Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 11.07.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190607116
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060711
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060711
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-07
- Tag 1906-07-11
-
Monat
1906-07
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 11.07.1906
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Zur Gebietserweiterung der kaiser lichen Werft. Nachdem die kaiserliche Werft aus dem früheren Gutsgelände Schellmühl bei Danzig ein großes Terrain zur Errichtung von Wohnungen für ihre Beamten und Arbeiter angekauft hat, soll dieses nichtfiskalische Siede- lungsgelände der Stadt Danzig eingemeindet werden. Letztere fordert nun für die Übernahme der daraus entstehenden Verpflichtungen vom ReichsfiSkus 600 000 Mk. Meeresopfer. Nach der vom ,Buxeau Veritas' veröffentlichten Statistik sind im Mai d., soweit es sich bisher hat ermitteln lassen, 89 Schiffe vollständig verloren gegangen und zwar 49 Segelschiffe und 40 Dampfschiffe. Darunter befanden sich 4 deutsche: 1 Segelschiff und 3 Dampfschiffe. Außerdem weist die Statistik noch 315 Schiffe auf, die durch Strandung, Zu sammenstöße, Feuer usw. Beschädigungen er litten haben. Darunter befinden sich 24 deutsche: 3 Segelschiffe und 21 Dampfschiffe. Im Verdacht der Fälschung. Unter dem Verdacht, die zu seiner Wahl im April v. ein geforderten Papiere gefälscht zu haben, wurde in Westerland - Sylt der Bürgermeister Kindel verhaftet. Unreifes Obst ist Gift. In Fischbach bei Koburg ist ein sechsjähriger Knabe nach dem Genuß von unreifen Stachelbeeren gestorben. Einen entsetzlichen Selbstmord beging in Bochum der Arbeiter Budenberg. Er zer schnitt sich die Pulsadern, zündete seine mit Terpentin begossene Kleidung an und stürzte sich dann aus seiner im vierten Stock belegenen Wohnung an der Elsaßstraße auf den Bürger steig hinab, wo er mit zerschmetterten Gliedern liegen blieb. Budenberg, der verheiratet und Vater mehrerer Kinder war, hatte vor Be gehung des Selbstmordes seine Arbeit in der Fabrik gekündigt. X Selbstmord eines Fähnrichs. Selbst mord verübte der 17jährige Fähnrich von Rekowsky im Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 72 zu Torgau, indem er sich in seiner Wohnung im Schlosse Hartenfels erschoß. Der Grund ist unbekannt. Blutiges Familiendrama. Der Nacht wächter Bruehl in Klein-Kruschen bei Trebnitz ermordete seine Ehefrau während des Schlafes durch Messerschnitte in den Hals. Bruehl nahm sich dann durch Erhängen das Leben. Verhaftung eines flüchtigen Bankiers. Der Bankier Cohn, der nach Verübung von Depotunterschlagungen aus Hirschberg i. Schl, flüchtig geworden war und seitdem steckbrieflich verfolgt wurde, ist in Leitmeritz in Böhmen verhaftet worden. Die zu seiner Auslieferung nötigen Schritte sind bereits in die Wege ge leitet worden. Vergiftetes Fleisch. Nach dem Genuß von sogen. Gekröse erkrankten in Gebweiler 35 Personen unter Vergiftungserscheinungen. Obwohl der Zustand aller Erkrankten besorgnis erregend ist, trat glücklicherweise kein Todes fall ein. Durch vorzeitige Entladung einer Sprengmine bei Sprengarbeiten an der alten Donaubrücke bei München wurden vier an den Sprengarbeiten beteiligte Personen, zwei Ingenieure, ein Brückenbauarbeiter und ein Werkführer, durch dessen Unvorsichtigkeit das Unglück verursacht worden war, schwer verletzt. X Selbstmord eines Chauffeurs. Aus