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Ottendorfer Zeitung : 20.06.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-06-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190606208
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060620
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060620
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-06
- Tag 1906-06-20
-
Monat
1906-06
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 20.06.1906
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Politische Aunälckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm legte am 15. d., wie alljährlich am Todestage seines hochseligen Herm Vaters Kaiser Friedrich IIM am Sarkophag des teuren Entschlafenen in Potsdam einen prachtvollen Kranz nieder. * Der Kaiser hat durch Kabinettsorder die Einführung des neuen Exerzierreglements für die Infanterie genehmigt. * Das Kaiserpaar besuchte am Donners tag die Landwirtschaftliche Ausstellung in Schöne berg, die kurz zuvor vom Kronprinzen er öffnet worden war. * Der neue deutsch-schwedische Han delsvertrag, der in beiden Ländern von den Parlamenten angenommen ist, soll nach seinem Artikel 23 mit dem Beginn des auf den Austausch der Gültigkeitsurkunden folgenden Tages in Kraft treten. Wie halbamtlich ver lautet, ist der 23. Juni als Tag für den Aus tausch der Urkunden in Aussicht genommen und demgemäß das Inkrafttreten des Vertrages zum 24. Juni zu erwarten. *Die europäische Fahrplan-Kon ferenz in Bremen hat am Donnerstag ihre Arbeiten beendet. Frankreich. * In der Kammer sind die Anstagen über die auswärtige Politik zurückgezogen worden, ein Beweis, wie sehr die Ausfühmngen des Ministerpräsidenten bezw. die von ihm verlesene „Regierungserklärung" der Kammer zufrieden zu stellen vermochten. England. * Auf eine Anstage im Unterhause über die anarchistische Propaganda in London erwiderte Staatssekretär Herbert Glad stone, dieser Umfang sei nicht bedeutend. Die Polizei werde immer bereit sein, ein Verfahren ' eipzuleiten, wenn die anarchistischen Schriften Grund zur strafrechtlichen Verfolgung bieten. Schweiz. *Eine internationale diplomatische Konferenz für Arbeiterschutz soll nach einem Beschluß des Bundesrats in der zweiten Hälfte des September in Bern zu sammentreten. Sie soll sich mit der Frage der Aufstellung eines internationalen Vertrages betr. Verbot der Nachtarbeit der Frauen in der Industrie befassen. Italien. *über die Abrüstungsfrage gab in der Deputiertenkammer auf eine An stage aus dem Hause der Minister des Äußern Tittoni eine bemerkenswerte Erklärung ab, die sich ungefähr mit den Anschauungen decken dürste, die man auch sonst in Regierungskreisen über diese Frage hegt. Im Verlaufe seiner Rede erklärte Tittoni, die Vertreter Italiens auf der Haager Konferenz würden den Auftrag erhalten, die Anregung Englands zu unter stützen. Er möchte wünschen, daß der Plan einer allgemeinen Abrüstung zur so fortigen Durchführung kommen möge. Graf Goluchowski habe Üirzlich erklärt, die fried liebende Haltung beider Regierungen (der öster reichischen und italienischen) habe die Versuche unverantwortlicher Stellen, ihr gutes Überein kommen zu stürm, zum Scheitern gebracht. Dieser Ausspruch scheine ihm sehr glücklich zu sein, denn er glaube, daß in allen Ländern die Unverantwortlichen eine fortwährende Gefahr für den Frieden darstellten. Spanien. * Amtlichen Erhebungen zufolge sind durch das Bomb enatt entat 31 Menschen