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Ottendorfer Zeitung : 12.12.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-12-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190612120
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19061212
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19061212
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-12
- Tag 1906-12-12
-
Monat
1906-12
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 12.12.1906
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VoUMebe kunäkckau. Deutschland, * Der Kaiser ist von seinem Jagd- aufenthalt in Schlesien wieder in Potsdam eingetroffen. "Die Note Frankreichs und Spaniens über das wegen der Unruhen in Marokko geplante Vorgehen ist durch die Berliner Bot schafter beider Staaten dem Staatssekretär des Auswärtigen v. Tschirschky überreicht worden. Herr v. Tschirschky erklärte, daß Deutschland an den Beschlüssen der Konferenz von Alge- riras festhalten werde. "Wie verlautet, hat der Bundesrat beschlossen, die Fl ei s ch n o t fr a g e am 12. d. im Reichstage verhandeln zu lassen. * Der Bundesrat erteilte den Ausschuff berichten über die Etats für das Auswärtige Amt und das Reichsschatzamt, den Etat der Zölle, Steuern und Gebühren, die Etats für das Reichsamt des Innern und das Reichs kolonialamt, sämtlich auf das Rechnungsjahr 1907, sowie über den Entwurf eines Gesetzes, betr. die Feststellung des Haushaltsetats für die Schutzgebiete auf daS Rechnungsjahr 1907 seine Zustimmung. * DaS Zentrum beantragte in der Budget-Kommission, die Schutz- truvpe in Südwestafrika im nächsten Etatstahr auf 2500 Mann herabzusetzen. "Der preuff. Landeseisenbabnrat hat mit groffer Mehrheit der Vorlage der Staats regierung über Ermäffigung der Stückgut- und Waaenladungs-Frachten für Fleisch von srischgeschlachtetem Vieh zugestimmt. * Wie verlautet, werden infolge der Er gebnisse deS Prozesses gegen Wilhelm Voigt, den falschen Hauptmann von Köpenick, die Bestimmungen über die Ausweisung Strafentlassener einer wesentlichen Ände rung unterzogen werden. "Der Lübecker Senat wählte zum regierenden Bürgermeister für 1907/08 den Senator Dr. Schoen. Vsterreich-Nngarn. "Im Wiener Ministerium des Äußeren ist gleichfalls die gemeinsame Note Frankreichs und Spaniens, die die Marokkoangelegenheit behandelt, über reicht worden. Wie verlautet, enthält das Akten stück die Versicherung, daß die beiden Mächte in keinem Falle über das in Algeciras festge setzte Programm hinausgehen und ihre gemein same Flottenkundgebung beenden wer den, sobald die Polizei in Marokko be gründet ist. "Der Tiroler Landeskulturrat erhob gegen die Bestrebungen der Städte Ein spruch, die Ausfuhr österreichischen Viehes nach Deutschland zu verbieten, und dankte dem Ackerbauminister für seine entschiedene Haltung im entgegengesetzten Sinne. "Im Heeresausschuff der unga rischen Delegation erklärte Kriegs minister Schoenaich, die Beobachtungen und Folgeningen aus dem russisch-japanischen Kriege würden auf das sorgfältigste von der .Kriegsverwaltung berücksichtigt; sie bezögen sich in erster Linie auf die Ausrüstung der Artillerie. Frankreich. *Jn der Deputiertenkammer hielt Jaurös, der Führer der Sozialisten, eine längere Rede, in der er die Regierung vor der ins Uferlose steuernden Politik warnte. Er warf dem Ministerium vor, daß es die Grenzen des Marokko-Abkommens überschreite. Vom Ministertisch wurde noch nicht geantwortet. Die Algecirasakte wurde mit 537 Stimmen ohne Widerspruch genehmigt. England. * Das Oberhaus bat mit vielen Ände rungen das Unterrichtsgesetz in dritter Lesung mit 105 gegen 28 Stimmen an genommen. Schweiz. * Der Nationalrat hat einstimmig be