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pokrilcke K^rEckau. Le»tschl««d. * Der Kaiser wird voraussichtlich im Juli im Anschluß an einen Brauch in Prökelw'tz einige Tage in Cadinen Aufenthalt nehmen. Die Kaiserin wird dort am 10. Juli zu drei wöchentlichem Aufenthalt erwartet. "Der Reichskanzler Fürst Bülow vollendete am Donnerstag sein 57. Lebensjahr. Erfreulicherweise ist der Fürst von seiner letzten Erkrankung ziemlich genesen und wird in wenigen Tagen die SlaatSgeschäfte in vollem Umfang wieder ausnehmen können. * DieDiLtenkommissiondes Reichs tags beschloß in ihrer ersten Sitzung, daß der Paragraph 1» dahin abgeSndert werden solle: .Die Mitglieder des Reichstages erhalten freie Fahrt auf den deutschen Eisenbahnen". Dir räumliche und zeitliche Beschränkung der freien Eise ,bahnfahrt, wie sie derselbe Paragraph der Regierungsvorlage vorgesehen hatte, ist also damit au^geboöen. * Die von der Regierung vorgeschlagene BerstaatIichung der kommunalen Eich ämter ist von der Reichstagskommifston ab - gelehnt worden. *Die preußische Volksschulvor lage wurde in der Landtagstommisiion in der GesclMadftimmung angenommen. * In Deutschland sind die sozialdemo kratischen Feiern am 1. Mai ohne jeden Zwischenfall verlaufen. * Wegen der Maifeier find in Berlin etwa 50 000 Arbeiter au?ocsperrt worden. Auch in andern deutschen Städten fanden umfang reiche Aussparungen statt. * Alle Zugänge zu den Kleinen KaraSbergen in Südwestafrika, in denen sich mehrere Hottswottenbm^en festgesetzt haben, find von deutschen Truppen besetzt, sodaß der Feind von allen Seiten eingeschlosfen ist. * DaN Misner Amtsblatt' veröffentlichte die Enthebung des Ministerpräsidenten Frei herrn v Gautsch und des Ministers des Innern Grafen Bylandi-Rheidt von ihren Posten und die E> nennung des Prinzen Konrad zu Hohenlohe zum Ministerpräsi denten unter Betrauung mit der Leitung des Ministeriums des Innern. HrantreiK. , *König Eduard von England traf zu kuqem Aufenthalt in Paris ein. * Präsident FalliöreS hat 27 Mit gliedern der deutschen Rettungsmann schaft, die sich durch mutiges Verhalten bei der Katastrophe in CourrisreS aus gezeichnet haben, goldene Ehrenmedaillen verliehen. *Ew Offizier der Pariser Gar nison bekannte sich or Arbeitern als Sozia- li st mit der Besicherung, daß er nicht auf ste schützen lassen würde. Er wurde verhaftet. * Bei den Maifeiern in Paris und Brest kam es zu mehreren Zusammen stößen zwilchen den Organen der öffentlichen Sicherheit und Arbeitern. EnBanv. * Auf eine Ankrage im Unterhause, ob das von der türkischen Regierung auf der Sinaihalbiusel beanspruchte Gebiet sich nur auf Tabah und seine Umgebung beschränkt, oder aber ob sich der Anspruch aus die ganze Halb insel erstreckt, erwiderte der Staatssekretär des Nutzern Grey, daß die Entwickelung des türkisch-ägypirschen Grenzftreites eine gemeinsame Feststellung der Grenzen er forderlich erscheinen laste. England werde unter allen Umständen diese Forderung durchsetzen. Schweiz. * An der Spitze des gewaltigen Zuges, der zur Maifeier veranstaltet wurde, schritten hinter den roten Fahnen russische Studentinnen und Studenten der Universität Bern. Auf den Standarten, welche sie trugen, hieß eS: „Hoch lebe die russische Revolution." „Ehre den ge fallenen russischen Freiheitsrämpfern." „Der - russische