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Ottendorfer Zeitung : 24.08.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-08-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190608246
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060824
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060824
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-08
- Tag 1906-08-24
-
Monat
1906-08
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 24.08.1906
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poMs^e Kunälckau. Deutschland. * Nach halbamtlichen Berichten der ,Nord. Allg. Zig/ hat der Reichskanzler rind Minister präsident die Angelegenheit des Preuß. Land wirtschaftsministers v. Podbielski zum Gegenstand eines eingehenden Vortrages bei dem Kaiser gemacht. Se. Majestät hat dar auf in Übereinstimmung mit dem Anträge des Fürsten Bülow erklärt, daß er auf Grund der Ausführungen des Ministers vom 13. d. zurzeit nicht in der Lage sei, über die Frage der Ent lassung von Exzellenz, v. Podbielski aus dem Staatsdienst eine endgültige Entschließung zu fassen. * Ter Kaiser wird wahrscheinlich auf Wilhelmshöhe den früheren russischen Minister präsidenten Grafen Witte in Audienz emp fangen. * In englischen Zeitungen wird mit beson derer Hartnäckigkeit die Ansicht vertreten, bei der Zusammenkunft Kaiser Wilhelms und König Eduards sei die ägyptische Frage und die Bagdadbahnfrage eingehend behandelt wurden. Demgegenüber versichern amtliche deutsche Kreise, gerade diese beiden Fragen seien bei der Monarchenbegegnung völlig unberührt geblieben, da längst zwischen den beiderseitigen Regierungen diese Punkte betreffende Vereinbarungen getroffen seien. *Der Reichskanzler Fürst von Bülow ist von Wilhelmshöhe wieder in Norderney eingetroffen. *Nach einer nahezu elfmonatigen Tagung, deren lange Dauer zu lebhaften Beschwerden gegen das Ministerium Podewils- Feilitzsch führte, ist die Session desbayrischen Landtags geschlossen worden. * In D eut s ch - O st afri k a hat der Klein krieg in der Landschaft Jraku zur Unterwerfung der dortigen Rebellen geführt. Anderwärts ist der Aufstand noch unbezwungen, und die deut schen Truppen werden auf ihren Expeditionen durch fortwährende Angriffe aus dem Hinterhalt schwer belästigt. Osterreich-Ung arn. * Ein englisches Geschwader ist im Hafen von Triest eingetroffen, wo zu Ehren des Geburtstags Kaisers Franz Joseph große Festlichkeiten abgehalten wurden. Frankreich. *Jm Ministerrat besprach der Minister des Äußern Bourgeois die äußere Lage. Betreffend den Stand der Handelsbe ziehungen mit Spanien erklärte der Minister, daß die französische und spanische Negierung voraussichtlich sehr bald in Be sprechungen darüber eintreten würden. * Die Einberufung zur Bischofs- konferenz nach NimeS für den 23. Sep tember ist ergangen. Es ist möglich, daß sie den Charakter eines Konzils annimmt. Italien. * Wie französische Blätter berichten, wird der König von Italien anfangs September dem Präsidenten Fallieresein Handschreiben überreichen lassen, als sichtbares Zeichen für die warmen Sympathien, die er der Republik ent gegenbringt. Norwegen. * Die militärische Kommission, die die n o r- wegischen Grenzfestungen untersuchte, hat gefunden, daß die Demolierung nicht in voller Übereinstimmung mit der Konvention von Karlstad ausgeführt worden ist. Besonders soll dies bei One der Fall sein. Die schärfsten Einwendungen sollen von dem