Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 28.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190610287
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19061028
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19061028
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-10
- Tag 1906-10-28
-
Monat
1906-10
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 28.10.1906
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vom König Eduard überfahren. Als König Eduard in seinem von einem Chauffeur geführten Automobil von Buckingham-Palast nach Newmarket abfuhr, um den dortigen Pferderennen beizuwohnen, überfuhr der Wagen führer in der Gegend der Park Lane einen 52 jährigen Maurer namens Robinson, der vom Fußweg plötzlich vor das Automobil getreten war, um die Straße zu überschreiten. König Eduard ließ den Verunglückten sofort von Polizisten in das nahe gelegene St.-Georgs- Hospital schaffen, wo festgestellt wurde, daß der Maurer an beiden Armen verletzt war und eine erhebliche Gehirnerschütterung davongetragen hat, so daß er im Hospital verbleiben mußte. Der Mann war vor einiger Zeit beim Bau des Ritz-Hotels in Picadilly schwer verletzt worden und hatte ebenfalls im St.-Georgs-Hospital ge legen, das er eben mit einer Flasche Medizin als geheilt verlassen hatte, als chn der neue Unfall traf. ob. Das beraubte Postamt. Ein frecher Postraub wurde kürzlich auf einem der beleb testen Postämter in der Umgegend von Man chester ausgeführt. Kurz nach 7 Uhr erschien bei dem Vorsteher, der gerade die Pfund-(Ster- ling)-Stücke aufgeschichtet hatte, ein Mann, der dem Vorsteher einen Revolver entgegenhielt und mit der andern Hand einige Geldrollen ergriff. Im Postamt waren drei Damen und zwei Boten anwesend, aber alle waren so überrascht, daß niemand ein Wort fallen ließ. Der freche Dieb, der 1OOO Mk. erbeutete, verließ das Postamt rückwärts gehend, den Revolver immer auf den Vorsteher gerichtet. Sonderbarerweise stand keine zwanzig Schritte vom Postamt ent fernt ein Schutzmann, der von dem ganzen Vorgang nichts gemerkt hat. Von dem frechen Räuber fehlt jede Spur. clu Ein Vermögen für 200 Mark. In der englischen Stadt Mahfair wird gegenwärtig die Geschichte einer bekannten Herzogin und ihres Perlenhalsbandes viel besprochen. Die Herzogin wollte die Stadt schleunigst verlassen und ihre Ju welen im Werte von 500 000 Mk. einem Juwelier in'Aufbewahrung geben. Sie kam in den Laden, sprach einige Worte mit dem Verkäufer und ging dann fort, obne sich auch nur eine Quittung geben zu lassen. Gleich darauf erschien eine Dame, die Perlen-Imitationen kaufen wollte. Man legte ihr aus Versehen auch die echten Perlen der Herzogin vor, die sie für — 200 Mk. erstand. An denselben Abend trug die Dame die falschen echten Perlen auf einer Gesellschaft und jeder bewunderte die Schönheit und schenkte der Behauptung, es seien Imitationen, keinen Glauben. Ein Kenner schätzte den Wert richtig auf 500 000 Mk. Natürlich ging die Dame am andern Tage ins Geschäft und fragte, wie es mit den „falschen" Perlen sei, jedermann jage, cs seien echte. Der Geschäftsinhaber war natürlich hochbeglückt und übciweichte der Dame ein kostbares Geschenk. 