Absolutismus kapituliert vor de« Proletariat." Die Kundgebungen nahmen im übrigen keinen ernsten Charakter au. Belgien. * In der Kammer verlas der Minister der öffentlichen Arbeiten die von den über lebenden deS Schulschiffes „Comte de Smet de Naeysr" vor dem belgischen Konsul in Hamburg getanen Aussagen. Der Minister protestierte gegen die Kritiken der Seetüchtigkeit deS Schiffes und zollte den Opfem des Un falles, sowie den überlebenden und der Be satzung der „Dunkerque" seine Anerkennung. Zum Schluß sprach er die Überzeugung aus, das Schulschiffunternehmen werde die Katastrophe überdauern. Der neue österreichische Ministerpräsident Prinz Konrad zu Hodenlohe Schwede«. * Dem Reichstage ging ein Regierung?- vorschlag zu, der Schwedens Betret,mg im Auslands betrifft. Danach sollen sich Gesandte in Petersburg London befinden, dagegen soll in Berlin, BMel, Kopenhagen, Paris, Nom, Cwstianla, Madrid, Konstantinopel, Wien. Washington und Tokio Schweden durch eine Person vertreten sein, welche die Stellungen M Gesandter und Generalkonsul vereinigt. In P ms und B rlin soll derselben ein Konsulats» rat beigegeben werden. Norwege«. *Zu den auf den 22. Jun! in Dränt- heim anberaumten norwegischen Krönungs festen wird als Vertreter Deutschlands außer dem Gesandten in Christiani« Prinz Heinrich von Preußen erwartet, der vermutlich an Bord eines größeren Kriegsschiffes die geschichtliche KröiunMadt aussuchen wird. Nach der Krö nung dürfte das KössgSpaar eine größere Reise ins Ausland antretsn, um den fremden Höfen und Regierungen Bunche abzustatteu. Ruhland. * Die Gerüchte von dem bevorstehenden Rücktritt des Grafen Witte treten in Petersburg mit wachsender Bestimmtheit auf. *Der russische ReichSrat bewilligte 7V- Mill. Rubel zur Versetzung von Truppen im Jntercffe der Ve-hhtung von Bauern- unruhen. Im ganzen sollen 139 Bataillone, 32 Schwadronen und 32 Batterien versetzt werden. * Die Nachrichten über das Schicksal deS früheren Arbeiterführers Georgij Gapon werden immer verworrener. J tz^ heißt es wieder, Gapon sei in Finnland durch ein „Gericht der Arbeiter" wegen Verrats der VoUsfache an die Regierung zum Tove verurteilt und wenige Stunden später auch ermordet worden. In Petersburg traf bei dem Rechtsbeistand Gapons, dem Anwalt Margolin, eine Geldsendung im Betrage von 1300 Rubel ein, auf die schon ein Zettel in jenem geheimnisvollen Paket vor einigen Tagen Bezug nahm. (Da die Behörde es vermeidet. zu den verschiedenartigen Gerüchte» über Gapon Stellung zu nehmen, wird wohl kaum das Dunkel, das über seinem Verschwinden nach wie vor schwebt, gelichtet werden können.) * In Petersburg haben in letzter Zeit häufig Ausweisungen von Korrespondenten auswärtiger Blätter stattgefunden. So find in den letzten Tagen acht Berichterstatter wegen angeblicher Herausgabe hochverräterischer Berichte über Rußland ausgewiesen worden. "In Warschau wurde der österrei chische Generalkonsul v. Ugron zu Abränfalva auf offener Straße ohne jeden Grund von russischen Soldaten gemiß- handelt. Es bleibt abzuwarten, wie die Regierung sich zu diesem Übergriff ihrer Sicher- heitsorgaue verhalten wird. Balkanstaaten. * Die serbische Skupschtina wurde am Mittwoch ausgelöst; die Neuwahlen find aus den 24. Juni anberaumt, die neue Skupschtina soll'alsdann am 8. Juli