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^ 90, 21. April 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 4747 (Di. Müller Meiningen^:) Eine zweite allgemeine Bemerkung: Ich vertrete im all gemeinen den Standpunkt, daß an derartigen, ziemlich neuen Reichsgesetzen so wenig wie möglich geändert werden soll, vor allem, wenn sie sich gut bewährt haben wie das vorliegende Gesetz; ich glaube, daß bei dieser Novelle schon etwas zu viel in dieser Richtung geschehen ist. Die Spuren der Gewerbeordnung, in der sich nur noch wenige Spezialisten auskennen, sollten uns doch schrecken! Auch die Zivilprozeßordnung und noch andere Reichs gesetze befinden sich ja bereits in einem sehr beklagenswerten Zu stande der Unklarheit und Unübersichtlichkeit. Da sollten wir uns doch hüten, auch in die ohnedies schwierige Materie des geistigen und gewerblichen Urheberrechts neue Unübersichtlichkeit und Un klarheit zu bringen, indem wir fortgesetzt auch an solchen Be stimmungen rütteln, die nicht durch die Rücksichtnahme auf inter nationale Verträge diktiert sind; und das ist tatsächlich hier bei einer Reihe von Punkten der Fall Auf die einzelnen Paragraphen will ich, meinem Vorredner folgend, nicht eingehen, obwohl gegen viele mancherlei ein zuwenden wäre. Dazu wird in zweiter Lesung Gelegenheit sein. Ich will mich auf folgende kurze Bemerkungen beschränken. Der Schutz der Werke der Tonkunst gegen mechanische Wiedergabe für das Gehör ist an sich gerechtfertigt; der Herr Vorredner hat mit vollem Recht die großen Schwierigkeiten bezüglich der neuen »Zwangslizenz« hervorgehoben. Das Schwierige dieser Frage liegt in der Verquickung von rechtlichen und volkswirtschaftlichen Momenten. Es wird hier eine Zwangslizenz von ungewisser Be schaffenheit geschaffen. Eine derartige Zwangslizenz mag unter Umständen für das gewerbliche Urheberrecht passen. Ich erinnere daran, daß der Stockholmer Kongreß des Jahres 1906 sich für dieselbe, statt des Verfalls eines Patents bei Nichtausübung, ausgesprochen hat, aber nur unter der Bedingung, »wenn im öffent lichen Interesse die Erteilung der Lizenz geboten erscheint«, wie es wörtlich heißt. Eine solche Kautele ist hier nicht gegeben. Für das Ur heberrecht ist diese Zwangslizenz eine sehr zweifelhafte Einrichtung Ebenso könnte auch für den Kunstverlag oder für die Unternehmer von Bühnen- und Konzertaufführungen eine solche Zwangslizenz eingeführt werden in der Weise, daß, wenn z. B. einer Firma die Reproduktion eines künstlerischen Werkes übertragen wird, sie gleichzeitig auch allen anderen Firmen übertragen werden müßte, oder daß, wenn einem Konzertunternehmer die Lizenz der Auf führung eines dramatischen oder dramatisch-musikalischen Werkes übertragen ist, sie ebenso allen anderen Unternehmungen gegeben werden mühte. Was bliebe dann noch vom geistigen Urheberrecht übrig? Gar nichts! Das wäre einfach die Aufhebung desselben! (Zustimmung links.) Nun ist man ja zu dieser Lösung gekommen aus volkswirt schaftlichen Gründen, wegen der unzweifelhaft großen wirtschaft lichen Bedeutung der betreffenden Industrie. Man ist in dieser Richtung sehr weit gegangen, hat aber andererseits die berech tigten Interessen der betreffenden Fabrikation tatsächlich nicht geschützt, sondern das Ganze wird zu einer Unsumme höchst unerquicklicher Prozesse führen. Das wird vor allem kommen, wenn die kasuistischen Bestimmungen der folgenden Paragraphen, des § 22 ff., vor allem aber des § 22 o, Annahme finden, die in unserer ganzen Gesetzgebung tatsächlich ein Unikum bedeuten- Es heißt da: Läßt sich nach dem Wesen des Instruments, für das die Erlaubnis verlangt wird, nur eine Wiedergabe von so niedrigem musikalischen Werte erzielen, daß dem Urheber nicht zugemutet werden kann, sie zu dulden, so kann die Erlaubnis verweigert werden. Ja, nun frage ich: wer soll denn das eigentlich bestimmen? Natürlich die Sachverständigen, die Sachverständigenkammern. Wir werden uns in der Kommission und in der zweiten Lesung auch mit diesen Sachverständigenkammern etwas näher befassen müssen. Ich möchte hier nur erklären, daß in weiten Kreisen der musikalischen, der künstlerischen und literarischen Autoren Un zufriedenheit über die Einrichtung der Sachverständigenkammern und über Aussprüche einzelner Sachverständiger mit Recht besteht. Ich will auf