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Berlage zn Str. 4g der Sächsischen Gib Zeitung. Schandau, Sonnabend, den 18. Mai 1878. Feuilleton. Fräulein Commcrzienrath. llainttc »on Vacar Kicsücr. (Fortsetzung.) Albcrt war gcdnldig geworden und sagte: „Aber Kathinka liebt mich! Sic hat mir erlaubt, cS Ihnen zn gestehen!" „Das ist mir gleich, aber cS ändert nichts an mei ner Auffassung der Sachlage". „Und wenn ich glücklich genug wäre, Sie überzeu gen zu können, das; das Glück Ihrer Tochter non dieser Hcirath abhängig, würde» Sic selbst dann noch nicht Ihre Ansicht ändern?" „Keineswegs, das sage ich Ihnen vorher, Herr Buchhalter. Sic handeln nach Ihrer Uebcrzcugnng, ich nach der meinigen. In meiner Jngcnd habe ich auch an Liebe" geglaubt, aber ich bin nie thöricht ge ling gewesen, sic dnrchanö für dic Ehe nvthig zn halten. Dic Liebe ist ein zn flüchtiger Geist, nm lange zn verweilen; entsteht sie doch oft nnr durch ciucu Blick, eiueu Händedruck. — Sic schcu, Herr Schwarze, der alte Bicgclcbcu hat iu seiner Jngcnd anch an etwas Anderes gedacht, als au Geschäfte mache», u»d dabei seine Erfahrungen gesammelt". Albcrt kvnntc dicscn festen Entschlüssen nichts ent gegensetzen nnd wenn er anch nicht alle Hoffnung aufgab, so war er doch fest überzeugt, daß er mit Zustimm ung des Batcrs Kathinka niemals besitzen würde. Schwarze hatte dabei viel zn solide Grundsätze, nm hinter dem Rücken des Vaters das Verhältnis; mit Kathinka weiter sortznsetzen, fühlte aber anch, daß er nach dieser Abweisung unmöglich länger im Geschäfte BiegelcbcnS und in der Rühe Kathinkas bleiben kvnntc. Vom Eommcrzicnrath hatte er sich verabschiedet nnd von diesem noch daö Versprechen erbeten und er halten, Niemand etwas von der Werbung zn sagen. Kathinka stand am Fenster und weinte, als er fort ging; sic sah ihm wchmüthig nach, denn sic hatte den AnSgang der Unterredung wohl crrathcn nnd sendete nun den alten Anton nach Schwarzc'S Wohnung mit einem Billctc, worin sie ihm mit kurzen Worten anzcigte, daß ein Anderer als der, dem sic sich ein mal versprochen habe, ihre Hand nicht erhalten würde; Albcrt sollte sich nicht cntmnthigcn lassen, solle auöharren und hoffen. Wie eine Sonne geling wäre, dic Erde zn crlenchtcn, so wäre eine Hoffnung genug, die Seele zu ermuntern. Der Buchhalter küßte das Papier, dann faßte er ciucu kurzen Entschluß. Er wollte nach Wien und als Geschäftsführer iu daö verwaiste Wollmann'schc Geschäft trete», wie cö ihm daselbst angcbotc» wordc» lvar. A» Kathinka schrieb er einen langen, herzliche» Brief; er gab ihr das Versprechen ihrer Hand zurück, da er nun einmal nicht hoffen dürfe, sie jemals zn besitzen nnd bat sic, seiner in Liebe zu gedenken. Dem Commcrzienrath zeigte er seinen Entschluß, dic Stelle iu Wien annchmcn zn wollen, ebenfalls schrift lich an und Herr Biegelebcn legte ihm kein Hindcr- liiß in den Weg. Zwei Tage später war Albcrt abgcrcist. Anton hatte den jungen Mann bis znm Bahnhöfe begleitet, doch wohl im speciellcn Auftrage seines Fräulein Commcr- zienrath, und kehrte brummig und übellaunig nach der Villa zurück. „Für so grausam vornehm hätte ich den Herrn Commcrzienrath doch nicht gehalten, daß er unsern Albcrt gchcn läßt", sagte er zu Kathiuka. „Passen Sie auf, Fräulein Commcrzienrath, den wird er am ehesten vermissen. Ich glaube, der Alte mciut's gar nicht so