ge tötet worden, beziehungsweise ihren Verletzungen erlegen; neun Verwundete schweben noch in Lebensgefahr. *Nach den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung über das Attentat auf den Hochzeitszug neigen Polizei und Staats anwaltschaft zu der Ansicht, daß Ferrer sowie die andern Anarchisten, welche den Attentats plan Morales' gekannt haben dürften, mit Revolutionären in Verbindung gestanden haben. Nur so sei die Tatsachx .erklärlich, daß Ferrer und Genossen weit über ihre Verhältnisse hinauF- gehende Geldbeträge besaßen. Russland. * In der Reich sduma erklärte der Oberprokurator im Kriegsministerium, General leutnant Pawlow, die Todesstrafe könne von dem Kriegsminister nicht abgeschafft werden, der nicht das Recht habe, sich den Ent scheidungen der Gerichte in den.Weg zu stellen. Mehrere Abgeordnete richteten heftige Angriffe auf die Regierung und lenkten die Aufmerksam keit auf die Verzweiflung, die sich des ganzen Landes bemächtigte und zu fürchterlichen Ge schehnissen führen könne. Der Priester Afanassiew erinnerte an den Namen des Leutnants Schmidt in Sewastopol, den er als Freiheitskämpfer feierte. Redner schloß damit, der Zorn Gottes werde auf die Übeltäter niederfallen und sie würdm bei dem Gesetz keinen Schutz finden, wenn das erbitterte Volk aufstehen werde. * Bei vielen Neichsduma - Mit gliedern greift der Gedanke immer mehr Platz, die Arbeit mit der vorzeitigen Vertagung der Reichsduma nicht einzustellen, vielmehr sollen die Kommissionsmitglieder bis zur neuen Session der Reichsduma ihre Tätigkeit fortsetzen und zwar in Helsingfors, um von der russischen Behörde unbehelligt zu bleiben. *Jn Warschau wurde auf offener Straße eine Bonrbe geschleudert, die viele Menschen tötete. Darauf begannen Arbeiter in blinder Wut eine Judenhetze. Viele Läden wurden gänzlich demoliert, die Waren auf die Straßen hinausgeworfen und. vernichtet. Arbeiter über fielen flüchtende Juden am Bahnhof und töteten und verletzten viele. Selbst aus den Bahnzügen wurden jüdische Flüchtlinge herausgeschleppt und geschlagen. Die Juden flohen darauf in die benachbarten Wälder, wohin ihnen Dragoner nachgesandt wurden. (Es wird leider nicht ge sagt, ob zum Schutz oder zu weiterer Ver nichtung! In Rußland ist alles möglich.) Balkanstaaten. "'Zwischen Griechenland nndNumänien sind die diplomatischen Beziehungen offiziell ab gebrochen. Rußland übernimmt den Schutz der griechischen Untertanen in Rumänien mit Ausnahme von Braila, wo dies der französische Konsul tut. Alle griechischen Konsuln in Rumänien sind abberufen worden. Amerika. * Das Kongreß-Komitee hat eine Fleischbeschau-Vorlage ausgearbeitet, die eine scharfe Untersuchung allen für Nahrungs zwecke zu benutzenden Viehes vor und nach der Tötung bestimmt und Negierungsbescheinigungen als Passierscheine für Fleisch und Fieischprodukte im inländischen Handel verlangt, sowie einen be sonderen Sauberkeitsschein für den ausländischen Handel. Sie verbietet den Gebrauch gesundheits schädlicher Chemikalien und verlangt Gesundheits maßregeln in den Fabrikcäumen. Die Regierung trägt die Jnspektionskosten. Präsident Roosevelt läßt augenscheinlich den Fleisch baronen keine Zeit, sich zum wirksamen Wider stande zusammenzutun. *Die Kommission des Senats der Ver. Staaten für die auswärtigen Angelegen heiten hat von ihrem Vorsitzenden Cullom die Ermächtigung erhalten, sich in ihrem Bericht zugunsten eines Zusatzantrages zu den Be willigungen für den