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MGsche (MMmg. Amts- und Anzeigeblatt für das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Schandau und den Stadtgemeinderath zu Hohnstein. Die „Sachs. Mb-Zeitmig" erscheint Mitttvoch »nd Sonnabend und ist durch alle Postanstalten, sowie durch die Expedition dies. Bl. fiir I Mark vierteljährl. zu beziehen. — MS- Inserate fiir das Mittwochsblatt werden bis Dienstag früh t) Uhr, fiir das Sonnabendsblatt spätestens bis Freitag früh !) Uhr erbeten. — Preis für die ge spaltene CvrpuSzeile oder deren Nanni U)Pf., Inserate unter ü Zeilen werden mit 50 Pf. berechnet, (tabellarische oder complicirte nach Uebercinkunft.) — Inserate für die Elbzeitung nehmen an in Hohnstein Herr Bürgermstr. Hesse, in Dresden nnd Leipzig die Annonccn-Aiireans von Haasenstcin L Vogler, W. Saalbach, Jnvalidendank und Nud. Mosse. 43. Schandau, Mittwoch, den 29. Mai Politische Weltschau. O Der deutsche Reichstag sah sich vor dcm Schlüsse seiner diesmaligen Session vor eine schwere Entscheidung gestellt. Infolge des fluchwürdigen At tentats vom 11. Mai hatte die Ncichsrcgicrnng eine Vorlage cingcbracht, dcrzufolgc das Vereins- und Vcrsammlnngörccht fiir die Sozialdemokraten an zunächst Z Jahre suSpcndirt werden sollte. Ans dci ersten Blick mag Mancher denken, das Gesetz trifft ja nur die Sozialdemokraten und cs ist zu wünschcn, daß ihre» Wühlereien eine feste Schranke gezogen werde. Aber die Erfahrung lehrt ja zur Genüge, daß Gcwaltmaßrcgcln, dazu bestimmt, ganze Parteien mundtodt zu machen, ihre Wirkung stets verfehlen. Freilich haben die Führer der Sozialdemokratie ihr Möglichstes gcthan, nm die Ncichsrcgicrnng in ihrcm Vorgehen zu bestärken. In den ihrer Leitung unter gebenen Parteiorganen, als welche wir namentlich den Leipziger „Vorwärts" nnd die Berliner „Freie Presse" zn betrachten haben, gießen sic ans das von ihnen als Hnmbug behandelte Attentat und ans die durch das selbe veranlaßten Knndgcbnngcn der Loyalität nichts wie Spott nnd »Hohn. Daö ist selbst von ihrcm Standpnnkt betrachtet im höchsten Grade unbedacht. Abgesehen davon, daß die sozialdemokratische Presse dnrch den überaus rücksichtslosen Hohn, mit welchem sic daö Attentat bespricht, diejenigen Volksschichten, welche nnn einmal nicht der Sozialdemokratie angc- hörcn, verletzt, ladet sie dnrch ihr Verhalten den Ver dacht der moralischen Mitschuld auf sich, gcgcu welche sie sich iu so heftigen nnd erbitterten Ausdrücken vcr wahrt. Daö Wenigste, was man von der sozialdemo kratischen Presse im eigenen Interesse der Partei Hütte erwarten können, wäre kühle Gleichgültigkeit gewesen; statt sich jedoch auf eine bloße Zuschancrrollc zu bc- schränken, verspottet und verhöhnt sie die von allen Seiten dem Kaiser dargcbrachtcn Huldigungen und Sympathien mit einer Rücksichtslosigkeit, welche in dcn rnaßgebcudcn Kreisen jedenfalls als Beweis einer Mit schuld betrachtet wird. Gerade die Besprechungen dcö Attentats in den erwähnten Blättern mögen die Ncichö- rcgicrnng zn der Ansicht geführt habe», cs müsse znr Eindämmung nnd Unterdrückung der Sozialdemokra ten „etwas