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Ottendorfer Zeitung : 07.12.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190612070
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19061207
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19061207
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-12
- Tag 1906-12-07
-
Monat
1906-12
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 07.12.1906
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politische Kunälchau. Deutschland. *Der Kaiser traf am Dienstag in Breslau ein und begab sich von dort nach Klitsch dorf zur Jagd beim Fürsten von Solms- Baruth. * Zwischen Kaiser Wilhelm und dem Kaiser Franz Joseph von Österreich fand aus Anlaß der Enthüllung eines Denk mals für den um die Gründung des Drei bundes hochverdienten ungarischen Staats mann Grafen v. Andrassy in Budapest ein Telegrammaustausch statt. * Prinz Karl von Baden ist, 74 Jahre alt, Montag in Karlsruhe gestorben. * Das preußischeStaatsministe- rium trat unter dem Vorsitz des Reichskanzlers Fürsten v. Bülow zu einer Sitzung zu sammen. Dem Vernehmen nach wurden die Maßregeln zur Behebung der Fleisch not besprochen; ferner wurde der Termin, wann die Frage der Fleischnot im Reichstag be antwortet werden solle, festgesetzt. * Dem Reichstage ist der Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung der General akte der internationalen Konferenz von Algeciras zugegangen. * Gegen die Ausweisungspraxis der Polizeibehörden, wie sie im Verlauf des Prozesses gegen den falschen Hauptmann von Köpenick, Wilhelm Voigt, geschildert wurde, richtet sich eine Interpellation, die die nationalliberale Fraktion im Reichs tag einbringen will. Es ist, wie verlautet, Aussicht vorhanden, daß über diese Interpellation bald nach den Weihnachtsferien verhandelt wird. Osterreich-Ungarn. * Das österreichische Abgeord netenhaus nahm unter Protesten der Tschechisch-Radikalen, unter lärmenden Zwischen rufen der Alldeutschen und unter leb haftem Beifall der Christlich-Sozialen und der Sozialdemokraten die Wahlreform- Vorlage in dritter Lesung mit 194 gegen 63 Stimmen an. * Der österreichische Staatseisenbahn rat nahm einen Dringlichkeitsantrag an, nach dem die Eisenbahntarife für Vieh- und Fleisch transporte als Maßnahme zur Hebung der Fleischnot herabgesetzt werden sollen. Frankreich. * In der Kammer wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, daß im Augenblick Deutsch lands Kriegskunst eine ganz hervor ragende sei. Die jüngsten Manöver in Schlesien hätten bewiesen, daß die Deutschen, die Lehr meister der Japaner, im Umgehungsmanöver unerreicht sind. England. * Zur Armeereform erklärte Kriegs- minister Haldane, England sei unfähig, im Kriege mehr als die Hälfte der Geschütze ins Feld zu bringen; keine Waffengattung bedürfe so sehr der Neubildung wie die Artillerie. Von der Infanterie müßten neun Bataillone aufge löst werden, um die für die Mobilisierung der übrigen Bataillone erforderlichen Geldmittel zu beschaffen. Italien. * Der Pap st hat sich sehr erfreut über die Haltung des Fürstbischofs von Breslau anläß lich des Schulstreites ausgesprochen und soll gesagt haben: „Ich wünsche für Posen und Gnesen einen Erzbischof, der in derselben Weise den Frieden aufrecht zu erhalten weiß, wie Kardinal Kopp in seiner aus Polen und Deutschen gemischten Diözese." Holland. * Wie aus dem Haag berichtet wird, ist für die zweiteFriedenskonferenz,für welche der Zeitpunkt noch nicht genau festgesetzt ist, die allgemeine Abrüstung als erster Pro grammpunkt in Aussicht genommen. England wird die Beratung dieses Punktes verlangen, auch wenn etwa Deutschland sich weigem sollte, über die Abrüstung