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247. 23. Oktober 1930. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d.Dtschn. Buchhandel. Immer mehr wächst das Interesse für Spiritismus, Okkultis mus, Thevsophie und Anthroposophie. Und so stehen wir heute mit ganz anderer Einstellung einer Originalzeichnung der Seherin von Prevorst gegenüber, oder den mannigfachen Aufsätzen Jussieus, in denen er sich mit dem tierischen Magnetismus, den Mesmer ent deckte, auseinandersetzt. Jussieu war der einzige Gelehrte der Pariser Kommission, der ihn anerkannte, während Franklin, Leroy, Bailly und Lavoisier sowie Guillotin ihn ablehnten. Ein besonders interessantes Stück ist meines Erachtens ein in unse rem Besitz befindliches Manuskript von Jakob Böhme. Es handelt sich um das vollständige, eigenhändige Manuskript zu dem neunten Büch lein, der Trostschrift von den vier Complexionen. Die genaue Ver gleichung des Manuskriptes mit dem Amsterdamer Druck läßt fol gende Schlüsse als zwingend erscheinen: Jakob Böhme fertigte dies Manuskript in Görlitz. In Amsterdam, wohin es zum Druck gesandt wurde, wurde es von einem Humanisten sprachlich überarbeitet und die prächtige treffende Volkssprache Böhmes stellenweise liumanistisch »veredelt«. Ebenfalls kam die Einteilung in drei Kapitel zum Fort fall, auch die Überschrift wurde verändert. Das Manuskript, das in derselben wunderbar klaren und gleichmäßigen Schrift geschrieben ist, die alle Biographen an Böhme rühmen, wenn er aus der In spiration heraus schrieb, ist abgebildet bei Jecht in »Jakob Böhme und Görlitz. 1924«. Jecht bezeichnet in übergroßer Vorsicht sämt liche Handschriften Böhmes als ungewiß. Sorgfältige Vergleichung der Handschrift mit den wohl allgemein anerkannten sowie textliche Untersuchungen führten uns zu der Überzeugung, daß es sich hier um ein authentisches Manuskript Böhmes handelt, wofür auch die Tatsache spricht, daß es sich seit Generationen in der Görlitzer Thcosophen-Familie Stiller als kostbarste Reliquie des großen Theo- sophen vererbte. In einer Autographensammlung, die wir kürzlich erwarben, fand sich ein Albumblatt Kurt Hillers, das lautet: »Man soll Auto graphen nur von Menschen sammeln, zu denen man eine innere Beziehung hat, sei es eine des Herzens, sei es eine des Hirns«. Ich möchte es abgewandelt an den Schluß meiner Betrachtungen stellen: »Man soll Autographen von Naturforschern sammeln, da man dadurch zur Technik und Naturwissenschaft eine Beziehung ge winnt, sei cs eine des Herzens, sei es eine des Hirns.« Ich darf die Gelegenheit benutzen zu einer Richtigstellung. Die Berliner Autographensirmen I. A. Stargardt, Leo Liepmanns- sohn und unsere Firma (Hellmut Meyer L Ernst) ließen fast gleich lautende Autographen-Suchanzeigcn im Suchblatt erscheinen. Da dies den drei Firmen töricht erschien, beschlossen sie, im Suchblatt ein gemeinsames Inserat aufzugeben. Alle hieraus entstandenen Gerüchte einer Fusion entbehren jeglicher Grundlage. Im Gegenteil können und sind auch schon wiederholt die drei Firmen gegeneinander in scharfe Konkurrenz zueinander getreten, trotz der freundschaft lichen Beziehungen ihrer Geschäftsinhaber. Andererseits können sie sich trotz aller Selbständigkeit auch zu einem gemeinsamen Geschäft zusammensinden wie gerade jetzt die Firmen Hellmut Meyer L Ernst und I. A. Stargardt, die gemeinsam die Versteigerung des gesamten handschriftlichen und literarischen Nachlasses des Dichters Novalis Anfang Dezember veranstalten werden. Das italienische Buch im Ausland. Die Ausfuhr des italienischen Buches ist gegenwärtig in dem Lande Mussolinis eine so aktuelle Frage geworden, daß sich die auf kulturelles Niveau haltenden Tageszeitungen immer wieder damit beschäftigen. Die Diskussionen über die Möglichkeit der Ausfuhr italienischer Bücher wollen nicht enden und der Grund zu dieser allgemeinen Beteiligung an diesem Kreuzzug für das italienische Buch ist wohl die Erkenntnis, daß die italienischen Bücher in deut schen, englischen, amerikanischen, französischen, afrikanischen und südamerikanischen Buchhandlungen Eroberer für den italienischen Ge danken sind. So wird denn der ganze'Kampf um das Buch unter dem Titel »Durchdringung der Welt mit italienischer Kultur« ge führt. Von seiten der mehr oder weniger zuständigen Journalisten und Literaten sind vielfach Vorschläge oft nicht durchführbarer Art gemacht worden. Ein wirklich zusammenhängendes Bild über das, was für das italienische Buch und seine Verbreitung auf dem Welt markt geschehen ist und noch geschehen wird, gab jetzt on. Franco Ciarlautini, der Präsident der b'eckergLione Nationale ?33- ewta ckell' Inc1u8tria Lciitormls (des Verlegerverbandes). Wir ent nehmen seinem in der Iribuna und auszugsweise in anderen Zei tungen veröffentlichten Artikel die wichtigsten Daten. 