geschehen"; vielleicht, daß die Vorlage nn- tcrblicbcn wäre, wenn die sozialdemokratische Presse eine weniger trotzig herausfordernde Haltung beobach tet hätte. Andererseits hat man aber wieder in's Auge zn fassen, daß eine ganze Partei für das Verbrechen ei ner einzigen Person nicht zur Strafe gezogen werde» kann. Was hätte daun mit der katholischen Kirche, mit dcn Jcsnitcn gcschchcn müssen, ans deren Ein flüssen die Mordthat Navaillac'S gegen dcn König Heinrich IV. hcrvorging nud die Pulvcrvcrschwöruug in London gegen König nnd Parlament, von Knll mann ganz zn schweigen? Sind daö die Stempel jener Zeitalter gewesen, in denen doch die Kirche noch in ihrer heiligen Antoritüt den Schutz und Hort jeg licher legitimen Autorität bildete, wenigstens mehr denn hcnt? Wie sonst, so hat auch unser modernes Zeit alter mit der Erscheinung des Sozialismus keine Mit tel der Gesetzgebung, nm die Verbrechen unmöglich zn machen- und zn verhindern, daß ein Vcrbrechcrwahn- sinn, wie er aus dcm Attentat Hödels ans dcn Kai ser spricht, aus der Sumpfstüttc der Gesellschaft sich erzeugt. Und wären wir Alle so fromme Kinder der päpstlichen Kirche, wie man cs sich in Rom mir wün schen möchte, und Alle so erbitterte Feinde bürgerlicher Freiheit, wie cs unseren eifrigsten Reaktionären gefiele — die Knllmnnn nnd Hödel würden deshalb ebenso wenig zu physischen und geistigen Unmöglichkeiten werden, wie ihres Gleichen auch in den frühesten Zeit altern die Gesellschaft durch Verbrechen zu erschrecken nicht vermieden. Für die Gcsnndung unseres sozialen Lebens kann und muß, wie zu aller Zeit, noch Man ches geschehen, aber mit dem 'Strafgesetz allein bringt man dies nicht zn Stande; mit Unterdrückung dcr Acußcrungcn dcö Zeitgeistes auch nicht — dafür mußte doch gerade jetzt die Wcra Sassulitsch im heiligen Rußland als warnendes Beispiel diene». Von die sen nnd ähnliche» Erwägmigc» ließ sich auch der Reichs tag leiten, indem cr dcm sogcnanntcn Sozialdcmokra- tcngcsctz vorigc» Freitag seine Zustimmung verweigerte. Die RcichSrcgicrnng zog cö deshalb bei der Abstimm ung über 8 I, welcher mit großer Majorität ver worfen wnrdc, zurück und sprach deu Schluß dcr Session ans. Je weniger der Leser sich in dcn wcitschichligc» RcichStagSvcrhandlnngcn übcrNcgierungsvorlagc, Kom- missionSbcricht, Amcndcmcnlö nnd Untcramcndcmcntö zur Gcwcrbcordnungö-Novellc wird zurccht gc- fnudcu habcn, umsomehr erscheint cs mmmchr angc- zeigt, die Nencrmige» kurz zusammen zu fasse». Bc- kamltlich ist die Strafa»droh»»g von Geldbuße gegen Arbeitgeber in zweiter Lesung augenommcu worden, welche an Sonntagen und Festtagen in Fabriken, bei Bantcn, in Werkstätten mit regelmäßiger Äcmitzung von Dampfkraft, oder in Berg- nnd Hüttenwerke» arbeite» lassen. Die dritte Lesung stellte jedoch die Regierungsvorlage wieder her, welche lautet: „Zum Arbeite» an Sonn- nnd Festtagen können die Gewerbetreibenden die Arbeiter nicht verpflichten. Ar beiten, welche nach der Natur dcö Gcwcrbcbclricbes ciucn Aufschub oder eine Uutcrbrcchung nicht gestatten, fallen unter die vorstehende Bestimmung nicht. Welche Tage als Festtage gelten, bestimmen