m eine Debatte ein zutreten. *JnNiederländisch-Jndien haben die Kämpfe der Holländer mit den Eingeborenen noch immer zu keinem Ergebnis geführt. Die Truppen müssen schrittweise das ganze Land wiedererobern, das die Rebellen in Besitz genommen hatten. Norwegen. * Die Regierung hat eine Note an die Mächte versandt, in der darauf hingewiesen wird, daß Norwegen unter allen Umständen nur den Frieden haben will, und daß der neu zu schließende Neutralitätsvertrag sich gegen keine Macht, d. h. nicht gegen Deutsch land, Rußland, Frankreich und England richte. Spanien. * Das kaum erst gebildete Kabinett Moret hat nach viertägiger Dauer seme Entlassung genommen, da sich im Senat herausstellte, daß die Mehrheit gegen Moret ist. Rustland. * Das Kron st ädter Militärgericht verurteilte 683 von den der Meuterei an geklagten Matrosen zu Zwangsarbeit in Strafbataillonen, die übrigen 117 Angeklagten wurden freigesprochen. * Der finnländische Senat hat durch ein Rundschreiben die Gouverneure angewiesen, Russen, die im russischen Reiche Verbrechen begingen und in Finnland Unterkunft suchen, auf Aufforderung der russischen Behörden ohne weiteres auszuliefern. -Lus ckem Aeickstage. Der Reichstag setzte am 1. d. die Beratung der kolonialen Nachtragsetats fort. Kolonialdirektor Dernburg erklärte, daß Geheimrat Seitz sich im guten Glauben befunden habe, als er dem Reichs tag die Angaben über die Verträge mit der Firma Tippelskirch machte, die der Abg. Erzberger als un richtig bezeichnet habe. Abg. Bebel lsoz.) wieder holte alle die Beschuldigungen, die gegen die Kolonialverwaltung gefallen sind und brachte noch neue Beschuldigungen gegen Kolonialbeamte vor, die sich unter dem Gouverneur v.Puttkamer inKamerun unerhörte Grausamkeiten und Brutalitäten gegen die Eingeborenen hätten zuschulden konimen lassen. Er erörterte sodann den Fall Peters in allen seinen Einzelheiten und griff aus diesem Anlaß den Abg. Arendt und mehrere seiner Parteigenossen in heftigster Weise an, was stürmische Szenen im Hause her vorrief. Am 3. d. wird die erste Beratung des Nach tragsetats fürSüdwestafrika fortgesetzt. Stellvertr. Kolonialdirektor Dernburg: Unter Berufung auf eine Aussage des verstorbenen Staatssekretärs Frhrn. v. Richthofen hat am 1. d. der Abg. Bebel bezüglich des Geheimrats Hellwig erklärt, die Pensionierung Hellwigs sei eine Folge seines Eingreifens in die Affäre des Dr. Peters. Demgegenüber ist zu erklären, daß ein Zusammen hang mit diesem Falle nicht besteht. Geheimrat Hellwig war den steigenden Anforderungen seiner Stellung nicht mehr vollständig gewachsen. Der eingetrctcne Shstemwechsel machte auch einen Per sonalwechsel notwendig. Demnach ist es nicht glaubbar, daß der verstorbene Frhr. v. Richthofen entgegen dem wirklichen Sachverhalte die Pensio nierung des Herrn Hellwig mit dem Falle Peters begründet haben soll. Die Behauptungen des Abg. Ablaß bezüglich der Entlassung Pöplaus sino ebenfalls unrichtig. Gegen Pöplau ist nicht lediglich wegen seiner Eingaben an den Reichskanzler vor gegangen, er Hatto sich vielmehr schon vor 1903 eine Reibe von Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Er ist wiederholt zu Disziplinargeldstrafen verurteilt worden. Die Zurechnungsfähigkeit Pöplaus wurde auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens in Frage gestellt und daraufhin das Zwangspensionierungs verfahren eingdleitet. Es ist also keineswegs zu scharf gegen Pöplau borgegangen, das Verfahren ist vielmehr sehr milde zu nennen. Erst als dies Verfahren nicht zum Ziele führte, blieb nichts übrig, als das Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten. Pöplau hat sich jeder Belehrung als unzugänglich gezeigt