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Beilage zn Nr. 74 der Sächsische« Elb Zeitung. Schandau, Sonnabend, den 14. September 1878. Feuilleton. Eine Z ü chtiq u n q. Als Manuskript gedruckt. (Unberechtigter Nachdruck nicht gestattet.) (Fortsetzung.) , Ich trat auf dcn Balkon und bemühte mich, in die Weite schauend, die Wchmnth zn überwinden, die ich empfand. Nach einigen Augenblicken fuhr eine Kalesche ans dcn Hof; cö stiegen drei Personen nuö; eine verschleierte elegante Dame; eine bejahrte Dame und ein junger Mann, der ein ganzes Bündel Sonnenschirme und Fächer nntcr dem Arm trug und auf mich dcn Eindruck ciucs vollcudctcu Eavalicrö machte. Diese neuen Ankömmlinge verschwanden in dem Innern der Nilla; kurz nachher hörte ich, wie sich hinter mir eine Thür öffnete und ein weib liches Wesen in russischer Sprache, wie cö mir klang, einige Schmcichcluamcn anösprach. Diese unzcitigcn Liebkosungen waren an dcn armcn Dimitri gerichtet, dessen Erwachen nach seinem Stöhnen zu schließen schmerzhaft war. Dieselbe Stimme zählte ans ita lienisch die Namen einer Menge Zuckcrsachcn ans. die ohne Zweifel dabei auf sein Bett gelegt wurden. — Du bist hoffeutlich zufrieden? — Ja, sehr zufrieden. Denken Sic sich, Mama, daß ich mich hcntc nicht gclangwcilt habe; mein Erzieher ist augckommcn. — Gnt! Dn wirst ihn eben so wenig leiden mögen, als die früheren. — Gewiß nicht, er spielt gnt Domino nnd hat mir sein Herbarium gezeigt. Wisse» Sic, waö ciu Herbarium ist, Mama. — Trockene Pflanzen vcrmuthlich. — Jede hat ihren Zettel. Ich habe noch nie so etwas niedliches gesehen. — Welch' sonderbarer Geschmack! Dn willst ja nicht einmal lebende Rosen in Deinem Zimmer ha ben. — Sie vergessen, daß ich ihren Dnft nicht er tragen kann, sagte das Kind traurig. Diese Mutter schien mir kein mütterliches Ge fühl zu haben. — Wie sicht dcnn dcr ncuc Erzichcr aus? — O sehr gut, sagte Dimitri mit Nachdruck, viel besser als der Doctor Scharf. Leider fehlte ihm die Zeit, iu meinem Lobe fort- zufahrcn. Man läutete zum Essen, ein Rauschen von Seide drang in mein Ohr nnd das Geräusch der Thür beim Zumnchcu benachrichtigte mich, daß mein Zögling allein sei. Ich verließ das Versteck, in dem mich eine thörichtc Schüchternheit znrückgc- halten hatte und Hörle ihn nur noch scnfzcn: — Jetzt werde ich nicht wieder entschlafen können. Fünf Minuten später folgte ich dein Ruf dcr Glocke. In dem großen, süulcngcschmückten Gemach, das als Speisezimmer diente, wurde ich vou dein Grafen seinen Gästen vorgcstcllt, dcr Margnisc von Fossom- bronc und ihrem Sohn. Sic bcwohncn cincn dcr schönsten Paläste in Genna. Fran Nolonzoff hatte ihnen am Morgen eine Nisitc abgcstattct nnd sic dann mit znm Diner gebracht, woraus ich auf ciucu intimen Umgang zwischen ihnen schloß; möglicher weise aber kannte sie dieselben auch mir ganz ober flächlich, da die italienischen Sitten keine Umstände kennen. Mit ihrer mäjestätischcn Wohlbcleibthcit und ihren großen regelmäßigen Zügen in geschwungenen Linien glich die Margnisc cincr alternden Mclpomcne; sic weiß weiter nichts, als immerfort mit den: Fächer zn spielen und hinter dessen Spitzen wunderbare schwarze Augen nmhcr zn rollen, deren Blick in ihrer Jugend sicher ansgercicht hat, ihr dcn großen Ruf in Licbeshäudeln zn sichern, dcn sic stolz wie