auswärtigen Dienst zu äußern, durch den der Präsident ermächtigt wird, eine Million Dollar aus der chinesischen Entschädigungszahlung - zur Errichtung von Konsulargebäuden inChina, Korea und Japan zu verwenden. Afrika. *Nach einer Meldung aus Lagos sind im südlichen Nigeria Politische Unruhen ans- gebrochen und der Gehilfe des Kommissars im Hinterlande von Asaba ist von Eingeborenen er mordet worden. Es sind auch neue heftige Kämpfe zu erwarten, da die englische Regiemng entschlossen ist, energisch Rache zu nehmen. Japan. *Die Beziehungen zwischen Japan und Australien scheinen nach und nach freund schaftlicher zu werden. Wie aus Tokio ge meldet wird, ist der Besuch Sydneys durch ein japanisches Geschwader unter Admiral Shimamura Anlaß zu sehr warmen Kund gebungen auf beiden Seiten gewesen. Es sei demnach vorauszusehen, daß derartige Besuche japanischer Flottenabteilungen bei den Nachbarn im Süllen Ozean, zumal bei den dem ver bündeten englischen Reiche angehörenden, häufiger statlfinden und dazu beitragen werden, die Meinungen in Australien über verschiedene Fragen einigermaßen zu ändern. (Man braucht hierbei nur an die bisher ablehnende Stellung der australischen Gesetze gegenüber der gelben Einwanderung zu erinnern.) Vie elsaß-lothringische Verfassungsfrage. In den letzten Tagen wurde vielfach die Frage der elsaß-lothringischen Verfassungsrevision erörtert. Dazu schreibt nun die,Südwestdeutsche Korrespondenz': Die von verschiedenen Seiten gestellte Forderung der Ausschaltung des Bundes rats ans der reichsländischen Gesetzgebungs maschine von der Reichsregierung kann nicht er füllt werden, weil das, abgesehen von andern Gründen, im Interesse der Stärkung des Reichs gedankens nicht zu rechtfertigen wäre. Im weiteren läßt der Artikel dagegen erkennen, daß die Ausschaltung des Reichstags von der Re gierung in Aussicht genommen zu sein scheint. Was die Reform des Landesausschußwahl rechts angehe, so sei die Lösung, den ganzen Landesausschuß durch die drei Bezirkstage wählen zu lassen, sicher nicht in Erwägung gezogen worden. „Für die eigentlichen Arbeiten und Aufgaben der Bezirkstage dürste es kein Vorteil sein, wenn dann die Wahlen zu denselben nur noch nach politischen Gesichtspunkten erfolgen würden." Das gleiche gilt für die andre Version, die drei Bezirkstage sollten zusammen gleich den Landesausschuß bilden. Das hieße, indirekt das allgemeine Wahlrecht für den Landesausschuß einführen. „Der Bundesrat dürfte jedoch kaum geneigt sein, Elsaß-Lothringen das allgemeine Wahlrecht für seine Landesver tretung zu gewähren". Leider sind alles nur verneinende Nachrichten. Es wäre dankenswert gewesen, wenn die,Süd westdeutsche Korrespondenz' gesagt oder nur an gedeutet hätte, was denn eigentlich in Aussicht steht. Der Abg. Wetterls befriedigt nun seiner seits dieses Bedürfnis, indem er sich in seiner ,Kolmarer Zeitung' über einen Wahlreformplan ausläßt, den die Negierung im Auge habe oder doch zeitweilig gehabt habe. Die Zahl der von den Bezirkstagen gewählten Mitglieder des Landesausschusses solle verringert und die Ver treter der vier größten Städte und der Land kreise direkt durch das allgemeine Wahlrecht ge wählt werden. Zu diesen sollten dann noch Vertreter der verschiedenen Körperschaften treten, des Landwirtschastsrats, der Handels- und Hand werkerkammern, der Universität u. a. Das gäbe eine gemischte Volksvertretung, die die Bildung einer ersten Kammer überflüssig machen