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Politische Aunälchau. Deutschland. * Der Kaiser ist auf der Rückreise vom Nordkap wieder in Drontheim eingetroffen. * Der Bischof von Fulda, Enders, ist am Dienstag gestorben. *Die Schulschiffe „Stosch" und „Stein" haben von Kiel aus die Auslandsreise nach dem nördlichen Atlantischen Meer, bezw. nach West indien angetreten. *Die bayrische Abgeordneten kamin er hat den Antrag auf Einführung einer bayrischen Staatslotterie ab gelehnt. * Die Erste badische Kammer nahm mit allen gegen vier Stimmen einen Antrag der Budgetkommission an, nach welchem die von der Regierung vorgeschlagene Tarifreform sür Personentarife der Eisenbahn gebilligt wird. Osterreich-Ungarn. * Das österreichische Abgeord netenhaus ermächtigte die Regierung zum Abschluß eines Handelsvertrages mit der Schweiz. Die Beratung der Vorlage über die Verstaatlichung der Nordbahn wurde fortgesetzt, ohne ein Ergebnis zu zeitigen. * In Wien kam es bei einer Protest versammlung der Konfektionäre gegen Vie ihre Existenz gefährdende Gewerbe novelle zu einem argen Skandal, der unter dem Einfluß politischer Gegensätze in eine regel rechte Schlägerei ausartete. Von der Polizei mußte der Versammlungssaal geräumt werden. In einer neuen Versammlung in einem andern Raume wurde sodann ein Beschluß gefaßt, in dem gegen die Beschlüsse des Abgeordneten hauses protestiert wird, da durch sie die Kon fekttonäre miniert und etwa 10000 Existenzen vernichtet würden. * Sieb enb ür gisch e Abgeordnete werden den un g ari s ch en R ei ch s t a g be fragen, warum auf Ersuchen des Staatssekretärs Sydow, für aus Deutschland stammende Briefe der Gebrauch deutscher Ortsnamen zu gestatten, die Antwort erteilt wird, daß das Gesetz dies nicht zulasse. (Die Sachsen behaupten, ein solches Gesetz, das die Übernahme von Briefen und Postsendungen mit deutschen Ortsnamen verbietet, existiere nicht. Somit sei der Wunsch der deutschen Regierung berechtigt und die Zu lassung des Gebrauches deutscher Ortsnamen zu fordern.) Frankreich. * Bei der Wi ed er einstellun g des Majors Dreyfus in die französische Armee ist in letzter Stunde noch eine Änderung vorgenommen worden. Von der Absicht, ihn als Stabsoffizier dem in Vincennes garnisonieren- den 12. Artillerie-Regiment einzureihen, ist die Regierung zurückgekommen; das .Journal ofnciett veröffentlicht vielmehr die Zuteilung Dreyfus' zu der Ar ti ll er i ed ir e k ti o n des Forts Vincennes. Die Nationalisten behaupten, daß der Kriegsminister wegen der Aufnahme Dreyfus' durch die Offiziere jenes Regiments Befürch tungen gehegt habe. — Brigadegeneral Pic quart ist interimistisch mit der Führung der lO.Jnfanterie-Division in Paris beauftragt worden. England. * Mit Rücksicht auf die immer bedrohlichere Haltung der eingeborenen Ägypter bereitet die englische Regierung bedeutende Ver stärkungen der englischen Garnisonen, besonders in Kairo und Karthum sowie die Errichtung zahlreicher neuer Mlitärstationen im Sudan vor. Außerdem soll die bisherige Freiheit der Landespresse erheblich eingeschränkt werden. *Viele Frauenstimme echt! er wurden mManchester bei einer Versammlung von einer ihren Bestrebungen feindlich gesinnten Menge hart bedrängt. Man trieb sie einem Flusse zu, in den viele der Verfechter und Ver fechterinnen des Frauenstimmrechts stürzten und beinahe ertrunken wären, wenn nicht die Polizei rettend eingegriffen hätte. Schweiz. * Der B u n d e srgt. hat der Bundesver sammlung einen Gesetzentwurf unterbreitet, durch den unter gleichzeitiger Totalrevision des bis herigen Patentgesetzes der Erfindungs schutz auch auf die chemische Industrie ausge dehnt wird. Holland. *Laut amtlicher Meldung haben Ein geborene auf