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90 schon längst eine crzgebirgischc Celebritat und blieb sie teilweise selbst in einer Zeit, wo die gesinmmgstüchtigste Demokratie das große Wort führte; er verschwand sogar in jener Zeit nicht von der Candidatenliste in die erste Kammer, wo Alles, was nur ir gend eine Spur von Aristokratie an sich trug, verdächtigt, ver achtet oder gar mit Schm»; beworfen ward. Es ist aber in der That die soeben erfolgte Berufung des Herrn v. Carlowitz in den preußischen Staatsdienst unter den obwaltenden Verhältnissen geradezu ein Ereigniß zu nenneu; denn abgesehen davon, daß er ein Aristokrat derjenigen edlcrn Gattung ist, die Jedem Achtling abnöthigt, der für Das, was den Menschen unter allen Umstan den ehrt, einen Sinn sich bewahrt hat; abgesehen ferner davon, daß er als Mann von Geist, von hoher staatsmännischer Befähig ung und rücksichtloser Freimüthigkeit sich bewahrt hat, muß vor allem ins Auge gefaßt werden, daß Preußen den sächsischen Volksvertreter und Staatsmann gewissermaßen gegen seine Ver folger in Schutz nimmt und ihm zugleich eine Stellung anver traut, die mit überwiegender Macht und Wirksamkeit ausgestattct der sächsischen Diplomatie entgegenzutreten vermag. Wer möchte aber auch in dieser Berufung nicht gleichzeitig eine nur zu deut liche Manifestation der Gesinnung Preußens gegen Sachsen er kennen? Außerdem ist es für den Kenner der sächsischen Ge schichte und für den aufrichtigen Freund seines Vaterlandes em schmerzliches Gefühl, einen Carlowitz, dessen Familie seit vielen Jahrhunderten um ihrer Verdienste willen dem Hause Wettin befreundet und wcrch war, gleichsam in die Verbannung wan dern zu sehen. Der Eindruck dieses Ereignisses ist ein allgemei ner, und Preußen hat nicht sowohl einen kühnen als m seinem Interesse einen höchst glücklichen und der sächsischen Diplomatie gegenüber höchst geschickten Griff gethan. UuS siel ein: Talley rand sagte zu Ludwig XVlll.: ,,Sire, ich habe gefunden, wer mit mir sich entzweite, ward bald darauf unglücklich." Mögen die Ereignisse unsern Einfall in jeder Beziehung Lügen strafen! Riesa, 11. März. Der Eindruck, den die Verhandlungen über die deutsche Frage iu der zweiten Kammer der Ctändever- sammlung hier und in der Umgegend gemacht haben, ist nur mit dem zu vergleichen, den die ersten Verhandlungen über Oeffent- lichkcit und Mündlichkeit 1840 machten. Auch damals wußte man, daß alle Reden und die schlagendsten Gründe, daß alle Majorität dem damaligen Ministerium gegenüber zur Zeit Nichts bewirken würden. Aber mau war stolz aus solche Abgeordnete, die standhaft kämpften und die Zeit verstanden. Mochte das Ministerium Könneritz auch so keck und unvorsichtig sein, einen hohem Mund aussprechen zu lassen, daß man nie sich werde ent schließen können, Oeffcntlichkcit und Mündlichkeit im Gerichtsver fahren zu gewähren; das Volk ließ die Hoffnung nicht sinken, wußte, daß kein Ministerium der öffentlichen Meinung auf die Dauer widerstehen kann. Diese Hoffnung täuschte nicht, v. Kö- ncritz trat ab und v. Carlowitz übernahm das Ministerium der Justiz mit der Erklärung, daß Qcffentlichkeit und Mündlichkeit eingesührt werden solle. Daß man auf diese Weise nachgab, zeigte die Macht der Wahrheit; aber für so späte Nachgiebigkeit lotmte man keinen Dank ernten. Im Mai vorigen Jahres pro- clamirte das Ministerium das preußisebe Dreikömgsbüudniß als den einzig möglichen Weg, zur Einigung Deutschlands zu gelan gen; aber die politisch Vorsichtigen sahen darin nur eine Wirk ung der Zeitunistände. Man ist nun begierig, zu sehen, ob das selbe Ministerium das bairische Dreikönigsbündniß nicht auch für den einzig möglichen Weg erklären wird, obwohl kein sreigewähl- teS VolkshanS beabsichtigt wird. Und eine solche Castration der deutschen Verfassung sollen die Deutschen ohne Widerspruch hin nehmen, wohl gar mit Beifall begrüßen! Was wäre die ganze Sache anders, als eine wenig verbesserte Auflage des alten Bun destages? Denn schon ist man überall bemüht, das Wahlgesetz zu beschränken, und dann sollen die Volksvertreter wahrscheinlich nicht ohne Zuthun der Regierungen wählen! ES wird Dies nur Schatten vom Schatten der Volkstheilnahme an der Gesetzgeb ung Deutschlands. Doch wenn mau sah, welchen Wiederhall in tausend Herzen die Reden Derer fanden, welche für Deutsch lands Verfassung mit einem Volks- und Ctaatenhause waren, so ist man nicht in Zweifel, daß die neue Vereinigung sich nicht einleben kann in deutsche Herzen. Mau kann den Versuch der Ausführung machen, aber ohne alle Sympathie dcs Volks. Sind wir auch kein Freund der jetzigen preußifchen Romantik, kein Freund von zurückgenommenen und verkümmerten Verheiß ungen, so vertrauen wir doch dem preußischen Volke, und wie beschränkt auch die neue preußische Coustitution sein mag, sie ge währt doch eine feste konstitutionelle Grundlage, errichtet die öffentliche Rednerbühne, diese beste politische Bildungsstätte des Volks; sie gewährt Preßfreiheit, und mit diesen früher so ver kümmerten Mitteln kann Gwßes ausgerichtet werden, wie die Erfahrung gelehrt hat, wenn nur das Volk und feine besten Söhne ausdaucrd den geistigen Kampf der Freiheit fortkämpfcn. Wenn man sich neulich, nach dein in der ersten Kammer beschlos senen Nichts, schämen mochte, ein Sachse zu sein, so blickt man nun wieder frei auf und giebt der Hoffnung Raum, daß unsere Bestrebungen für ein einiges Deutschland mit parlamentarischer Regierung nicht vergeblich sein werden. Aus Berlin wird der Deutschen Reichszeitung Folgende? geschrieben: Von zuverlässiger Seite erfahre ich, daß zu Com- missarien des Vcrwaltungsraths beim Reichstage folgende Män ner defignirt sind: v. Radowitz, Vollpracht, v. Carlowitz, v. Le- pel und vr. Liebe. Diese Wahl wird zuversichtlich von allen Freunden des Bundesstaats mit großer Genugthuung vernom men werden, und namentlich darf man annehmen, daß der Name des Herrn von Carlowitz, des bedeutsamsten Vorkämpfers der Bundesstaatsibee in Sachsen, allgemeine Freude Hervorrufen wird. Erfurt, 14. Marz. Es bestätigt sich, daß das Parlament unwiderruflich am 20. Mär; eröffnet wird; jedoch nicht in der Augustinerkirche, sondern im hiesigen Regicrungsgebäude, das bereits eine geschichtliche Bedeutung dadurch hat, daß in demsel ben Napoleon 1808 die Fürsten zum Cougrcssc berufen. Aber schon wenige Tage nach seiner Eröffnung wird der Einzug in die Augustinerkirche, an deren Herstellung Tag und Nacht gearbeitet wird, erfolgen. Die Eröffnung wird durch Herrn v. Radowitz