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Ottendorfer Zeitung. Vie „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. B ezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Rioritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahm« »»« Jnsuakn bi» »»»mittag t« Uh«.j> »Inserate werden mit sv Pf für bl« Spaltzetle berechn« Labellarischer^Satz nach besonder«« Tarif Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Okrilla. Lür die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Okrilla Nr. 83. Mittwoch, den 11. Juli 1906. 5. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Ottendorf-Okrilla, den 10. I»li MS. — Regenwetter scheint in diesem Sommer trotz de» wundervollen Siebenschläfertages auf der Tagesordnung zu stehen. Wle Pfingsten, so sind bereits verschiedene Junisonntage ver regnet, und auch der Juli scheint davon keine Ausnahme machen zu wollen. Ek regnete seit Freitag mit Beharrlichkeit und Ausdauer, und die Wasserflut in Flüssen und Bächen fingen l>n zu steigen- Dem Landmanne kamen bisher die Niederschläge noch nicht ungelegen. Die Heuernte hat er — wenn auch mit größeren Mühen wie sonst — glücklich eingebracht, und die Felder vertragen jetzt vor der E-ntezeit eine Portion Feuchtigkeit. Freilich die Reife wird etwas hinausgeschoben. Bedauernswert bleiben bei anhaltenden Regenperioden immer die In haber der Gartenwirtschaften. Nicht minder zu beklagen sind zahlreiche Erwachsene und Kinder, deren Sommerfeste verregnen. Nicht bloß die Laune wird dadurch manchem ver dorben, auch manches neue Sommerkleid, mancher Hut und neuer Heller Sommerschuh oerliert dabei sein schönes Aussehen und ver ursacht für die Wiederherstellung Ausgaben, die bei den an und für sich teueren Zeiten dem Geldbeutel besser erspurt blieben. Wie eben Nichts Irdisches vollkommen ist, so vor allem beim Wetter. Was hier dem einen erwünscht ist, verdrießt den andern. Ein Glück, daß die Menschen nicht Wettermacher sind. So viel steht aber wohl schon heute fest, daß der dies jährige Sommer ein kühler Regensommer bleibt, «enn nicht alle Zeichen trügen. Hoffentlich ortet er nicht so aus, daß uns daraus allzu- große Nachteile erwachsen! — Der n olkenbruchartige Regen in der Nacht vom Freitag auf Sonnabend voriger Woche hat im Bereiche der sächs. Staatseisen bahnverwaltung schwere Schäden hervorgerufen, Auf der Bahnstrecke zwischen Obervogelgesang Und Pirna hat der stark angeschwollene Fechel- graben den Bahndamm auf 20 Meter Länge durchbrochen, außerdem sind beide Hauptgleise der Linie Bodenbach — Dresden in 120 Meter Länge durch herabgestürzte Steinmafsen unfahrbar. Die Wiederfreilegung der Strecke wird zwei bis drei Tagen erfordern. Zwischen den Halte punkten Pötzscha (Wehlen) und Obervogelgesang iß an zwei Stellen das linke Hauptgleis durch Sleingeröll usw. saft einen Meter hoch ver schüttet. Der Verkehr zwischen Schandau und Dresden mußte bis auf weiteres über Sebnitz -- Neustadt — Dürröhrsdorf — Pirna ge iniet werden. Die Telegraphenleitungen zwischen Schandau und Pirna sind gleichfalls unter brochen. Der 7 Uhr abends von Gottleuba »ach Pirna abgelassene Personenzug mußte kurz vor Rottwerndorf wieder zurückfahren, da die Strecke zwifchcn Langenhennersdorf und Nottwerndorf wegen Hochwassers gesperrt war Die Reisenden nach Pirna wurden mit einem von Pirna nach Rottwerndorf ausgesandten Hilfszug nach Pirna befördert. Der gesamte Perkehr auf der Linie Pirna—Gottleuba mußte mrze Zeit eingestellt werden, da auch die Strecke zwischen dem Haltepunkte Pirna und Haltepunkte Neundorf überflutet war. Die Betriebsstörungen sind inzwischen beseitigt, sodaß der volle Betrieb wieder ausgenommen ist. , — Zum Bierkampfe ist zu berichten, daß Thüringen das Bier vielfach seinen alten "reis, Io Psg. für Ha Lier, behalten wird, svsil die städtischen