der Insel Celebes bei Boni ein Lager der holländischen Truppen angegriffen. Drei holländische Soldaten fielen und zwei wurden verwundet; die Eingeborenen hatten einen Verlust von 51 Mann. Spanien. *Der Ministerrat beschäftigte sich mit der Frage der Handelsverträge. Hierbei gab der Finanzminister die Erklärung ab, daß die Verhandlungen in befriedigender Weise ihren Fortgang nähmen. Portugal. *Die Mannschaften eines für den über seeischen Dienst bestimmten Expeditions korps, die in den Kasernen zu Lissabon untergebracht sind, haben sich wegen der Ver haftung von Kameraden Meutereien zu schulden kommen lassen. Sie drangen in ein Amtslokal der Polizei ein, wurden aber durch höhere Beamte zur Ruhe gebracht. Rustland. *Die Reichsduma beriet am Dienstag Agrarfragen und beschloß, die Sitzung bis zur Beendigung der ersten Lesung fortzusetzen, obgleich 55 Redner auf der Rednerliste standen. * Das erste unter den neuen Ver fassungsverhältnissen in Rußland zu stande gekommene Gesetz, das von Reichs- duma und Reichsrat angenommene Not - standsgesetz über die Bewilligung von 15. Millionen für die von der Hungersnot bettoffene Bevölkerung, ist veröffentlicht worden. * Admiral Skrydlow erhielt vom Zaren den Befehl, nach Sebastopol abzureifen, um die Ursachen der Gärung in der Schwarz meerflotte festzustellen und dem Zaren persönlich Bericht zu erstatten. *Aus den verschiedensten Teilen Rußlands, insbesondere aus der Hauptstadt und den polnischen Gebieten, liegen neue Meldungen von Arbeitseinstellungen vor, an die sich mannigfache Ruhestörungen an schließen. Daneben wird das Publikum fort während in Besorgnis erhalten durch geheimnis volle Ankündigungen von bevorstehenden größeren Schreckensereignissen.JmKolomensky-Stadtviertel zu Petersburg streiken sogar 40 Schutzleute, so daß die Neserveschutzmannschaft herangezogen werden mußte. Von unbekannter Hand erhielt der Gouverneur von Warschau die Mit teilung, daß bei der nächsten Judenhetze die GeneralkonsulnDeutschlands, Eng lands, Frankreichs und der Ver. Staaten er mordet werden würden. Infolgedessen werden alle Generalkonsulate unter strenger Bewachung gehalten. *Auf die Meuterei in Tambow ist jetzt die militärische Strafe gegen den haupt sächlich beteiligten Truppenteil erfolgt. Nach Meldungen aus Petersburg hat der Zar durch einen Befehl vom 15. d. das siebente Reserve- Kavallerie-Regiment seiner ihm am 19. April 1902 verliehenen Standarte für verlustig erklärt. Balkanstaaten. *Die griechische Kammer hat den Gesetzentwurf bett. Zollmaßnahmen gegen die Herkünfte aus Rumänien in1. Lesung angenommen. * In der serbischen Skupschtina kam es gelegentlich einer Protokolldebatte zu einem erregten Wortwechsel zwischen dem Jung radikalen Radikowitsch und dem Alttadikalen Petrowitsch, die einander beleidigende Worte zu riefen. Es entstand ein betäubender Lärm. Die Jungradikalen griffen den Präsidenten wegen geschäftsordnungswidrigen Vorgehens heftig an. Dieser wies die Vorwürfe zurück. Hierauf wurde das Protokoll der letzten Sitzung mit 85 gegen 54 Stimmen zur Kenntnis genommen. Sodann verlas der Ministerpräsident einen Erlaß, mit dem die außerordentliche Session der Skupschtina eröffnet wurde. Amerika. *Zur Lage in den mittelameri schen Republiken wird gemeldet, daß General Regalado, der Führer der Truppen Salvadors, am 12. d. in dem Kampfe bei El Jidaro gefallen ist und daß dank der freund schaftlichen Vermittelung der Präsidenten Roose velt und PorfirioDiaz tatsächlich zwischen San Salvador und Guatemala ein Waffenstill stand, dem der Friede bald folgen dürste, ge schlossen ist. Der Friedensverttag wird auf hoher See an Bord des Vereinigte-Staaten- Kreuzers „Marblehead" unterzeichnet werden. * Der frühere