4t Zehn Monate unter den afrikani schen Pigmäen. Major Powell-Cotton, der vor fast zwei Jahren England verlassen hat, um eine Expedition vom Nil zum Sambesi zu unternehmen, hat, wie er in einem aus Kasindi vom 25. August. datierten Briefe mitteilt, mi seiner Frau zehn Monate lang unter den Pigmäen (dem kleinsten Menschenschlag der Welt) des Kongowaldes gelebt. Er hat das Zwergvolk sorgfältig studiert und interessante wissenschaftliche Sammlungen angelegt. Unter den Fellen.von Tieren des Urwaldes befindet sich auch daS eines schönen Exemplars der vor einigen Jahren entdeckten Okapi. Ende August Wollte er seine Expedition nach dem Süden des Albert-Edward-Sees fortsetzen, in welchem Ge biete zahlreiche Löwen, Rhinozerosse und andre wilde. Tiere anzutreffen sind. Erweiterung des Welttelegraphen- netzes. Das Kabelnetz, der Erde erfährt, wie der ,B. L.-A/ berichtet, zurzeit eine besonders umfassende Erweiterung. Der letzte Winkel von Europa, Island, ist nunmehr durch eine Kabel mit den Faröer-Jnseln und dann an das Welt telegraphennetz angeschlossen worden. Das Kabel wird von der Großen Nordischen Telegraphen- Gesellschaft betrieben, die dafür einen jährlichen Zuschuß von 89 000 Kronen erhält, von denen 54 000 Dänemark bezahlt. Von dem Landungs- Punkt Seydisfjord auf Island wird eine ober irdische Linie über die ganze Insel als Doppel leitung geführt, die allein 475 000 Kronen kostet. Ganz Island erhält insgesamt 20 Telegraphen stationen. Ein neues Kabel ist ferner zwischen Tokio und der Insel Guam über die Bonin- Inseln eröffnet worden. Die Strecke Tokio- Bonin gehört der japanischen Telegraphen- Verwaltung, während die Strecke Bonin—Guam Eigentum der Commercial Pacific Cable Com pany ist. Aus Deutschland kann das Kabel über Emden benutzt werden, wenn auch die andern Wege erheblich billiger sind. Die Große Nordische Telegraphen-Gesellschaft hat ein Kabel zwischen Lerwick auf den Shetlands-Inseln, Burwick und Tharshavn auf den Faröer-Jnseln eröffnet. Frankreich will die Insel Reunion durch zwei Kabel an das Welttelegraphennetz anschließen. Das eine soll nach Madagaskar, deck, um gleich darauf unter Fluchen und Lachen wieder zu verschwinden. Auch die Urheberin der „Explosion" erlitt keine Verletzungen, sondern kam mit bloßem Schrecken davon. GericbtskaUe. Breslau. Im Prozeß gegen den Lithographen Hirsch, der vor dem hiesigen Geschworenengericht angeklagt war, die Krawalle auf dem Stricgauer Platz angezettelt zu haben, wurde das Urteil gefällt. ES lautete auf zwei Monat Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt erachtet wurden. Die Geschworenen hatten die Schuldfragen auf Landsriedensbruch, Rädelsführerschaft, Beleidigung und Teilnahme an einem Aufruhr verneint und nur Gräfin Montignoso unä ikre beiäen ältesten 8ökne. 1)60^ von 53L.fi5CA OLÖklll ftlOLUiHlfiOäO flrskckncft GwisttZO v JZcttsen Gräfin Montignoso, die ehemalige Kronprinzessin von Sachsen, wird in nächster Zeit eine Zusammen kunft mit ihren Kindern haben, da die Verhand lungen zwischen dem sächsischen Hof und ihrem Ver treter zu einem günstigen Abschluß geführt haben. Es handelt sich dabei auch um die Übergabe der kleinen Prinzessin Monika Pia. Schon vor dieser Übergabe ist der Gräfin eine Zusammenkunft mit den beiden ältesten Prinzen zugestandcn worden. Die Prinzen werden sich in nächster Zeit zur Hoch ¬ zeit ihres Onkels, des Prinzen Johann Georg, mit der Prinzessin Immakulata nach Cannes begeben. Auf der Rückreise werden die beiden Prinzen, die in Begleitung ihres