schlimm im Herzen — aber solche Faxen thnn nicht gut!" . Ein altes französisches Sprüchwort sagt: „Der erste Schritt ist cs, dcr etwas kostet"; zn den weiteren Schritten abwärts ans der Bahn des Verbrechens ge langt man viel wohlfeiler. Georg Richter hatte iu dem Drogucumagaziu seines Prinzipal eine Geldquelle entdeckt nnd fand den neuen Erwcrbözweig so begncm und einbringlich, daß er, so oft eö uöthig wurde, seine Zuflucht zu demselben nahm, ohne daß, seiner Meinung nach, Jemand Verdacht gegen ihn faßte. Mit diesem Glück waren seine wenigen Bedenklich keiten geschwunden und seine Dreistigkeit nahm zn. Auch Schwester Minnie's Gewisseuscrupcl verschwan den nach nnd nach gänzlich. Ja, cS traf sich znweileu, daß, wenn Georg selbst Anstand nahm, wieder seine Zuflucht zn des Herrn Wnarcnlager zu nehmen, die Schwester ihn erinnerte, dic mächtige Aladins-Lampe zn reiben, die er entdeckt hätte. Wie Georg seine Schätze in Geld nmsctzte, bekümmerte das leichtfertige Mädchen nicht, daö sich darin gefiel, in gewählter Toilette Gesellschaften frcqncntircn nnd Anfsehcn er regen zn können. Während dcr ersten Abwesenheit Schwarzes iu Wien erreichten dic Abendgesellschaften der Familie Richter ihren Höhepunkt nnd nichts stand nunmehr im Wege, dieselben nach den Wünschen dcr citlcn Mutter weder vor dcucu der Nachbarschaft, «och vor dcucu des Fouragclieferautcu und andern reichen Volks mehr nnöznzcichneu. Sic wurden allmälig besser cingcrich tct, sanden öfter statt nnd wechselten mit Spazier fahrten nnd weiteren AnSflügcu, nnd bei allen diesen Gelegenheiten hatte Georg Richter dafür gesorgt, daß Kathinka, dic, wenn anch nicht immer, so doch öfter noch Theil nahm, Königin dcö Festes war. Man nahm allgemein an, die alte Frau Richter habe wirk lich eine recht bedenkende Erbschaft in Schlesien ge macht, und dic Kinder suchten diese Meinung zn be stärken. Dic altersschwache Dame ihrerseits glaubte, dcr Vcrdicust ihres Sohnes beim Commcrzienrath wäre so gut, daß er sich schon solche Ausgabe erlauben könne. Znm großen "Nachdenken kam cS bei ihr ohne dies nicht. Natürlich dachte Niemand daran, den Buchhalter Schwarze zur Gesellschaft „Unter nns" hcranznzicheu, so sehr sich anch Kathiuka heimlich danach sehnte, demselben öfter als bisher zu begegne«. Dcr arme Buchalter hätte in diesem Kreise auch zu sehr im Schatten gestanden. Richter hatte dessen sechüwöchent- lichc Abwesenheit in Wien als ein für ihn sehr günstiges Zeichen gedeutet und entfaltete seine ganze Liebens würdigkeit, Schwarze bei Kathinka nusznstccheu. Dic Bewerbung dcö Baron von Kreuzschnabel bcnnrnhigtc anch ihn, allein er maß seiner eigenen persönlichen Liebenswürdigkeit so viel Bedeutung bei, daß er sich getränte, mit dem hochadcligen Freier in die «chranken zn treten. Aber trotz dcö Aufgebotes aller Mittel hatte Kathiuka sich immer seltener in seinen, nnr für sic berechneten Gesellschaften sehen lassen, und cö fehlte nicht an Anzeichen, daß sie sich öfter in denselben gelang weilt habe nnd offenbar nnr einen Vorwand snchc, überhaupt gar nicht mehr zn erscheinen. „Dcr Lasse von Kreuzschnabel steckt dem Mädchen doch wohl im Kopfe, — wenn wir nnr dahinter kommen könnten!" bemerkte Georg zn seiner Schwester nnd diese ließ alle Minen springen, nm in Kathiuka'S wohlvcrschanztcs Herz cinzndringcn, wurde aber, wie immer, mit aller Artigkeit, ja