zusammentreteu. Afrika. * In Mittel-Arabien ist nach amt lichen, auS Basra eingetroffenen NachrMeu der Sultan von Nedid im Kampfe mit T uppen des Scheichs von Koweit anfangs dieser Woche getötet worden. Für die Entwickelung der Ver hältnisse am perfi'chen Golf wäre der Tod des Sultans von größter Bedeutung. Zus ciem Keickstage. Der Reichstag beendete am Dienstag die zweite Leiung der BrauFeusrborlage. Zu § 3a (Staffe- lung der Steuer von 4—tO Mark für den Doppel- Zentner Braustoff) sprach sich Graf Mielczhnski (Pole) energisch gegen die BrausteuererhöSung aus. Abg. Kopsch (fr. Bp.) schilderte die schwere Belastung der Konsumenten und der Gastwirte. Aög. von Vollmar (soz.) bekämpfte ebenfalls den Gesetzentwurf unter besonderer Berücksichtigung der süddeutschen Verhältnisse. Nach weiterer unerheblicher Debatte wurde in namentstcher Abstimmung der Kommisfions- beschlutz mit 146 gegen 113 Stimmen angenommen. — Die sonstigen Bestimmungen der Vorlage gaben keinen Anlaß mehr zu großen Erörterungen, der § 1 mit dem Surrogatverbot wurde ohne Debatte angenommen. Eine längere Debatte entstand anläß lich eine- sozialdemokratischen Antrages, wonach vom 1. April 1910 ab die kommunalen Biersteueln auf- hören sollten. Der Antrag wurde abgelehnt. — Hierauf wurde die Tabakstsuervorlage in zweiter Beratung debatteloS nach den Beschlüssen der Kom mission abgelehnt. Am 2. d. steht auf der Tagesordnung die zweite Beratung des vom Zentrum eingebrachten Toleranzantrages. Die Debatte beginnt bei 8 1, der jedem deutschen Staatsbürger Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der Religion ge währleisten soll Die Abgg. Müller- Meiningen undMüller» Sagan Haven einen gleich gerichteten, aber redaktionell anders formulierten 8 1 vorgeschlagen und außerdem die Einfügung eines 8 1a: „Niemand ist verpflichtet, seiner oder seiner Angehörigen Glaubensmeinungen oder Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft zu offenbaren. Staatliche oder kommunale Behörden dürfen keine regelmäßigen Befragungen oder Aufzeichnungen darüber vor nehmen." Abg. Gröber (Ztr.) gibt einen Überblick über die Geschichte der Toleranz vom Augsburger ReligronSfrledm bis auf den heutigen Tag. Die Bestimmungen einzelner Bundesstaaten, nach welchen gottesdienstliche Handlungen einer Konfession der staatl chsn Genehmigung bedürfen, find Überbleibsel des alten PolizeistaatsS. Der Kampf der Konfessionen kann nur auf dem Boden der Freiheit auSgefochten werden. Ich bitte um Annahme unsres Antrages. Abg. David (soz.): Dem Zentrum gegenüber ist Mißtrauen immer berechtigt. Aber vor der freien Konkurrenz der Religionsgemeinschaften braucht es sich nicht zu fürchten, weil eS sich seiner propa gandistischen Macht bewußt ist, und deshalb braucht eS nicht so wie die evangelischen Kirchengkwein- schäften nach Staatsschutz zu schreien. Bei 8 1 wer den wir für den freisinnigen Antrag stimmen, der all.n AuSlegunoSkünsten vorbeugt. Mit einer reichk- geiktzlichen Regelung sind wir einverstanden und wünschten nur, daß das Zentrum sich auch in an dern Fragen auf diesen Bosen stellte. Abg. Hennig (kons.): Wir lehnen den Antrag einmal aus Kompetenzbedenken und zum andern darum ab, weil wir keinen Kulturkampf wünschen. Abg. Müller-Meiningen (frs. Vp.): Der ! zweite Teil deS ZentrumSantrageS iß und bleibt für uns unannehmbar. Auch