Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 11.07.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190607116
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060711
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060711
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-07
- Tag 1906-07-11
-
Monat
1906-07
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 11.07.1906
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
politische Kunälckau. Deutschland. * Der Kaiser, der auf seiner Nordland reise in Bergen eingetroffen ist, empfing an Bord der „Hamburg" den norwegischen Minister präsidenten Michelsen. * Das Befinden der Kronprinzess in Cecilie ist andauernd ein den Verhältnissen entsprechend gutes. Ebenso befindet sich der neugeborene Prinz recht wohl. Die Kaiserin weilt fast den ganzen Tag an dem Lager der hohen Wöchnerin. * Generalmajor Meckel, der Organisator der japanischen Armee, ist in seiner Villa zu Groß-Lichterfelde gestorben. * Eine Bekanntmachung des Reichs kanzlers trifft nähere Bestimmungen über die den Mitgliedern des Reichstages gewährte freie Fahrt auf den deutschen Eisenbahnen. Eine im Reichsamt des Innern ausgefeMgte Fahrkarte, die nach Ablauf der Legislaturperiode oder bei Erledigung des Mandats zurückzugeben ist, dient den Mit gliedern des Reichstages als Ausweis für die Berechtigung zu freier Bahnfahrt. Mit dem achten Tage nach Schluß der Sitzungsperiode endet das Recht, die Karte zu benutzen. * Der neue Rheinhafen in Krefeld ist am Freitag m Anwesenheit des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten Breiten bach feierlich eing ew eiht worden. * Das preuß. Abgeordnetenhaus hat die Schulvorlage in der Schluß abstimmung gegen die Stimmen der Linken und eines Teiles des Zentrums angenommen. Sie ist nun wieder an das Herrenhaus zunickgegangen. * Die lippische Staatsregierung beschloß auf Anregung des Fürsten Leopold wegen der anhaltenden Verteuerung aller Lebens mittel die beschleunigte Aufbesserung allerBeamten- gehälter des Fürstentums Lippe. * Die Bür g ers ch aft von Bremen ge nehmigte den zwischen Preußen und Bremen ver einbarten Lotterievertrag, wonach die preußische Lotterie nach Eingehen der Braun schweiger Lotterie im bremischen Staatsgebiet zugelassen wird. *JnderZweitenbadischenKammer erklärte der Minister des Innern auf Anstage wegen Einführung von Schiffahrts- abgaben auf den natürlichen Wasserstraßen, Baden habe dem Mainvertrag zwischen Bayern und Preußen zugestimmt unter der Voraus setzung, daß der Vertrag erst dann in Wirk samkeit trete, wenn Schiffahrtsabgaben auf dem Voll-Rhein erhoben würden. Für Baden können solche Abgaben, gegen die die Regierung Be denken hat, ohne einen Akt der Landesgesetz gebung nicht erhoben werden. * Die Einführung der vierten Wagen klasse auf den württembergischen Eisenbahnen ist durch einen Beschluß der Kammer zum 1. Oktober d. gesichert. * Im Süden des ostafrikanischen Schutzgebietes leisten die Eingeborenen unsern Truppen aufs neue heftigen Widerstand. *Jn der Kapkolonie werden zurzeit, wie den,Times' auS Kapstadt gemeldet wird, 2106 männliche und weibliche Hereros und andre eingeborene Flüchtlinge aus dem deut sch e n G e b i e t gefangen gehalten. Die Kosten ihrer Erhaltung werden der deutschen Negierung vorher abgefordert. Österreich-Ungarn. * Infolge der letzten durchaus unbefriedigen den Note Serbiens beschloß die Wiener Zoll- undHandelskonferenz, die Vor schläge der serbischen Regierung für den Handels vertrag kurz abzulehnen. Somit ist fortan ein vertragsloser