Vizepräsid ent der ar gentinischen Republik Pelligrini ist in Buenos Aires gestorben. Die nenc Alpenbahn nach Triest. Zwischen den Alpen und dem Meere ist in Österreich ein prächtiges Werk österreichischer Bau kunst entstanden. Die Tauernbahn mit ihren Fortsetzungen durch Kärnthen, Krain und Görz zum Meere ist ein Stück außerordentlicher Verkehrs politik, welches darauf hinzielt, daß Triest endlich aus seiner Apathie und Antipathie gegen die öster reichischen politischen Zustände gerissen wird. Jeden falls aber stellt sie eine der wichtigsten Verkehrs straßen dar, da sie die kürzeste Verbindung zwischen Triest und dem nördlichen Österreich mit Deutsch land bedeutet. In technischer wie touristischer Beziehung ist die Tauernbahn eine der inter essantesten Gebirgsbahnen, und sie wird gewiß eine bedeutende Erhöhung des Fremdenverkehrs mit sich bringen. Asien. *Der Ausbau der Eisenbahnen in China macht jetzt lebhafte Fortschritte. Wie aus Schanghai gemeldet wird, find die Strecken der Nanking-Eisenbahn von Schanghai nach Sochow und von Sochow nach Wusieh, ins gesamt 79 Meilen, unter Beteiligung von chine sischen Würdenträgern und zahlreichen fremden Gästen eröffnet worden. Ein neues Reichsbeamtengesetz wird aller Wahrscheinlichkeit nach im kommenden Winter den Reichstag beschäftigen. Der Anfang mit einer Neuregelung der Versorgungsgebühr nisse ist beim Heer gemacht worden; für Offiziere und Unterklassen traten vom 1. Juli 1906 ab die neuen Vorschriften in Kraft. Als man an die Beratung dieses Entwurfes ging, haben so fort einige Abgeordnete in der Budget-Kom mission es für ganz selbstverständlich erklärt, daß über kurz oder lang auch die Zivilbeamten des Reiches an die Reihe kommen müßten. Am Schluffe der Beratung haben darauf dieselben Abgeordneten einen Anttag eingebracht, nach dem die Verbesserungen des Offizierspensions gesetzes den Reichsbeamten in entsprechender Weise zugewendet werden sollen. Dieser Antrag fand einstimmige Annahme. Mit der Ausführung dieses Antrages befaßt sich die Novelle zum Reichsbeamtengesetz, die ihre Hauptgegner in einigen kleineren Bundesstaaten, aber auch im preußischen Finanzministerium hat. Letzteres ist einer solchen Vorlage nicht besonders ftkMdlich gesinnt, weil sofort fhr Preußen die Folgen sich ergäben. An den Pensionierungsvorschriften der Reichsbeamten dürste nur wenig geändert Werden; das Hauptübel liegt darin, daß die Pension derjenigen Beamten zu klein ist, die sehr früh abgehen müssen. Was für die Offi ziere zuttifst, trifft hier in noch erhöhtem Blaße für die Beamten zu. Wenn der junge Offizier abgeht, ist er nicht erwerbsunfähig; er kann nur im Militär nicht mehr verwendet werden; wenn aber ein Beamter in jungen Jahren ab gehen muß, dann ist er tatsächlich erwerbs- ynfähig; sonst könnte er ruhig auf seinem Posten bleiben, wenn er auch nicht befördert wird. Nun hat man die Anfangspension der Offiziere von auf Ms» erhöht, sodaß nach zehn Jahren die Pension mit einem Drittel des, Ge halts beginnt; ganz dcisselbe muß auch für die Beamten gefordert werden. Aber dafür liegt beim Beamten kein allgemeines Bedürfnis vor, daß er mit 35 Dienstjahren die Höchstpension erreicht, wie es für die Offiziere bis zum Oberst leutnant der Fall ist. Da das Reichsbeamten gesetz das pensionsfähige Lebensalter mit dem 21. Lebensjahr beginnen läßt, kann es hier ruhig bei 40 Dienstjahren für Erreichung der Höchstpension bleiben, ohne daß letztere selbst erhöht wird. Man darf nur bestimmen, daß nach 10 Dienstjahren die Pension mit be ginnt, für die nächsten 20 Dienstjahre um je V«o steigt, also mit 30 Dienstjahrdn 'J«» beträgt; von da ab läßt man die Pension ein Jahr nur noch um Vt-o steigen, sodaß in 10 weiteren