der 8 1 leidet an ' Unklarheiten, die verhängnisvoll werden können. Diesen eben soll unser AbänderungSantrag ab helfen. Wir bringen dem Zentrum dasselbe Miß trauen entgegen wie der Abg. Dr. David. Das bedeutet natürlich durchaus nicht, daß wir die klein lichen Schikanierungen der katholischen Kirche in verschiedenen Bundesstaaten billigen, oder daß wir uns für dis protestantische Orthodoxie begeistern. Diese ist beinahe so schlimm wie der UltramontaniS- muS, und wir tzhen ja jetzt, wie beide im trauten Bunde zu einem tödlichen Streiche gegen die preußische Vorschule ausholen. Abg. Hieber (nat.-lib): Wir lehnen den ZenirumSantrag in allen seinen Teilen ab. Wir halten die Ausdehnung der Neichskowpetenz auf dieses Gebiet sür äußerst bedenklich. Das ist der Grund unsrer Ablehnung und nicht etwa, wie Aba- David meinte, das Mißtrauen in die siegende Kratt des Protestantismus. Abg. Schrader (freis. Bgg.): Meine Freunde stimmen wie bisher dem Grundgedanken des Gesetzes zu. Die gegen die Fassung deS 8 1 geäußerte« Bedenken scheinen mir nicht so stark, um das Gesetz daran scheitern zu lassen- Abg. Gamv (freikons.): Auch wir wollen den Frieden zwischen d?n Konfeisionen fördern, aber wir glauben, die gepflogenen Verhandlungen könnten dem Zentrum ge ügsn, und die Einzelstaatex Werden Amegmgen mr Abbilse der Beschwerde empfangen haben. Dagegen kann das Reich aus diesem Gebiete nicht in die Kompetenz der Landes- aesetzgeöung eingreifen. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen. Abg. Stöcker (chripl.-soz.): Wir stehen auf dem Boden der religiösen Freiheit und wollen ger« urS Mühe geben, dahin zu wirken, daß die Klagen über Intoleranz gegen Katholiken versch -inden. Möge aber das Zentrum auch dafür sorgen, daß die Be drückung gegen die Evangelischen in Bayern aus hören. Den Antrag selbst müssen wir ablehnen, denn bei den komplizierten Verhältnissen kann eine Regelung nur auf dem Wege der LandeSgesetzgebmig erfolgen. Abg. Frhr. v. Hertling (Ztr.): Wir wollen lediglich die Freiheit deS religiösen Bekenntnisses, und die gegen unsre Fassung deS Z 1 geäußerte« Bedenken, find unzutreffend. Selbstverständlich halte« Wir nicht alle Überzeugungen für gleichwertig und wollen nicht etwa dem religiösen ZndifferentiSmuS das Wort reden. In der nUV folgenden Abstimmung-Periode wird der § 1 in der Fassung des Abg. Müller-Meiningen gegen die Rechte und die Nationalliberalen ange nommen. Der von den Freisinnigen beantragte § 1» wird vorläufig zurückgezogen. — Die §§ 2 und 3 werden ohne Debatte angenommen. Es folgt 8 4, wonach ein Kind gegen den Willen der Erziehung-- berechtigen nicht zur Teilnahme an einem Religions unterricht oder Gottesdienst angehalten werden darf, welcher der religiösen Überzeugung der Erziehungs berechtigten nicht entspricht. Die Abgg. Albrecht und Gen. (soz.) be antragen die letzten Worte von „welcher" an zu streichen. Die Abgg. Müller-Meiningen und Müller-Sagan freif. Bp.) beantragen ein« Fassung der 8 wonach kein Kind ohne schriftliche Ermächtigung deS Erziehungsberechtigten zu eine» andern Religionsunterricht hinzugszogen werde« darf als zu dem in der Religion deS Erziehungs berechtigten eingerichteten. Auf Antrag de« Vater soll aber auch Befreiung von diesem eintreien. Abg. Bachem (Zenir.) bittet unter Ablehnung der