mit einem Anschein herzlichen Bedauerns, aber doch recht entschieden ab- gcwicscn. Da kehrte Schwarze von Wien zurück und dic Si tuation änderte sich mit einem Schlage. Kathinka er schien in Nichtcr'S Hause gar nicht mehr nnd nahm selbst den Besuch Miunic'S nicht au, was dieser znm größten Verdrnsse gereichte. Der alte Anton wnßtc dem Mädchen keinen Bescheid zn geben, als daß dcr Herr Commcrzienrath Anstoß an dcn vielen Ausgängen des Fräuleins genommen nnd diese ermahnt habe, sich mehr als bisher dcr Pflichtcn cincr Hauü Verwalterin anzunehmcn. „Die vielen Pickcnicker und Fetircrcicn thnn nns nnd Ihnen so sehr viel Geld kosten und Fränlcin Com- mcrzienrath'ö Gesundheit geht anch dabei zu Grunde", hatte der alte Pfiffikus achselzuckend gesagt. „Es steckt da wieder Vieles dahinter!" argwöhnte Georg Richter, als ihm Minnie Rapport erstattete. „Wie wär'S, wenn wir den Onkel Augnst einmal zum NceoguoScircn auöschicktcn? Das Fräulein kann ihn wohl leiden. Ich nmß Gewißheit über diese SinncSändcrnng haben, dic mir ganz nnbcgrciflich ist". Dcr Onkel wurde in'S Vertrauen gezogen und übernahm dcn Auftrag schr gern, da cö scinc Licb- liugölcidcuschaft war, diplomatische Missionen auS- Mührcn. Versehen mit cincr fcinparfümirtcn brieflichen Ein- ladnng zu einem Gcsellschnftsausflngc nach V. ging der Onkel nach der Villa des Commcrzienrath ab nnd wnrdc anch bald von Kathinka empfangen. Er traf cö jedoch schr unglücklich, dcnn am Morgen war Albcrt Schwarze nach Wien abgcreist und Kathinka befand sich deshalb nicht in gnädigster Stimmung. Sie hatte ganz ersichtlich geweint und cö kostete bei diesem Anblicke dem alten Onkel Mühe, einen scherz haften Ton auznschlagcn nnd festznhalten. Nachdem er sich seiner Einladung peäciS entledigt hatte, reichte ihm Kathinka dankend die Hand und erklärte ihm rnndweg, daß sie nicht mehr zu den Nichtcr'schen Abeudkräuzchcn kommen könne; cö seien Verhältnisse eingctretcn, die ihre Theilnahme schlechterdings nn- möglich machten. „O, daö würden wir Alle recht lebhaft bedauern", brach August Richter aus, „und Sic könnten das meinem Neffen wirklich authuu? Sie wissen doch, daß cö sein höchstes Vergnügen ist, Ihre Wünsche zn er füllen, Ihnen in Allem dienen zu dürfen". „Herr Richter, Sic sind fast ebenso nncrschüttcrlich galant, als Ihr Herr Neffe", cntgegnctc'das Mädchen haften Sie sich sagen, daß Ihres Nesfcn unzählige Aufmerksamkeiten, die vielen Andeutungen, die in seinen Worten lagen, noch mehr aber die Winke, welche seine Schwester Minnie über die eingebildeten Gefühle ihres Bruders und seine gleichfalls einge bildeten Hoffnnngcu fallen ließ, mir nubcqncm werden nnd mich schon mehrfach in Verlegenheit gesetzt haben. Ist das offen?" Der Alle tränte seinen Ohren kaum. „Mein Gott, Sic stürzm ja den Jungen mit einem Male ans allen seinen Himmeln!" rief er ans. Soll ich dcnn dnrchanö unwahr sein?" fragte Kathinka. „Ich weiß, Sic wünschcn daö nicht, denn Ihrem Charactcr ist die Verstellung fremd. Sic sind hierher gesandt worden, um mich anözuhorchcn, aber ich komme Ihrer Absicht zuvor uud erkläre mich offen Ihnen gegenüber. Vielleicht wäre cö Ihrem Neffen nnd seiner Schwester wirklich gelnngcn, mich in dem Kreise von Vergnügungen und ziemlich leeren Zcr- strcunngcu wenigstens auf einige Zeit zn fesseln, hätte nicht ein anderes trauriges Ereignis; mich ans dem