würde. Zu bemerken ist, daß, gewissen Andeutungen nach, diese Wahlrechtsreform nicht gleichzeitig mit der Vorlage betreffend Ausschaltung des Reichstags vorgelegt werden solle. Sicher dürfte jedoch sein, daß sich der Reichstag schon in seiner nächsten Tagung wenigstens mit dem Anfang der elsaß-lothringischen Vexfassungsreform zu be schäftigen haben wird. Anfangs August d. finden Erneuerungswahlen der drei reichsländischen Be zirkstage statt. Gewählt wird im Unterelsaß in zwölf, im Oberelsaß in acht, in Lothringen in elf Kantonen. Ferner sind im November die Neuwahlen von sämtlichen durch die Landkreise und die vier größten Städte gewählten Landes ausschußabgeordneten vorzunehmen, 24 an der Zahl. Beide Arten von Wahlen werden dies mal wohl mehr unter .dem politischen Gesichts winkel ausgefochten werden, als früher. Von uncl fern. ob. Die Schätze des Schlosses Areucn- berg. Die Ex-Kaiserin Eugenie hat, .wie ge meldet wird, das Schloß Arenenberg dem Kanton Thurgau zum Geschenk gemacht. Das Schloß enthält eine große Anzahl sehr wert voller Erinnerungen, die ebenfalls dem Kanton geschenkt wurden. Unter diesen Gegenständen befindet sich die Harfe der Kaiserin Josephine, das Piano der Königin Hortense, auch Bücher und Musikalien dieser Königin, ferner Gros' Gemälde „Bonaparte bei Lodi", dann die Feld bettstelle, die Napoleon III. während des Feld zuges 1870/71 benutzte und der Wagen, auf dem er in der Schlacht bei Sedan zur Über gabe seines Degens nach Donchery fuhr. Alle diese Gegenstände befanden sich früher im Schloß Malmaison, wurden aber auf Befehl der Kaiserin Eugenie nach Arenenberg gebracht. Unfall des Lloyddampfers „Kaiser Wilhelm II." Dem Dampfer .Kaiser Wilhelm II." brach die Steuerbordschraube. Da die amerikanischen Docks für das große Schiff keinen Raum bieten, muß der Schaden nach der Rückkehr des Dampfers in Deutschland ausge- bessert werden. Für 3UVU Mk. Messing gestohlen. Auf der Zeche „Dannenbaum II" bei Bochum haben verwegene Spitzbuben für 5000 Mk. Messingventile, die in die Fördermaschine einge baut werden sollten, gestohlen. Sie entführst« den Raub auf einem mitgebrachten Fuhrwerk. Im Automobil verunglückt. Gin Elber felder Autoinobil -fuhr zwischen Mülheim (Rhein) und dem Dorfe Ell gegen einen Chausseebaum, wobei das Fahrzeug vollständig zertrümmert und die Insassen hinausgeschleudert wurden. Der Chauffeur flog durch die Klarscheibe hindurch und erlitt tödliche Verletzungen. Auch die Fahr gäste sind schwer verletzt. Von Mülheim wurde alsbald ärztliche Hilfe herbeigerufen. Ein DoppelrauLmord wurde in Wuster bart bei Schievelbein in Pommern verübt. Dott wurde die von ihrem Gatten getrennt lebende Bauersfrau Raddatz nachts von dem 29 jährigen Tagelöhner Albert Büdke grausam ermordet und beraubt. Ein im Stall der Raddatz über nachtender Wanderer ist ebenfalls tot und be raubt aufgefunden worden. Wie verlautet, wurde der Mörder im Walde erhängt gefunden. Ein Wolkenbruch im Wiental richtete furchtbare Verwüstungen an. Der Wienfluß stieg in einer Stunde uni anderthalb Meter und der Bach im Lainzer Tiergatten riß Brücken und Holzstöße mit. Das Hochwasser kam so plötzlich, daß gar keine Vorkehrungen dagegen getroffen werden konnten. Im Lainzer Tier garten ertrank ein Kind in den Wellen. Die Feuerwehr mußte in allen Orten ausrücken, wo das Wasser in die Wohnungen gedrungen war. Explosion an Bord eines Schiffes. Im Laderaum des kürzlich aus Amerika in Liverpool eingetroffenen