Brauereien, die sehr gutes Pler brauen, für den Ortsverkehr doch nicht soviel Herstellen, um unter die neue Steuer zu sollen. In Dresden beschloßen die Gastwirts- greine, daß die »/ig-Liter-Gläser überhauv sortfallen und dafür Lagerbier in un uo'Liter-Gläsern zu 10 und 15 Pfg. un »echtes" (bayrisches) Bier zu 15 und 20 Pfg. Erkauft werden solle. Außerdem soll Liter ^gerbier zu 17 und echtes Bier zu 25 Pfg "«kauft werden. Dresden. Die Betriebsstörungen, die das Unwetter der beiden letzten Tage der Vorwoche auf der Bahnlinie Pirna—Schandau ver ursachte, sind nunmehr wieder behoben. Am Montag früh um 8 Uhr wurde der volle zweigleisige Betrieb wieder ausgenommen. Die lufräumungsarbeiten am Bahndamme aller- lings sind bei weitem noch nicht beendet. Königsbrück. Zu der Meldung aus Zeithain, daß ein Artillerist der hier garnisonierenden reitenden Abteilung vom Pferde gestürzt und infolge einer dadurch ver ursachten Darmzerreißnng gestorben sei, wird mitgeteilt: Wohl hat der Mann durch den Sturz eine Darmzerreißung davongetragen und sofort eine schwere Operation durchmachen muffen, doch geht es ihm den Verhältnissen entsprechend sehr gut, weshalb zu erwarten teht, daß er nicht nur am Leben bleibt, sondern daß der Sturz auch keinerlei bleibende Folgen ür ihn haben wird. Kamenz. Im Restaurationslokale des Etablissements „Königstreue" erfolgte gestern nachmittag gegen 4 Uhr unter gewaltiger Detonation eine Gasexplosion. Die Gasleitung war einer Reparatur unterzogen und, wie gemeldet wird, von dem betreffenden Gasschloffer nicht wieder geschloffen worden. Als daher ein Gaskocher in Gebrauch genommen und das Gas angebrannt wurde, explodierte das >ereitS in größerer Menge ausgeströmte Gas, wodurch Büffet, sämtliche Gläser, Bierapparat Mobiliar, Fenster rc arg demoliert wurden. Glücklicherweise gelang es, die Flammen zu öschen, auch kamen die Bewohner mit dem Schrecken davon. Die Detonation war weithin im Umkreise vernehmbar. Reick.- Infolge eines in der Lockwitzer und Kreischaer Gegend niedergegangeuen Wolken bruchs schwoll der Prohliser Landgraben in Reick derart an, daß unweit der Gasanstalt- Straße der Graben durchbrach. Die umliegenden Felder und Wiesen sind unter Wasser gesetzt Einige Gärtnereien an der Gasanstalt-Straße sind so ^gut wie ganz vernichtet. Auf ein Gesuch um militärische Hilfe traf früh 4 Uhr ein Kommando mit 4 Offizieren, 90 Unter offizieren und Mannschaften ein. Priestewitz. Ein wolkenbruchartiger Ge witterregen, der fast den ganzen Sonnabend und die Nacht zum Sonntag anhielt, hat in hiesiger Gegend unberechenbaren Schaden auf den Fluren angerichtet. Ganze Felder wurden durch die unaufhörlich herabströmenden Wasser fluten überschwemmt, streckenweise sogar die Feldfrüchte und das Getreide unter Wasser ge setzt. Zwischen Priestewitz und Langenberg sind noch weite Flächen überflutet, teilweise ist auch die gute Ackererde fortgeschwemmt und an anderen Stellen abgelagert worden. Zwischen Niederau und Priestewitz ist durch die Wasser fluten der Bahndamm der Dresden—Riesa— Leipziger Eisenbahnstrecke, welcher streckenweise von beiden Seiten bespült wurde, gefährdet worden. Stellenweise mußten Vorbeugungs- Maßregeln durch Einrammen von Pfählen und dergleichen getroffen werden. Sämtliche Züge passiren die gefährdete Stellung mit verminderter Fahrgeschwindigkeit. Zabeltitz. Am Sonntag ertrank beim Heuwegschaffen von einer von der Röderhochflut betroffenen Wiese der Großknecht auf hiesigem Rittergute August Förster. So hat leider das verflossene Julihochwaffer 1906, welches 30 om höher wie das 1905 war, ein Menschenleben gefordert. Bedeutenden Materialschaden hat es in der Goltzschaer Mühle angerichtet, wo es ein Seitengebäude wegschwemmte, und beim Eisenhahnunterführungsbrückenbau in der Nähe von Geißlitz, wo es sämtliche