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^ 154, 7. Juli 1SÜS. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 8059 bestehenden Lage unserer gegenseitigen Interessen in Anspruch nehmen, da das Geschrei der Pessimisten und ihre Unken rufe laut durch das Land tönen. Meiner Meinung nach kann es nichts schaden, wenn ich auf die gegenwärtige Lage des Buchhandels und besonders auf den Verlag und den Verkauf von Romanen Bezug nehme, obgleich ich nicht ganz sicher bin, dem, was schon über diesen Gegenstand gesagt und geschrieben worden ist, etwas Neues hinzusügen zu können. Man versichert mir von allen Seiten, daß sich der Buchhandel in einer sehr schlechten Lage befinde, und es werden verschiedene Ursachen hierfür angeführt. Als Ausschuß mitglied der »kllblisüsrs' Lssooistiou» von ihrer Gründung an weiß ich, daß man immer und immer wieder an den Verband herangetreten ist, damit er dem schlechten Geschäft abhelfe und eine Krankheit heile, die wir nicht einmal diagnostizieren konnten. Wir haben versucht, unser Bestes zu tun, wenn uns Klagen zu Ohren kamen; aber es stand uns kein Mittel zu Gebote, dem schlechten Geschäft zu steuern, und noch weniger, den angeblichen Rückgang des Bücherabsatzes zu verhindern, über dessen Tatsache wir nicht einmal sicher waren. Es hat Zeiten gegeben, wo wir bezüglich der von uns zu beseitigenden Übelstände skeptisch wurden und wir nahe daran waren, auf die klagenden Buchhändler im Lichte von Molidres Llelsäs iwaginsirv zu blicken. Jeder Anwesende wird sicherlich mit mir darin übereinstimmen, daß sich das Svrtimentsgeschäft seit Einführung des Ilet-öoolr-Systems in England gebessert hat. Und wenn der Verleger-Verband auf etwas stolz sein darf, so darf er es sicherlich auf die Tatsache sein, daß er unter Mitwirkung der »Lssoeiateä Lookesllsw« ein System hat einsühren können, das sich beständig ausdehnt und hoffentlich eines Tages allgemein werden wird, so daß das Publikum ganz und gar vergessen wird, daß eine be liebige Bücher-Gattung jemals unter dem angegebenen Ver legerpreise gekauft werden konnte. Unter den Verlegern sowohl als auch unter den Sor timentern sind , kürzlich Klagen gehört worden, die sich auf den Verkauf von Romanen beziehen, und merkwürdigerweise sind gerade Romane die einzige bedeutende Gattung Bücher, die noch zu Preisen verlegt werden, die einen Rabatt für das Publikum gestatten. Das Not-System ist nur versuchs weise auf diese angewandt worden, und zwar niemals in einem Maßstabe, der genügend gewesen wäre, es wirksam auszuproben. Seit Anwendung des Ust-Look-Systems hat das Publikum gelernt, Bücher mit Ausnahme der Romane als Gegenstände von bestimmtem Werte zu betrachten, und obgleich die Festsetzung des Rabatts auf Romane an ver schiedenen Orten eine ähnliche Wirkung hätte haben sollen, so ist es doch vollständig mißlungen, dem Publikum das Vertrauen einzuflößen, das es in zunehmendem Maße zu solchen Büchern gefaßt hat, die zum wirklichen Verkaufspreis verlegt werden. Zuweilen werden Romane zu vollen Ver lagspreisen verkauft und manchmal an andern Plätzen mit einem Rabatt, der zwischen 10 und 25»/, schwankt. Ich glaube, daß diese Schwankung der berechneten Preise eine der Ursachen ist, die das Mißtrauen herbeigesührt und die Käufer zu Zweifeln gebracht hat, ob sie den vollen Gegenwert für ihr Geld bekämen. Es gibt noch andere Ursachen, die dem Publikum das Kaufen der 6 Schilling-Romane verleidet haben, Ursachen, für die die Autoren verantwortlich sind, solche, die dem Ver fahren der Verleger zugeschrieben werden müssen, und solche, die auf das alleinige Konto der Sortimenter zu setzen sind. Ich will in kurzen Zügen einige dieser Ursachen auszählen, ohne mich dem Odium der Parteilichkeit auszusetzen. Zunächst