und besitzt kein Pflichtgefühl. Abg. Rören (Zentr.): Zu dem Falle Wistuba kann ich mttteilen, daß alle Beschuldigungen dieses Herrn sich als unwahr erwiesen haben und daß sich Herr Wistuba in den Kolonien des größten An sehens erfreut. Diesem Manne darf kein Unrecht geschehen, dagegen ist Geheimrat v. König für alles verantwortlich zu machen, da er die schuldigen Beamten im Amte ließ. Minderwertige Elemente gehören nicht in die Kolonien. Der größte Qbelstand ist unzweifel haft die Prügelstrafe, die meines Erachtens auch für die Kolonirn entbehrlich ist. Redner beschuldigt ferner den Bezirksamtmann Schmidt in Togo, daß er sich eine schwarze Konkubine hielt, der er sogar die K Der Meg -um k^er?en. 1s Novelle von F. Stöckert.*) „Ich will aber keinen Doktor, Mama! Ich will allein wieder gesund werden. Laß ihn nicht herein, ich leide es nicht!" Diese Worte kamen Ms dem Munde eines jungen Mädchens, dessen fieberndes Gesichtchen unter der rosa-seidenen Steppdecke hervorlugte und mit blitzenden Augen zu der Mama empor schaute, die völlig ratlos am Bette des ver zogenen Lieblings stand. „Aber Kind, er ist ja schon im Vorzimmer ! Dein Papa hat nach ihm geschickt. Du bist wirklich ernstlich krank." „Er ist schon im Vorzimmer? Er will hier herein?" rief die Kranke und mit Blitzesschnelle verschwand das Köpfchen unter der seidenen Decke. Nur eine der langen schwarzen Flechten blieb verräterisch sichtbar und hob sich grell ab von dem zarten Rosastoff der Decke. Einen Moment herrschte tiefe Sülle in dem lauschigen, aufs luxuriöseste eingerichteten Schlaf gemach. Die Vorhänge waren zugezogen; nur hier und da stahl sich ein Strahl der Winter sonne herein und warf zitternde Streiflichter auf die mit rosa Musselin drapierten Wände. Hinter der dunkeln Portiere, durch welche man in das Vorzimmer gelangte, tauchte jetzt der verschmähte Doktor aus und näherte sich dem Lager der Paüenün. Mit etwas verlegener Miene begrüßte ihn die Frau Kommerzienrätin Bendels, die Mutter *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. des eigensinnigen jungen Wesens, für welches man seme Kunst in Anspruch nehmen wollte. „Liebe Melitta, willst du dich nicht zeigen, der Herr Doktor ist da," bat sie dann mit unsicherer Sümme. Unter der Decke jedoch rührte sich Lichts bei diesen bittenden Worten. „Wohl ein kleiner Eigensinn?" fragte der Doktor, „nun da pflegen wir kurzen Prozeß zu machen." Mit fester Hand hob er die Decke hoch und blickte dann etwas verblüfft in das reizende Schelmengesicht des jungen, vielleicht sechzehn jährigen Mädchens. „Ach, ich vermutete ganz etwas andres unter dieser Decke, eine junge Dame ganz ge wiß nicht!" sagte er lächelnd. „Ich muß aber sehr bitten, mein Fräulein, daß Sie sich meinen Verordnungen willig fügen, zum Versteckspielen haben wir Arzte keine Zeit." In Melittas Antlitz blitzte es zornig auf. „Warum kommt der Herr Sanitätsrat nicht ?" fragte sie. „Er ist selbst krank, ich bin in seiner Vertre tung hier. Und nun bitte, erlauben Sie mir einen Blick in Ihren Hals." Schnell ergriff er einen silbernen Löffel, der auf dem Nachttischchen lag und fuhr damit in den eben zu einer abweisenden Antwort ge öffneten Mund der jungen Dame. „Es ist Diphtheritis, wie der Herr Kommer zienrat schon befürchtete, nun auf diesen Fall bin ich vorbereitet." Er hotte Pinsel und Pulverschachtel aus den Taschen seines Über ziehers und begann den Hals der Kranken zu pinseln. Gerichtsbarkeit verlieh. Schmidt hielt sich auch fünf kleine Mädchen, angeblich um sich an ihrem harm losen Spiel zu ergötzen. Der Eingeborenen, die ein sehr starkes Sittlichkeitsgefühl gegenüber jugendlichen Mädchen haben, bemächtigte sich größte Entrüstung. Der