Zustand unvermeidlich. Es ist infolgedessen zum Zollkrieg gekommen, der damit seinen Anfang nahm, daß serbisches Vieh an der ungarischen Grenze zurückgewiesen wurde, worauf in Belgrad sofort der autonome Tarif für das benachbarte Kaiserreich in Kraft gesetzt wurde. Frankreich. "Die Regierung erhält ihre Beschlüsse bezüglich der abgesetzten Post- und Tele graphen-Unterbeamten aufrecht und lehnt es ab, ihnen Amnesüe zu gewähren, d. h. die infolge des letzten Streikes im Anfang dieses Jahres Entlassenen wieder einzustellen. England. *Der Staatssekretär für Indien, Morley, machte dem Unterhause die Mit teilung, daß dem Forschungsreisenden Sven Heddin die Erlaubnis, von englischem Gebiet aus nach Tibet zu behen, verweigert worden sei. Die englische Regrerung habe aus Gründen der Politik beschlossen, daß es nicht einmal englischen Reisenden gestattet werden könnte, Tibet zu erforschen, und was englischen Staats angehörigen verweigert worden sei, könne natürlich vernünftigerweise nicht Ausländern zugestanden werden. überdies bestehe kein Anlaß zu glauben, daß die tibetanische Regie rung Pässe zu bewilligen geneigt sei. Spanien. *Nach Besprechungen mit verschiedenen Parteihäuptern machte sich General Lopez Dominguez anheischig, mit den jetzigen Cortes das liberale Programm zur Ausführung zu bringen. Darauf wurde er vom König mit der Neubild un g des Kabinetts betraut. Rustland. *Jn den Wandelgängen der Reichs duma machte ein Gerücht die Runde, wonach Minister Stolypin geäußert haben sollte, Kaiser Wilhelm habe dem Zaren dringend ab geraten, eine parlamentarische Regierung ein zuführen oder ein Kabinett aus den Mehrheits parteien zu entnehmen. Der Minister des Jnnem Stolypin erklärte demgegenüber, daß die ganze Geschichte auf blanker Erfindung beruhe. Bei der Zusammenkunft in Bjerkö in den finnischen Gewässern seien zwischen dem Deutschen Kaiser und dem Zaren innere politische Angelegenheiten Rußlands mit keinem Wort besprochen worden. * In der Duma verursachte die Mitteilung, daß der Duma-Abgeordnete Sedel- nikow trotz seiner Erklärung, er sei Abgeordneter, auf dem Heimwege aus einer Versammlung von mehreren Polizeibeamten geschlagen wurde, große Erregung. Aladjin erklärt namens der Arbeitsgruppe, daß, falls sich ein derartiger Vor gang noch ein einziges Mal ereigne, die Sozialisten die Minister nicht zu Worte kommen lassen würden. Falls irgend ein Abgeordneter von der Polizei geschlagen oder getötet würde, werde die Arbeitergruppe für die Sicherheit derMinister, die es wagen würden, vor der Duma zu erscheinen, nicht aufkommen. Der Abgeordnete schließt unter donnerndem Bei fall mit den Worten: „Mr werden es dahin bringen, daß die Personen der Vertreter des russischen Volkes geheiligter sind als die Personen der Minister, die noch nie von der Polizei ge schlagen worden sind." Infolge der letzten Vor gänge in der Reichsduma soll übrigens der Zar entschlossen sein, das junge Parlament a u f z u l ö s e n. * Das Stadthaupt vonBialystok, Malinowsky, ist vom Generalgouverneur seines Amtes enthoben worden, weil er beab sichtigte, eine Sitzung der Stadtduma einzu berufen, um den Bericht des Generals v. Bader über die jüngste Judenhetze richtig zu stellen. * In Tiflis herrscht aus Anlaß eines Pro zesses gegen 27 Soldaten wegen Auflehnung allgemeiner Ausstand. An den Hauptstraßen ecken sind, da man Unruhen befürchtet, Ka nonen und Maschinengewehre batterie weise aufgestellt. Balkanstaate«. * Der Sultan hat aus Anlaß der Geburt des Sohnes des deutschen Kronprinzen an den deutschen Kaiser und