Dienstjahren 'M-o gleich dazukommen, und so sind mit 40 Dienstjahren das heißt die Höchstpension erreicht. Wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß die künftige Novelle sich in diesem Rahmen halten wird. Die Berechnung des pensionsfähigen Ge halts dürfte kaum einer Neuregelung zu unter werfen sein, falls nicht das Wohnungsgeld in der Pension anders berücksichtigt werden soll; die Herabsetzung des Lebensalters für Beginn der Dienstzeit (etwa 18. statt 21. Dienstjahr) findet im Bundesrate wohl sehr viele Gegner, da manche Staaten erst das 25. Lebensjahr haben, andre sogar erst das Jahr der etats- mäßigen Anstellung. Im allgemeinen liegt ein Bedürfnis für eine solche Reduzierung kaum vor. Die Durchführung dieser Reform dürfte nahezu 5 Millionen Mark kosten; aber wir meinen, das; jetzt unmittelbar nach der Reichs finanzreform das Geld für solche Zwecke besser verwendet wird, ehe die „Weltpolitik" wieder alles verzehrt hat. Fon und fern. Öffnung des Sarkophags Kaiser Karls des Groftcn. In dem altehrwürdigen Münster zu Aachen, dessen Erneuerung unter kunstver ständiger Leitung erst vor wenigen Jahren zu herrlicher Vollendung gediehen ist, wurde in feierlicher Form eine Handlung vorgenommen, die das Interesse der gesamten gebildeten Welt beanspruchen darf; die auf besonderen Wunsch des Kaisers erfolgte Eröffnung des kostbaren Schreines, in dem die sterblichen Überreste des heldenhaften Frankenkaisers Karls des Großest ruhen, und zwar in erster Reihe im Interesse der kunstgewerblichen Altertumskunde. Denn die Gewebe, von denen die Gebeine des Begründers des alten großen Frankenreiches umhüllt sind, haben für diesen Zweig der Forschung eine ganz hervorragende Bedeutung. K 6m frauenleben. 8) Erzählung von Fritz Reutter. (Fons-tzuno.) Frau Falkner überlegt einen Augenblick und antwortet dann mit jener vollkommenen Selbst beherrschung, die Stauffer in den höchsten Mo menten ihres Leben? immer an ihr bewundert hat: „Ich will Sie morgen früh nach dem Früh stück im Bibliothekzimmer sehen." Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Aber überlegen Sie wohl, ehe Sie kommen, ob Sie nicht mehr Böses als Gutes stiften werden, wenn Sie sich in Dinge mischen, die Sie nur sehr wenig angehen." Er wendet sich von ihr weg und kehrt zu Gertrud zurück. Die Kaltblütigkeit dieser Frau, der es ge lungen war, ihn in eine Lage zu bringen, wo er sich selbst zu verteidigen hatte, erfüllte ihn mit wilder Bewunderung, die jedes ihrer Worte, jeder ihrer Blicke, die an seine Nachsicht, an sein Mitleid appellierten, noch steigerte. Damals war er ihr Verteidiger, jetzt ist er — o des elenden Zufalls! — fast zum Gegner geworden, und mehr denn je lernt er ihre vollkommene Seelen ruhe, ihren Mut schätzen. Das kurze Gespräch mit Frau Falkner ist natürlich keinem der andern Gäste entgangen. Als ihm die Baronin Gutenacht wünscht, blickt sie ihn mit boshaftem Augenzwinkern an und sagt, so daß die andern es nicht hören können: „So kannten Sie sie doch ! Ich dachte mir's immer. Nehmen Sie sich in acht! Sie sind ein gescheiter Mann, aber sie ist Ihnen überlegen!" Mit diesen Worten verläßt sie ihn. Auch die andern Gäste ziehen sich zurück. Er und Gertrud bleiben allein. In ihren Augen liest er einen unbestimmten, leisen Vorwurf, einen Argwohn, den sie nicht verbergen will. Er tritt auf sie zu und faßt ihre Hand. „Was ist's, Gertrud?" fragt er sie mit einer Zärtlichkeit, die jeden Argwohn in ihr verscheucht. Sie blickt ihm gerade in die Augen und ant wortet mit jener Offenheit, die sie von Kindheit an auszeichnet: „Vielleicht ist es das beste, wenn ich dir's offen sage," versetzt sie, den Kopf senkend. „Mir scheint es — vielleicht täusche ich mich — mir