schlossen, in die Beratung des Entwurfs einer i neuen Militärorganisation einzu treten. Italien. "Der Papst wies in einem geheimen Konsistorium auf den betrübenden Sturm der Ereignisse unsrer Zeit hin und sprach die Hoffnung aus, das es gelingen möge, die bestehenden Feindseligkeiten und Drohungen gegen die Kirche zunichte zu machen. Belgien. *Jn der Kammer erklärten sich mehrere Abgeordnete entschieden gegen die Übernahme des Kongostaates durch Belgien und nannten die Bedingungen des Königs Leopold einfach unannehmbar, da ihre Annahme das Land in gewagte Unternehmungen stürzen würde. Holland. "Die holländischen Truppen hatten auf der Insel Timor ein siegreiches Gefecht mit den Eingeborenen. Man hofft, in kurzer Zeit die Ruhe wiederhergestellt zu haben. Rußland. * Angesichts der nahe bevorstehenden Duma wahlen muß es der Regierung höchst unangenehm sein, daß ihre politischen Gegner gerade jetzt durch die fortgesetzte Enthüllung unerhörterFinanzskandale wuchtiges Anklagematerial in die Hände bekommen. Nach dem Lieferungsschwindel, der durch Unter schlagung von Geldern, die für die Notleidenden bestimmt waren, verübt wurde, ist jetzt ein neuer Beamtenbetrug ans Licht gekommen. Es handelt sich um die Unterschlagung mehrerer hunderttausend Rubel, die zum Unter halt der ins Gouvernement Archangelsk ver schickten politischen Gefangenen be stimmt waren, deren Verpflegung erbärmlich ist. Es ist bereits der frühere Gouverneur von Minsk, Kurlow, zur Untersuchung dieser Unter schlagung wie der Lage der dortigen politischen Gefangenen überhaupt mit mehreren Beamten nach Archangelsk entsandt worden, und zwar auf die Veranlassung Stolypins. * In aller Stille sucht Rußland seine Flotte wieder herzustellen. Für die Schwarze- meerflotte wurden bei der Schiffswerft zu Nikolajew vier Mi neu kreuz er von be deutender Größe nach dem Muster der besten Fahrzeuge der europäischen Flotten in Auftrag gegeben. Asien. * Die Verstärkung der japanischen Armee wird von der Tokioter Regierung mit nicht geringerem Eiser betrieben als die Ver größerung und Verbesserung der Flotte. Nach einer Meldung aus Iokohama bat das japanische Ministerium beschlossen, in das kommende Budget einen Kredit für den Rücktransport zweier Divisionen aus der Mandschurei und Korea und für die Bildung von zwei neuen Divisionen im Jahre 1907 einzustellen. "Das Befinden des seit langem schwer er krankten Schahs von Persien bat sich nach Meldungen aus Teheran so verschlimmert, daß man mit dem baldigen Ableben des Herrschers rechnet. Bei der großen politischen Beunruhi gung, die im Lande herrscht, befürchtet man von einem Thronwechsel schlimme Folgen, dement sprechend haben viele Gouverneure der großen Städte Wassen und Munition gesammelt und große Vorräte an Korn ausgespeichert, um für die Ruhestörungen vorbereitet zu sein, die sicher ausbrechen werden, wenn der Schah stirbt. Ltem Keickstaqe. Der Reichstag b.schäjtigte sich am Donnerstag mit der Interpellation des Abg. Speck (Zentr.) betr. Verwendung der als „Futtcrgerste" verzollten Gerste als „Malzgerste". In der Begründung der Anfrage verlangte Abg. Speck- eine reinliche Scheidung zwischen Futtergerüc, die allein zu begünstigen sei, und jeder andern Gerste, gleichviel, ob sie zu Brau oder Brennzwecken verwendet würde und schlug zur Verhinderung jedes Zollunterschleises die allgemeine Anwendung des Denaturier nngSveriahrens vor. ' Ncicheschatzsekrelür Fchr. v. Stengel, der die Inter pellation beantwortete, erklärte, daß die Unter scheidung der Futter- und Malzgerste außerordentlich große Schwierigkeiten bereite, daß aber nach den Betrachtungen der Behörden von dem behaupte ten Mißbrauch in irgendwie nennenswerten