die Landcöre- gicrungeii." Die eigentliche Fabrikgesetzgebung ist im klebrigen so gnt wie unverändert geblieben. Die Klerikalen nebst de» Sozialdemokraten und Kathcdcrsozialistcn sind nicht durchgcdrnngcn mit ihren Versuchen, dnrch Polizcibestimmnngen die Arbeitszeit einznschrünkcn, während doch die Polizei nicht im Stande ist, dcm Arbeiter dcn Lohnanthcil zu ersetzen, der dnrch die geringere Arbeitszeit für ihn verloren geht. Die vom Reichstage cingcführte Bestimmung, wonach Wöchne rinnen während drei Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden dürfen, verbietet etwas, was ohnehin mir ganz besonders ausnahmsweise statlfindct. Neu ist die Bestimmung, wonach der Bimdcsrath die Verwendung von jugendlichen Arbeitern, sowie von Arbeiterinnen für die mit besonderer Gefahr für Ge- snndhcit n»d Sittlichkeit verbundenen Gewerbe über haupt untersagen, andererseits aber auch die allge meinen gesetzlichen Vorschriften über die Arbeitszeit der jugendlichen Arbeiter zu Uuguustcu der Kinder für gewisse Gewerbe abündcru kann. Der eigentliche Schwerpunkt der Novelle fällt in die Bestimmungen gegen die Arbeiter, Gcwcrbcgchilfcn und Lehrlinge. Letztere liefen bekanntlich früher haufenweise auö der Lehre, weil sie anderwärts gleich ein hübsches Stück Geld verdienen konnten. Dafür ist mm dem Meister daö Recht gegeben worden, entlaufene Lehrlinge, welche ans Grund schriftlichen Vertrags in die Lehre ge kommen, innerhalb vier Woche» dnrch die Polizei znrückholen zn lassen. Auch sonst wird der Lehrvertrag zn Ungnnstcn dcö Lehrlings fester zn knüpfen gcsncht. Am eingreifendsten sind die neuen Bestimmungen über das Arbeitsbuch, welches obligatorisch sein soll für alle Lehrlinge, Gesellen und Arbeiter im Gewerbebetrieb unter 21 Jahren. Daö Arbeitsbuch soll nicht Zeug nisse enthalten, sondern nur die Identität des Arbeiters und die Däner der Arbeitszeit bei dcn einzelnen Arbeitgebern feststellen. Es wird von der Polizei gratis auögchändigt nnd hat dieselbe ans Verlange» )eS Arbeiters die Eintragungen zu beglaubige», auch mr 50 Pf. a» Stelle ciucü verlorene» oder vernich tete» Arbeitsbuches cm »cucö anszuhäudige». Daö wird der Polizei ciu gutes >Ltück Schreiberei ver ursache». Arbeitgeber, welche ohne Arbeitsbuch Per- cmcu unter 21 Jahren beschäftigen, werden mit Gcld- iußc belegt. Der Arbeitgeber hat das Arbeitsbuch zu verwahre» n»d »»r nach rechtmäßiger Lösung des Arbcitsvcrhältnisscs dem Arbeiter znrttckzngebcn. Die allgemeine Ausdehnung des obligatorischen Arbeits buches auf alle Arbeiter, wie sic dic Konscrvativcii und Zünftlcr verlangten, ist abgclchnt, weil dnrch Auflegung einer solchen LcgitimationSpflicht in Bezug auf die Person mid die früheren Arbeitövcrhältnisse eine einseitige der Gleichberechtigung aller Klassen widerstrebende Einrichtung geschaffen würde, welche unter Umstände» empfindlich die Stellung der Arbeiter auf dem ArbcitSmarkt beeinträchtigen kann, dagegen bei starker Nachfrage nach Arbeitern van selbst anßcr Gebrauch kvmmcii würde. Iu Oesterreich ist endlich nach vieler Mühe nnd Noth der Ausgleich mit Ungarn zn Stande gekommen, doch äußerte