eigenartiger Ursache Selbstmord verübt hat in Schliersee der Chauffeur eines Münchener In dustriellen. Er war zwischen Bayrisch Zell und Schliersee mit seinem Automobil aus Unvor- flchtigkeit in den Straßengraben' geraten, wobei der Kraftwagen stark beschädigt wurde. Aus Erregung hierüber nahm der Chauffeur in Hirschhausen einen Kahn, fuhr damit in den Schliersee hinaus und stürzte sich in die Fluten. Seine Leiche konnte noch nicht geborgen werden. Eisenbahnunfall. Bei der Einfahrt eines Personenzuges in die Staüon Altenstadt in Schwaben entgleisten die letzten drei Wagen, von denen der mittlere umstürzte. Zwei Reisende und ein Schaffner wurden leicht, ein Reisender aus Illertissen schwer verletzt. j In einem Anfall von Schwermut. Die seit einigen Tagen vermißte Gräfin Karoline Bothmer ist im Kanal des Elektrizitätswerks in Bad Aibling in Oberbayern, wo sie mit ihrem Gemahl wohnte, aufgefunoen worden. Die Gräfin hatte eine schwere Operation überstanden, sodaß angenommen wird, daß sie in einem An falle von Schwermut den Tod gesucht und ge funden hat. Vom Stiefvater ermordet. In Kron berg in Mederbayern wurde die von einer Hochzeitsfeier heimkehrende Dienstmagd Lina Kirchinger von ihrem Stiefvater, dem Söldner Kirchinger, in einen Kleeacker bezogen, bestialisch ermordet und schrecklich verstümmelt. Das Kinkel-Denkmal, das dem rheinischen Dichter in seinem Geburtsorte Oberkassel bei Bonn errichtet worden ist. Entdeckung einer Grabschändung. In Sagh, in der Nähe von Nagyczenk, wo jüngst die Familiengruft des Grafen v. Szechenyi er brochen wurde, ist wiederum eine Grabschändung festgestellt worden. Die Gruft der Familie des Fürsten Hohenlohe ist erbrochen gefunden worden. Ein Sarg' wurde gewaltsam geöffnet, in dem die Fürstin Klodwig Marie Hohenlohe lag. Die Tat wurde vor Wochen begangen, jedoch erst jetzt entdeckt. Als Täter wird derselbe Gärtner, der die Gruft der Szechenyis geschändet hatte, bezeichnet, da er auch bei der Familie Hohen lohe vor Jahren als Gärtner angestellt war und mehrere Juwelen vor der Verhaftung ver kaufte. Der Gärtner wurde zu der Gruft des Fürsten Hohenlohe gebracht, leugnete jedoch. Die Untersuchung wird fortgesetzt. Unfall auf einer Landpartie. Auf einem Ausflug einer Züricher höheren Töchterschule stürzte ein Wagen um, wobei neun Mädchen Verletzungen erlitten. Zugzusammenstost. Zwischen Sobkow und Kielce (Russisch-Polen) stieß ein Militärzug mit einem Güterzug zusammen. Drei Zug beamte und fünf Soldaten wurden getötet, mehr als 50 Personen verletzt. Auf dem Sängerfest in Newark in Amerika errang bei dem Wettstngen der Gesang verein „Konkordia" aus Wilkesbarre den vom deutschen Kaiser gestifteten Preis. Beim letzten Sängerfest in Baltimore hatte ihn der Verein „Junger Männerchor"-Philadelphia gewonnen. In die Flute« gestürzt. In dem Ver gnügungsort Lake Manawa bei Omaha (Amerika) ist eine Plattform am Wasser ein- gestürzt. Es heißt, daß über fünfzig Menschen in den Fluten umgekommen sind. Die Cholera in Manila greift mit furcht barer Schnelligkeit um sich. In der ersten Woche waren 116 Erkrankungen, davon 99 mit tödlichem Ausgang, festgestellt. In 24 Stunden fanden 29 Erkrankungen und 23 Todesfälle statt. GericktsbaUe. Berlin. Stach viertägiger Verhandlung wurde am Freitag in später Abendstunde der Prozeß gegen den des Mordes an seiner Mutter angeklagten Schlächter Max Jordy zu Ende geführt. Nachdem die Geschworenen des Landgerichts ihren Wahrspruch auf