scheint es, als hättest du Frau Falkner früher gekannt, und das hättest du uns sagen sollen." Er überlegt einen Augenblick. Was würde er nicht geben, ihr alles gestehen zu dürfen und die Hälfte der Last auf ihre Schultern abzu wälzen? Doch das ist unmöglich. So gibt er sich mit halbem Verstauen zufrieden. „Schenke mir nm dein Verstauen für eine kleine Weile," bittet er sanft. „Willst du mir glauben, daß ich nichts als deines Bruders und dein eigenes Glück im Auge habe? Es kommt mir hart an, daß alles die Freude meiner Rück kehr stören muß." Zum ersten Male schlägt sie die Augen be wußt vor ihm nieder; aber ehe sie antworten kann, stürzt Georg geräuschvoll ins Zimmer, um Bruno zu einer Parste Billard aufzufordern. „Noch mcht zu Bett, Gertrud?" sagt er zu seiner Schwester. „Du darfst Bruno nicht länger aufhalten. Sobald die andern abgereist sind, wirst du ihn allein haben. Komm, alter Freund!" Damit schiebt er den Arm in den seines Freundes und zieht ihn im glücklichen Gefühl seiner Liebe mit sich fort: „Du weißt gar nicht, wie recht es mir ist, daß du wieder hier bist. Seit lange war ich nicht mehr so glücklich wie heute abend." Sobald Bruno sich in der Einsamkeit seines Zimmers befindet, geht er, aller Ermüdung ver geßend, lange gedankenvoll auf und ab. Ein tiefes Mitleid für die Frau, deren Geheimnis er in Händen hält, erfaßt chn beim Gedanken, daß ihn das Schicksal ausersehen, sie zu rekog noszieren. 8. Beim Frühstück am folgenden Morgen sind die meisten der Gäste so mit ihrer bevorstehenden Abreise beschäftigt, daß sie gar keine Zeit haben, den andern irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken oder das Tun und Treiben der Zurück bleibenden zu beobachten. Unbemerkt kann Bruno sich vom Tisch ent fernen. Er begibt sich auf die Terrasse, zündet eine Zigarre an und als er sie halb geraucht, tritt er durch daS Balkonfenster in die Bibliothek. Rauchend geht er hiernach auf und ab und wartet auf Frau Falkner. Er zweifelt nicht daran, daß sie kommen wird. Tatsächlich braucht er auch nicht lange zu warten, so öffnet und schließt sich die Tür leise — er wirft den Zigarrenstummel beiseite und geht ihr entgegen. Er hat sie immer als eine der schönsten Frauen im Gedächtnis getragen. Jetzt im vollen Licht des Tages und trotz der dunklen Schatten, die eine schlaflose Nacht um ihre Augen ge zogen, begreift er, daß auch sie sich verändert, und trotzdem der Reiz der Jugend und d« Fröhlichkeit aus ihrem Antlitz wohl für immer verschwunden sind, erscheint sie ihm nicht weniger schön. Sie berührt kaum die Hand, die er ihr ent- aegenssteckt. Dann setzt sie sich in den Stuhl ihres Bräutigams, faltet die Hände im Schoß und blickt Bruno gelassen an. „Ich bin gekommen," sagt sie ruhig und sicher, „well eS mir recht und billig schien, Ihnen zu erklären, wie ich überhaupt m diese meine Lage als Braut des Herm dieses Hauses ge kommen bin — ehe Sie ihnen mitteilen, wer und was ich bin." Ungestüm fällt er ihr ins Wort: „Warum wollen Sie mich denn als Ihren Feind behandeln? Weshalb überhaupt Ihre Vermutung — daß ich es ihnen erzählen will — daß ich nur an sie denke? Haben S i e denn ganz vergessen, daß ich einst Ihr Freund ebenso wie der seinige war?" Er zieht seinen Stuhl näher an den ihren heran und setzt sich neben sie, ohne daß sie sich rührt; bloß ihre Äugen schemen etwas milder. „Gerade weil ich es nicht vergessen habe," ant wortet sie mit einer Stimme, die sie zu be herrschen weiß, „gerade, weil ich Ihrer immer als des einen Freundes gedachte, der mir treu blieb, als mich alle andem verließen, — gerade deswegen bin ich hier. Gegen jeden andern Mann hätte ich entweder meinen Platz hier verteidigt oder ihm ohne ein Wort zu verlieren entsagt?