Rüstbretter und Baugerätschaften mitnahm. Zeithain. Auf dem hiesigen Truppen übungsplätze ereigneten sich zwei bedauerliche Unfälle. Bei einer größeren Uebung wurde der Reservist Griesbach aus Deutschneudorf vom Hitzschlag betroffen, dem er alsbald erlag. Ferner stürzte ein reitender Artillerist so un glücklich mit dem Pferde, daß er eine Darm zerreißung erlitt, die seinen alsbaldigen Tod herbeiführte. Riesa. Die infolge der am Freitag und Sonnabend niedergegangenen Regenmengen ein getretene Steigung des Elbwafferspiegels ist schnell zurückgegangen. Der hiesige Elbpegel zeigte am Sonntag und am Montag früh be- bereits 5 Zentimeter unter Null an. — Dippoldiswalde. Eine wichtige sanitäre Maßnahme hat die hiesige Amtöhauptmannschaft durch die Bestimmung getroffen, das alle aus ländischen Arbeiter binnen sieben Tagen nach Eintritt in ein Arbeitsverhältnis des Bezirks sich der Schutzpockenimpfung zu unterziehen haben. Grünhainichen. Ein umfangreicher Juwelen diebstahl wurde hier beim Uhrenhändler und Juwelier Einhorn verübt. U. a. wurden 18 Stück Damenuhrketten, 6 Paar Manchetten- knöpfe, ferner Kettenarmbänder, Silberdouble- Armbänder, Broschen mit Opalen und Steinen, Ohrringe, Damen- und Herrenringe, Colliers, Medaillons, Herrenuhrketten aller Art, Herren- und Damen-Uhren in Gold, Silber und Nickel gestohlen. Der Wert der gestohlenen Sachen beträgt über 2000 Mark. Leipzig. Das Opfer eines Naubanfalls wurde, wie erst jetzt bekannt wird, eine Arbeiterin AIS dieselbe am 6. Juli abends in der siebenten Stunde, den durch das Streitholz nach L.- Connewitz führenden Weg entlang ging, gesellten ich zwei unbekannte Männer zu ihr. In der Nähe des Probsteigsteges wurde das Mädchen plötzlich von einem der Kerle gepackt und fest gehalten, während ihr der andere das Porte monnaie mit dem Arbeitslohn aus der Kleid tasche stahl. Hierauf verschwanden die Strolche rm Walde. Der eine wird geschildert als etwa 22 Jahre alt, ea. 1,75 Meter groß, schlank, bekleidet u. a. hellgrauem Jakettanzug und Radfahrermütze. Sein Kumpan ist etwa 23 Jahre alt, von kleinerer Gestalt und hat schwarzes Schnurrbärtchen. Dieser hat u. a. schwarze Hose, braunes Jakett und schwarzen, weichen Filzhut getragen. Nus der Woche. Als der russiche Schriftsteller Iwan Turgen jew in seinem Roman „Väter und Söhne" zum ersten Male in Rußland das Wort Nihi lismus — das von ihm angeblich erfundene — gebrauchte, ahnte er vielleicht nicht, daß er damit einer gewaltigen Bewegung innerhalb der russtchen Gesellschaft zu einem Namen ver halfen hatte. Aber es ist so: seit etwa fünfzig Jahren macht sich in weiten gebildeten Kreisen des Zarenreiches das Bestreben geltend, dem Bann der engen Fesseln des Vaterlandes zu entfliehen, die gepriesene Freiheit andrer Staaten nach Rußland zu tragen, oder aber gewaltsam das seit Jahrhunderten schlafende Reich aus dem Schlummer zu rütteln und es in die Morgenröte einer neuen Kultur und damit auch an den Anfang eines neuen Geschichts abschnitt zu stellen. Doch im Lande Väterchens ist offenbar alles vergebens. Friedliches Streben und gewaltsame Revolutionen vermögen nicht den Weg in das neue Staatsleben zu ebnen — der Fluch Jahrhunderte währender Sünden lastet zu schwer auf dem Lande, in dem nun alle Bande der Ordnung gelockert sind. Das Volk hat sich abgewandt vom Zaren, von der Negierung und von der Reichsduma; es hofft nicht mehr auf Genesung durch das Parlament Die Stützen des Thrones wanken seit sogar das alterprobte Leibgarde-Regiment von Preo braschenski den Gehorsam aufgesagt hat. Wie lange das seltsame Schauspiel noch dauern wird, bis die Katastrophe, die mehr und mehr unvermeidlich wird, eintritt, vermag man schwer zu sagen. — In Oesterreich-Ungarn scheint wirklich der Friede eingekehrt zu sein; denn von den Delegation — den Abgeordneten leider