von Norwegen gewählten Vertreter der Kommission, dem deut schen Oberst Schott, erhoben worden sein. Spanien. *König Alfons soll nach englischen Blättern erzählt haben, daß die vollen Tat sachen des am Hochzeitstage in Madrid auf ihn gemachten Attentats nicht bekannt geworden wären/ Er sei selbst von einem Splitter der Bombe an der Brust getroffen worden und habe j eine Wunde erhalten, deren Spuren er mit sich ! ins Grab nehmen dürfte. Er habe das Bukett fallen sehen, doch geglaubt, es sei nur ein Hoch zeitsgeschenk. Als er sich von der Erschütterung erholte, habe er 16 Leute tot am Boden und das Kleid der Königin mit Blut bespritzt ge sehen. Rußland. * Der neue russische Land Wirt schafts Minister hat über das Agrarpro gramm, dessen Grundidee er bereits den Be amten seines Ressorts entwickelt hatte, jetzt ein gehendere Aufschlüsse gegeben. Die radikalen Forderungen, wie sie in der Duma aufgestellt worden waren und in dem Prinzip der all gemeinen Zwangsenteignung gipfelten, weist der Minister ebenso ab wie den Gedanken, als könne die Landfrage durch private Verstänoigung ohne Einmischung des Staates gelöst werden. *Vom zweiten Stock eines Hauses wurden hinter den Wagen des die Straße durchfahren den Warschauer Generalgouverneurs Skalon durch Unbekannte drei Bomben geworfen, von denen zwei explodierten. Skalon blieb unverwundet, doch wurde er von den Gasen betäubt. Die Attentäter entkamen. * Wegen der Meuterei auf dem russi schen Kreuzer „Pamjet Asowa" wurden vom Kriegsgericht in Reval 17 Matrosen und ein Zivilist zum Tode verurteilt und alsbald erschossen. Balkanstaaten. *Jn der letzten Botschafter-Kon ferenz führte die Beratung über die neuen Bedingungen Englands für die Einführung der 3prozentigen türkischen Zollerhöhung zu einer ziemlich scharfen Debatte, durch die der englische Botschafter zu der Überzeugung ge bracht wurde, daß England in seinen neuen Forderungen von andern Mächten Unterstützung kaum zu erwarten habe. Wie verlautet, beab sichtigt der englische Botschafter seiner Regierung zum Nachgeben in einigen Punkten zu raten. Bis neue Jnstmktionen einlaufen, dürfte keine Änderung in dieser Frage zu erwarten sein. * Ein Kongreß in Philippopel, der sich mit der Griechenfrage beschäftigte, nahm eine Beschluß fassung an, worin die bulgarische Regierung auf gefordert wird, die Durchführung des Artikels 23 des Berliner Vertrages bei den Großmächten zu veranlassen, die diplomatischen Be ziehungen mit Griechenland abzubrechen und gegen die Griechen die Maßregeln anzu wenden, die das Völkerrecht zuläßt, also Aus weisung und Ausschließung des griechischen Handels. Die Agitation soll trotz der be dauerlichen Vorfälle nicht aufhören, bis Maze donien die Selbstherrschaft erhält. * Abermals hat sich ein türkisch-bul garischer Grenzzwischenfall ereignet, der ganz erhebliche Ausdehnung annahm und beiden Teilen blutige Opfer kostete. Die Spannung zwischen Pforte und der bul garischen Regierung wird dadurch sicherlich sehr gesteigert werden. Im Bezirke von Kotschana im Wilajet Üsküb fand zwischen der Besatzung dreier türkischer Blockhäuser und bulgarischen Grenztruppen ein Kampf statt, der sechs Stunden währte. Die Bulgaren verloren drei Tote, die Anzahl der beiderseitigen Ver wundeten ist unbekannt. Es ist eine Kom mission zur Untersuchung des Vorfalles ernannt worden. Amerika. * Nach dem amerikanischen Staats sekretär Root wurde von streikenden Arbeitern in