an den Kron prinzen Glückwunschtelegramme gerichtet. Amerika. *Aus Seattle im Staate Washington (Amerika) wird berichtet, daß die dortige Polizei nach einer auf Wunsch der deutschen Re gierung veranstalteten Untersuchung in dem früher von einem gewissen August Rosenberg bewohnten Hause eine Haussuchung vornahm, bei welcher eine vollständige Einrichtung zur Herstellung von Höllenmaschinen auf gefunden wurde. Rosenberg ist am 1. Mai von Seattle nach Hamburg abgereist. Es verlautet, Rosenberg plane einAttentat gegen Kaiser Wilhelm. — Rosenberg ist übrigens am Donnerstag in Altona verhaftet worden. Afrika. *Die Niederwerfung des Aufstandes in Natal macht nicht solche Fortschritte, wie die englische Regierung anfangs verkündete. Der Kommandierende der Nataltruppen berichtet, daß Mangel an Führern einen vollständigen Zusammenschluß der den Kraal des Häuptlings Mesini umgebenden englischen Truppen ver hindert hat, so daß die Operationen weniger erfolgreich waren, als sie es hätten sein können. Eine Anzahl Aufständische wurde abgeschnitten. Insgesamt sind 444 von ihnen gefallen. Mesini soll über 8000 Krieger um sich geschart haben. Kaubanfall im bilenbabnLuge Kerlin Norderney. Ein Raubanfall, wie er in Deutschland glück licherweise selten zu verzeichnen ist, wurde in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag im Badezuge Berlin—Norderney verübt: Als die Gattin des Geheimen Finanzrats Nölle aus Groß-Lichterfelde mit ihren drei Kindern und der Gesellschafterin sich auf der Fahrt hinter Rathenow befand, trat ein Mann in das Coupö und ver langte unter Drohung das Geld der Passagiere. Der Mann trug ein langes Cape; sein Gesicht war teilweise geschwärzt und teilweise durch eine Stoffmaske verdeckt, die nur die Augen freiließ. Nachdem er die Lichtschirme der Coupelampe wieder zurückgerissen hatte, zog er einen Revolver und rief der Geheimrätin zu: „Geld oder ich schieße!" In ihrer Angst händigte die Dame dem Räuber drei neue Hundert-Markscheine aus. Dieser versetzte jedoch: „Das genügt nicht! Sie haben noch mehr. Also geben Sie her oder ich schieße." Darauf gab die Rätin ihre letzten vier Hundert-Markscheine pr.is. Eine der Dame gehörige Ledertasche mit hundert Mark, die auf dem Gepäckhalter lag, entging dem Räuber. Hierauf hielt er den Revolver der Gesellschafterin vors Gesicht und nahm auch ihr alles, was sie hatte, ab. Das selbe Manöver wiederholte er bei den Kinderis. Nachdem er das ganze Geld sorgfältig einge steckt hatte, ohne ein Zeichen äußerer Bewegung, sagte er folgendes: „Ich bin kein Räuber, ich handle nur aus Not, ich werde sogleich wieder verschwinden." Darauf kletterte er mit derselben Gewandt heit, mit der er gekommen, wieder aufs Tritt brett hinaus und verschwand im Dunkel der Nacht. Jetzt zog Frau Geheimrat Nölle die Not leine, und der Zug wurde zum Stehen gebracht. In der Nähe des Wteils, wo die Notleine ge zogen wurde, entstand ein dichtes Gedränge von Passagieren, und Frau Geheimrat Nölle glaubte in einem der Umstehenden den Räuber entdeckt zu haben. Sie machte dem inspizierenden Bahn beamten sofort Mitteilung davon, und dieser veranlaßte die Festnahme. Der betreffende Mann wurde sofort durchsucht, und man fand bei ihm drei Hundertmarkscheine, die aber beschmutzt und schon längere Zeit in Gebrauch gewesen waren. Bei einem nun folgenden Verhöre bestätigten mehrere Passagiere der dritten Klasse, daß der Sistierte die ganze Zeit mit ihnen zusammen gefahren sei und mit dem Täter nicht identisch sein könne. Daraufhin wurde dieser Passagier freigegeben, und der