Schiffes „Haverfdrd" hat eine Explosion stattgefunden, die mellenweit zu hören war. Das Schiff, dessen ganzes Deck aufgerissen worden ist, wurde durch die Explosion in Brand gesetzt, doch gelang es, des Feuers Herr zu werden. Man meint, daß das Unglück, bei dem neun Personen getötet und eine größere Anzahl verletzt worden sind, durch eine Höllen maschine herbeigefühtt sein könnte. Mordversuch und Selbstmord. In einem Genfer Hotel wurde die Leiche einer Frau, namens Spoleanski, mit einer Kugel im Kopse gefunden; neben ihr fand man lebend, ebenfalls mit einer Kugel im Kopfe, ihre neunjährige Tochter Alexandra. Eine Verwandte, Gräfin Gorodefkei, erklärte, ihre Nichte sei nerven- leidend und habe nicht gewollt, daß ihre Tochter sie überlebte. Eine vorbereitende Konferenz des inter nationalen Frauenausschusses findet in diesen Tagen in Paris statt. Die Dauer der Beratung, die eine Verbesserung der Stellung de«' Frauen, insbsondere der Arbeiterinnen anstrebt und bei der Gräfin Averdeen, die Gemahlin des Vize- königs von Irland, den Vorsitz führt, war auf vier Tage bemessen. ed. Ein schwerer Wagenunfall. Bei Sautget-de-Froid, in der Nähe von Clermont Fernand, scheute ein Wagenpferd vor einem vor- deisausenden Automobil Ein Landmann Espit wurde beim Abspringen sofott getötet, sein Sohn und sein Vater st schwer verletzt, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. O Vie Mage äer Gerechtigkeit. kV) Roman von Maximilian Brhtt. (Fortsetzung.! Nur wenige Schrille wurden, den Korridor entlang. Mückgelegt. Stephanie Übertam ein ängstliches Zittern, sie wußte selbst nicht, wes halb. Sie preßte die Hände ineinander und die Lippen fest zusammen. Da drang plötzlich aus einer sich dicht vor ihr öffnenden Tür ein greller Lichtstrahl ihr entgegen. Verwirrt blickte sie um sich. Eins gemalte Decke wölbte sich über ihr, sie sah ein Treppengeländer, zwei dunkle Gänge links und rechts, und geradeaus blickte sie in ein Giebelzimmer, auf dessen Tisch eine Lamps brannte. Aus diesem Zimmer trat nun eine hohe Männergestalt heraus. Stephanie erkannte das strengmahnende Antlitz des Untersuchungs- richiers. Ein jäher Aufschrei entrang sich ihrer Brust, und sie sank in die Arme ihrer Begleiter zurück. Sie hatte die Stätte, an die man sie ge fühlt, erkannt, eS war der Fleck, an dem ihr unglücklicher Gatte seinen letzten Atemzug getan. „Frau Kalwoda, zum letzten Male ist Ihnen vor Beginn der öffentlichen Gerichtsverhand lung Gelegenheit gegeben, ein reumütiges Ge ständnis abzulegsn. Hier an dieser Stelle sank Kalwoda, von Mörderhand getroffen, zusammen, hier endete er in seinem Blute. Gehen Sie in sich, Unglückliche, und raffen Sie sich zu der sittlichen Größe auf, die Sie allein noch mit dem Himmel zu versöhnen vermag, nehmen Sie die Sühne auf sich für Ihre Miffetat!" Stephanie war schaudernd bis ans Geländer zurückgewichen. „Ich —ich habe nichts zu ge stehen. Ersparen Sie sich die Mühe — und mir die erneute Aufregung, die mich schon bis an die Grenze des Wahnsinns gebracht hat!" Es lag heute abend eine ganz besondere Strenge in Haushofers Wesen. Ein neues Vorkommnis, eine neue Wendung schien ein getreten zu sein, durch die der Prozeß nun endlich das letzte Stadium zu erreichen ver- mocbte. Aber Stephanie achtete nicht auf seine Siegesgewißheit. Nachdem sie die wenigen Worte gesprochen, verharrte sie wieder in dumpfem Schweigen. Der mehr nach innen gerichtete Blick ihrer großen, feucht schimmern den