Buenos Aires mit Steinen ge worfen. Der Ackerbauminister Torino wurde dabei verletzt. Die Rundreise des Staatssekretärs in die südamerikanischen Staaten soll überhaupt nur einen zweifelhaften Erfolg gehabt haben. Afrika. * Nach tagelangen Debatten nahm das Parlament der Kapkolonie eine Beschluß fassung an, wonach die Steuerzahlung an das Mutterland (England) immer nur auf ein Jahr festgesetzt werden soll. Damit wird beabsichtigt, sich mehr und mehr dem englischen Einflüsse zu entwinden. Es bleibt abzuwarten, wie sich England zu diesem Entschlusse stellen wird. ! Asien. * Während im chinesischen Reich alles mit schönem Eifer an Reformen arbeitete, kommen doch immer wieder Nachrichten zu uns, die be weisen, daß die Bande der Ordnung im „Reiche deS Himmels" gelockert sind. Der englische Dampfer „Kwanping" ist am 15. d. auf der Höhe von Kwai-tschu-hau von dreißig verkleideten Passagieren geplündert worden. Die Räuber entkamen in zwei Booten. Wie verlautet, sind ihnen 6000 Taels in die Hände gefallen und zwanzig Personen, zum Teil Passagiere, zum Teil Mannschaften, von ihnen verwundet worden. Die Regierung scheint den Piraten gegenüber offenbar machtlos zu sein. Das Cräbeben m Odile. Nach den ersten spärlichen Meldungen treffen nunmehr die widersprechendsten Nachrichten über die Erdbebenkatastrophe in Chile ein, namentlich über das Schicksal Valparaisos, daß den neuesten Meldungen zufolge wiederum als ein viel schlimmeres erscheint, als anfänglich angenommen werden konnte. Danach soll eine ungeheure Feuersbrunst in der Stadt wüten und jede Ordnung aufgehört haben, so daß das Stand recht erklärt worden ist. Auch die Angaben über die Zahl der Toten sind sehr schwankend. Zu bestätigen scheint es sich, daß Santiago bedeutend weniger gelitten hat als Valparaiso, denn es bereitet schon Hilfsaktionen für auswärts vor. Die wenigen Gebäude in Valparaiso, die dem Erdbeben entgingen, fallen den Flammen zum Opfer, und am Wend war die schauer liche Szene von den noch brennenden Gebäuden erleuchtet. Die Behörde schätzt die Zahl der Toten auf 5000, doch zirkulieren Gerüchte, daß 10 000 Menschen umgekommen seien. Die Flüchtlinge drängen sich auf den Schiffen im Hafen wie Schafe zusammen. Alle Versuche, in dem Wirrwarr Ordnung zu schaffen, scheiterten an der allgemein herrschenden Kopflosigkeit. Das Standrecht wurde proklamiert, weil die Arbeiter wegen der noch herrschenden Erschütterungen sich weigerten, helfend einzugreifen und die Plün derung begonnen hat. Das Erdbeben hat wenige Gebäude unbeschädigt gelassen. — In Santiago de Chile wurden 30 Personen getötet, und der Schaden wird auf 2 Millionen Dollar geschätzt. Was in der Provinz passiert ist, wird nur geraten. Die Eisenbahntunnels sind ver schüttet und der Verkehr mit dem Inland unter brochen. — Englische Versicherungsgesellschaften sind am meisten betroffen; die Policen enthalten jedoch starke Erdbebenklauseln. In Santiago sind dem Vernehmen nach die Schäden nicht so groß, um von einem Ruin der Stadt sprechen zu können. Die städtischen Behörden und privaten Vereinigungen trafen bereits An stalten, um Valparaiso beizustehen, sobald der Verkehr ausgenommen werden kann, was baldigst erhofft wird. — In Buenos Aires verlautet gerüchtweise, die Zahl der Opfer in Chile be trage 11000. Der größte Teil hiervon entfällt auf die volkreichen Stadtteile Valparaisos. Die Zahl der in der Nähe der Stadt Melipine ob dachlos Lagernden