Reichshälften — wurden nach kurzer Debatte die Heeresforderungen bewilligt. Zwar erkannte der österreichische Kriegsminister die innere und tiefe Schönheit des von England angeregten Abrüstungsgedankens an; aber er ügte — für das Ausland beruhigend — hin- v, Oesterreich müsse noch lange rüsten, bis «S mit seinem Heer und seiner Flotte auf der Höhe andrer Staaten stehe. Damit beginnt nun auch für unsern Bundesnachbar eine Zeit eifriger Flotten- und Heerespolitik. — Italien jat in diesen Tagen durch die Geschicklichkeit eines früheren Gesandten in London und jetzigen Ministers des Aeußern einen nicht zu unter« chätzenden diplomatischen Erfolg zu verzeichnen In London wurde ein italienisch-französisch- englischer Vertrag — vor Monaten schon als afrikanischer Dreibund bezeichnet — abgeschlossen nach dem alle drei Länder in Abessinien gleich berechtigt sein und an dem in Frage kommenden Bahnbau gleichen Teil haben sollen. — Bei Abschluß dieses Vertrages konnte es sich ein Teil der englischen Presse nicht versagen, nach dem gerade die so festlich empfangenen deutschen Pressevertreter London verlaffen hatten, wieder einige Giftpfeile über den Kanal zu senden. Nach Meinung der „TimiS" und andern Organen sollte die seinerzeit vom deutschen Kaiser nach Abessinien geschickte Sondergesand- chaft den Auftrag haben, die Regelung der abesinischen Frage unter den Mächten des neuen „Afrika-Dreibundes" zu hintertreiben. Da« Geschreibsel richtet sich selbst und bedarf keiner ernsthaften Widerlegung. — Die „große Nation" hat in dieser Woche eine schöne, längst chuldige Pflicht an einem Manne erfüllt, der einst als Sündenbock für den Generalstab in die Verbannung geschickt wurde. Der höchst« Gerichtshof in Frankreich hat vor aller Welt verkündet, daß der ehemalige Hauptmann Alfred Dreyfus kein Landesverräter ist, daß er un- chuldig 12 Jahre seines Lebens Schmach und Schande erlitt, während die wahrhaft Schuldigen )en Waffenrock der Repuplick trugen und in ihrem Vaterlande Ehrenstellen bekleideten. Irgend einen praktischen Wert kann naturgemäß diese späte Wiederherstellung seiner Ehre für einen Mann nicht haben, der in den Jahren der Qual körperlich und geistig gebrochen ist. — Der kranke Mann am Bosporus hat nun endlich erlebt, daß sein stiller Traum, nämlich die Einführung der dreiprozentigen Zoll- erhöhung mit Zustimmung der beteiligten Mächte in Erfüllung geht. Und wenn er auch die sich daraus ergebenen Mehreinnahmen zu Reformen in Mazedonien zu verwenden ver pflichtet ist, so weiß er wohl, daß mancher Brocken für ihn abfallen wird, der seiner ewigen Geldnot, wenn auch nicht Abhilfe schaffen, so doch ein gefälliges Mäntelchen um hängen kann. — Der Chicagoer Fleischskandal ist im Lande selbst als beendet anzusehen. Das in aller Eile zurecht gestoppelte Fleisch beschaugesetz der Ver. Staaten schreibt vor, daß die Herstellung aller Fleischkonserven künftig unter ständiger Aussicht der Behörde stehen soll. Das tiefe Mißtrauen aber, daß sich der ganzen Welt gegenüber dem so verführerisch ausschauenden „Büchsenfleisch" bemächtigt hat, wird so leicht nicht wieder verschwinden, man wird doch immer wieder denken: es ist schlechter als sein Ruf. — Der deutsche Kaiser hat seine Nordlandsfahrt angetreten, doch bevor er noch das Land der Mitternachtssonne erreichte, ereilte ihn die Nachricht, die Tausende von Herzen mit Jubel erfüllte: Der Monarch ist Großvater geworden. Drei Generationen scharen sich um den stolzen Hohenzollernthron. Möchte es dem Kaiser, der im Nordlande Er holung sucht von den Regierungsgeschäften, vergönnt sein, in gleicher Rüstigkeit Me kurz nach seiner Silberhochzeit einen Enkel, bei seiner goldenen Hochzeit einen Urenkel an sein Herz drücken zu können. Wer sieht nicht vor seinem Geiste das Zollernbild: Vier Kaiser! Hoch! hoch! hoch!