Um fange nicht die Rede sein könne und eine Schädi gung der Neichsfinanzen nicht vorlicge. Das selbe bestätigte auch der preuß. Finanzminister Frhr. v. Ryeinbaben. Von den Rednern aus dem Hause gaben die Sozialdemokraten und Freisinnigen ihrer Genugtuung darüber Ausdruck, daß ihre seinerzeit bei Festsetzung deS Gerstenzolles aus gesprochenen Befürchtungen in Erfüllung gegangen seien, wobei sie auch auf die Verteuerung der Lebensmittel eingingen. Von den Rednern der Rechten, des Zentrums und der Nationalliberalen sowie des bayrischen Bauernbundes wurde die vom Bundcsratstisch aus gegebene Antwort als nicht befriedigend bezeichnet und die Forderung des Interpellanten bekräftigt. Namentlich wurde die Forderung aufgestellt, daß die Futtergerste keimunfähig gemacht werden müsse, damit sie nicht als Malzgerste Verwendung finden könne. Nm 7. d. steht auf der Tagesordnung der Ent wurf eines Gesetzes zur Ausführung der Generalakte der internationalen Konferenz von Algeciras vom 7. April 1906. Zur Be gründung des Entwurfes nimmt das Wort Staatssekretär v. Tschirschky: Die Algeciras- Akte bildet die Grundlage für eine gesunde Weiter entwickelung in Marokko, ausgehend von der Sou veränität des Sultans und der Gleichberechtigung sämtlicher dort lebender Völker. Es sind darin Be stimmungen getroffen, welche den Angehörigen der fremden Staaten ein friedliches Nebeneinanderleben in Marokko verbürgen, Bestimmungen, deren Aus führung teilweise schon begonnen hat. Diejenigen Bestimmungen der Akte, welche Deutschland betreffen, bedürfen der Zustimmung des Reichstages. Ich hoffe, daß das Haus dem Gesetzentwurf seine Zu stimmung erteilen wird. Abg. Bassermann (nat.-lib.): Der Gesetz entwurf selbst wirb keine Beratung notwendig machen. Eine berechtigte Kritik aber verdient die Form des vorliegenden Gesetzentwurfes. An den Herrn Staatssekretär richte ich nur die Frage, ob er bereit ist, uns Aufklärung zu geben über die französische und spanische Agitation, die gegenwärtig in den marokkanischen Gewässern betrieben wird. Staatssekretär des Auswärtigen v. Tschirschky: Frankreich und Spanien haben Kriegsschiffe nach Tanger geschickt, um die Ordnung aufrecht zu er halten. Die beiden Staaten haben an die übrigen Mächte eine Note gerichtet, des Inhaltes, daß sie diese Maßnahmen mir zur Beruhigung der Be völkerung getroffen haben und daß sie nur im Sinne der Algeciras-Akte vorzugehen gedenken. Die Auto rität des marokkanischen Gouverneurs solle aufrecht erhalten werden. Nachdem Spanien und Frankreich ausdrücklich erklärt hatten, streng loyal und im Sinne der Akte zu Verfahren, war für Deutschland keine Veranlassung, gegen die französisch-spanischen Maßnahmen einzuschreiten. Abg. v. Vollmar (soz.): über die Marokko frage ist kein andres Parlament so ungenügend informiert worden wie der deutsche Reichstag; wir haben unsre Kenntnis nur aus ber Presse ge wonnen. Wir verlangen, daß die Aktion auf den engsten Nahmen beschränkt werde, denn wir sind keine Freunde einer Einmischung in fremde Ange legenheiten. Ferner bestehen wir darauf, daß dafür gesorgt werde, daß Frankreich und Spanien sich strenge an die von ihnen abgegebenen Erklärungen halten. Abg. Spahn (Ztr.): Ich will auf die Marokko- Angelegenheit nicht näher eingehen, ich will nur mein Befremden darüber zum Ausdruck bringen, daß die französisch-spanische Note nicht zur Kenntnis des Reichstags gekommen ist, das ist eine förmliche Rücksichtslosigkeit gegen unS. Abg. Wiemer (freis. Vp.): Die jetzige Aktion sollte anstatt nur im „Geiste" auch dem Wortlaut der Algecirasakte gemäß erfolgen. Vorderhand mag jedoch die Erklärung Frankreichs genügen, da Deutschland kein so lebhaftes Interesse