beträgt 60 000. Diese Leute erzählen, daß dem Erdbeben unmittelbar ein tropischer Regen vorangiug, der einige Valparaiso sich nähernde Züge zum Stillstand zwang. Die Zahl der Todesopfer in Santiago war vierzig. Gefährlich wird die Katastrophe in Valparaiso durch den tosenden Brand, der um so schneller um sich greift, als in der ganzen Stadt Wasser mangel herrscht. Sichere Nachrichten, die sich nicht wider sprechen und einen klaren Blick auf das fürchter liche Unglück, von dem mehrere südamerikanische Städte betroffen worden sind, gestatten, sind wohl erst zu erwarten, wenn sich in den einzelnen Orten die Aufregung ein wenig gelegt hat. Von und fern. Französische Medaillen für deutsche Arbeiter. Die französische Internationale Friedensgesellschaft hat von der Pariser Münze die ersten Exemplare der Silbermedaille erhalten, die den westfälischen Bergarbeitern, die sich am Rettungswerk in Courrieres beteiligten, übersandt werden sollen. Die Zeichnung zu der Münze rührt von dem Bildhauer Eugöne Carriöre her und stellt den „Kuh" des Friedens dar. Der Lieblingshund des Königs von England. Als der Sonderzug des Königs Eduard auf dem Bahnhofe in Cronberg zur baldigen Wfahrt aufgestellt war, um den König nach Marienbad zu bringen, kam vom Schlosse Friedrichshof her eine Equipage mit zwei Dienern des Königs, die seinen Lieblingshund, einen irischen Terrier, zum Zuge brachten. DaS kluge Tier sprang sofort aus dem Wagen und eilte mit mächtigen Sprüngen auf des Königs Salonwagen zu. Als man ihm die Tür öffnete, sprang er in den Wagen, stellte sich auf einen Stuhl und schaute gemütlich zum Fenster hinaus. Der Terrier macht alle Reisen König Eduards mit und ist bei Spazierfahrten und Ausflügen sein ständiger Begleiter. Eine altrömische Befestigungsanlage wurde in der Gemarkung Hungen in Oberhessen ausgegraben. Arbeiterunruhen in Nürnberg. Zwischen Arbeitswilligen und Ausständigen in Nürnberg kam es zu einem blusigen Zusammenstoß. Ein von Ausständigen stark bedrängter Arbeitswilliger machte von seinem Revolver Gebrauch und schoß dreimal gegen seine Verfolger. Ein 29 jähriger Schlosser wurde dreimal getroffen und schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Der Täter wurde verhaftet. Ein umfangreicher Lotterieschwindcl. In Altona ist der aus Lübeck gebürtige Lotterie kollekteur Gustav Heinrich Fischer verhaftet worden. Fischer hafte über 100 000 Prospekte der Königsberger Geldlotterie zur Freilegung des königlichen Schlosses in Königsberg in die Welt geschickt mit der Aufforderung, 3 Mark 30 Pfg. für jedes Los einzusenden, und hat auf diese Weise etwa 30 000 Mark vereinnahmt. Lose zur Lieferung hatte aber Fischer nicht. Nach seiner Verhaftung sind noch über 500 Briefe und Postanweisungen aus Deutschland und Osterreich-Ungarn eingelaufen. Die Zahl der Geschädigten beläuft sich auf mehrere Tausend. Fischer, der in Altona ein und in Hamburg zwei Kontore gemietet hatte, benutzte für seine Manipulationen ein Postfach; er will früher in Kopenhagen ein Lotteriegeschäft betrieben haben. Gattenmörder. Die Gattin des Schreiners Jakob in Melsungen wurde mit einem Kehl durchschnitt tot aufgefunden. Der Ehemann ist flüchtig und wahrscheinlich der Mörder. Gegen den wegen betrügerischen Bankrotts in Untersuchungshaft genommenen Bauunternehmer Philipp Welter in Frankfurt am Main wurde das Verfahren wegen Gift mordes eingeleitet. Wellers erste Frau, die vor zwei Jahren plötzlich starb, soll vergiftet worden sein. Eine Hochzeitsgesellschaft vom Blitz getroffen. Gelegentlich der goldenen Hoch zeitsfeier des Manschen Ehepaares in Räsfeld (Kreis Borken), an der etwa 60 Personen teil nahmen, schlug der Blitz in das Haus, das in kurzer Zeit bis auf die Umfassungsmauern nieder- brannte. 