Mission wurde das Beschwerderecht genommen, als dennoch eine Beschwerde über Schmidt einlief, wurde die Mission militärisch besetzt, der Altar und der Paramentenschrank durchwühlt und die Patres — angeblich wegen Fluchtverdachts — verhaftet. Diese Zustände sind der Kolonialverwaltung schon seit Jahren bekannt, und die Beamten befinden sich alle noch in Amt und Würden. Kolonialdirektor Dernburg weist den Vor wurf zurück, als ob er versucht hätte, den Ab geordneten ihr Material zu entwinden. Herr Bebel hat es erreicht, daß er zwei Beamte an den Schand pfahl gestellt hat, ohne daß ich in dieser Sache irgendwie etwas tun kann. Das ist viel grausamer als die angeblichen Vorkommnisse. Mein Prinzip ist: die schuldigen Beamten werden bestraft, die Unschuldigen geschützt und die Verleumder zur Rechenschaft gezogen. Die Untersuchung wird unparteiisch und gerecht vorgenommen, und Sie werde davon hören! In Togo handelt es sich lediglich um einen Streit zwischen der Mission und der Stationsverwaltung. Die Herrn Dr. Kersting zur Last gelegten Mißhandlungen seines Kochs sind von keinem Zeugen bewiesen und faktisch unmög lich gewesen. Das Verfahren gegen Wistuba wird von uns wciterverfolgt, unbekümmert um die Ein flüsse von rechts oder links. Abg. Arendt (freikons.): Die Vorwürfe gegen unsre Kolonialbeamten sind meist leichtfertig aufge stellt, wie aus den Darlegungen des Kolonial direktors hervorgeht. Es wäre doch wohl ange bracht, den Anschuldigungen eine gehörige Orien tierung vorangehen zu lassen. Beamtenvergehen in den Kolonien müssen strenge Ahndung finden. Wenn ich Herrn Bebel politisch tot machen könnte, so würde ich mir dies als ein Verdienst anrechnen, sollte ich mich dazu aber Mittel bedienen wie z. B. des Tuckerbrieses, so würde ich mich vor mir selber schämen. Die beiden Hinrichtungen stehen in keiner Beziehung zueinander; die Erzählung, es handle sich um die Hinrichtung einer Konkubine des Dr. Peters, die mit einem seiner Diener überrascht und die beide alsdann hingerichtet worden seien, hat sich als falsch erwiesen. Diese Sache ist also ebenso unrichtig wie der Tuckerbrief. Wir müssen die Ehre dieser Männer verteidigen. Abg. Eickhoff (frs. Vp.) polemisiert gegen den Abg. Arendt. Daß Dr. Peters Taten verübt hat, die ihn von jedem Amte im Heimatlande aus schließen würden, steht fest, und darüber sollte sür moralisch denkende Männer kein Zweifel sein. Herr Dr. Arendt tut mir in seiner Rolle recht leid. Wir wünschen eine Denkschrift, in der das ganze wesent liche Material des Falles Peters vorgelegt wird, damit wir entscheiden können, ob Herr Bebel oder Herr Dr. Arendt recht hat. Abg. Rören (Zentr.) .greift den Kolonialdirektor in heftiger Weise an wegen dessen Ausführungen betreffs der Togo-Missionsangelegenheit und wegen des Falles Wistuba und behauptet, daß sich Herr Dernburg durch die Verlesung vertraulicher, an Herrn v. Löbell gerichteter Briefe einer groben Indiskretion schuldig gemacht habe. Kolonialdirektor Dernburg weist diese Be schuldigungen energisch zurück und nach einigen persönlichen Bemerkungen vertagt sich das Haus. ^on unä fern. X Zu den Pockenerkrankungen in Metz wird jetzt von zuständiger amtlicher Seite mitgeteilt, daß zu einer Beunruhigung des Publikums wegen Ausbreitung der Seuche durchaus kein Grund vorliegt. Seit einer Woche sind zu den alten Fällen nur ein leichter Er krankungsfall und zwei pockenverdächtige Fälle unter den Abgesonderten hinzugetreten. Außer diesen Fällen echter Pocken und den Verdachts fällen ist aber auch das Auftreten der sogenannten Wasser- oder Windpocken in der Stadt fest gestellt worden. Diese Krankheit, die zwar auch übertragbar ist, aber meist