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Extra Beilage zn Nr. (Ui der Sachs. Eld Zeitung. Schändnu, Sonnabend, den 27. Juli 1878. -kn ^6 Mkm l>68 V!!!. ^6ioIl8tag8-MllI^6i868. Nach dem gestern erfolgten Schluffe des Laudtags nach Pirna zuruckgekehrt, beeile ich mich, in Folge der von den: konservativen Vereine für Pirna und Umgegend an mich ergangenen Berufung zum Caudidaten für die bevorstehende Neichstagswahl mich den Wühlern hierdurch vorzustellen. Für den Fall, daß die Wahl auf mich fallen sollte, würde ich, wie zeither, die gemäßigtconservative Richtung verfolgen, zu deren Kennzeichnung im Gegensatz zu der liberalen Partei ich die nachstehenden beiden Programme zum Abdruck bringen lasse. Möge jeder Wähler sich bedenken, ob er durch die Wahl meiues Gegencandidateu, des Herrn Ad- vocat Eysoldt, die Bestrebungen der Fortschrittspartei, oder, indem er seine Stimme mir giebt, die conser- vative Partei unterstützen will. Pirna, am S4. Juli -87«. Amtshauptmmm von Ghreustem. Urogramm der IortsthriUspartei. Z 1. Der verfassungsmäsiig ausgesprochene Wille des Volkes ist das oberste Gesetz des Staates. Jedem Staatsbürger gebührt bei gleichen Pflichten gleiches Recht. Die Aufgabe der Staatsgesetzgebung ist die Wahrung der Ord nung, Sitte, Sicherheit und Wohlfahrt im öffentlichen Leben. Eine parlamentarische Negierungsform mit Verantwortlichkeit ihrer Organe soll den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen. Mit Verwerfung des Zweikammersystems soll allenthalben eine einheitliche Volksvertretung bestehen, hervorgegangen aus allgemeinen, gleichen und directen Wahlen, die weder durch Verweigerung von Diäten, noch durch Verkümmerung des Vereins- und Versammlungs rechtes beeinträchtigt werden dürfen. § 2. Die Partei erstrebt: Wahrhafte Volksbildung durch obligatorischen unentgeltlichen Volksschulunterricht. Trennung der Kirche von Staat und Schule. Volle Glaubens- und Gelvissensfreiheit. Unterordnung der religiösen Gemeinschaften unter die Staatsgesetze. Verkürzung der Dienstzeit im Heere, sowie Herabsetzung der Präsenzziffer desselben. Unabhängigkeit des Vorzugs besonders ver kürzter Militär-Dienstzeit von den Vermögensverhältnissen. Mitentscheidung des Reichstages über Krieg und Frieden. Verwerfung der Verwendung von Staatsgeldern auf Unterhalt und Beeinflussung der öffentlichen Presse. Aufruf der deutschen Wir wenden nnö an die conscrvativcu Elemente dcö dcntschcn Reiches mit dem Anörnfc zu vereinter Arbeit für die großen, gemeinsamen Ziele: 1. Wir wollen die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichs-Verfassung in nationalem Sinne stärken und auöbaucn. Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berechtigte Selbstständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen und Stämme gewahrt werde. 2. Wir können mir eine solche Weiterbildung unseres öffentlichen und privaten Rechtes als segensreich anerkennen, welche ans den realen nnd geschicht lich gegebenen Grundlagen fnßcnd den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht wird und damit die Stetigkeit unserer gcsammtcn politischen, socialen und geistigen Entwickelung sichert. 3. Wir legen ans politischem Gebiete entscheidendes Gewicht auf die mo narchischen, Grmidlagcn unseres Staatslebcns und eine kräftige obrigkeitliche Gewalt. Wir wollen ein volles, gesetzlich gesichertes Maß bürgerlicher Freiheit für Alle und eine wirksame Bctheiligung der Nation an der Gesetzgebung. Wir wollen in Provinz, Kreis und Gemeinde eine Selbstverwaltung, gegründet nicht auf das allgemeine Wahlrecht, sondern auf die natürlichen Gruppen und organischen Gliederungen des Volkes. 