Nichtschuldig abgegeben hatten, wurde der An geklagte Jordy von dem Gerichtshof freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Der Angeklagte wurde sofort aus der Unter suchungshaft entlassen. — Der letzte Verhandlungstag warnoch reich an aufregenden Augenblicken. Wiehäufig insolchen Prozessen standen sich nicht nur die Meinungen des Publikums, sondern auch die Ansichten der Sach verständigen schroff gegenüber. Der Sachverständige Zondervan bekundete, daß die am Tatorte gesehenen Fußspuren unmöglich von dem Angeklagten her- rühren können. Nach dem Plaidoyer des Staats anwalts, der den Jordy für schuldig hält und einen diesbezüglichen Spruch der Geschworenen verlangte, und nach einer glänzenden Widerlegung des von der Anklagebehörde konstruierten Indizienbeweises von feiten seines Verteidigers wurde nach knapp einer Stunde der obige WahAvrnch der Geschworenen abgegeben. — Die SilberdiebstahlSaffäre der Fürstin Wrede beschäftigte aufs neue die erste Strafkammer des Landgerichts. Angeklagt war der Diener Wilhelm Glase wegen versuchter Erpressung gegen den Fürsten Wrede^iem er gegen Zahlung von 50 000 Mark Verschwiegenheit bezüglich der von der Fürstin Wrede in vielen Hotels ausgeführten Silberdieb stähle in einem Briefe zugesichert hatte. Nach um fangreicher Beweisaufnahme wurde der Angeklagte Wijhelm Glase vom Gerichtshof der versuchten Er pressung überführt erachtet und zu neun Monat Gefängnis und zwei Jahr Ehrverlust verurteilt. X Darmstadt. Der Roman einer Kranken pflegerin wurde in einer Verhandlung entrollt, die vor der hiesigen Strafkammer stattfand. Wegen raffinierter Schwindeleien angeklagt war die frühere 34jährige Krankenpflegerin Emma Tellien aus Char lottenburg. Die Angeklagte, welche früher in einem Berliner Krankenhause als Pflegerin tätig war, hatte in Berlin einen jungen Offizier, der aus einer süddeutschen Garnison nach der Reichshauptstadt kommandiert war, kennen und lieben gelernt, dem gegenüber sie sich so vorteilhaft htnznstellen wußte, daß er sich mit ihr verlobte. N. a. hatte sie ihrem Zukünftigen vorgespiegelt, daß sie demnächst eine reiche Erbschaft zu erwarten habe. Die glückliche Braut begab sich nun im Einver ständnis ihres Bräutigams nach Baden-Baden in eine Pension, wo sie sich im Laufe der Zeit verschiedene raffinierte Schwindeleien zu schulden kommen ließ. Angeblich nm die Ausstattung zu beschaffen, machte sie auch einen Abstecher nach Darm stadt und schädigte zwei Firmen um größere Beträge. Als ihr Treiben an den Tag kam, wurde sie ver haftet und wegen der in Baden-Baden verübten Betrügereien zu insgesamt zwei Jahr fünf Wochen Gefängnis verurteilt. Jetzt wurde in einer Nach tragsanklage wegen ihrer Hochstapeleien in Darm stadt gegen sie vor der dortigen Strafkammer ver handelt. Das Urteil lautete ans weitere sechs Monat Gefängnis. — Der Offizier, ihr früherer Bräutigam, verübte seinerzeit Selbstmord durch Er schießen, um nicht öffentlich in den Prozessen bloß- gestellt zu werden. Leoben. Der weit über die Grenzen Öster reichs Aussehen erregende Prozeß gegen das Schwesternpaar Zeller wegen Ermordung der früheren Köchin Marie Maier beschäftigte acht Tage lang das Schwurgericht. Während der Verhandlung umarmte Friederike Zeller wiederholt schluchzend ihre jüngere Schwester Marie, indem sie aus rief: „Meine arme Mieze, du bist ja un schuldig!" Beide Mädchen haben sich für die Gerichtsverhandlung zwei ganz neue, schwarze Toiletten anfertigen lassen, deren Kosten der Opern sänger Joseph Prohaska, der Geliebte der Friederike Zeller, bestritten hat. Bei beiden Angeklagten be antragt der Staatsanwalt die Anwendung der auf das Verbrechen des Mordes gesetzten Strafe, bei Marie Zeller unter Bedachtnahme auf ihr Alter unter 20 Jahren gemäß H 52 St.