Amendements um Annahme des Zentrums' Initiativantrages. Diistdentenkmder dürfe «a« nicht zur Teilnahme am Religionsunterricht zwinge«, wem man nicht direkt religionsfeindliche Mensche« erziehen wolle. Abg. Hoffmann-Berlin (soz.) befürwortet den sozialdemokratischen Antrag und polemisiert so« dann gegen die Redner der vorhergehenden Debatte- Als Redner fortgesetzt gegen die Gesetze der Grammatik fehlt, erhebt sich wiederholt stürmW Heiterkeit. Redner polemisiert dann de» längere« gegen dm Abg. Stöcker. Nach weiterer Debatte wird der freisinnige An trag abgelehnt, Z 4 mit dem sozialdemokratisch« Anträge angenommen. Darauf vertagt sich das HauS. Von unci fern. Brand dr* KurhavseS i« Binz. Dai große Kurhaus im Seebade Binz auf Rüg« ist vermutlich infolge Brandstiftung vollkommen niedergebrannt. Das Gebäude war mit 400 OVv Mark versichert, dagegen war der größte T« des neuangeschafften Mobiliars noch nicht ver sichert, so daß ein bedeutender Schaben ent standen ist. A Oie Mage äer Gerechtigkeit. 2) Roman von Maximilian Brytt. (K-ro-tzxagg „Aber das ist eS ja gerade, was ich ver hindern w>lll" entfuhr es de» alten Dame in aufgeregtem, ängstlichem Tone. „WaS Sie — verhindern wollen?" fragte der Ingenieur befremdet. „Mit welchem Recht verhindern?" „Nun, Herr Struck," sagte die alte Dame fast atemlos, „ich richte die Bitte an Sie, meiner N chte heute und in den folgenden Tagen nicht zu begegnen — auch in den näch sten Wochen und Monaten nicht — und, um auch eine zufällige Begegnung auszuschließen, lieber sofort wieder -mückzureisen." Der Ingenieur blieb stehen. Ein bitteres Lächeln tauchte in seinem Antlitz auf. „Das ist nicht wenig verlangt, mein gnädiges Fräu lein, wenn Sie bedenken, daß ich seit drei Monaten, seitdem ich in Singavore die mir ganz ungeheuerlich erscheinende Nachricht von der Verlobung Ihrer Nichte mit diesem Henn Kalwoda erhalten batte, jeden Tag, jede Stunde zählte, die mich Berlin und einer Aussprache mtt Stephanie näher brachte!" „Nun könnte ja ich fragen, mit welchem Recht Sie auf dieser Aussprache bestehen?" „Mit dem Recht des Freundes, Fräulein von Reck!" erwiderte er mit Nachdruck „Und ich nehme an, daß Sie an der Aufrichtigkeit meiner Gefstble für Stephanie nicht zweifeln." „Nein, Herr Struck. Sie haben meiner Coustne manchen großen Dienst geleistet — zu Zeiten, als es ihr sehr schlecht ging Noch in ihren letzten Tagen hat meine arme Cousine Ihrer gedacht — mit einer rührenden Dankbar keit, darf ich wohl sagen. Aber das hindert nicht, daß sie in einem gewissen Punkte ihre ganz bestimmte Absicht hatte und auch bis zu ihrem Tode beibehielt." Arnold erhob das Antlitz zu dem bleigrauen Novemberhimmel. „Mein Gott, Fräulein von Reck, Sie wissen, wie innig, wie zärtlich ich Stephanie geliebt habe. Sie war mir schon ans Herz gewachsen, als sie noch ein halbes Kind war. Es war ja Torheit von mir, daß ich mich so früh Ihnen und der Majorin offenbarte. Ich war damals noch in den Anfängen meiner Karriere, unfähig, einen Hausstand begründen zu können. Und da Sie von einem langen Brautstand nichts wissen wollten, so war mir alS einem ehrlichen Menschen die Gelegenheit abgeschnitten, mich Stephanie zu offenbaren... Aber daß Sie, Fräulein von Reck, Sie, die Sie meine heiße, zärtliche Liebe zu Stephanie kannten, es zugeben konnten, daß ste