selbst Minister Dcprctiö im Wiener Hcrrcnhausc: cs könne ja scin, daß seine Hoffnung ihn täusche, aber cr glaube nicht, daß irgend Jemand in zehn Jahren nach dieser Lektion daran dcukcu könne, dcn Muth zu habe» zur uochmaligcu Herauf- bcschwöruug dieser Zustände. Natürlich weiß' er sehr gnt, daß den Magyarcn 1887 mit dem Essen die Eß- lnst erst recht erwacht scin wird. Im italienischen Parlamente wnrdc vor Kurzem von Selten der Negierung die Erklärung abgegeben, daß sic im nächsten November einen Gesetzentwurf cinbriugen werde, um den illegitimen Ehen, als welche in Italien dic allein vor dcm Altäre abgeschlossenen zu betrachten sind, in der Zukunft ein Ende zu machen. Jetzt wird italienischen Prvvinzblättcrn von Nom tclcgraphirt, daß in diesem Gesetzentwürfe nicht bloö schwere Strafen für diejenigen ausgesetzt werden sollen, welche die Civilchc nicht vor der kirchlichen Ehe ab- schlicßcn, sondern daß sich diese Strafen auch auf die Geistlichen und die Zcngcn erstrecken werden, welche bei allen vor dcm Altarc eiugcgangencn nnd nachher nicht auf dcm gcsctzlichcu Wege sanktionirtcn Ehen fungirt habcn wcrdcn. Nicht uniutercssant sind dic französischen Stimmen über daö dem deutschen Reichstage vorgclcgte Attcn- tatSgcsctz, znmal man in Paris dic Ausschreitungen der Kommunards noch nicht vergessen hat und eben jetzt daran geht, die Tuilcrieu, an denen die Petro- lcurö ihre Wuth ausgelassen, mit einem Kostcuauf- wande von fünf Millionen zn rcstitnircn. Dic „Nc- publignc Franyaise" läßt sich durch dicsc Rcmiuiöccnzcn nicht abhallcn, dcn dcntschcu Gesetzentwurf scharf zu kriti- 'ircu. Schon in der Dehnbarkeit dcö Ausdrucks des Sozialismus" liege vom gesetzgeberischen Staud- umktc eine ernste Gefahr. Wo beginne nnd wo ende der Sozialismus? Oft könne man kaum dcn mate riellen Unterschied erkennen zwischen dcm Einen, der sich gegen de» Vorwnrf sozialistischer Tendenzen ver wahrt, nnd dem Anderen, der sich offen zn solchen bekennt. Damit allein werde der Willkür in der Hand habung dcö vorgeschlagcncn Gcsctzcö Thür nnd Thor geöffnet. lieber dcn englisch-russischen Konflict und dcr damit in Vcrbindnng stehenden Reise Schnwaloffö liegt noch nichtö Authentisches vor. Wenigstens ist daö letzte Wort noch nicht gesprochen. Erreicht England im Wege der Verhandlungen nicht daö Ziel, welches die gegenwärtige Negierung ihm gesteckt, so kann zu jeder Zeit eine neue Forderung erhoben, ein unvorhergesehener Zwischenfall herbcigeführt werden und der „Kriegsfall" ist gegeben. Vorläufig sind die Diuge bei dieser ultima, ratio »och nicht angclangt und wir behaupte» keineswegs, daß sie mit Naluruothwendigkcit daselbst anlangcn müssen, denn Rußland, besonders das offizielle Rußland mit dem Kaiser Alexander an der Spitze, gicbt sich ersichtlich Mühe, einer Wendung ziun Kriegsfälle hin vorzubcugcn. Auch die Frage wegen Vorlegung dcö gcsammtcn Vertrages von Sau Stefano ans dein Kongreß er scheint heute ohne besondere Bedeutung. Findet ciu freundschaftliches Abkommen über dcn Inhalt dcö vom Kongresse zu sanktionircndcn Vertrages statt, so ist damit der Kongreß nud der Friede gesichert.