Erziehers reisen, in München kurzen Aufenthalt nehmen und dort mit ihrer Mutter eine Zusammenkunft haben. Die Übergabe der kleinen Prinzessin Monika Pia wird ebenfalls in absehbarer Zeit erfolgen. Es ist in dieser Beziehung vollkommen den Wünschen der Gräfin Montignoso entsprochen worden. das andre nach Mauritius gehen. Endlich wird in nächster Zeit ein neues Kabel zwischen Kap St. Jacques in Französisch Indo-China und Pontianak in Niederländisch Borneo für den internationalen Verkehr eröffnet werden. Dieses Kabel wird auch die Insel Poulo-Condore be rühren und sie damit an das Welttelegraphen netz anschließen. Die Zahl der Eisenbahnunfälle in den Ver. Staaten von Amerika hat im Jahre 1904/05 (vom 1. Juli bis 30. Juni gerechnet) eine erschreckende Höhe erreicht. Es sind dabei 9705 Menschen getötet und 86 008 verwundet wordkn. In demselben Zeitraum sind auf englischen Bahnen 437 Menschen tödlich ver unglückt, während 14 335 verletzt wurden. Die Zahlen sind den offiziellen Negierungsberichten entnommen, so daß ein Irrtum ausgeschlossen ist. Schwerer Bankraub in Amerika. In San Francisco drangen zwei mit Revolvern und „Gummischläuchen" bewaffnete Räuber während der Mittagszeit in die japanische Bank, schlugen den Kassierer nieder und entkamen mit einer Beute von 20 000 Mark. Einer der Kassierer namens Urakate ist seinen Verletzungen erlegen. eb. Eine heitere Explosion auf einer» Dampfer. Auf dem Dampfer „St. Louis", der dieser Tage in New Aork ankam, ereignete sich auf hoher See eine „Explosion", die nachträglich viel belacht wird. Eine etwas korpulente Dame hatte sich wohl während des Schlafes etwas zu sehr bewegt, denn plötzlich platzte die mit Luft gefüllte Matratze, und der Knall der „Explosion" übertönte sogar den heftig tobenden Sturm. Die Passagiere wurden aus dem Schlaf ge rüttelt und stürzten halbangekleidet auf dasVer- die Schuldfragc in bezug auf den 8 353 der Ge werbeordnung 1—3 (Belästigung Arbeitswilliger) bejaht. Der Staatsanwalt hatte drei Monat Ge fängnis beantragt. Leipzig. Das Reichsgericht hat in der Klage des Grafen Alexander v. Welsburg gegen den Großherzog von Oldenburg das großherzogliche Haus und die Verwaltung des großherzoglich oldenburgischen Familienvermögens auf Anerken nung als gleichberechtigtes Mitglied des Olden burgischen Hauses und dementsprechende Apanagie- rung die gegen das Urteil des Oberlandesgerichts eingelegte Revision verworfen. Die Ansprüche des Grafen v. Welsburg find damit in allen Instanzen argewiesen. Line Lokomotive am Hofe Uömg Meneliks. 4t Ganz Äthiopien ist voll von Erwartungen bei dem Gedanken, daß in sehr kurzer Zeit der Schienenweg von Dschibuti sich nach Abessinien hinein erstrecken wird. Seit fast siebzehnhuudert Jahren schläft dieses afrikanische Königreich, von der übrigen Welt getrennt, den Schlaf Dorn röschens, ohne noch zur Kultur erweckt zu sein. Wer der schrille Pfiff der Lokomotive wird alle die Schlummernden erwecken und eine ganz neue Welt für das Land des Negus erschließen. Seit 1895 arbeiten auf Befehl König Meneliks zwei Ingenieure daran, eine Eisenbahnlinie in Abessinien anznlegen. Diese beiden Männer, ein Schweizer Ila und ein Franzose Chefneux, haben das kühne Unternehmen nun fast vollendet, über die Wüste hin ein Brücke zu schlagen und Abessinien mit der modernen Zivilisation zu ver binden. Aber ihre Arbeit