L-chlnmmcr geweckt nnd mir Veranlassung gegeben, ernstlicher nachzndenkcn über meine Pflicht. Mir gingen dic Angcu auf." „Das merke ich", bestätigte dcr Onkel Richter lächelnde» Mundes, „nnd ich hätte mir de» Weg er spare» könne». Aber Osfenhcit gcgc» Offenheit, es ift mir doch zuweilen vorgclommcn, als wenn mein Neffe Georg sich einen Stein in; Brctc bei Ihnen er obcrt hätte. Tänschte ich mich anch darin?" Kathinka antwortete ausweichend. „Ich bin noch unerfahren in der Welt und dachte früher noch nie mals ernstlich daran, welchem dcr jnngcn Männer, die nm mich warben, ich den Vorzug gebe» sollte." „Aber nunmehr haben Sie wohl daran gedacht nnd einen Entschluß gefaßt, dcr für meinen Jungen un günstig ansficl?" „Sageich das? Dann verstanden Sic mich falsch. Ich habc jetzt über Mancherlei gegrübelt nnd die jüngst verflossene Zeit in'S Gedächtnis; znrückgernfcn. Da fiel mir schwer nnf'S Herz, daß sich Ihr Herr Neffe in der letzten Zeit sehr zn seinem Nachthcil verändert hat. Eö kam mir vor, als sei eine auffallende Un ruhe uud Haltungslosigkeit in sein Wesen gekommen, als befinde er sich oft in einer gewissen Spannung und Zerstreutheit. Bemerkten Sic das nicht auch?" „Hören Sic auf, Fränlcin Kathinka," bat der Alte in komischer Verwunderung, man könnte sich fast vor Ihrer Beobachtungsgabe fürchten. Sie schcu ja ganz knriose Dinge, die mir selber bisher fast entgangen sind. Wäre mein Neffe etwa krank?" „Ich weiß cs nicht", snhr Kathinka fort, „aber ich gewahrte auch so nebenbei, daß Minnie, das sonst so gute nnd liebe Mädchen, allmälig ganz anders ge worden, wie nmgcwandelt ist. Daö Gutmüthigc nnd Nachgiebige, was ihren Umgang mir sonst so ange nehm machte, scheint manchmal völlig verschwunden zu sein, au dessen Stelle ist Hartnäckigkeit in ihren Behauptungen, sogar ein gewisser Hochmuth getreten ; mir entging das nicht, so sehr sich Minnie anch zu beherrschen weiß. Ich erinnerte mich einzelner kleiner Züge nnd unbewachter Worte, die mir eben kein an ziehendes Bild von Minnie's Charactcr verschaffen. Wir kannten nnö früher ja nur sehr oberflächlich. Sie wissen doch, Mädchcnbekanntschafteu, wie flüchtig sind diese!" „Ich weis; nunmehr soviel, daß Ihr Werther Um gang für uns verloren ist", seufzte Onkel Richter. „Wo in aller Welt haben Sie, eine so junge Dame, diese Zcichcndeuteknnst her? Sic beschämen meine grauen Haare — aber übertreiben Sie nicht ein wenig? Tragen Sie in cincr augenblicklichen Vcr stimmnng nicht die Farben zn stark ans? Verkennen Sie doch des Freundes nicht gänzlich, der Sie in ,,Unter nnö" umgab", bat er gutmüthig. „Außer Jhucn und den Geschwistern sind mir die Andern alle, die ich dort traf, von jeher höchst gleichgültig gewesen," erwiderte Kathinka scharf. „Ich habe anch von Georg's und Minnie's Charactcr nicht cinc so deutliche Vorstellung, daß ich mir eine ent schiedene Meinung darüber hätte bilden können, aber wir Frauenzimmer helfen nns oft mit einem dnnklen Gefühle fort." „So, so!" lächelte der Onkel. „"Nun, anch ich habc ein dunkles Gefühl, daß ich hier sehr überflüssig bin." Angnst Richter grisf nach Stock nnd Hnt niid wollte sich znrückziehcn. „Bleiben Sic nur, ich weiß, daß ich mit Ihnen ungcuirt plandcrn kann, ich keime Sie als einen dnrchanö chrenwcrthcn Mann nnd weil Sic gerade da sind, hätte ich wohl noch mehr als cinc Frage ans dem Herzen".