25 Festgäste wurden durch den Blitz strahl betäubt, konnten aber ins Freie gebracht werden, wo sie sich wieder erholten. eb. Mietfreie Wohnungen. Der Besitzer eines großen Häuserblocks in Paris ist bezüglich der Mietzahlung auf einen Gedanken gekommen, der bei seinen Mietern großes Entgegenkommen findet. An der Tür einer jeden Wohnung ist nämlich eine Nummer, und am Ersten eines jeden Monats lost der Hauswirt eine Nummer aus, worauf dann derjenige Mieter, dessen Woh nung die Gewinnummer trägt, für den betreffen den Monat frei wohnen darf. ell. Der „Bettlerkönig" von Paris. Paris kann sich rühmen, einen „Bettlerkönig" zu besitzen^ der im gewöhnlichen Leben auf den Namen Pierre hört. Er ist Spezialist in alten Kleidungsstücken und Stiefeln, denn nur solche erbittet er an den Häusern, wo er vorspricht. Sein Geschäft geht sehr gut, denn er liefett zwei oder drei Händlern mit alten Sachen ihre» vollständigen Bedarf. K Auf schiefer Sabn. > 8) Roman von Reinhold Ortmann. Der Bildhauer, der Geißlers Gruß nur sehr kühl zurückgegeben hatte, erwiderte ruhig: „Ich arbeite auf Bestellung und ich bin deshalb nicht in der Lage, mir meine Stoffe nach eigenem Belieben zu wählen." „Na, am Ende hat das auch seine Berech tigung. Und wenn man Modelle für den Zink guß macht, so verfährt man jedenfalls praktischer, als wenn man nur den höchsten Zielen der Kunst nachstrebt und sich dabei zugleich mit der Un sterblichkeit die Schwindsucht an den Hals hungert. Nebenbei bemerk, sind Ihre Bacchantinnen wirk lich viel hübscher, als nötig wäre. Ich sage das nicht, um Ihnen ein Kompliment zu machen, denn ich weiß ja. Sie hassen dergleichen. Ich sage es nur, well ein guter Geschäftsmann nie mals mehr liefern sollte, als ihm bezahlt wird." Als wäre ihm plötzlich die Lust zum Ar beiten vergangen, legte Theodor die Modellier hölzer nieder und hüllte die Statue vorsichtig in ein nasses Tuch. Dann begab er sich, ohne Geißler einer Antwort gewürdigt zu haben, in den abgetellten Raum hinter dem roten Vorhang. „Ihr Bruder ist nicht besonders gut auf gelegt, wie es scheint," meinte der Doktor, und mit einem spöttischen Lächeln fügte er hinzu: „Ich werde ihn doch nicht erwa in seinem Künstler stolz gekränkt haben?" Bruno zuckte die Achseln. „Sie wissen ja, er ist manchmal wunderlich, und er kann es durchaus nicht vertragen, daß man über seine Arbeiten redet, zumal, wenn man sie lobt." „Na, in diesem Punkte sind Sie gottlob anders geartet, nicht wahr? — Wissen Sie auch, daß mein Artikel über den genialen Bruno Meinardi fix und fertig ist? Da, ich habe das Manuskript mitgebracht. Wenn uns der Chef redakteur der ,Tagespresse' nicht noch einen Stach durch die Rechnung macht, sind Sie über morgen oder spätestens am Dienstag ein be rühmter Mann." Er hatte ein paar beschriebene Blätter aus der Tasche gezogen und schien willens, daraus vorzulesen, aber Bruno legte die Hand auf seinen Arm mit einem fast scheuen Blick nach dem roten Vorhang: „Nicht jetzt! Mein Bruder ist im Begriff, zu gehen. Warten wir, bis er fort ist! Es ist nicht gerade nötig, daß er etwas davon erfährt." Wenige Minuten später trat