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Ottendorfer Zeitung : 19.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190610197
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19061019
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19061019
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-10
- Tag 1906-10-19
-
Monat
1906-10
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 19.10.1906
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politische ArmÄlchau. Deutschland. * Der Kaiser nahm am Sonntag nach einem kurzen Besuch in Gelnhausen, wo er die Barbarossa burg besichtigte, an den Vermählungsfeierlich keiten des Prinzen Albert von Schleswig-Holstein mit der Gräfin Ortrud v. Isenburg in Meerholz teil und begab sich dann nach Schloß Frledrichs- hoi bei Crouberg. Dort empfing der Monarch den Besuch des Reichskanzlers Fürsten v. Bülow. Am Montag wohnte derKaiser auf Villa Hügel bei Essen der Hochzeits feier des Fräulein Berta Krupp mit dem Legationsrat Dr. v. Bohlen und Halbach bei. Der Kaiser schenkte dem jungen Paar ein künstlerisch ausgeführtes Service aus der König!. Porzellanmanufaktur zu Berlin. * Der Kaiser brachte bei der Hochzeits feier im Hause Krupp einen Trinkspruch auf das Brautpaar aus. Nach dem Mahl reiste der Monarch nach Bonn, um der Einweihung des Denkmals für Kaiser Wilhelm I. und der Immatrikulation (Aufnahme in die Universität) seines vierten Sohnes Prinzen August Wilhelm beizuwohnen. * Prinz Alexander zu Hohenlohe- Schilling s fürst hat um seine Ent lassung aus dem Reichsdienst nachgesucht. * Der deutscheBotschafterin Madrid hat der spanischen Regierung eine Antwort in der Handelsvertragsfrage zugehen lassen, die unverzüglich geprüft werden wird. *Die mit allseitiger Freude begrüßte Kon ferenz für Funkentelegraphie, deren Tagung in Berlin großes Interesse auf dem Erdball erregt, scheint nicht ganz glatt zu ver laufen. Obwohl die Beratungen ganz geheim gehalten werden, verlautet doch, daß ganz wie in Algeciras eine Gruppierung der Mächte statt gefunden habe. Als Bundesgenossen findet man diesmal aber nicht Österreich-Ungarn, sondern die Ver. Stwvten auf Seite Deutschlands. Ob man zu einem befriedigenden Übereinkommen gelangen wird, erscheint zurzeit fraglich. * Im Reichsamt des Innern ist nun mehr ein Gesetzentwurf über die reichsgesetzliche Regelung des Apothekenwesens fertig gestellt und wird voraussichtlich in nächster Zeit den Bundesregierungen zur Prüfung übersandt werden. * Der Vizepräsident des Reichs tags Professor Dr. Paasche hat seine Entlassung aus dem Staatsdienste als Lehrer an der Technischen Hochschule in Charlotten burg genommen. * Major Fischer, der zweitälteste Offizier des Oberkommandos der Schutztruvpe und ehe maliger Vorstand der Bekleidungs-Abteilung, ist aus der Untersuchungshaftentlassen worden. Gleichzeitig ist das Strafver fahren, das wegen Verdachts der Bestechung Ende Juli d. gegen ihn anhängig gemacht worden war, eingestellt worden, da die Ermittelungen strafrechtlich Belastendes nicht er geben haben Unberührt davon bleibt das ehren gerichtliche Verfahren, das gegen den Major Fischer schwebt und darauf begründet wird, daß er Handlungen vorgenommen hat, die mit seiner Stellung als Offizier nicht vereinbar sind. *Wie aus gut unterrichteter Quelle ver sichert wird, ist an eine Öffnung der Grenzen infolge der Fleischnot vorläufig noch nicht zu denken. Die notwendigen Er hebungen haben noch zu keinem Ergebnis geführt. *Bei der Ersatzwahl zum Preuß. Landtag in Magdeburg wurde Kammer gerichtsrat Schiffer (nat.