Zug fuhr weiter. In Stendal stieg Frau Geheimrat Nölle aus und unterbreitete die Angelegenheit der dortigen Kriminalpolizei. Da sie auf ihrer Aussage be harrte, daß der während der Fahrt festgestellte Mann der Täter sei, so wurde von Stendal aus ein Haftbefehl nach Bremen erlassen, durch den dieser bei seiner dortigen Ankunft noch einmal festgenommen werden sollte. Die An gaben der Rätin wurden durch die Kinder und durch die Gesellschafterin bestätigt. Die Familie Nölle begab sich darauf mit dem Frühzug nach Groß-Lichterfelde zurück und machte auch bei der Berliner Kriminalpolizei Anzeige. Die Eisenbahn-Direktton Hannover hat eine Belohnung von 1000 Mk. für die Herbei führung der Entdeckung des Räubers aus gesetzt. — Nachttäglich wird übrigens bekannt, daß am letzten Dienstag an der gleichen Stelle im Eisenbahnzuge dieselbe Tat an einer Familie versucht wurde, aber nicht gelang, weil eine Dame auf dem Sitz ausgestteckt lag und, als der Räuber beim Einsteigen eines ihrer Beine erfaßte, laut aufschrie und dadurch auch die übrigen Familienmitglieder zum Schreken ver anlaßte. VeirugZprozetz v. Zander. Der 16. Verhandlungstag wurde im wesentlichen abermals dem Verkaufe des Gutes S.chmögerle ge widmet. Zu Anfang der Verhandlung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Verhandlungs leiter und einem Geschworenen, dem an der Glaub würdigkeit des Zeugen Schöpke Zweifel aufgestiegen zu sein schienen. Der Vorsitzende Landgerichts direktor SMcbmund eröffnete nämlich die Sitzung init folgender Ermahnung an die Geschworenen: „Ich hoffe, daß die Herren Geschworenen durch das sonderbare Verhalten des Zeugen Schöpke sich in Ihrem Urteil über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten nicht werden beeinflussen lassen. Für die Beurteilung der Frage, ob das Zandersche Ehepaar die Straftaten begangen hat, ist die Frage nach den Gründen, aus denen der Zeuge Schöpke die Anzeige erstattet hat, vollkommen gleichgültig." — Ein Geschworener: Da die Anklageschrift die Meinung ausfpricht, daß der Prozeß gegen Schöpke von Herrn v. Zander in frivoler Weise angefangen worden sei, war es doch wertvoll, festzustellen, welchen Wert man der Bekundung des Zeugen Schöpke beimessen kann. — Vors.: Für Sie als Geschworener ist nur der Eröffnungsbeschluß maßgebend, die Anklageschrift existiert für Sie gar nicht. — Trotz eingehender Befragung der Zeugen und der Angeklagten von Zander und Lüttich läßt sich nicht feststellen, ob und von welcher Seite Unregelmäßigkeiten bezüglich der Hypothekenschulden v. Zanders vorgekommen sind. Die Verhandlungen gegen den Major v. Zander, seine Frau und Herrn v. Lüttich zeigen täglich das selbe Bild. Während die Staatsanwaltschaft in allen Unternehmungen des Angeklagten betrügerische Absichten sieht, behauptet der Angeklagte in jedem einzelnen Falle, nur das eine Ziel im Auge gehabt zu haben: seinen Gläubigern möglichst viel zu retten. Aus diesem Grunde hat er auch angeblich Sorge getragen, einige Nachhypotheken, die auf dem Gute Schmögerle lasteten, zu verheimlichen. Vom Präsidenten nach dem Grunde dieser ängstlichen Ver heimlichung gefragt, erklärt Major v. Zander: Schöpke (der die Anzeige gegen Major v. Zander erstattet hat) sollte nichts von dem Verkauf des Gutes erfahren. Die Schreiber und Registratoren des Amtsgerichts Winczig sind nun aber die Jagd freunde des Herrn Schöpke, und ich fürchtete, sie würden es ihm verraten. — Vors.: Aber Ange klagter, das ist ja empörend, eine solche Unter stellung I — Angekl.: Indiskretionen passieren in den Regiments- und