an Marokko hat, um sich jetzt der französisch-spanischen Aktion entgegenzustellen. Nur darf unsre Diplomatie nicht die Meinung aufkommen lassen, daß wir uns über haupt beiseite schieben lassen. Wir wünschen die Herbeiführung friedlicher Verhältnisse und werden der Vorlage zustimmen. Staatssekretär v. Tschirschky: Seitdem Frankreich und Spanien gesprochen haben, steht einer Veröffentlichung der französisch-spanischen Note im Wortlaut nichts mehr im Wege. Nachdem noch die Agg. Schrader (freis. Vgg.), Porzig (kons ), Blumenthal (südd. Vp.) und Dirksen (freik.) gesprochen, wird die Vorlage in erster und gleich darauf in zweiter Lesung angenommen. Als zweiter Punkt der Tagesordnung kommt die Interpellation Speck (Zentr.) betr. die Ver- hinderuug der Einschränkungsbestim- muugen in der Ausfuhr schwedischer Erze zur Verhandlung. Zur Begründung der Interpellation erhält Abg. Speck (Zentr.) das Wort: Man hat auf die Einfuhr des schwedischen Erzes bei Abschluß deS Handelsvertrages großen Wert gelegt; vielleicht hat man dies in der Denkschrift zu unserm Nach teil allzu sehr betont. Die Regierung war der Meinung, daß durch die Bindung der schwedischen Ausfuhrzölle den Interessen unsrer Industrie ge nügt sei. Diese Bindung war eine von uns teuer genug erkaufte Konzession. Schweden bat zwei Grubengebiete, das eine südliche kommt für unS nicht in Betracht, daß andre im Norden wurde erst vor einigen Jahren durch die Eisenbahn nach Narvik erschlossen. Das dortige Erz ist für die rheinische Industrie von Bedeutung. Im Jahre 1906 mußte die schwedische Regierung, um die Gruben nicht zu schädigen, das erlaubte Aus fuhrquantum erhöben. Sie hat aber den Frachttarif bedeutend erhöht. Auch eine ausnahmsweise Erschwe rung ist mit dem Wortlaut, nicht aber mit dem Geiste der Handelsverträge zu vereinbaren. Wir müssen der schwedischen Regierung prinzipiell gleich bei den ersten Schritten entgegentreteu. Dies ist um so leichter, als der Art. VII des Handelsvertrages be stimmt, daß die Vertragschließenden verpflichtet sind, die Ein- und Ausfuhr in keiner Weise zu be schränken. Die Reichsregierung muß bei der schwedischen Regierung vorstellig werden und auf der loyalen Auslegung deS Vertrages bestehen. DaS ist auch im Interesse Schwedens gelegen, das seine Erze notwendig aussühren muß. Staatssekretär Graf Posadow Sky legt die tatsächlichen Verhältnisse in den Ausbentungsstätten Schwedens dar: die Erhöhung der Tarife auf der Bahn nach Narvik ist nur eine Folge des teuren Babnbaues. Die in Betracht kommenden Gesell schaften hatten schon im September ihr Kontingent ausgeführt, und es lag die Gefahr allgemeiner Arbciterentlaffungen nahe. — Wir haben den Handelsvertrag mit Schweden abgeschlossen, um unsrer deutschen Eisenindustrie die ungehinderte Ausfuhr schwedischer Erze zu sichern. Ich hoffe, daß die schwedische Regierung im Verein mit den gesetzgebenden Körperschaften Vorkehrung treffen wird, damit der ungehinderten Ausfuhr schwedischer Erze nichts mehr im Wege stehe. Bei der Besprechung der Interpellation führt Abg. Beumer (nat.-lib.) aus, Schweden muffe an seine moralische und völkerrechtliche Pflicht ermncrt werden, die getroffene Maßregel wieder aufzubcbcn. Abg. Kämpf (frs. Vp.) warnt vor Ergreifung von Rcpressivmaß'egeln. Ausfuhrzölle sind ein zweischneidiges Schwert, aber nicht nur für Schweden, sondern auch für uns, und sic dürfen in die Welt wirtschaft nicht wieder eingeführt werden. Abg. Graf Kanitz (kons.): Der Abg. Kämpf hat ganz richtig auf die Ausfuhrzölle als Repressiv maßregel hingewiesen, nur hätte er vor ihnen nicht warnen sollen. Wir sollten zurückkehren zur Politik der autonomen Regelung unsrer Handels beziehungen. Abg. Dove (frs. Vgg.): Ich kann nicht zu geben, daß man die vorliegenden Tatsachen als Illoyalität bezeichnet, aber ich stimme mit den Interpellanten insofern überein, als mir die Be schränkung der Ausfuhr von Erzen seitens Schweden- töricht erscheint. Abg. Hue (soz.): Eine Verstaatlichung der Grnbenunternebmungen ist unbedingt erforderlich; bei der allgemein benschenden kapitalistischen Wirt schaft Würden Ausfuhrzölle zuletzt doch nur die in ländische Bevölkerung treffen durch Verteuerung aller Lebensmittel. Abg. Gothein (srs. Vgg.) betont, daß Deutsch land ein weit größeres Interesse an dem Handels vertrag habe als Schweden, und empfiehl, die Erze aus Norwegen zu beziehen. Abg. Speck erklärt sich mit der von der Regie rung gemachten Zusage, dis schwedische Regierung um die Abstellung der getroffenen Maßregel ersuchen zu wollen, für befriedigt. Präsident Graf Ballestrem macht dem Hause die Mitteilung, daß der Staatssekretär des Innern vom Dienstag an bereit ist, die Fleischnot-Jnter- pellation zu beantworten. Hierauf vertagt sich das Haus bis Montag. Von wab und fern. Der Onkel als Mörder. Der Kaufmann Richard Röwer, der unter der Anklage, seine Nichte Elisabeth Buley ermordet zu haben, vor dem Berliner Schwurgericht stand, ist wegen Totschlags zu fünf Jahr Zuchthaus verurteilt worden. Die Pocken-Erkrankungen in Metz nehmen in den letzten Tagen wieder zu. Das Hospital und die Baracken sind noch immer überfüllt. In dem nahe gelegenen Dorfe La Maxe ist ebenfalls eine derartige Erkrankung festgestellt worden. O: Oer Meg rum Oerren. Novelle von F. Stöckert. «Fortsktzungo „Nun ja, man wird älter, verständiger, vielleicht daß ich mich dann auch für die schönen Künste begeistere. Jetzt jedoch bin ich jung, und für die Jugend taugen all das ernste Denken, all solche feierlichen Lebensansichten nicht; die Jugend will allein genossen sein." Mit übermütigen Blicken schaute Melitta zu ihrem Nachbar auf. Ach und es lag in diefem sonnigen jungen Antlitz ein Reiz, ein Zauber, dem schwer zu widerstehen war. Dem Doktor Bergen war es, als müsse er schützend die Hände breiten über diesen Liebling der Natur, damit nie des Lebens rauhere Seite dieses glückliche Dasein trübe. Und wieder nnd immer wieder lenkte Doktor Bergen seine Schritte nach dem Bendeloschen Hause, nie brauchte Melitta des Donnerstags abends vergebens seiner zu harren. Draußen in der Natur war der Frühling eingezogen mit Hellem Sang und Klang, doch liebte man es, die Abende noch in den Salons zuzubringen, und besonders herrschte in dem Salon des Kommerzienrats Bendels seit einiger Zeit ein ungemein animierter Ton. Doktor Bergen hatte eS verstanden, der ziemlich oberflächlichen Unter haltung dort einen etwas gediegeneren geistigen Gehalt zu geben, und vor allem suchte er bei Melitta das Interesse für höhere Dinge zu wecken. Und es schien auch, als ob seine Be mühungen nicht ganz ohne Erfolg blieben. Auf seinen Vorschlag, klassische Sachen mit verteilten Rollen zu leien, ging sie mit lebhaftem Inter esse ein und las die von ihm zuerteilten Rollen mit Verständnis und Ausdruck. Doch ihr un ruhiger Sinn wurde bald der Sache überdrüssig, besonders nachdem man einen Abend Zeisings Nathan gelesen, welche Dichtung sie für bodenlos langweilig erklärt«. „Ich finde, daß wir unS nun lange genug mit den Klassikern beschäftigt haben," rief sie gelangweilt, „und schlage vor, lebende Bilder zu stellen oder ein Lustspiel aufzuführen." Dieser Vorschlag wurde mit allgemeinem Beifall ausgenommen, nur Bergen runzelte die Stirn und blickte finster aus Melitta, deren zier liche Gestalt eifrig demonstrierend von einem zum andern huschte. Jetzt stand sie dicht vor ihm. „Sie scheinen