besteht die nur zu augenscheinliche Tatsache einer Überproduktion, die so offenbar ist, daß Sie mir eine Statistik ersparen werden. Ebenso augenscheinlich ist zweitens die Erzeugung wertloser Bücher und die Tatsache, daß Bücher künstlich ausgereckt worden sind, bis sie den 6 Schilling-Einband vertrugen, obgleich sie in Wirklichkeit wenig mehr Lesestoff als die alten 1 Schilling-Bücher enthielten. Wir alle haben 6 Schilling-Romane von weniger als 40 000 Wörtern gesehen, haben aber auch andere vor Augen gehabt, die mehr als 300 000 Wörter enthielten. Vielleicht wird hier der Ein wand erhoben, daß Quantität kein Maßstab für Literatur sein kann; wenn man aber 4^/z Schilling für ein Buch bezahlt und Unterhaltung für fünf oder sechs Abende davon erwartet, so fühlt man sich betrogen, wenn es nur ein paar Stunden unterhält. Im ganzen Bereiche des Handels gibt es keinen Artikel, für den das Publikum ohne Ausnahme denselben Einheitspreis bezahlen soll, ob nun ein Pfund oder nur wenige Gramm geliefert werden. Denen, die trotzdem einwenden, daß Quantität bei Literatur nicht in Betracht komme oder wenigstens nicht in Betracht kommen sollte, möchte ich erwidern, daß bet der Festsetzung des Preises eines Romans dis Qualität oft ignoriert wird. Die reife Arbeit der Erfahrung bringt in der Gestalt eines Romans nicht mehr ein, als das oberflächliche Geschreibsel von jungen Damen und Herren, die es sich ge statten können, 50 oder l üO Pfund für Herstellung einiger Hundert Exemplare ihrer kindischen Phantasie-Produkte aus zugeben. Aus dieser Gleichgültigkeit gegenüber Quantität und Qualität beim Verlegen von Romanen ist im Sorti- mentsgeschäft die Gewohnheit entstanden, zu wenig Unter schied zu machen zwischen dem, was preis- und empfehlens wert ist, und dem, was keine Empfehlung verdient. Ein Roman in den Händen mancher Sortimenter ist eben, um eine irische Redensart zu gebrauchen, »ein Roman«, und wenn der Preis eines guten, empfehlenswerten Buches etwas weniger vorteilhaft ist als der eines minderwertigen, so habe ich ein Beispiel (eine menschliche Schwäche werden Sie sagen) gekannt, wo ein Buchhändler das letztere vor dem elfteren Buch empfahl. Ich will nicht etwa behaupten, daß dieses allgemeiner Gebrauch wäre; wir dürfen aber nicht vergessen, daß der Verkauf jedes schlechten und minderwertigen Buches ein Nagel zum Sarge der 8 Schilling - Romane als Gattung ist. Es gibt noch andere Ursachen, aber namentlich eine, die erst kürzlich noch fast ganz allein für den angeblichen Rückgang des Verkaufes der 8 Schilling-Romane verant wortlich gemacht worden ist. Diese Ursache besteht in der angeblichen Herstellung billiger Romanausgaben in Lein wanddecken. Die dadurch entstandene ärgerliche Korrespon denz und die dadurch hervorgerufenen bitteren Gefühle find fast ausschließlich durch die Einführung dieser Art Neu- Auflagen von Romanen veranlaßt worden — namentlich wenn eine solche Neu-Auflage innerhalb einer verhältnis mäßig kurzen Zeit nach der ersten Auflage erschien. Ich will die Wahrheit dieser Behauptungen hier nicht näher untersuchen, nach meiner Ansicht sind mehrere Ursachen für die mutmaßliche Abnahme der Volkstümlichkeit der Romane in unserer Zeit verantwortlich. Während früher 25°/, aller verlegten K Schilling- Romane an die Leihbibliotheken und 75«/, durch die Sorti menter verkauft wurden, soll das Verhältnis heute um gekehrt sein, indem 75»/, in die Leihbibliotheken gehen und nur 25»/, an die Sortimenter verkauft werden. Ich kann nicht sagen, ob diese Berechnung richtig ist, aber zweifellos hat die ungeheure Vermehrung der Leihbibliotheken bedeutend auf den Verkauf der 6 Schilling-Romane eingewirkt, indem das Publikum dadurch noch mehr als in früherer Zeit oer- 1044»