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90, 21. April 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dlschn. Buchhandel. 4753 (Dietz:) daß das Spiel durch ein technisches Verfahren festgelegt und sozusagen von der Person seines Schöpfers losgelöst werde, auf daß es einen Gegenstand für sich und von dauerndem Werte zu bilden vermöge. Nun kann man, wenn schon unsere Gelehrten — und Professor Köhler gehört ja dazu, da er ein Spezialist auf dem Gebiete des Urheberrechts ist — so reden, annehmen, was wir von der nächsten Zukunft zu erwarten haben. Danach wären z. B. bei kinematographischen Darbietungen zu schützen: erstens der Dichter, zweitens der Tonsetzer, drittens der Schauspieler oder Sänger, dessen Spiel die bloß fragmentarischen und lückenhaften Angaben des Autors mit Leben erfüllen, und endlich viertens der Kinematograph selbst. Den Richterkollegien, die in diesen Angelegenheiten Recht zu sprechen haben, können wir von vornherein unser Beileid aus- drücken. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf eine Seite der kine matographischen Vorstellungen Hinweisen, die der Beachtung wert ist; dürfte doch kaum ein Dorf in Deutschland sein, wo nicht der artige kinematographische Theatervorstellungen gegeben werden. Meistens sind diese Vorstellungen gut besucht. Infolgedessen ist es auch nicht gleichgültig, welche Schriftwerke zum Vortrag und zur bildlichen Darstellung gelangen. Alle Parteien sind darüber einig, daß die stark wuchernde Schundliteratur unserer Jugend höchst verderblich ist. Man kann nun die Beobachtung machen, daß die Kinematographen sich auf diese Schundliteratur gleich, falls geworfen haben, und daß die Nick Carter- und Sherlock Holmesliteratur dort zur lebendigen Darstellung gelangt, die in ihrer Wirkung mindestens ebenso bedenklich ist wie das Schrift werk an sich. Die Kinematographen greifen vielleicht nicht aus Neigung zu solchen Schriftwerken, sondern um das Publikum anzuziehen und um zu verdienen. Die beste Hilfe kann in diesem Falle nur aus dem Publikum selbst kommen, das das größte Interesse daran hat, dem Inhalt dieser Darbietungen einer mächtig aufblühenden Industrie, die jetzt sogar unter den Schutz des Urheberrechts ge stellt werden soll, etwas mehr kritische Aufmerksamkeit zu schenken. An guten zugkräftigen Sujets fehlt es nicht. Es liegt also nur in dem guten Willen der Kinematographen selbst, es uns zu er leichtern, für ihren speziellen Schutz einzutreten, den sie nach meinem Dafürhalten vielleicht auch auf dem Wege des Muster schutzes erreichen könnten. Der Nutzen, den die Schriftsteller z. B. von der Kinemato graphie haben werden, wird so erheblich nicht sein. Wohl aber kommen die Tonsetzer in Betracht, und da liegt der Hase im Pfeffer. Das Zeugnis muß man den Komponisten ausstellen: ihre Organisation haben sie flott in Zug gebracht, wenn sie auch mitunter Mittel in Anwendung gebracht haben, die von den Be- troffenen als sehr drückend empfunden worden sind. Ich will nicht weiter eingehen auf die Tantiemenspitzelei, die vielfach das Maß des Zulässigen überschritten hat. Wir sollten uns aber hüten, die Bestimmungen in das Gesetz hineinzubringen, die den kleinen Fabrikanten von mechanischen Musikwerken das Lebenslicht ausblasen könnten. Dazu haben wir um so mehr die Pflicht, da sich die Industrie der mechanischen Musikwerke in allen Ländern und ganz besonders in Deutschland bislang frei entwickelt hat. Eine mäßige oder, wie der Entwurf sagt, angemessene Ab gabe wollen die Verfertiger mechanischer Musikwerke, wie sie selbst zugestehen, gern bezahlen, nur möchten sie diese Abgabe ge setzlich festgelegt sehen. Ich glaube, daß dieser Standpunkt, den sie vor ganz wenigen Wochen noch vertreten haben, auch heute noch der gleiche ist: sie wollen die Höhe der Abgabe nicht in das Belieben der Urheber bzw. deren Rechtsnachfolger gestellt sehen. Ebenso wichtig ist auch für die Fabrikanten die Bestimmung, daß es dem Urheber nicht gestattet sein soll, einem Dritten die Genehmigung zu versagen, weil dessen Instrument nur eine Wiedergabe von so niedrigem musikalischen Wert erzielt, daß dem Urheber nicht zugemutet werden kann, sie zu dulden. Die Ansichten über minderwertige