-lib.) mit allen 630 abgegebenen Stimmen wiedergewählt. *Aus allen Teilen des Reiches kommen Nachrichten, daß sich ein allgemeiner Berg arbeiterstreik vorbereitet. Osterreich-Ungarn. *Die Gerüchte von einem bevorstehenden Rücktritt des österreichisch - ungarischen Ministers des Äußeren Grafen Golu- chowski waren besonders damit begründet worden, daß der Minister seitens der ungarischen Delegation ein Mißtrauensvotum be stimmt zu erwarten habe. Nun hat sich aber der ungarische Ministerpräsident auf eine An regung des Kaisers Franz Joseph hin dafür verbürgt, daß die Delegation einen solchen Akt der Feindseligkeit unterlassen werde. In maßgebenden Kreisen ist man der Ansicht, daß ein solches Mißtrauensvotum nicht nur den Rück tritt des Grafen Goluchowski, sondern auch die Abdankung des ungarischen Gesamtministeriums zur Folge haben müßte. Eine derartige ein schneidende Maßregel will aber der ungarische Ministerpräsident um jeden Preis vermeiden. * Ein vom ungarischen Handelsmimster Kossuth im Abgeordnetenhause eingebrachter Gesetzentwurf zur Förderung der In dustrie ermächtigt die Negierung, neugegrün deten Industrie-Unternehmungen Befreiung von der Gewerbesteuer und andern Gebühren für 15 Jahre zu gewähren. Ferner können auf Grund des Entwurfes solchen Industrieanlagen Staatszuschüsse in einer Gesamthöhe von jähr lich 20 Mill. Kronen gegeben werden. Frankreich. * Marineminister Thomson erklärte in der Budgetkommission, er werde die Stapel legung der letzten drei von den sechs Panzer schiffen, deren Bau für 1906 vorgesehen sei, nicht vor Zusammentritt der Kammer anordnen. Er hoffe, daß die neue Kammer die Beschlüsse der früheren Kammer gutheißen werde. England. *Die Freunde Chamberlains richten heftige Angriffe gegen das jetzige Ministerium, weil es die kolonialen Interessen Englands völlig vernachlässigt. Als Beweis dafür wird der Vertrag angeführt, den die Regierung mit den Ver. Staaten, die Fischereigerechtsame auf Neufundland betreffend, geschlossen hat. Die Neufundländer sind mit dem Ver trage, der ohne ihre Zustimmung geschlossen wurde, durchaus unzufrieden. Italien. * Seitdem bei den diesjährigen Manövern der österreisch-ungarischen Flotte der Admiral Montecucoli betont hat, die Flotte müsse so ausgebildet werden, daß sie im Falle eines Krieges imAdriatischenMeere angriffsweise vorgehen könne, macht sich in Italien wachsende Besorgnis um die Leistungs fähigkeit der eigenen Marine geltend. Wie zu Lande, so glaubt man auch zur See sich mehr als bisher gegen Österreich sichern zu sollen. In maßgebenden Kreisen wird daher lebhaft die Frage des Ausbaues der Flotte besprochen. (Italien scheint ganz vergessen zu haben, daß der Dreibund bisher solche Besorgnis un nötig gemacht hat. Wenn sie dennoch jetzt Platz greift und sogar in Regierungskreisen geteilt wird, so wirft das bezeichnende Lichter auf die Bundesfreundschaft.) Svanien. *Der Premierminister wird dem König bei seiner Rückkehr nach Madrid den bereits fertiggestellten Entwurf des neuen Vereins- gesetz es vorlegen und ihm Vorschlägen, die Adresse der Bischöfe, die Zivilehe betreffend, nicht zu beantworten. Rustlanv. * Die regierungsfreundlichen Parteien und Zeitungen bezeichnen es mit großer Genug tuung, daß man in England den Plan, eine Abordnung zur Begrüßung der Unter zeichner des Wyborger Aufrufs (der sich gegen die Auflösung der Duma richtete), zu entsenden, endgültig aufgegeben hat. * General Stössel, der