war lange von den schwersten Hindernissen begleitet; dazu kamen wlitische Intrigen, die eine lange Zeit das Unternehmen überhaupt brach legten. All das pannte die Ungeduld des tatkräftigen Menelik aufs äußerste, und er verzweifelte mehrere Male überhaupt daran, seinen Herzenswunsch ausgeführt zu sehen. Ein solcher Seelenzustand muß für einen absoluten Herrscher, der seit dreißige Jahren gewohnt ist, alle seine Wünsche erfüllt zu sehen, besonders schwer zu ertragen sein, und die Höflinge, die unter seiner schlechten Laune schwer zu leiden hatten, sannen nach, wie sie den Traum des Herrschers zur Wirklichkeit machen und seine Ungeduld bezähmen könnten. In einerfranzösischenZeitschrift erzählt nunHugues Le Roux, der lange Zeit am Hofe König Meneliks gelebt hat, in amüsanter Weise davon, wie die erste Lokomotive als Vorbote und Repräsentant der nahenden Zivilisation an den Hof Seiner äthio pischen Majestät gebracht' worden ist. Der klügste unter den Höflingen Meneliks, ein Mann von griechischer Abstammung, namens Serkis, faßte endlich, als er sah, wie der „König der Könige" Tag und Nacht von Eisenbahn und Lokomotiven träumte, einen verzweifelten Ent- . Muß und trat eines Morgens vor seinenHerrscher: „Ich will in Europa eine Stratzenlokomotive kaufen," so erklärte er. „Die wird dann im stande sein, mehrere Wagen nach sich zu ziehen, und wird alle Steine auf dem Wege von Addis-Alem wie Eier zermalmen. Solange bis die Eisenbahn fertig ist, wird sie als ein Ersatz dienen können." Der Negus kennt den Schlamm der Wüste, die Flüsse, die die Wege durch schneiden, die unwegsamen Wildnisse und Schwierigkeiten. Er zweifelte daher zunächst an der Möglichkeit des Transportes, aber als Serkis sagte, daß aus allen Teilen des Landes, durch die die Lokomotive käme, Leute zum Schleppen ausgeboten werden sollten und er alles vorbereitet hätte, gab er seine Einwilligung. Serkis reiste nach Europa, und der Kaiser fing nun an, die Tage zu zählen, bis er wieder zurück sein könnte. Er beauftragte einen russi schen Offizier Babitschew, der in seinen Diensten stand, so gut es ginge, einen Weg herzustellen, der Serkis und seinem Zuge möglichst weit ent gegengeführt werden sollte. So war alles in fieberhafter Arbeit und in gespannter Erwartung des Kommenden. Endlich am 18. Mai 1904 kam die große Kunde, daß Serkis mit der Lokomotive herannahe. Menelik machte sich sogleich mit seinem ganzen Hofstaat und dem gewaltigen Apparat, den eine Reise des Herr schers erfordert, auf den Weg, um ihm ent gegenzuziehen. Durch sein Fernrohr sah er von Zeit zu Zeit begierig nach einer Schlucht, aus der der Zug mit der Lokomotive auftauchen mußte. Und endlich klang ein verworrener Lärm an die Ohren der Lauschenden, ein wüstes Singen wie von tausend Menschen, ein schweres Stampfen, und Staubwolken flogen in der Schlucht auf. allmählich enthüllte sich im ersten Sonnenschein die Spitze des Zuges. Da kamen zuerst, von einer Schar Sklaven getragen, zwei riesengroße kostbare Elefantensessel, die England aus Judien dem „König der Könige" zum Geschenk sandte. Dann bewegte sich, von einem Gewimmel von Menschen gezogen, die Lokomotive langsam heran, die mit ungeheuren Mühen durch die unwegsamen Landstrecken bis hierher gebracht worden war. Als Menelik das ersehnte Wunder der Kultur sah, flog ein Schatten der Ent täuschung über sein Gesicht