Theodor wirk lich in Hut und Überrock heraus, um mit kurzem Gruße an dem Journalisten vorüberzugehen. Als er schon fast an der Tür war, wandte er sich noch einmal zurück. „Du bist also wirklich fest entschlossen, das Rosenfest mitzumachen, Bruno?" „Gewiß, ich habe es der reizenden Frau Sieveking versprochen, und einer so schönen, liebenswürdigen Dame darf man sein Wort nicht brechen." „Gut, so werde ich uns jetzt Karten be sorgen." „Uns?" fragte der andere erstaunt. „Ja, willst du denn auch mit?" Theodor Meinardi sah verlegen aus, wie jemand, den man auf einer großen Torheit er tappt hat. „Ich habe dergleichen niemals gesehen," sagte er, „und ich denke, das Vergnügen wird nicht allzu kostspielig werden." Damit verließ er das Atelier; Maximilian Geißler lachte laut auf. „Das ist köstlich! War es nicht, als ob er sich bei Ihnen wegen eines Gelüstes nach un erhörten Ausschweifungen entschuldigen müßte? Und doch ist er es, der schließlich alles zu zahlen hat." Die letzte Bemerkung schien Bruno nicht sehr angenehm zu sein; denn er runzelte die Stirn und sagte hastig: „Was ist's also mit dem Ar tikel? Hoffentlich haben Sie es nicht zu arg gemacht, Doktor!" „Sie können zufrieden sein, Bester. Nicht jeder junge Künstler findet einen so klugen kräf tigen Herold fernes Ruhmes. Hören Sie zu und staunen Sie über Ihre eigenen Tugenden und Verdienste." Abermals hinderte ihn Bruno an der beab sichtigten Vorlesung. „Wollen Sie mir nicht lieber mit einigen Strichen den Inhalt skizzieren? Es ist doch wohl schicklicher, daß ich Ihren Auffatz — wenig stens seinem Wortlaut nach — nicht schon vor der Veröffentlichung kennen lerne." „Mein Gott, welch ein Zartgefühl! Aber Sie haben recht, es ist besser, wenn Sie mit gutem Gewissen beschwören können, daß Sie ebensosehr überrascht worden sind, wie alle Welt. Und — unter uns gesagt — ich habe ja auch nur nach dem alten bewährten Rezept gearbeitet. , Zuerst eine rührende Kindheitsge schichte voll Armut und Traurigkeit; denn eine elende, freudlose Jugend gehört nach den An schauungen unsres Publikums notwendig zur Geschichte eines jeden Genies. Dann eine zu fällige Entdeckung des schlummernden Talentes und eine harte Lehrzeit mit allen nur erdenk lichen Nöten und Entbehrungen. Ich sage Ihnen, lieber Freund, Sie werden Hochachtung vor sich selbst bekommen, wenn Sie das lesen. Mit eiserner Energie haben Sie sich bis zu Ihren ersten Erfolgen durchgerungen! Auf alle Freuden der Jugend haben Sie in heroischer Entsagung Verzicht geleistet, um Ihren er habenen Idealen die Treue zu halten! Alles, was Sie errungen haben und noch weiter er ringen werden, verdanken Sie einzig der eigenen Kraft." Bruno Meinardi war mit verschränkten Armen auf und nieder gegangen. Nun hemmte er den Redeschwall des andern durch ein ver legenes Räuspern. „Sie haben es da gewiß sehr gut mit mir gemeint," sagte er zögernd, „aber wäre es nicht doch vielleicht besser gewesen, wenn Sie mehr von der Eigenart meines Talents als von meinen Lebensschicksalen gesprochen hätten?" „Gott bewahre! Das verstehen Sie nicht, lieber Bruno! Das Publikum interessiert sich immer nur für eine Persönlichkeit, niemals für ein Talent. Ein Dutzend der schösten ästhetischen Abhandlungen über Ihre Werke bringt Sie nicht so wett als eine einzige rührende Anek dote aus Ihrer Kindheit. Und außerdem — nehmen Sie's mir nicht übel! — von Ihren
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