eine Kronc trägt. Dicsscits dcr Alpen schaden einige Liebes abenteuer eiucr vornehmen Dame nicht, wenn sic mit Offcnhcrzigkcit nnd Güte verbunden sind. Wie viele seiner Landsleute, hielt dcr Margniö die Mitte zwischen einem Autinouö und einem Coiffeur; seiuc Schultern sind zn breit, scinc Stimme zn klangvoll, sein Bart von einer zn tiefen Schwärze, sein Blick zu feurig, sein Lachen zn laut; überhaupt hat er zu viel Diamanten au seiner Wäsche und eine zu breit aufgebauschte Blume im Knopf loch. Er ist ein nuvcrgleichlichcö Mnstcr eines Hcldcutenorö oder ciucö Cicisbco. *) Er machte sich sofort daran, ohne eine Spur vou Stolz — und das ist bezeichnend für dcn italicnischcn Adck — tau send müssige Fragen über mein Laud au mich zu richten und über das sciuigc schwülstige Lobeserheb ungen z» machen. Der Eintritt der Frau Volonzoff machte seinen Reden augenblicklich ein Ende; cr *) Cicisbco Galan dcr Hausfrau. änderte daö Thema nnd erschöpfte sich in den über schwänglichsten Lobsprüchcu über dic Toilcttc, die sich unserer Bewunderung darbot. Ich will Ihnen diese Toilette nicht beschreiben, ich bin nicht fähig dazu; die kleinsten Einzelheiten stimmten so wunderbar zu dcr Schönheit, die sic vervollständigten, daß man sich die Gräfin unmöglich anders gekleidet denken konnte. Fragen Sic mich nicht, worin diese «Lchöuhcit be stehe; sic crinncrt durchaus nicht, wie die Margnisc, an Marmorstatucn. Es ist eins von jenen bcwcg- Gcsichtcrn, die sich nuanfhörlich verändern und im merfort eine neue Frau erblicken lassen. Die Haare halb aufgelöst mit einer Nachlässigkeit, welche der Gipfel dcr Knnst scin muß, gleichen nicht dem Gold oder Ebenholz, sondern haben die Farbe, vou welcher dcr Dichter sagt: Die Farbe dcr Ecdcr, die ihre Niudc vcrlorcn hat. Nach Bclicbcu erscheint sie blond oder braun. Au diesem Abend war sic blond. Dic Gräfin muß miudcstcuS 26 Jahre alt scin, wenn inan nach dem Alter ihres So'.mcs nrthcilt; aber ihre zarte Frische, ihre schlanke Fignr schienen einem jnngcn Mädchen anzngchörcn. Ihre vornehme und einschmeichelnde Grazie ist dcn Pvlinncn cigen- thümlich, damit ist Alles gesagt; ihre Mutter stammte aus diesem Laude, in dem alle Frauen geborene Liö- nigiuncn sind. Wie verführerisch auch Fran Volon zoff anSsah, ich hätte doch lieber in dcr Muttcr dcS armcn Dimitri ciuc ganz andere Person augctroffcu und das Vornrtheil, das ich gcgcu sic gefaßt hatte, noch ehe ich sie sah, verstärkte sich nnr noch mehr trotz dcö Wohlwollens, daö sic mir bczcngtc. Sic benimmt sich gegen Jedermann so, sie will gefallen und lebt augenscheinlich nur dafür. Ein Unheil über ihren Geist habe ich mir noch nicht bilden können. Während des prunkvoll nach russischer Art scrvirtcn EsscuS, dem ciu erstes Mahl vorangiug, bcstchcnd in kaltcr Küchc nnd starkcn Getränkcn, von denen man stehend gcnoß, sprach man nnr von Festen nnd Musik, vielleicht nuö Nachgiebigkeit gegen dcn Gc- schmack dcr Margnisc nnd dcö schönen Ändrca, die für nichts anderes Sinn hatten. Ich erfuhr, daß dcr Earncval von Genua noch mit dem von Venedig ri- valisirc, obgleich cr äußerlich nicht mit so großem Geräusch verknüpft sei; die alten Paläste, die wie Mausoleen nuüschcn, erstehen bei dieser Gelegenheit aus ihrer Grabcsruh wie dic Nonncu im Ballet Robert dcr Teufel; Säuftcu durchziehen