-G., der die Ver hängung der Todesstrafe über sie ausschließt. Nach dem Anträge des Staatsanwalts umarmte Friedenke Zeller plötzlich laut schluchzend ihre Schwester und gestand unter entsetzensvoller Spannung der An wesenden, den grauenvollen Mord begangen zu haben. Nach achttägiger Verhandlung wurde Friederike Zeller zum Tode durch den Strang ver- verurteilt, die Schwester Mzzi zu 18 Monat schweren Kerkers. Die Geschworenen fanden die Hauptangeklagte Friederike in beiden Hauptfragen des Verbrechens des gemeinen Mordes und des Ver brechens des Betruges schuldig, ihre Schwester Mizzi dagegen nur schuldig der Vorschubleistung. Der Sänger Prohaska, der Geliebte der Friederike, wurde als fluchtverdächtig verhaftet. Vie Michaelis-tttrche in Hamburg. (Nachdruck verboten.) St. Michel, das Wahrzeichen Hamburgs, ist nicht mehr! Das entfesselte Element hat den herrlichen Bau, das Meisterwerk eines Sonnin, zerstört, und Jahre werd«: vergehen, bevor sich bas Gotteshaus an alter Stelle wieder erhebt. Unermeßlich ist der Schaden an Kunstschätzen, sie sind unwiederbringlich verloren. Am 10. März 1750 war die alte Michaeliskirche, die an derselben Stelle stand, durch einen Blitzschlag eingeäschert worden, und schon in demselben Jahre wurde der Neubau in Angriff genommen. Der Baumeister Emst Georg Sonnin, geboren am 10. Juni 1713 zu Quitzow in der Nähe von Perleberg, hat sich mit dem Bauwerk, das zugleich sein Lebenswerk war, ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Als er am 8. Juli 1794 zu Hamburg im Alter von 81 Jahren starb, ehrte man das Andenken des genialen Mannes, indem man seine sterblichen Überreste in dem Gewölbe der Kirche beisetzte. Die in Kreuzform erbaute Kirche, die nun einem Trümmerhaufen gleicht, hatte im Jnnem nm vier freistehende Pfeiler, sodaß man überall den Prediger sehen und hören kann. Sie ist mit Einschluß der Mauern von Westen nach Osten 71,36, von Norden nach Süden 51 Meter breit. Die innere Höhe der Kirche bis zur Gipsdecke betrug 30,33 Meter. Die Kirche hatte eine prachtvolle Akustik und wurde des halb besonders zu geistlichen Konzerten verwendet. Die prachtvolle Orgel, die nun durch das Feuer gänzlich zerstört ist, wurde von dem holsteinischen Legattonsrat Johann Mattheson, einem ge borenen Hamburger, geschenkt uno vom Orgel bauer Johann Gottfried Hildebrandt in Dresden gebaut und hat 50 000 Mk. gekostet. Sie ward im Jahre 1768 vollendet und gatt lange Zeit für das größte Werk Deutschlands. Der nun eingestürzte Turm hatte vom Straßenpflaster bis zur Helmspitze eine Höhe von 131,81 Meter, vom Nullpunkt der Elbe eine solche von 153,81 Meter. Im Jahre 1802 machte Johann Friedrich Benzenberg auf dem Michaelisturm seine berühmten Versuche mit fallenden Bleikugeln, durch die er die Gesetze des Fallens, den Wider stand der Lust und die Umdrehung der Erde bewies. Die jetzt zur Veranlassung des Brandes gewordene Turmuhr wurde erst im Jahre 1896 eingesetzt und war wahrscheinlich die größte Tmmuhr in Deutschland. Die großen Zeiger hatten eine Länge von 3,68 Meter, mit ihren Ausläufern nach hinten so gar 5 Meter; der Kreis, auf dem die Stunden zahlen liegen, hatten einen Durchmesser von 