von meinem Vorschläge nicht entzückt, gestrenger Herr Doktor?" fragte sie, schelmisch zu ihm aufschauend. „Nein, ich hatte andre Pläne, ich dachte in nächster Zeit einige von den griechischen Tragödien in Vorschlag zu bringen. „Nm Gottes Willen, nun noch griechische Tragödien; wir sind doch keine Gymnasiasten! Bleiben Sie mir mit den osten Griechen vom Leibe; Schiller und Goethe lasse ich noch gelten, aber Sophokles, Euripides, nein, davon ver stehen wir hier alle nichts! Und nun glätten Sie Ihre Stirn, lauschen Sie den entzückenden Weisen, welche Fräulein Hermine den Tasten entlockt, wir wollen tanzen!" „Tanzen! Jetzt, o, entschuldigen Sie mich, wenn ich nicht daran teilnehme," erwiderte Bergen, und zog sich schmollend in eine Ecke I zurück. Aber trotz seines Unmuts hingen seine Blicke wie gebannt an Melitta, wie sie so leicht, so graziös an ihm vorüberschwebte, und heißes Verlangen erfaßte ihn, auch einmal diese Elfen gestalt in den Armen zu halten. Melitta lächelte, als er jetzt vor ihr stand und nm einen Tanz bat. „Ist der Zorn verflogen über die Verächterin der alten Griechen?" fragte sie. „Wer könnte Ihnen zürnen?" rief Bergen, mit einem leidenschaftlichen Blick in ihr lachendes Antlitz schauend. Sie errötete ein wenig, aber dann blitzte es triumphierend auf in ihren dunkelblauen Augen. Sie wurde sich in diesem Moment ihrer Macht bewußt über diesen ernsten, interessanten Mann. Diese stolzen Lippen, sie werden es bald aus sprechen, das bedeutungsvolle Wort, das so viel Glück und so viel Leid enthält. Leuchtet sie doch in seinen Augen, die tiefe leidenschaftliche Liebe! Die Hand, die jetzt die ihre faßt, zitterte merklich und seine Stimme hatte einen so eigenen vibrierenden Klang. Fräulein Hermine spielte eine schmachtende Polka; sie tanzten und als er sie dann wieder nach der lustigen Ecke führte, und sich zu ihr auf den kleinen blauen Diwan setzte, da meinte Melitta, das Leben noch nie so schön gefunden zu haben! Fast andächtig lauschte sie seinen Worten und schaute in das tieferregte Antlitz. — Es ist ein berauschendes Gefühl für ein Frauenherz, zu sehen, wie sie eines ManneS Sein ganz aus den Fugen gebracht; doch wehe derjenigen, die diese Macht mißbraucht und mit einem Herzen spielt, das ihr heißes, ernstes Lieben entgegen bringt. * * * Melitta harrte seit jenem Abend mit Un geduld, daß das entscheidende Wort von Doktor Bergen gesprochen wurde. Sie malte eS sich mit den lebhaftesten Farben aus, wie be glückend es sein müsse, wenn er sie leine kleine Braut nennen und sie an seinem Arme in den schönen, duftigen Frühling hinauswandem würde, an dem blauen Strom entlang, weit hinaus in die tiefe, stille Einsamkeit der Natur, wo keines Menschen Stimme weiter ihr Ohr berührte, als die eine heißgeliebte, ver woben mit den süßen Stimmen, die nns de« Frühling künden. Das junge Mädchen ahnte es dunkel, daß sie vor allem des Halles, ber Stütze eines ernsten ManneS bedurfte für ihre künftigen LebenStage, dessen heißes Lieben all ihre kleinen Fehler und Schwächen groß mütig übersah. Aber das ersehnte Wort blieb ungesprochen, und Melitta gehörte nicht zu den sanften, duldenden Frauencharakteren, die mit Ergebung ihr Schicksal erwarten. Nachdem sie sich daS Köpfchen zergrübelt und viel darüber nachgedacht, warum er nicht einmal die Liebe, die ihr auS jedem seiner Blicke entgegenleuchtete, gestand, begann sie finstere Pläne zu schmieden. Sie wollte es ihm klar machen, daß ihre Hand be gehrenswert, das; es sich lohnte, den Preis zu erringen, ohne Zögern und Bedenken. Arme, kleine Melitta, du ahnst es nicht, daß du mit diesen kindischen Plänen dein Verhängnis
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