Verteidiger von Port Arthur, ist durch Tagesbefehl des Zaren krankheitshalber verabschiedet worden. * Kapitän Klado, der während des ost asiatischen Krieges in einer Anzahl von Zeitungs artikeln die Schwächen der russischen Marine auf deckte und dafür aus dem Dienst entfernt wurde, ist jetzt als Professor an der Nikolai-Marine- Akademie wieder angestellt. Balkanstaaten. *Wie verlautet, hat die englische Regierung auf Anfrage der serbischen Negierung geantwortet, sie sei bereit, Handelsver trag s v er h a n d lu n g e n mit Serbien an- zukuüpfen. Die italienische Regierung hat schon Abgeordnete für die Verhandlungen behufs Äb- schließung eines Handelsvertrages bestimmt, ebenso Rumänien. In einigen Tagen werden die italienischen und rumänischen Abgeordneten in Belgrad anlangeu. Amerika. * Der MarinesekretärBon aparte hielt zu Washington bei einem Festmahl der Veteranen aus dem spanisch-amerikanischen Kriege eine Ansprache, in der er betonte, daß be ständige Bereitschaft das beste Mittel zur Sicherung des Friedens sei. Redner führte aus, man solle beim Anblick der mächtigen Schiffe, die aus allen Teilen der Erde nach New Jork kommen, daran denken, daß diese Schiffe auch durch die Völker, von denen sie Herkommen, dazu verwendet werden können, um innerhalb eines Zeitraumes von 14 Tagen Brigaden von Truppen an die Küsten Amerikas zu befördern, wenn die Not eS erfordere. Asien. *Da eine Ausschließung amerikanischer Waren vom Handel in China anscheinend nicht mehr stattfindet, entließ der Vizekönig von Kanton drei Rädelsführer der Bewegung aus dem Gefängnis. Eine ungeheure Menschen menge empfing die Entlassenen begeistert. Der Magistrat feierte sie, und Glückwunsch depeschen liefen von vielen Küstenhäfen an sie ein. bnglanä unä KuManä. Aus London wird der ,Schl. Ztg/ ge schrieben : Der erwartete Widerruf ist nicht aus geblieben: das diesmal so zuversichtlich an gekündigte Abkommen zwischen Rußland und England ist ebensowenig zur Tatsache geworden wie die Verlobung der Prinzessin Patricia mit dem einzigen Bruder des Zaren. Aber richtig ist freilich, daß man im Schlosse zu Balmoral einen Augenblick lang glaubte, beides sei wirklich erreicht und infolgedessen der Welt die vollendete Tatsache verkündete. Dann kam .die Absage aus St. Petersburg. Nur über Tibet soll man jetzt einig sein; und in London hofft man, daß wenigstens die Tibetfrage jetzt ihre Er ledigung findet. Aber das ist doch fraglich. Auch bezüglich Persiens war ja schon vor Monaten angeblich eine Verständigung erzielt, aber die Vorgänge der letzten Wochen in Teheran haben nach zuverlässigen Informationen nicht gerade dazu beigetragen, in St. Peters burg — von Peterhof ganz zu schweigen — besonders vertrauenerweckend zu wirken. Es scheint eben, daß man von London aus versucht hat, vollendete Tatsachen zu schaffen, um in Peterhof noch in den Weg sich stellende Hinder nisse zu überwinden; dabei hat man dann die Nachrichten aus St. Petersburg lancieren lassen, um den Schein zu erwecken, als gehe die Initiative zu den Verhandlungen von russi scher Seite und nicht von englischer aus. Das aber gerade war es, was an der Newa ver schnupft und im Verein mit einem andern damit im Zusammenhangs stehenden Vorgänge im letzten Augenblicke das Ganze scheitern gemacht hat. Nachdem so die angestrebte Annäherung der beiden Höfe und Kanzleien im letzten Augen blicke gescheitert ist, nehmen die englischen Mini steriellen wieder ihren energischen Ton gegen ihre russischen Kollegen