7,60 Meter. Die 8 Zeiger wogen insgesamt etwa 13 Zentner. Der Turm, der 20 Meter über dem Niveau der Elbe stand, war in Wahr heit ein Wahrzeichen Hamburgs, denn von der ganzen Umgegend, von der Elbe aus, war der stattliche Säulenbau mit seiner grün-pattnierten Kuppel zu sehen, und der „Mechel" war nicht nur den Hamburgern ans Herz gewachsen, er war auch eine Sehenswürdigkeit der alten Hanse- stadt und wurde oft von den Fremden bestiegen. Kuntes Allerlei. Das Haar gesund zu erhalten. Um dasselbe gesund und voll zu erhalten, ist es nötig, daß der Haarboden reingehalten werden muß. Ein gutes Reinigungsmittel ist das Ei gelb, das mit Wasser zusammengequirlt und auf die Kopfhaut eingerieben wird, wonach mit reinem Wasser nachgespült werden muß. Auch die Quillayarinde wird empfohlen. Sie wird zerkleinert, durch heißes Wasser zwölf Stunden ausgezogen, filtriert, ausgepreßt und mit einem Zusatz van Spiritus oder Eau de Cologne an gewandt. Zum Einölen der Haare nimmt man am besten ein reines Baum- oder Mandelöl, dem man einige Tropfen Salizyllösung und ätherischen Oles beimischen kann. Zeit, wo sich ihre Wünsche erfüllen sollten. Witten im Drang der Geschäfte und Vergnügen hatte Bruno die eine Idee nie aus dem Auge verloren, daß Gertrud Baumbach einst seine Frau werden würde. Die Tatsache, daß sie reich und er nm seine Intelligenz und seine Talente besaß, hatten mit dieser Idee nichts zu tun; sie selbst schien ihm das Ideal des er träumten Weibes. . Wer jetzt erhob sich zwischen ihm und ihr ein Schatten, der sie Kennte — ein Schatten nrit dunklen, traurigen Augen, der ihm zu Kinken schien. Er blickt nach der Uhr. „Ich kill sie besuchen," sagt er bei sich selbst, „ich Kuß sie sehen." Er legt seinen Überzieher an, gibt dem Diener einige hastige Befehle und eilt nach der Straße. Mit dem nächsten Fiaker fährt er nach dem Westend hinaus. Als der Wagen vor einem kleinen Tore hält, das durch einen wohlgepflegten Garten nach der Pilla führt, bemerkt er zufriedenen Blickes das aus einem der Fenster strahlende Licht. Er läutet. 3. „Kann ich Frau Forster sprechen?" «Es ist nicht möglich, Herr," erwidert das Dienstmädchen. „Frau Forster ist für niemand iu sprechen. „Sehen Sie doch nach," versetzt er mit Selneterischem Tone, dein Mädchen seine Karte "vergebend. „Ich will hier warten." . Wer das Mädchen führt ihn sofort in den Hin wohlbekannten kleinen Salon und läßt ihn klein. Er blickt um sich. Das Zimmer kennt er gut. Wie oft hat ihn Karl Forster selbst hierhergführt und ihn dann mit seiner Frau allein gelassen, während der Hausherr davon ging, um im Zimmer nebenan zu jeuen. Während er so wartet, scheint es ihm fast, als vernehme er wieder das Mischen der Karten, das Klingen der Gläser und das dumpfe Stimmengewirr der Spieler. Aber wie verschieden ist der Salon selbst! Die Blumen, die ihn einst schmückten, sind verwelkt, die Lampe brennt düster. Der Arbeitskorb, der immer für ihre fleißigen Hände bereit stand, ist als überflüssig in eine Ecke geschoben. Das Klavier, zu dessen Begleitung sie einst aus fröh lichem Herzen sang, ist geschloffen und verstaubt. Ihre Bücher liegen ungelesen in einer Ecke. Jener niedere, mit Leder überzogene Lehnstuhl war der Lieblingsstuhl ihres Mannes. Er schaudert zusammen, wie er ihn anblickt. Auf jenem Sofa pflegten er und sie zusammenzu sitzen, während die andern sich mit den Karten die Zeit vertrieben. Er selbst war nie ein großer Kartenspieler gewesen. Was ihn hierher gezogen, war