Wiedergabe eines Musik stückes durch ein Musikinstrument werden stets sehr verschieden Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. sein. Einem feinfühligen Musikliebhaber wird die Drehorgel viel leicht ein Marterinstrument sein, den Bewohnern von Miets kasernen dagegen wird sie Sonnenschein in die lichtarmen Höfe der Großstädte bringen. So verschieden kann ein und dasselbe Instrument wirken. Dabei darf man auch nicht vergessen, daß mancher große Künstler seine Popularität zum Teil der volkstüm lichen Drehorgel zu verdanken hat. Nun wird kein Mensch behaupten, daß die Drehorgel ein voll kommenes Musikinstrument ist. Selbstverständlich wird man das auch sagen können von den großen Orchestrien, die mitunter einen Wert von 10 000 ^ und mehr repräsentieren. Paßt es nun dem Urheber nicht, ein solches Instrument als vollwertig anzuerkennen, so kann er die Übertragung verbieten. Man sollte annehmen, wenn bislang die Wiedergabe von Tonstücken auf mechanischen Musikinstrumenten dem Rufe der Tonkünstler nicht geschadet hat, es auch späterhin der Fall sein wird. (Sehr richtig! links.) Mechanische Musikinstrumente werden immer nur ein schwacher Ersatz für die individuelle Kunst sein und bleiben (Sehr richtig! links), genau so wie die Reproduktion von Gemälden durch Photographie und durch Holzschnitt. Diese können mitunter sehr minderwertig sein; aber der Urheber hat durchaus kein Recht, gegen eine solche Reproduktion einzuschreiten. Das gleiche kann auch der Fall sein, wenn der Urheber oder dessen Verleger die Kompositionen an Künstler und Kapellen gibt, die diese Musikstücke aufführen. Es kommt häufig vor, daß sie so miserabel spielen, daß ein mechanisches Musikinstrument es viel besser macht. Gegen das mechanische Musikinstrument würde der Urheber die Möglichkeit haben, einzuschreiten, nicht aber gegen das falsche, schlechte individuelle Spielen. Meine Herren, die Voraussetzungen, unter denen wir diesem Teil des Entwurfs zustimmen können, sind, daß erstens alle Härten gegenüber den Verfertigern mecha nischer Musikwerke beseitigt werden, damit diese Industrie existenz- und exportfähig bleiben kann; zweitens, daß es nicht in das Belieben der Tonsetzer ge stellt werden darf, irgend einem Dritten das Reproduktions recht zu verweigern, weil das Instrument angeblich als minderwertig anzusehen sei, und drittens, daß es unumgänglich erscheint, die Lizenz gebühr im Gesetz festzusetzen, um eine Monopolbildung zu verhüten. Ob es angängig sein wird, die Lizenzfreiheit der Noten zur Ausfuhr ins Ausland zu gestatten, wird wohl am besten in der Kommission zu besprechen sein. Wir schließen uns der Überweisung an eine Kommission von 14 Mitgliedern an. Daß die Fabrikanten einen Schutz für ihr Fabrikat gegen unberechtigte Vervielfältigung und mißbräuchliche Benutzung wünschen, ist ganz erklärlich und nur zu billigen; aber es scheint, als wenn das eigentlich nicht ins Urheberrecht gehört, sondern unter den Musterschutz fällt. Von Herrn vr. Ludwig Volkmann ist nun in einer Broschüre der Vorschlag gemacht worden, eine Vereinigung von Interessenten zu bilden, die gleichsam eine Zentralstelle sür die Verwertung des Urheberrechts gegenüber mechanischen Musikwerken sein soll. Eine Lösung dieser Frage, meine Herren, ist das aber nicht. Die Lösung kann nur auf dem Wege der Gesetzgebung gefunden werden, welche die Rechte der einzelnen in Betracht kommenden Gruppen genau umschreibt. Es wird sicher versucht werden, auch nach der gesetzlichen Lösung der Frage eine solche Zentralstelle zu schaffen, die bei ver ständiger Leitung allerdings manches Gute schaffen und den Be teiligten viele Unannehmlichkeiten ersparen kann. Sie kann aber auch für neu sich etablierende Fabrikanten ein Hindernis der Existenzmöglichkeit werden. Tantiemehungrig wird die Zentrale aber immer bleiben müssen, und sie wird auch Mittel finden, um diesen Hunger zu befriedigen. Auf dem schon angeführten 31. Kongreß der ^sgoeiat-ion litterairs usw. erklärte der Franzose Joubert — und das ist für die Tantiemespitzelei sehr bezeichnend —, daß es in Frankreich allein zirka 8000 Personen gebe, die sich von weniger wichtigen Tonstücken, wie Tänzen usw., nährten und davon lebten; diese 614