dic cngcn und gckrümmtcn Straßcn und sctzcn auf Marmor- trcppcu gchcimuißvollc Dominos ab; glänzende Po destas, Wclfcn nnd Ghibcllincn, Hauptleute, Mouche, Cosarcn, Hofdamen des sechözehntcu Jahrhunderts, Göttinnen und entführte Priuzessinucn nach Paul Ncroncse. Dic Margnisc hatte noch im vorigen Jahre als Dogarcssa in einem Costüm von der pcinlichstcu historischen Genauigkeit großes Aufscheu crrcgt; sic beabsichtigte einen Maskenball zn geben, von dem alle Zeitungen Italiens sprechen sollten. Frau Nolouzoff klatschte iu dic Häudc und sagte: Ich gehe als Nnssalka! — Dcr Marguis Andrea, dcr dcn Paschkin nicht gclcscn hat, licß sich erklären, waö dcnn ciuc Nnssalka sci; dcr Gedanke, dic Gräfin in eine Wassernixe verwandelt zn sehen, machte il>m unend liches Vergnügen. — Wird man Ihnen hier ein ganz richtiges Co stüm unfertigen können? fragte Fran von Fossom- bronc mit dcr ihr eigcncu Trcuhcrzigkcit. — Ich dcnkc, warf dcr Graf nachlässig hin, mciuc Fran wird cö passend finden, ihrem Haarpntz etwas Schilf hinzuzufügcn, in dein Sirenen dcö Nordens bekanntlich ihre Opfer erwürgen. — O! außerdem wird ein wcuig grüne Gaze und eine Menge Diamanten als Wassertropfen nicht fehlen, sagte lachend die Gräfin, und daö Alles wird aus Paris kommen. Dcr Margniö, dcm dcr gricchischc Wein zn Kopf gestiegen ist, gcräth in immer größere Entzücknng. Man steht vom Tische auf; ich will mich davon- schlcichcu, aber die Gräfin besteht graziös darauf, daß ich erst noch etwas Musik anhörcu müsse. Wir gehe» also iu den Salon zurück, wo Herr Nolonzoff mit dcm Doctor Scharf eine geistreiche Discussiou über kantische Philosophie beginnt. Der Deutsche verthcidigt unklare Theorien mit großem Wissen und Ernst, ohne zu merke», daß sei» skeptischer Gegner ihn aufzicht nnd während cr mit größter Ucbcrzcn- gnng seine Meinung verficht, enthält seine Beweis führung einen Hagel von Widersprüchen. Stellen Sie sich eine Schwadron schwerer Cavaleric vor, die auf einen Bienenschwarm Salven gicbt. Ich, als Franzose, amüsirc mich und mein nnwillkürlichcö Lächeln trägt mir von Seiten dcö Doctorö ein Achsel zucken des Mitleids ein, da cr übcrzeugt ist, daß mein armes Gehirn nicht daö gehörige Gewicht hat, ihn zn begreifen, während andererseits dcr Russe mir ciucu vcrstäuduißvollcn Blick znwirft, wcil cr sicht,, daß ich auf dic Ncckcrci cingchc. Inzwischen hat sich Gräfin Annette, wie ihre Freunde sie nennen, auf die Kissen des großen Pol sters, das die eine Fensternische ciuuimmt, niederge lassen und schlürft ihre Tasse Mokka, während Frau vou Fossnmbrome mit schöncu Armbcwcguugcu dcu Fächer schwingt und ihr Sohu alle die Künste dcö Cicisbcothums spielen läßt, dic in dcn Nomaucn vicl fciufühliger dargcstcllt wcrdcu. Er sitzt hinter dcr Dame seincö Hcrzcnö nnd ich sehe, wie sein Aug apfel unter einer olympischen Branc glänzt nnd wie scin bcrnstciufarbigcr Tciut gleich einer ange- blascncn Kohle duukclroth glüht, während cr ihr ir gend welche dreisten Redensarten in'S Ohr wispert, die sic ohne Zorn an hört. Dcr Gattc schciut nicht darauf Acht zu gcbcn; ist das so Sittc der vornchmcn Welt? ist cö ciuc kaum auzuuchmcudc Glcichgiltigkcit oder, waö wahr- schciulichcr ist, dicErfahrung ciucs viclgcrcistcuManucö, dcr allc Nölker besser kcunt, als sic sich selbst nud darum das Strohfeucr