Zahlmeisterbureaus jeden Tag. — Vors.: Wenn das wahr ist, will ich Ihnen auch diese Ausrede glauben. — Staatsanwalt: Diese Angriffe auf treue Beamte stehen wohl auf der selben Höhe wie die ewigen Angriffe des Ange klagten gegen mich, auf den Untersuchungsrichter Firle, auf den Justizrat Haber usw. — Es wird aus den Aussagen einer Krankenschwester dann noch fest gestellt, daß Frau v. Zander häufig Angstzustände und öfters 2—3 Tage dauernde hysterische Anfälle bekam. Von unä fern. Die Wiederaufrichtung der Michaelis» kirche in Hamburg fordert ein Antrag, der in der Versammlung der Hamburger Bürger schaft von zahlreichen Bürgerschaftsmitgliedern eingebracht worden ist. Der Kaiser hat aus Anlaß des Brandes der Michaeliskirche dem Senat ein Beileidsschreiben zugehen lassen, das folgenden Wortlaut hat: „Dem Senat und der Bevölkerung Hamburgs spreche ich mein leb haftes Bedauern über den Brand und die Zer störung der formvollendeten St. Michaeliskirche aus. Möge dieses ehrwürdige Wahrzeichen der Stadt bald in früherer Schönheit nach dem alten Borbilde wieder erstehen." — Auch Prinz Heinrich von Preußen und der Reichskanzler Fürst Bülow drückten ihr Beileid telegraphisch aus. Durch Automobilunfällc sind im ver flossenen Monat Juni, den Zeitungsberichten nach, 16 Personen sofort getötet und 49 Per sonen schwer verletzt worden. Ot bin frauenleben. 3^ Erzählung von Fritz Reutter. cgorUctzung.) „Dann handelte es sich," fährt Bruno Stauffer fort in einem Ton, der sein tiefes Mitgefühl ver rät, „um einen Versuch, den Verdacht, Forster vergiftet zu haben, zuerst auf das eine, dann auf das andre zu werfen. Hauptmann Gontard wußte sich zu entlasten. Er bewies, daß er die Villa um halb fünf Uhr verlassen. Der Arzt erklärte, daß das Gift, das Forster genommen, so stark gewesen, daß es seine Wirtting vor acht Uhr morgens getan hätte, wenn es ihm zu jener Zett verabreicht worden wäre. Hätte Frau Forster nun ihrerseits glaubbar erhärten können, daß sie das Haus ihrer Freunde nicht vor sieben Uhr verlassen, so wäre auch sie entlastet gewesen; denn innerhalb einer Stunde hätte das Gift den starken Mann nicht getötet. Unglück licherweise verließ sie das Haus ungesehen, und nichts bestätigt ihre Aussage, daß sie um sieben Uhr nach Hause zurückkehrte." „Wer gibt es denn noch Leute," ruft Baum bach, vom Stuhle aufspringend und im Zimmer auf- und abschreitend, „die sie immer noch ver dächtigen?" „Das weiß ich nicht, ich kann es nicht sagen," versetzt Bruno Stauffer leise und dumpf. „Nur das eine weiß ich, daß sich solche Leute, wenn es ihrer noch gäbe, schreiender Ungerechtigkeit schuldig machen. Das Urteil selbst aber wird den Makel eines unbestimmten Verdachtes immer auf ihr ruhen lassen, und ich glaube, sie wird es nicht überleben." Baumbach bleibt plötzlich vor seinem Freunde stehen und ruft mit kräfttber Stimme voll innerster Überzeugung: „Sie rst unschuldig. Bei Gott, sie ist unschuldig! Ich glaube es von ganzem Herzen." Eine Werle schweigt Stauffer; dann hebt er die Augen zu ihm empor und sagt einfach: „Ich weiß wohl, aber wer kann sie entschä digen für all das, was sie gelitten?" Die Wanduhr schlägt die Stunde; rasch knöpft Baumbach seinen Überzieher zusammen und wickelt das seidene Tuch um seinen Hals. Als er sich so zum Fortgehen vorbereitet, fragt er plötzlich voll anscheinender Gleichgül tigkeit : Was ist sie denn für eine Frau?" Bruno Stauffer bedeckt die Augen mit der Hand und antwortet mit leiser Stimme: „Sie ist die reizendste Frau, die ich im Leben je gesehen. In ihrem Wesen liegt jener