chinesisch« Regferm« Art Mr deutsche Forderungen aus der Seit b« Sevolvtton weitere 108000 TaelS gezahlt. 6m äeutkker Der Flieger Linuekogel erreicht MV Met«» Johannisthal, S. Juli. Der heutige Tag hat der deutschen Niegerkuust einen neuen großen Erfolg gebracht. Deutschland hält jetzt den von den Fliegern aller Nationen Heib umstrittenen Welt- höhenrekorb im Meinfluge. Heute morgen stieg der Flieger Linnekogel mit seinem hundertpferdigen Rumpler-Benz-Eindecker auf und erreichte die durch Barographen zweifellos fest- gestellte Höhe von 6570 Metern. Linnekogel hatte bereits am 81. März die Höhe von 6300 Metern er reicht und hätte den bisherigen Rekord, den der dieser Tage tödlich verunglückte Franzose Legagnaux mit 6120 Metern innehielt, schon damals geschlagen, aber seine Leistung wurde nicht als Weltrekord registriert, weil seine Höhennachweisinstrumente nicht einwandfrei gearbeitet hatten. Linnekogel fallen für seine neue großartige Leistung, die den bisherigen Weltrekord um fast 500 Meter drückt, aus der Rekordausschreibung der Nationalflugspende 10 000 Mark zu. Der junge Flieger war nach seinem Höhenaufstieg vollkommen frisch. Eine ernste Marnung an Serbien. Aus Budapest und Berlin. Köln, 9. Juli. Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza erklärte im ungarischen Abgeordnetenhaus in Beantwortung einer Anfrage betreffend das Attentat in Serajewo, daß das Attentat erwiesenermaßen von einer Bande von Ver schwörern in die Wege geleitet worden sei. Gleichzeitig richtete er an die serbische Adresse ernste Mahnworte. Hierzu schreibt die „Kölnische Zeitung" in ihrer heutigen Abendausgabe offensichtlich offiziös: Graf TiSza hat daö große Interesse an der Erhaltung deS Friedens betont, anderseits weist er aber auch energisch ans die Notwendigkeit der Wahrung deS LebrnS- interesseS und dcö Ansehens Osterreich-Nngarns hin. Die Ruhe und Sicherheit seiner Erklärung begegnet in Berlin noliem Verständnis.