Augen ließ gar kein Urteil darüber zu, ob sie den eindringlichen Ermahnungen deS Unter suchungsrichters Überhaupt lauschte. Mehr und mehr verhärteten sich Haushofers Gefichtszüge. „Und nun eine allerletzte Frage, Frau Kalwoda," sagte er in scharfem Tone, „Sie hsben bisher auch nicht geschwiegen, um die Schuld von einem anoern, dessen etwaige Belastung Sie fürchten konnten, abzuhalten?" Sie erhob das Haupt und sah dem Beamten müde und traurig ins Auge. „Hätten Sie vielleicht Ursache, Ihres Bru ders wegen zu schweigen?" Er fixierte sie scharf. Keine MuSkel zuckle in ihrem Antlitz. „Benjamins wegen?" fragte sie matt. Sie zuckte die Achsel und schüttelte seufzend das Haupt. „Benjamin liebte seinen Schwager, sie waren ehrliche Freunde bis zur letzten Stunde." Haushofer nickte befriedigt. „So fasse ich die Sache gleichfalls auf, trotzdem ein Schrei ben von Ihrem Bruder Benjamin aus Bom bay eingetroffen ist, in dem et sich selbst der Mordtat, begangen an Ihrem Gatten, be zichtigt l" Ein paar Sekunden lang verharrte Stephanie in atemlosem Schweigen. Dann kam es abge rissen von ihren Lippen: „Benjamin ? — Mein Bruder hätte sich . . . des Mordes an Kalwoda bezichtigt?' „Ja, Frau Kalwoda. Vor wenigen Stunden gelangte das Schreiben, das an Sie gerichtet ist, in meine Hände." „Und Sie glauben. . ." „Nein, Frau Kalwoda, ich glaube keine Zeile. Wenn ich es auch inzwischen durch Schreib- sachverständige habe feststellen lassen, daß der Brief tatsächlich seiner Feder entstammt, so ist dennoch anzunehmen, daß hier eine Mystifikation vorliegt." „Eine — Mystifikation?" „Durch die Ihr Bruder Sie zu retten hoffte, Frau Kalwoda I" „Mich zu retten? I — Benjamin war mir stets ein zärtlicher Bruder, aber eine so unge heuerliche Strafe, wie sie die Justiz für daS mir zugeschobene Verbrechen diktiert, auf sich nehmen zu wollen, freiwillig, nein, solch eine Aufopferung traue ich ihm denn doch nicht zu. Ganz abgesehen davon, daß er wissen mußte: nie, nie würde ich mich auf Kosten eines andem Unschuldigen von dem gegen mich schwebenden Verdacht reinzuwaschen versuchen I" „Auch daS Gericht ist davon überzeugt, wenngleich das Opfer, das Ihr Bruder Ihnen da zu bringen gedachte, kein übermäßig großes ist l" Fragend sah die Angeklagte den Land richter an. „Ihr Bruder Benjamin," fuhr Haushofer fort, „befand sich an dem Tage, an dem er diesen Brief abschickte, in Bombay, wenn er ihn nicht durch irgend einen Beauftragten da hin hat mitnehmen und durch diesen in Bom bay hat ausgeben lassen, während er sich selbst stet und unbewacht irgendwo sonst in der weiten Welt herumtreibt. Da hatte er es leicht, sich selbst zu bezichtigen, sicher vor Verfolgung, sicher vor Strafe. Es ist mir eine Genugtuung, daß Sie meine Ansicht über diesen Versuch Ihres Bruders, Ihre Entlastung herbeizusühren, teilen!" Der Lokaltermin fand nunmehr, nachdem Stephanie in ihre frühere Wohnung hinunter gebracht worben war, wo man sie in dem noch immer wie am Polterabend völlig ausgeleerten Balkonzimmer unter Bewachung festhielt, im Giebelraume seine Fortsetzung. Sowohl Ecken- brecher als auch Fräulein von Reck, sowie die PortierLIeute waren geladen und wurden eingehend zu Protokoll genommen. Stephanie hatte schon über eine halbe Stunde in der öden, kalten Umgebung, die einen wahren Sturm von peinigenden Er- tnneiungen in ihr hervorrief, verweilt, als der Termin endlich seinen Abschluß fand. Land-
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