4. DaS religiöse Leben unseres Volkes, die Erhaltung nnd Wicdcr- crstarkung der christlichen nnd kirchlichen Einrichtungen, die seine Träger sind, - — vor Allem die coufcssioncllc, christliche Volksschule erachten wir für die Grundlage jeder gesunden Entwickelung nnd für die wichtigste Bürgschaft ge gen die znnehmendc Verwilderung der Massen und die fortschreitende Anf- ° lösung aller gesellschaftlichen Bande. Wir betrachten den kirchcnpolitischcn Streit, der als Cnlturkampf vom Liberalismus zum Kampfe gegen das Christcnthum auögcbeutct wird, als ein Unglück für Reich und Volk und sind bereit, zn dessen Beendigung mitzuwirkcn. Wir erkennen einerseits dem Staate das Recht zn, kraft seiner Sou- veränctät sein Vcrhältniß znr Kirche zu ordnen und werden die Staatsgewalt den cntgcgenstchcndcn Ansprüchen der römischen Curie gegenüber unterstützen. Verwerfung des Zeugmßzwcmges. Schwurgerichte für politische und Preswergehen. Selbstständigkeit der Gemeindeverwaltung. Abschaffung der Todesstrafe. §. 3. Die Partei fordert: Einführung einer progressiven Einkommensteuer unter Aufhebung aller indirecten Steuern auf uneutbehrliche Volksbedürfnisse. Förderung nnd Regelung von genossenschaftlichen Hilfs- und Unterstützungskassen. Einführung gewerblicher Schieds-Gerichte lind Einigungs-Acmtcr. Verbot der Kinder- und Frauenarbeit in Fabriken, insoweit dadurch die Gesundheit und Sittlichkeit geschädigt wird. Befolgung einer gerechten Handelspolitik nach innen und aussen auf frcihändlerischer Grundlage. Alljährliche Budgetbewilligung für das Reich, wie für den Einzel- staat. § 4. Die Partei erkennt die deutsche Reichsverfassung als Aus gangspunkt für die weitere Entwickelung unseres Staatslebens nach bevorstehenden Grundsätzen an und will die dem Wesen des Bundes staates entsprechenden allgemeinen Reichsangelegenheiten der Gesetz gebung der Neichsgewalt überwiesen sehen, die Ausführung dieser Gesetze aber, sowie die Handhabung der Verwaltung und die innere Angelegenheit den Einzelstaaten, bez. den Provinzen und Gemeinden zugctheilt wissen. konservativen Uartei. Andererseits wollen wir keinen Gewissenszwang nnd deshalb kein Ucbcrgrcifen der staatlichen Gesetzgebung ans das Gebiet des inneren kirchliche» Lebens. In diesem Sinne sind wir zu einer Revision der im Laufe des Kampfes erlasse nen Gesetze bereit. In diesem Sinne werden wir auch für das gute Recht der cvaugclischcu Kirche auf selbstständige Regelungen ihrer inneren Einricht ungen ciutrctcu. 5. Gegenüber der schrankenlosen Freiheit nach liberaler Theorie wollen wir im Erwerbs- oder VcrkehrSlcbcn eine geordnete wirthschaftliche Freiheit. Wir verlangen von der wirthschaftlichcn Gesetzgebung gleichmäßige Bcrück- sichtignng aller ErwcrbSthätigkcitcn und gerechte Würdigung der zur Zeit nicht ausreichend berücksichtigten Interessen von Grundbesitz, Industrie und Hand werk. Wir fordern demgemäß die schrittweise Beseitigung der Bevorzugungen des großen Geldcapitals. Wir fordern die Heilung der schweren Schäden, welche die übertriebene wirthschaftliche Ccntralisation und der Mangel fester Ordnungen für Landwirthschafl und Kleingewerbe zur Folge gehabt hat. Ins besondere fordern wir die durch die Erfahrung gebotene Revision des Gesetzes über den Untcrstütznugöwohnsitz und der Gewerbe-Ordnung. 6. Wir erachten cs für Pflicht, den Ausschreitungen der sozialistischen Irrlehren entgegen zn treten, welche einen wachsenden Theil unseres Volkes in feindseligen Gegensatz zu der gcsammtcn bestehenden Ordnung bringen. Wir sind überzeugt, daß die bloße Entfesselung der individuellen Kräfte zu einer gcsnndcu wirthschaftlichcn Entwickelung nicht führen kann, daß der Staat vielmehr die Aufgabe nicht abweiscn darf, die redliche Erwerbsarbeit gegen daö Ucbcrwuchcru der Spcculation und dcö Acticnunwescnö zu schützen und durch wirksame Fabrikgesetzgebung die sittliche und wirthschaftliche Lage der Lohnarbeiter, sowie das friedliche Zusammenwirken von Arbeitgebern nnd Arbeitnehmern zu sichern und zn fördern. Alle, welche diesen Grundsätzen zustimmcn und gewillt sind, dieselben, un abhängig nach oben wie nach unten, zn vertreten, fordern wir ans, sich zu einer fcstgcschlosscncu Partei der Deutschen Conservativen zu vereinigen.