harmlos verläuft, hat mit den echten Pocken garnichts zu tun und gegen sie ist auch die Schutzpockenimpfung wirkungslos. Da sie aber unter Umständen mit echten Pocken verwechselt werden kann, wird jeder einzelne Fall amtsärztlich genau fest gestellt. X Z« dem schrecklichen Eisenbahn- unfall vei Posen, dem zwei Arbeiter zum Opfer fielen, wird noch folgendes berichtet. Die Arbeiter Urbaniak und Oleszak, die in Diensten der Stadt Posen standen, während sie im benachbarten Glowno ihren Wohnsitz hatten, Sie verzog keine Miene bei dieser schmerz haften Kur; diese kurz angebundene energische Art und Weise des jungen Doktors schien dem verzogenen eigensinnigen Geschöpf zu imponieren. „So, heute abend werde ich das Pinseln wiederholen, gestatten Sie, daß ich noch ein Rezept aufschreibe," mit diesen Worten packte der Doktor seine Medikamente zusammen. „Bitte, mein Schreibzeug steht im Neben zimmer," erwiderte Melitta artig und wandte sich dann, als der Doktor dieser Weisung ge folgt, mit einer verzweifelten Miene an ihre Mutter. „Was ist das sür ein fürchterlicher Mann, Mama!" „Er soll ein sehr tüchtiger Arzt sein, der Doktor Bergen, mein Kind." „Aber entsetzlich mit diesem langem, schwarzen Bart, den durchdringenden Augen und so grob! Und heute abend kommt er wieder mit seinem gräßlichen Pinsel?" „Er wird dich gewiß recht schnell gesund machen, mein Liebling," tröstete die Mutter und ging in das Nebenzimmer, das Rezept in Emp fang zu nehmen. Dasselbe war schon längst geschrieben, aber der junge Doktor saß noch unbeweglich an Melittas Schreibtisch, seine Blicke hingen wie verloren an einem Kabinettporträt der jungen Dame, die im violetten Samtrahmen zwischen andern Bildern auf dem Tische stand. „Welche Anmut," murmelte er, „sie erinnert an jene kindliche süße Madonna von Murillo, sonst aber scheint sie mir sehr wenig Madonnen haftes in ihrem Wesen zu haben. Allerdings aufgewachsen in diesem raffinierten Luxus, in befanden sich auf dem Nachhausewege und wollten unweit des Bahnhofes Gerber-Damm trotz des bestehenden Verbots den Bahnkörper überschreiten. Hierbei wurden sie von dem aus der Richtung Posen-Gnesen kommenden Personenzuge 215 erfaßt, überfahren und auf der Stelle getötet. Ihre entsetzlich verstümmelten Leichen wurden auf Veranlassung der Polizei in Posen nach dem dortigen Stadtkrankenhause gebracht. Beide Verunglückten waren ver heiratet. Urbaniak hinterläßt eine Witwe mit sieben Kindern. X Die Kindesleiche in der Reisetasche. Eine mit zwei Handgriffen versehene Binsen handtasche, in welcher sich die Leiche eines neu geborenen Kindes weiblichen Geschlechts befand, wurde beim Passieren des Lübeck—Hamburger Zuges zwischen den Wärterbuden 38 und 39 unweit Rothebeck an der Böschung des Bahn dammes aufgefunden. Die ärztliche Untersuchung ergab, daß das Kind kurz zuvor geboren und bei der Geburt gelebt hat. Vermutlich ist die Leiche aus dem Fenster eines Wagenabteils geworfen worden und zwar nach dem Fundorte zu schließen, aus einem nach Hamburg gehenden Zuge. In der unnatürlichen Mutter wird eine Russin vermutet, denn in der Reisetasche be fanden sich außer einer gelbgeblümten Schürze größere Stücke einer russischen Zeitung. X Neun Goldstücke verschluckt. Ein russisch-polnischer Arbeiter, der in Rastenbnrg beschäftigt ist, stahl diese Tage einem Lands mann 100 Mk. und verschluckte die blanken „Füchse" bis auf 10 Mk., die er zur Bestreitung von Ausgaben in die Tasche steckte. Die Polizei ermittelte den Dieb und machte auch bald das Versteck des „goldenen Schatzes" ausfindig. Künstlich herbeigeführtes Erbrechen förderten die gestohlenen 90 Mk. zu Tage. K Absturz vom Kirchturm. Bei Aus führung von Reparaturen