1020 Etwa seit dem Jahre 1924 hat der Werbefeldzug für das ita lienische Buch eingesetzt. Er hat in Nord- und Südamerika sowie an der nordafrikanischen Küste und einigen Ländern Europas den Verkauf von italienischen Büchern bis zum gegenwärtigen Moment verzehnfachen können. Doch bedeutet das nach Ciarlantinis eigenen Worten so gut wie gar nichts, denn vor 6 Jahren wurde dort so wenig verkauft, daß diese Vervielfachung immer noch ein unbe friedigendes Ergebnis bleibt. Sehr wesentliche Dienste leisten der Federazione nach Angabe Ciarlantinis die Auslandkorrespondenten der großen italienischen Tageszeitungen, die über die Verbreitung der italienischen Bücher in den Buchhandlungen der europäischen und amerikanischen Hauptstädte Erhebungen anstellten und entweder an ihre Zeitung oder an die Federazione berichteten. Für Berlin ist da besonders Giuseppe Piazza wichtig geworden. Verglichen mit der Verbreitung des deutschen, englischen und französischen Buches im Ausland fällt das italienische Buch durchaus ab. Daran sind nicht so sehr die italienischen Verleger schuld als die Abnahme unwilligkeit des ausländischen Buchhandels. Die Propagandaaus gaben der italienischen Verleger im Ausland werden von Ciarlantini auf 3—4 Millionen Lire jährlich geschätzt, ohne daß diese Summe jedoch — infolge ihrer unrichtigen Verwertung — ihren Zweck er füllt. Ein einziges, noch junges Haus Man Dauli) hat seit seiner Gründung bereits mehrere 190 000 Lire für Auslandpropaganda ausgeworfen. — Gleich groß aber sind die Verluste der Verlags häuser namentlich im Handel mit Südamerika gewesen. Auch der Federazione, die um Vermittlung gebeten wurde, ist es nicht möglich gewesen, namentlich die brasilianischen Außenstände hereinzube kommen. Die Berufsorganisation der italienischen Verleger, die k'eäera- 2I0N6 llrtLioimle ^3861813 ckell' In<1u8tri3 Läitorials strebt danach, »den vorbildlichen Buchhändler-Börsenverein« nachzuahmcn und Ciarlantini fügt hinzu, »durch die straffere Gliederung der italie nischen Verlegerorganisation gelänge es immer mehr, ihren Auf gabenkreis dem des Buchhändler-Börsenvereins anzugleichen« und zu erfüllen. Durch die Italienische Handelskammer in Berlin und den Verbindungsmann Nenzetti arbeitet die Federazione in Deutschland. In U.S. A. hat sie durch die Ausstellungen von New Aork, Phila delphia, Patterson, Cleveland und Sonderwerbungen für Kalifornien Fuß gefaßt. Für Ungarn hat die Federazione eine offizielle Ver tretung in einer der ältesten Buchhandlungen Budapests gefunden, der ein den besonderen Zwecken dienender Werbekatalog zur Ver fügung gestellt wurde. In Tunis und Bukarest werden ebenfalls Schritte unternommen, womöglich zu einer eigenen italienischen Buch handlung zu kommen. Algier hat seit dem Mai eine Dauerausstel lung erhalten, desgleichen ist in Barcelona von der Weltausstellung her eine Vertretung verblieben. In Wien, Paris, Antwerpen, Amsterdam, Prag, Athen, Stockholm, Kairo und Alexandrien be reiten entweder die Auslandsascios (die überall gegründeten Aus landfaschistengruppen, meist in Anlehnung an die Konsulate) oder die Gruppen der »Tante Alighieri«-Gesellschast Ausstellungen vor. Zugleich führt die Federazione einen Kampf um die allgemeine Ein führung des ermäßigten Drucksachenportos. Sehr interessant ist eine Aktion, von der Ciarlantini jetzt be richtet. Danach wird von der Federazione auf Anregung und, wie es scheint, direkte Einflußnahme der Regierung an die Buchhändler- und Verlegerverbände aller Länder der Vorschlag gemacht, in den periodischen Veröffentlichungen über Neuerscheinungen die italie nischen Neuerscheinungen mit aufzunehmen.' Als Gegengabe würde das »Oiornale ciella lübreria« die Neuerscheinungen der entsprechen den Staaten veröffentlichen. Dadurch würde allerdings diese Zeit schrift wesentlich teuerer werden, aber man würde auf diesem Wege zu einer wirksamen Reklame für italienische Bücher in der ganzen Welt kommen. Man hofft, damit den Wall der Unbekanntheit zu durchbrechen, von dem Italiens Schrifttum bisher umgeben war. — Noch vor einem halben Jahr griffen sowohl der »Uaäuno« wie die sehr wichtige »Italia l-etteraria« die Sortimenter und die Grossisten schwer an und verlangten — sofern nicht »in letzter Stunde eine Besinnung auf nationale Würde« eintreten würde, d. h. das aus ländische Buch in der Fremdsprache weniger in den Vordergrund geschoben würde — eine Kontrolle durch den Staat und die Fest setzung eines Kontingentes für die Einfuhr. Von alledem ist nicht mehr die Rede, seitdem die Federazione mit der direkten Zustimmung des Staates Propaganda für das italienische Buch im Auslande macht. G. R.