an. Die,Tribune' bringt einen Leitartikel „Vergewaltigung und Bankrott", in dem sie der Regierung des Zaren nur noch die Wahl zwischen Unterwerfung unter den Volkswillen und dem Bankrott läßt und dem Zaren selbst erklärt, er brauche sich keinen Illusionen mehr hinzugeben, niemand in Europa werde ihm mehr einen Rubel leihen, bevor er nicht ein liberales Regiment eingeführt und sich seiner Selbstherrlichkeit entkleidet habe. Die Presse streitet sich indessen weiter Über den Wert oder Unwert der englischen Abord nung an die gewesene Duma. Auf liberaler Seite ist man ziemlich kleinlaut geworden. Die konservative Presse vertritt den sehr verständigen Standpunkt, daß diese Abordnung das sicherste Mittel sei, um Rußland wider England miß trauisch zu machen, ja dessen ausgesprochene Feindschaft herbeizuführen. Die Denkschrift ist von über dreihundert Parlamentariern — fast allen Radikalen, vielen Liberalen, sämtlichen Sozialdemokraten und Arbeiter-Abgeordneten — den Führern von 1500 000 Gewerkschaftlern, dem radikalen Londoner Gewerkschaftsrat, vielen Journalisten, Künstlern, Schriftstellern, Bürger meistern unterzeichnet. Dem Drängen der Konservativen ist ja nun nachgegeben und die Reise endgültig aufgegcben worden. Ob nun das Abkommen im Sinne Englands zustande kommen wird, bleibt abzu warten. uncl Von der grosten Ballonwettsahrt wird noch folgendes berichtet: Die 17 Ballons stiegen am Sonntag bei der Gasanstalt Tegel innerhalb einerStuude ohne Zwischenfall auf. Alle Luftschiffe nahmen anfänglich die Richtung nach Südosten, später wandten sie sich nach Süden. Nur derBallon „Ernst" (Führer Dr. Bröckelmann) hat genau die ursprüngliche südöstliche Richtung, beibehalten und ist in der Nähe von Brieg glücklich ge landet, während von andern Ballons Meldungen aus dem westlichen Teil von Schlesien, aus Böhmen und Sachsen vorliegen. Die bisher ge landeten Luftschiffe gehören, wie der Ballon „Ernst", teilweise zu den kleinen Ballons, wäh rend anderseits auch die beiden größeren an der Fahrt teilnehmenden Luftschiffe „Düsseldorf" (Führer Leutnant Benecke) und „Pommern" (Führer Frhr. v. Hewald) zur Erde nieder gestiegen sind. Der Ballon „Pommern" war bereits bis Budweis in Böhmen ge langt, wurde dann aber durch ungünstigen Wind nach Nordwesten näher an Berlin herangetrieben, so daß er landen mußte. Aus ähnlichem Grunde mußte auch der Ballon „Bezold" die Landung vornehmen. Es wird späterhin, wenn die Ballons sämtlich gelandet sind, Sache der sportlichen Leitung sein, die Leistungen der einzelnen Luftschiffe aus zurechnen und danach die Preise zu verteilen. Von den 17 Ballons, die sich am Sonntag über die Köpfe der Hunderttausende von Zu schauern hinweg stolz in die Lüfte erhoben, waren bis zum Montag abend 14 wieder zur Erde herabgestiegen, und nur von drei Ballons stand das Fahrten - Resultat noch aus. Es läßt sich schon jetzt mit ziem licher Bestimmtheit Voraussagen, daß der kleinste aller aufgestiegenen Ballons, der nur 680 Kubikmeter fassende, von Dr. Bröckelmann geführte Ballon „Ernst", der bei Brieg ge landet ist und mithin etwa 340 Kilometer zurück gelegt hat, den Sieg davontragen wird. Denn nach den Wettfahrtbestimmungen müßten die drei Ballons, deren Meldung von der Landung noch aussteht, etwa die doppelte Strecke wie der Ballon „Ernst" zurücklegen, wenn sie ihm den Sieg entreißen wollen. Gedenkfeiern bei Jena und Auerstedt. Am hundertsten Jahrestage der Schlachten von Jena und Auerstedt (14. d.), in denen das alte preußische Heer der Armee