und er murmelte: „Ich hätte geglaubt, sie würde größer sein." Und diese Enttäuschung wuchs bald noch mehr, denn trotz aller Anstrengungen wollte sich die Lokomotive nicht in Gang bringen lassen, und alle Träume und Erwartungen waren dahin. Der wagemutige Serkis, dem zuerst noch die Sonne der kaiserlichen Huld so hell geleuchtet, fiel in die tiefste Ungnade. Kuntes Allerlei. Übereinstimmung. „Die Musik zu der „Diebskomödie" paßt vortrefflich zu dem Stück." — „Ja, die ist auch gestohlen." «.Megz.v Stolz. Graf (zu seinem Kammerdiener): „Unverschämter, drei Schritte zurück, sehen Sie nicht, daß Sie gerade auf meinem Schatten stehen?" (,Lach. Jahrh.o der Vorstellung, daß er mit dem Säbel oder der Pistole in der Hand auf der Mensur stehen könnte, um kalten Blutes nach dem Leben eines Todfeindes zu trachten. Was aber hatte sie denn eigentlich berechtigt, ihren Mann anders zu beurteilen, als diese ge spreizten und schwatzhaften Künstler oder Schrift steller, deren jeden sie sich ohne weiteres als todesmutigen Verteidiger seiner Ehre hätte denken können? Hatten ihr diese denn größere Beweise von persönlichem Opfermut gegeben? Oder hatten sie ein feineres Empfinden an den Tag gelegt, als ihr Gatte, der sich nur durch seine Schweigsamkett und seine immer gleiche Ruhe von ihnen unterschied? Kannte sie ihn nicht überhaupt viel zu wenig, um mit einiger Sicherheit voraus zu sagen, was er in einem bestimmten Fall tun würde und was nicht? Die Frage, mit der ihre letzte Unterredung geschlossen hatte, war ihr noch gut im Gedächt nis geblieben. Bruno Meinardi hatte ihre Frauenehre schmählich beleidigt, und Richard hatte von dieser Beleidigung Kenntnis erhalten. Zwar hatte er nicht in hochtönenden Tiraden versichert, daß er blutige Genugtuung dafür ver langen werde; aber während HeAa jetzt mit heißen, überwachten Augen auf den unheimlichen, rätselhaften Wagen da unten vor dem Hause hinstarrte, gewannen die wenigen Worte, die er damals zu ihr gesprochen hatte, für sie eine ganz andre Bedeutung. Ihre Unruhe steigerte sich von Minute zu Minute bis zu unerträglicher, sinnverwirrender Angst. Ohne nach einem bestimmten, vorgefaßten Plane zu handeln, ja fast ohne zu wissen, was sie tat, sprang sie plötzlich auf und eilte aus dem Schlafzimmer, das Richard Sieveking nun schon seit mehreren Tagen nicht mehr be treten hatte, durch die anstoßenden Gemächer, bis in den großen Empfangssalon, neben dem das kleine, verhältnismäßig einfach eingerichtete Kabinett des Hausherrn lag. Sie wußte, daß er die letzten Nächte auf dem Diwan in diesem Stübchen zugebracht hatte, und sie zweifelte nicht daran, daß er dort auch die frühen Be sucher empfangen habe. Ihre Vermutung hatte sie nicht getäuscht, denn hinter der geschlossenen Tür vernahm sie jetzt deutlich den Klang ge dämpfter Männerstimmen. Die Hand auf das Mrmisch klopfende Herz gepreßt, stand sie da und bemühte sich, zu verstehen, was dort hinter jener Tür gesprochen wurde. Wer es war unmöglich. Nur vereinzelte Worte schlugen an ihr Ohr, und diese Worte hatten keinen Sinn. Da tat sie, von ihrer verzehrenden Angst ge trieben, was sie noch niemals getan hatte. Sie schlich auf den Fußspitzen bis dicht an die Tür heran und lauschte. Minutenlang hörte sie nichts als das Brausen und Hämmern ihres eigenen Blutes. Dann aber sagte eine ruhige ernste Stimme, die sie besser