weibliche Zauber, der einen Mann jeder Torheit, jedes Verbrechens fähig machen könnte." „So!" sagt Baumbach langsam, dem Freunde die Hand reichend. „Adieu. Wenn diese Sache für dich erledigt ist, so wirst du uns besuchen, nicht wahr?" Stauffer erhebt sich plötzlich, und wie sich selbst zusammenraffeud, drückt er seinem Freunde herzlich die Hand. Dieser wendet sich zum Gehen. Bruno ruft ihn zurück und sagt: „Etwas habe ich dir noch nicht gesagt. Du verstehst," er lächelt etwas verlegen, „dieser Prozeß hat muh so vollauf in Anspruch ge nommen, daß ich darüber meine eigenen An gelegenheiten fast vergaß. Es geht das Gerücht, die Regierung wolle mir ein Konsulat in Japan anbieten; und sollte das tatsächlich gefchchen — ich würde es annehmen." Baumbach wendet sich voll Erstaunen und Bestürzung um. „Du! Du würdest nach Japan gehen?" ruft er im Tone höchster Überraschung. ,Mürde es sich denn lohnen, deine glänzende Karriere eines Konsulats wegen aufgeben?" „Vom finanziellen Standtpunkt aus viel leicht nicht," antwortet der Freund mehr und mehr verlegen. „Wer ich bin dieses Leben müde. Ich bedarf der Änderung, des Luft wechsels. MH sehne mich hinaus aus der Groß stadt." Baumbach hatte den Blick zu Boden ge schlagen; jeH aber richtet er die Augen empor und schaut seinen Freund durchdringend an. „Du würdest doch das Leben im Osten allzu verschieden finden — es wäre denn, daß du eine Frau mit dir nähmest." „Ich denke noch nicht ans Heiraten," ver setzt Bruno Stauffer langsam. Er hat den Mut, diese Worte auszufprechen, wagt aber nicht, seinem Freunde ins Auge zu blicken. Obgleich er ihm den Rücken kehrt, ist er sich doch bewußt, daß dieser der Tür zuschreitet. Mit der Hand schon auf der Türklinke, ver setzt Georg mit einem Ton, der zwar noch freund lich klingt, dem aber die Wärme fehlt: „Mn ja, du wirst uns natürlich auf dem Laufenden hatten, was du tun wirst." Und damit geht er. Bruno Stauffer bleibt allein in nachdenk licher Stimmung zurück. Allerdings denkt er nicht an das schöne, geheimnisvolle, kummer beladene Weib, das in der letzten Zett all seine Gedanken beschäftigte, sondern an ein junges, unschuldiges, vertrauendes Mädchen, in dessen glückliches, gesundes Leben noch nie der Schatte» eines Kummers, eines Leides gefallen ist. Vor Jahren, als er und Baumbach Studien genoffen waren, hatten sie halb im Ernst, halb im Scherz verabredet, daß Bruno Stauffer, der sonst nichts besaß als sein Talent und seine« Ehrgeiz, dereinst Baumbachs junge Schweft« heiraten sollte. Damals war sie noch ein Kind ohne Vater und Mutter und der Gegenstaiw anbetender und fürsorglicher Zärtlichkeit sowohl für ihren großen Bruder als für seinen Freund. Das Mädchen war zur holden Jungfrau herangeblüht, nnd obgleich das Projekt einer Heirat zwischen den beiden Freunden nicht mehr besprochen wurde, so fühlten doch beide, daß eS ihnen in Geist und Herz verblieben. Wenn Bruno Stauffer jetzt auf die erfolg reichen Jahre voll anstrengender Tätigkeit und voll heiteren Vergnügens zurückblickte, so erkannte er, daß er für das einsame Landhaus, wo Bruder und Schwester wohnten, das lebhafte Element bildete. Seine häufigen Besuche waren immer willkommen und gern gesehen, und das Landhaus in Thüringen erschien Bruno selbst wie eine zweite Heimat. Auch dem Mädchen war er, das wußte er, was kein andrer Mann je gewesen — und kemer je sein würde. Sie hatten sich allerdings ihre Liebe mcht gestanden — sie waren eben enge Freunde, liebste Kameraden und warteten ruhig der
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)