Napoleons I. erlag, fanden auf beiden Schlachtfeldern ernste Feiern statt. Als Vertreter des Kaisers waren die Generalfeldmarschälle Graf Häseler und von Hahnke erschienen. In den Dörfern Vier- zehnheiligen und Hassenhausen, um die am 14. Oktober 1806 am heftigsten gekämpft worden ist, wurden Denkmäler für die Gefallenen ein geweiht. Schweres Eisenbahnunglück in Frank reich. Ein Eisenbahn-Zusammenstoß, der schwere und verhängnisvolle Folgen hatte, ereignete sich auf dem Bahnhofe in Epernon (Frankreich). Der Personenzug Nr. 510 sollte im Bahnhof Epernon auf ein Nebengleis gebracht werden, um den Eilzug durchzulassen. Da wurde der Personenzug von einer Nangiermaschine ange fahren. Der Zusammenstoß war von furcht barer Heftigkeit. Eine Anzahl Personen wurde sofort getötet und sehr viele wurden schwer ver letzt. Es verlautet, daß 11 Personen getötet und 35 verwundet wurden. Das Unglück erregt in Frankreich um so mehr Aufsehen, als sich unter den Toten und Verwundeten bekannte Persönlichkeiten befinden. A Auf sckieker 32^ Roman von Reinhold Ortmann. (Fortsetzung.) Die Vermutung hatte Julius Löwengaard nicht getäuscht. Der Student mußte sich sofort in voller Kleidung aufs Bett geworfen haben, denn da lag er jetzt laut schnarchend und mit weit offenem Munde im tiefsten Schlaf. Seine geröteten Augenlider und die eigentümliche Gedunsenheit sefnes blassen Gesichts ließen keinen Zweifel über den Zustand, in dem er sich bei seiner Heimkehr befunden haben mußte. In seinem Rausch hatte er nicht einmal daran gedacht, die Flammen der von der Decke hängenden drei armigen Gaskrone auszulöschen, und so bot sich dem Auge des Eintretenden das widerwärtigste Bild in der hellsten Beleuchtung dar. Mit einem Gefühl unsäglichen Ekels blickte Julius Löwengaard auf den Schlafenden hin. Diesem sollte er seins Tochter geben — diesem kümmerlichen, verlotterten Burschen? Was ihm noch ebenso leicht und einfach gedünkt hatte, erschien ihm mit einem Male unfaßbar, un möglich — und plötzlich stieg siedend heiß ein wilder, unbändiger Haß gegen den Trunkenen dort auf dem Bett in seinem Herzen empor. Hatte er nicht ganz das Aussehen eines Sterbenden? Warum in aller Welt war er nicht längst gestorben? Warum widerstand dieser schwächliche, hinfällige Körper noch immer all den verderblichen Einflüssen, denen er aus gesetzt war? Was der journalistische Freibeuter Doktor Geißler in seinem Revolverblatte geschrieben, es war nichts als die nackte Wahrheit gewesen. Ja, er hatte seü dem Tage, da er den Sohn des verstorbenen Bruders in sein Haus aus genommen, den Wunsch und die Hoffnung ge hegt, daß dieser Neffe den Tag nicht erleben werde, der ihn in den Besitz seines väterlichen Erbes brachte. Und er hatte alles getan, was er vermochte, um diesem Wuuscbe zur Verwirk lichung zu verhelfen, ohne daß man darum gegen ich: den Vorwurf erheben konnte, ein Mörder zu sein. Aber es war nichts als elende Stümperei gewesen, und in diesem schmalbrüstigen Jungen steckte mehr Lebenskraft, als er vermutet hatte. Julius Löwengaard dachte längst nicht mehr daran, daß seine Hoffnung noch in Erfüllung gehen könne; jetzt aber fuhr es wie ein Stoß mit glühendem Eisen durch sein Gehirn; wenn es nun dennoch geschähe? Die rauhen, schnarrenden Atemzüge des Schlafenden klangen ihm ins Ohr wie ein Sterberöcheln; das von dem physischen Unbehagen deS Rausches ver zerrte, fahle Gesicht gewann für seine Einbildung mehr und mehr einen hippokratischen Zug. Und er dachte daran, was geschehen würde, wenn