sich anderweit band, noch bevor mir die Möglichkeit gegeben war, mich ihr anzuvertrauen, — das — das ist eben unverständlich für mich. Das beweist mir, daß die Freundschaft nur einseitig geblieben ist." „Ja, Vorwürfe, Vorwürfe!" seufzte das alte Fräulein. „Ich dacht' mir's ia. Sie find noch immer der stürmische, trotzige Mensch von früher. Und deshalb fürchte ich ja auch so sür Stephanie." Arnold ward immer erregter. „Fräulein von Reck, indem Sie mir das sagen, geben Sie zu, daß Stephanie mehr sür mich übrig hat, als in Ihrem und im Sinne der Majorin gelegen haben mag. Und Sie geben auch damit zu, daß ihr Bräutigam ihr Herz nicht in dem Maße aus- füllt . . ." „Das hab' ich nicht gesagt!' verwahrte sich die alte Dame lebhaft. „Kalwoda ist ein vor trefflicher Mensch — er liebt, er verehrt unsre Stephanie über alle Maßen; er verwöhnt sie, l'est ihr und ihrer gmizen Umgebung jeden Wunsch von den Augen ab — und eS ist ganz natürlich, daß Stephanie ihm dankbar dafür ist!" „Dankbar — ah, so!" „Und auch gut ist fie ihm, wirklich gut!" Sie schlitten am Geländer des Kanals weiter, vom Lehrter Babnhof zum Tiergarten Arnold hing bitteren Gedanken nach. Rach längerem Schweigen fragte er plötzlich: „WaS sagte denn Stephanie, als fie meinen Brief auf ihre Vellobungsanzeige bekam?" Fräulein von Reck kämptte mit fich. End lich ließ fie fich vernehmen: „Nun, Herr Struck, Sie mögen ja auch dann wieder meine gute Abficht verkennen; aber da Sie direkt danach fragen, muß ich'S Ihnen eingestehen: Stephanie hat diesen Brief nicht gelesen." „Nicht gelesen?" „Ich habe ihn ihr nicht ausgehändigt — wenn Sie ein häßliches Wort gebrauchen wollen, mögen Sie auch sagen: ich habe ihn unterschlagen." Überrascht war der Ingenieur stehen ge blieben. „Aber . . . Fräulein von Reck — ja, missen Sie denn, WaS Sie da getan haben? Wollen Sie daS etwa auch damit entschuldigen, es sei zu Stephanits Wohl geschehen?" „Ja, Herr Snuck, das will ich. Sie er innern sich, daß meine Cousine seinerzett de« Briefwechsel zwischen Ihnen und Stephanie nur unter der Bedingung zugegeben hat, daß von Ihrer Seite alles unterblieb, WaS Stephanie irreleiten konnte. Sie hatten der MajorM ja sogar Ihr Wort darauf gegeben. Trotzde« lasen wir stets alle Briefe, die Sie von Ihr« Reisen aus an Stephanie schrieben, bevor wn fie ihr auShändigten. So hielt ich'S auch na« dem Tode meiner Coustne. Das war me^ Pflicht. Und da ich auf diese Weise Kenntnis auch von jenem Schreiben erhielt, das zu sehr geeignet war, Stephanie wieder wanken» zu machen, so vernichtete ich's, ehe es sie neue Kämpfe trieb." „Neue Kämpfe, sagen Sie? ... Arrn« Stepbanie, was mag man dir zugesetzt haben - „Zugesetzt? — wir? Etwa Benjamin uns ich? Wenn fie uns um Rat fragte und ihr nach bestem Wissen Md Gewissen "M «orteten? . . . Sie versuchten eine Ben« stuffung in Ihrem Briefe, Herr Struck, ganz allein!" . . „Ja, mein verehrtes Fräulein, mit ve ganzen Leidenschaft, deren ich fähig bin, MW ich in meinem Schreiben darauf, daß Stephan fich prüfen möge, bevor fie den Verantwortung» reichen Schritt wirklich auSsührt. Gewiß, W sprach wie der Liebende, wie der Verzweifeln^ wie der um sein eigenes LebenSglück «. trogene, der wenigstens verhüten wM, sein Liebstes, sein Teuerstes auf der Erde - Unglück rennt!" Aj. „Und daS eben — dursten Sie nicht!