des Südens nach seinem Wcrthc zu schätze» weiß? Nichts steht weniger im Zusammenhang als dcr Gcsichtöailsdruck ciucö Jta- licncrö mid seinen Gcfühlcn und seinen Reden. Wenn diese Kinder der Sonne zn einer Dame in dcr fa- dcstcn Wcisc vom schöncu Wetter sprecht», so sehe» sic immcr a»ö, als wollten sic ihr daö Herz zn Füßc» lcgcn oder sie mit dcm Dolch medcrstoße». — Vielleicht glaubt der Marguis, sich iu dcu Schranken cincr chrcnhaftc» nnd maßvollcu Galautcric zu halten. — Sie haben nnö etwas Mnsik versprochen, ließ sich plötzlich dcr Graf hörc». Scinc Fran erhob sich bereitwillig, öffnete daö Piano, das fast in einer Mancrvcrtiefung verschwand — diese großen Salons machen nie den Eindruck, als ob sie Möbel enthielte» — »»d spielte die ersten Takle deö DiicttS: ^lira la bianca luim. Ich hatte richtig dcn Tcnor crrathcn. Er war sofort ans scincm Posten. Das weiße Mondlicht des Sommer- abcnds fiel durch die nnverschlosseucn Fenster auf die Säulen und Statnen; ciu Thcil dcö Salons war so in poctischcö Licht gchüllt, da dic Lampen in dic Nähe dcö PianoS gestellt worden waren. Mail muß dcm Herrn von Fossambronc Gerechtigkeit widerfahren lassen: dieser Geck ist ein großer Künst ler. Aber erst die Stimme von Fran Nolonzoff! Welch' schmiegsames nnd ausdrucksvolles Organ! Ohne die Complimcnte dcr Margnisc zu bcachtcn, welche vor Entzücken außer sich war nud nicht Worte genug fand, ihre Wonne anözndrückcn, wandte sich dic Gräfin an dcn Doctor. — Und nun, Sie Rebell, kommen Sic hcr und begleiten Sie mich. Sie glauben, ich hätte Ihre unartige zerstreute Mime nicht bemerkt, die Sic bcim Beginn unseres Gesanges annahmcn? Sollte man nicht glauben, anßcr Eurem Beethoven gebe cs nichts auf dcr Welt? Ich habe Italiener gesehen, die aufrichtig die deutsche Musik bewunderte», aber »och »ic eine» Deutsche», dcr italienische Mnsik ohne Ncrachtmig angchört hatte. Der Doctor vcr- thcidigtc sich nach Kräften: — Es ist schon lange hcr, daß Sic in Bezug auf mein patriotisches Norurthcil Recht gehabt haben, Frau Gräfin, crwicdcrtc cr, indcm cr ohne Zweifel eine alte Streitfrage wieder aufnahm — vorausge setzt, daß Sie mich nicht zwingen wollen, Ncrdi'ö musikalische Ncrwirrungcu, dic allen Regeln dcr Har- monic Hohn sprechen, zn bewundern. — lind dennoch werden Sic Nerdi bewundern, wenn ich Sie darum bitte, sagte sic scherzhaft in be fehlendem Tone nud berührte mit dcr Spitze ihres Fächers seine Schulter. Mir schien cS, als werfe cr ihr nntcr scincr Brille einen eigcnthümlichcn Blick zu, nuö dem Zorn und andere Gefühle sprachen. — Jetzt wollen wir den Margniö zn dcn Göt- tcrn Dcntschlandö bckchrcn. Hören Sie gnt zn, Mar- gnis nnd hüten Sie sich vor dem geringsten Tadel: daö hier ist eine polnische Weise! Sic wisscu, daß Spohr dic charakteristische Ton- folgc der Polonaisen an einigen Stellen seiner Oper Fanst angcwendet hat. Wir hören eins dieser Stücke mit vollendeter Meisterschaft Vorträgen. Dann wendet sich die Gräfin an mich nnd sagt: — Nun etwas für Sic, Herr Frauzosc. Sic sang mir cin böhmisches Lied. Das ist die einzige Mnsik, die dcm Grafen gefüllt; cr nähert sich ihr und sagt: — Daö war wnndcrschön. Sie redet mich an: — Und sind Sie befriedigt, mein Herr? Kein Beifall, auch nicht der unbedeutendste scheint ihr zu verachtend; Alle sollen sie loben.