man den Studenten morgen MH tot im Bette fände. Dann war das ganze nachgelassene Vermögen des Bruders sein Eigentum — dann hatten alle Sorgen mit einem Schlage ein Ende — dann würde es keinem mehr einfallen, ihn zur Rechen schaft zu ziehen, und er konnte wieder frei auf atmen — frei. Aber es war ja nur ein Traum, nur eine trügerische Fata Morgana. Der Mensch da, der sich mit seinem jämmerlichen, nutzlosen Dasein zwischen ihm und das Glück stellte, würde ja nicht sterben. Er würde morgen erwachen, wie er hundertmal nach solchen Nächten erwacht war. Und das Elend würde morgen da sein, wie heute — die Verzweiflung und die nerven- zerrüttende Angst vor dem, was die nächste Zu kunft bringen mußte. Julius Löwengaard fühlte ein Zucken in seinen Fäusten, einen fast unwiderstehlichen Trieb, sich auf den Verhaßten zu werfen und ihn zu erdrosseln oder diesen abscheulichen, rasselnden Atem durch einen furchtbaren, zer malmenden Schlag verstummen zu lassen. Aber er hatte seine Besinnung noch nicht verloren. Nicht, weil er davor zurückgeschreckt wäre, seine Hände mit dem Blute des Schlafenden zu be flecken, sondern weil er Vernunft genug hatte, sich zu sagen, daß man ihn morgen als den Mörder sestnehmen würde, zwang er die Raubtierwut nieder, die über ihn gekommen war. Aber er konnte den widerwärtigen Anblick nicht länger ertragen und wandte sich zum Gehen. Unter dem Kronleuchter hob er mechanisch den Arm, um die Gasflammen auszudrehen. Doch in dem Moment, wo seine Finger den ersten der drei Hähne berührten, verzerrte sich sein Gesicht zu einer entsetzlichen Grimasse, und ein heiserer Laut kam über seine Lippen. Sekunden lang stand er regungslos, wie eine Statue; aber die Adern an seinen Schläfen schwollen hoch auf, sein Unterkiefer schob sich weit vor und seine Augen schienen eine unnatürliche Größe anzunehmen. Ein letztes kurzes Zaudern noch; . dann verlöschte er rasch nacheinander die drei Flammen, aber nur, um die Hähne weit zu öffnen; auf den Fußspitzen schleichend, tastete er sich im Finstern nach der Tür, und nachdem er den im Schloß steckendett Schlüffe! abgezogen hatte, wand er sich vorsichtig und ge räuschlos hinaus.' ' Auf dem matt erleuchteten Korridor war es totenstill. AuS keinem der Zimmer, deren Türe« hier ausmündeten, wurde ein Laut vernehmlich, der die Anwesenheit von Menschen verrate« hätte. Ohne Zweifel waren alle Bewohner des Hauses außer ihm bereits zur Ruhe gegangen. Die Schlafzimmer aber lagen sämtlich im obere« Stockwerk und überdies nach der Gartenseite hinaus. Von dem, was hier unten geschah, wäre dort selbst für ein scharfes Lauscherohr nichts mehr zu hören gewesen. Trotzdem verfuhr Löwengaard mit der äußersten Behutsamkeit, um jedes verräterische Geräusch zu vermeiden. Er brauchte wohl eine Minute, um den Schlüffe! lautlos von außen in die schmale Öffnung des Schlosses zu bringen, und ebenso vorsichtig zog er ihn wieder heraus, nachdem er ihn rasch zweimal herumgedreht hatte. Unhörbar verhallte auf dem weiche« Teppichläufer sein Schritt, als er sich nach seinem Arbeitszimmer zurück begab; die Tür bewegte sich in ihren Angeln, ohne zu kreischen oder zu knarren, und da er nun tief aufatmend vor dem Schreibtisch stehen blieb, durste Julius Löwengaard ganz sicher sein, daß niemand im Hause etwas von seinem Besuch in Cäsars Schlafzimmer ahnte, daß niemand aufstehe« würde, gegen ihn zu zeugen, wenn etwa m dieser Nacht da drinnen ein junges Menschen leben erlosch.
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