dieses Kapitel heute nicht näher eingehen. Aber nach dieser Lösung der Frage in dem § 22 o mit diesen kasuistischen und kautschukartigen Bestimmungen ist der betreffende Sach verständige auf diesem Gebiet einfach vollkommen souverän. Nun heißt es in Absatz 2: Werden Vorrichtungen, für welche die Erlaubnis erteilt ist, derartig minderwertig hergestellt, daß mit Rücksicht hierauf dem Urheber nicht zugemutet werden kann, die Wiedergabe seines Werkes durch sie zu dulden, so kann der zur Erteilung der Erlaubnis Berechtigte die Herstellung so beschaffener Vorrichtungen verbieten. Ja, auch hier muß ich fragen: wer soll denn das bestimmen? und wie soll denn das bestimmt werden? wie soll vor allem der Urheber zeitig erfahren, wie das betreffende Instrument hergestellt worden ist? Es wird darüber geklagt, daß die musikalische Produktion bei uns nicht auf der Höhe der Zeit stehe. Aber ick muß sagen: hier müßte also der Fabrikant die Pflicht des Vor- spielens vor jedem Komponisten haben, und der Komponist auf der anderen Seite müßte die Verpflichtung haben, beinahe tag täglich in die Fabrik zu gehen, um sich dort die mechanische Reproduktion seiner musikalischen Werke vortragen zu lassen. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich ausspreche: die armen Komponisten müssen ja schließlich alle irrsinnig werden (Heiterkeit — Sehr richtig! links), wenn sie die Reproduktion ihrer eigenen Werke auf diesen mechanischen, zum Teil wahrhaftig nicht sehr glänzenden Vor richtungen mit anhören müssen. (Heiterkeit.) Es ist tatsächlich ein legislatorischer Antrieb zum Selbstmord für die Komponisten. (Erneute Heiterkeit.) Ich möchte sowohl im Interesse der armen Komponisten wie im Interesse der Fabrikanten dringend bitten, daß wir eine der artige Kasuistik, eine derartige Beschließung von Ausnahmen von den Ausnahmen unter allen Umständen hier ausmerzen; denn, wie gesagt, das wird lediglich zu einer Unsumme von Prozessen führen. Was die anderen Fragen anlangt, die der Herr Vorredner hier angeschnitten hat, so möchte ich bloß eine Bemerkung zu einer Frage machen. Das ist die Frage der Verlängerung der 30jährigen Frist auf 60 Jahre. Ich gestehe ganz offen zu, daß ich in dieser Beziehung meine frühere Anschauung etwas modi fiziert habe. Ich bin nicht böse darüber, daß die Erweiterung der 30jährigen Frist auf die 60jährige unterblieben ist. Die Sache hat ja ihre zwei Seiten: eine internationale und eine nationale. Die internationale Seite der Frage müßte zu 60 Jahren führen; denn die maßgebenden Länder, die bezüglich der musikalischen und literarischen Konkurrenz für uns in Betracht kommen, vor allem Frankreich, Belgien, Italien, Ungarn, Nor wegen, Schweden, haben eine längere Schutzfrist als 30 Jahre. Nur Österreich und die Schweiz haben sich außer Deutschland bisher gegen die Verlängerung der 30jährigen Frist auf 60 Jahre gesträubt. Es besteht tatsächlich die Gefahr, daß der deutsche Verlag, der deutsche musikalische Verlag vor allem, sich nach Brüssel, nach Paris und nach andern ausländischen Hauptorten des Verlags wendet. Aber auf der andern Seite, vom nationalen Standpunkte — wenn ich diesen Ausdruck hier gebrauchen darf —, müßten doch die Bedenken gegen die Erhöhung der 30 Jahre auf 50 Jahre den Ausschlag geben. Das Unpopuläre einer derartigen Er weiterung der Frist von 30 auf 60 Jahre besteht unter anderem darin, daß womöglich ein Seitenverwandter oder ein ox t63tLiusnto Eingesetzter das Recht erhalten würde, der Nation ein großes nationales musikalisches und literarisches Werk vor zuenthalten. Das größte Bedenken gegen diese Erweiterung der Frist auf 50 Jahre ist aber zweifellos das, daß gerade bei sehr guten Werken der Urheber und sein Verleger ihre Monopolstellung zu Preisen ausnützen können, die für die breitesten Schichten des Volkes unerschwinglich erscheinen. (Sehr richtig! links.) Die Verteuerung der besten künstlerischen und literarischen Kost unsers deutschen Volkes ist eine Gefahr, die nicht von der Hand zu weisen ist, und deswegen habe ich, wie gesagt, auch nichts da gegen, daß es bei der bisherigen 30jährigen Frist bleibt. (Sehr gut! links.) Der Herr Vorredner hat ja bereits als bayerischer Lands mann den Parsivalstreit etwas angedeutet. Ich stehe auch auf dem Standpunkt, daß das Interesse des verstorbenen Tonkünstlers 612*