am Kirchturm in Ettal (Bayern) stürzte infolge Ausgleitens der Dachdeckermeister Wiedeman jun. aus Weilheim mit seinen beiden Gehilfen ab. Dem Meister und einem Gehilfen gelang es, sich noch während des Absturzes am unteren Teile des Gerüstes festzuhalten; beide kamen mit leichten Ver letzungen davon. Der zweite Gehilfe jedoch stürzte unter mehrmaligem Ausschlagen auf die Dächer des Klosters, in den Klosterhof hinab, wo er lebensgefährlich verletzt liegen blieb. X Ei« blutiges Liebesdrama hat sich in Neustadt a. d. Haardt abgespielt. In einem in der Nähe des dortigen Friedhofes befindlichen Gartenhäuschen fand man den 47 Jahre alten, verheirateten Steinhauer Heinrich Winter aus Neustadt und die 29 jährige Witwe Stülz aus Annweiler erschossen auf. Winter lag mit ent blößter Brust am Boden, in der Rechten noch krampfhaft den Revolver haltend, mit der Linken die tote Geliebte umklammernd. Beide hatten Schußwunden in der Herzgegend. In einem hinterlassenen Briefe teilten die Lebensmüden ihren Entschluß mit, gemeinsam in den Tod zu gehen. Die Witwe Stütz hat vor einiger Zeit dadurch von sich reden gemacht, daß einer ihrer Verehrer, der sich vergeblich um ihre Gunst bewarb, einen Mordversuch an ihr verübte, wofür er vom Schiedsgericht zu fünf Jahr Zuchthaus verurteilt wurde. X Ulanen als Strastenräuber. Von zwei Soldaten überfallen und beraubt wurde dieser Tage während der Nachtzeit der Land wirt Callais in Saarburg; die Wegelagerer, welche ihm die Barschaft und Uhr nahmen, wurden jetzt in den Ulanen Kroll und Neumann von der 4. Eskadron des 2. Ulanenregiments ermittelt und verhaftet; sie haben vor dem Untersuchungsrichter bereits ein offenes Ge ständnis abgelegt, Geld und Uhr wurden ihnen abgenommen und dem Beraubten wieder einge händigt. Die Verhafteten werden sich wegen Straßenraubes zu verantworten haben, welches Verbrechen ihnen neben der Ausstoßung aus dem Heere eine schwere Zuchthausstrafe ein bringen dürfte. Eisenbahnunglück. Bei der Station Hollod der Linie Belenyes—Vaskoh stieß ein Güterzug mit einem von Großwardein ab gegangenen Personenzug zusammen. Dabei wurden vier Personen getötet, 10 verwundet. der schwülen Atmosphäre des Salons, verzogen, verhätschelt, als einziges Kind; wie kann sich da eine Natur geistig und seelisch schön ent falten! Und was würde bleiben, wenn des Lebens Stürme sie erfaßten?" Er erhob sich schnell, als jetzt die Frau Kommerzienrätin erschien, und reichte ihr das Rezept, sich mit einer zeremoniellen Verbeugung von ihr verabschiedend. Noch einmal streifte sein Blick all den Luxus des kleinen Damen boudoirs, die Marmorstatuen zwischen den grünen Blattpflanzen, die kostbaren Ölgemälde und die hundert zierlichen Weinigkeiten, mit welchen unsre Salondamen sich umgeben, dann ging er eilen den Schrittes hinaus. Rauh streifte der Ostwind seine Schläfen auf der winterlichen Straße; in manches weniger stattliche Haus als dasjenige, welches er ver lassen, lenkte er im Laufe des Tages seine Schritte in Häuser, wo Annut und Elend herrschten, wo auf hartem dürftigen Lager hungernd, frierend die armen Kranken lagen und von ihm Linderung ihrer Not, ihrer Schmerzen erwarteten. Sie wußten es ja, der junge Doktor hatte ein mitleidiges, großmütiges Herz und half, wo er nur immer könnte. Der späte Abend erst führte ihn wieder in das Haus des Kommerzienrats Bendels. Mt ängstlichen Menen wurde er dort empfangen. Melitta sei kränker, sie fiebere heftig, hieß es. Eine brennende Nöte lag auf ihren Wangen, die großen, glänzenden Augen schauten hilfeflehend zu ihm auf, als er jetzt an ihr Lager trat. „Retten Sie mich!" bat sie, „ich will nicht
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