der Reiz der hübschen Frau; und äfft jetzt wird er sich dieses Zaubers vollauf bewußt. Nie zuvor hatte er auch nur daran gedacht, daß er diese Frau Forster lieben könnte. Er weiß jetzt bloß, daß zwischen ihm und ihr eine gewisse Sympathie existiert, wie er sie noch bei keiner Frau gefunden, und daß, als diesen heiteren Abenden jäh durch die schreckliche Tra gödie ein Ende gemacht wurde, damit auch in sein Leben eine Lücke gerissen war. Seit damals war er ihr Verteidiger, ihr Freund gewesen, den sie unter all den ihr be kannten Männern selbst gewählt hatte. An sie hatte er gedacht, für sie gelebt, für sie gehandelt, und trotz alledem war es ihm nicht gelungen, sie makellos aus dem Unglück Herauszureißen. Sein Geist ist so vollauf mit diesen rückblickenden Gedanken beschäftigt, daß er gar nicht weiß, wie lange er auf sie gewartet. Die Tür öffnet sich endlich, und Frau Forster tritt langsamen, ruhigen Schrittes ein und geht auf ihn zu. Bruno Stauffer sagte sich, daß sie das schönste Weib sei, das er je gesehen. In die sem Augenblicke erkennt er, wie er sie in ihrer Trauer und Demut erblickt, daß er ihr noch einen viel höheren Tribut hätte zollen können: sie erscheint ihm als das edelste, vornehmste Wesen. Sie ist groß, nnd ihre Gestalt, klar erkenntlich durch die Einfachheit ihres schwarzen Gewandes, hat jene großen Konturen einer griechischen Göttin eher als die Schlankheit eines deutschen Mädchens. Im ganzen Charakter ihrer Schönheit liegt etwas Griechisches: die breite Stirn, das volle Kinn, die gerade Nase, die kurze Oberlippe und die Zartheit der großen, dunklen Augen, in deren Tiefen ein unendliches Geheimnis zu schlummern scheint. Das auf fallendste an ihr ist vielleicht das Haar — rot- gold, das im Sonnenlicht glänzte und im Schatten sich zu Bronze verdunkelte. Vor dem Gerichtshof war es unter dem breitrandigen Trauerhut verborgen gewesen; jetzt trägt sie das Haar einfach zurückgekämmt und zu einem Knoten gewunden. Bruno Stauffer geht ihr entgegen und hält eine Weile ihre Hand in der seinen. Die erste Begegnung nach dem Urteilsspruch ist für beide gleich aufregend. „Ich komme spät zu Ihnen," beginnt er mit einer Stimme, die trotz aller Zurückhaltung mehr von seinen Gefühlen verrät, als ihm selbst lieb ist. „Aber ich könnte nicht schlafen, ohne Sie gesehen zu haben." Sie läßt seine Hand los. „Es ist sehr fteundlich von Ihnen, mich anfzusuchen," erwidert sie ruhig und blickt ihn voll unergründlicher Traurigkeit an, die ihm in die Seele schneidet. Und langsam, leise lächelnd und mit zitternden Lippen fügt sie hinzu: „In der ganzen weiten Welt ist jeden falls sonst niemand, der sich diese Mühe ge nommen hätte." Er blickt sie stumm an, voll Wut und Ver zweiflung und Müleid über ihren Kummer, den er nicht lindern kann. „Setzen Sie sich," spricht er heiser, „Sie sehen müde aus — und ich möchte mit Ihnen reden." Er streckt die Hand nach ihr aus, wie um sie nach dem Sofa zu führen, wagt es aber nicht, sie zu berühren. Sie bemerkt seine Ab sicht und setzt sich ruhig dorthin, während er wie schon so oft zuvor sich neben ihr niederläßt. Die Hände im Schoß faltend, wendet sie sich ihm zu, und sie spricht mit einer Ruhe, die ihn tiefer erregt als alle Tränen einer schwächeren Frau: „Was soll man da noch sagen? Mes ist vorüber, und ich habe Ihnen nur noch zu danken, mir so treulich beigestandeu, mich so gut durchgeriffen zu haben." 6F 3 (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)