kannte als irgend eine auf der Welt: „Sie werden also die Güte haben, lieber Herr Feldheim, für den Fall meines Todes meine Frau in möglichst schonender Form von dem Vorgefallenen zu unterrichten und Sie werden ihr alsdann diesen Brief übergeben. Bezüglich meines Testaments habe ich die erforderlichen Anordnungen bereits getroffen. Und nun, denke ich, können wir auf brechen." Aber in dem Moment, da die drei Herren sich zum Gehen wandten, wurde die Tür nach dem Empfangssalon aufgerissen, und in ihrem leichten Morgenkleide, mit marmorweißem Gesicht und großen, entsetzten Augen warf sich Herta ihrem Manne in den Weg. „Was hast du vor, Richard ? — Ich lasse dich nicht fort, bis du es mir gesagt hast. Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren." Die beiden andern Herren zogen sich sofort diskret aus dem Zimmer zurück; Richard Sieve king aber bettachtete die leidenschaftlich erregte junge Frau mit erstauntem Blick. „Ich muß zu einer wichtigen Konferenz," sagte er nach einem Zaudern, das nm wenige Sekunden gewährt hatte. „Es tut mir leid, daß ich dir über ihren Zweck keine näheren Mitteilungen machen kann; aber es handelt sich dabei um Dinge, die nicht mich allein be treffen." , „So will ich dir sagen, um was es sich handelt. Du gehst, dich mit Bruno Meinardi zu schlagen! — Nein, nein, leugne es nicht. Ich habe ja gehört, was du eben gesprochen, und welchen Auftrag du erteilt hast — für den Fall deines Todes! Wer ich will nicht, daß du stirbst! Ich bin es nicht wert, daß du meinetwegen in den Tod gehst, und ich könnte es auch nicht ertragen." In Heller Verzweiflung stand sie vor ihm, die demütig gefalteten Hände erhoben, und in ihren Augen flackerte eine so wittre Angst, daß es unmöglich gewesen wäre, an der Aufrichtigkeit ihrer hastig hervorgestoßenen Worte zu zweifeln. Sieveking preßte die Lippen zusammen und schwieg; aber Herta las es auf seinem Gesicht, daß alle ihre Bitten und Beschwörungen ver geblich bleiben würden, daß er unwiderruflich entschlossen war, bei seinem Vorhaben zu be harren. „Warum antwortest du mir nicht?" fragte sie. „Oder ist dein Schweigen eine Antwort. Willst du mich damit glauben machen, daß es unmöglich ist, meine Bitte zu erfüllen?" „Es ist unmöglich, Herta, und ich darf hier nicht länger säumen. Die Angelegenheit ist ja bei weitem nicht so ernst, wie du es dir vor stellen magst, sie wird vielleicht noch auf gütliche Weise beigelegt werden, und —" Aber sie fiel ihm mit ungestümem Kopf schütteln in die Rede. „Nein, nein, ich glaube nicht daran, ich sehe ja, daß du nur nach einem Beschwichtigungsmittel suchst, um mich los zu werden, aber ich lasse dich nicht, Richard. Mag doch dieser Elende über mich sagen, was ihm gefällt! Mag mich doch die ganze Welt ver achten! Was liegt denn jetzt noch an mir! Ich will gern alles ertragen, wenn nm diese schreckliche Angst von mir genommen wird, die Angst um dich, Richard! Sei nur dieses eine Mal noch barmherzig! Sieh, auf meinen Knien flehe ich dich an: Geh' nicht fort!" Sie wäre wirklich vor ihm auf dem Boden niedergeglitten, wenn er sie nicht rasch umfaßt hätte, um es zu verhindern. Einzig in dieser Absicht hatte er seinen Arm um sie gelegt; sie aber duldete nicht, daß er sie wieder frei gab, sondern warf sich stürmisch weinend an seine Brust. < B « (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)