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Ottendorfer Zeitung : 23.05.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190605230
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060523
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060523
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-05
- Tag 1906-05-23
-
Monat
1906-05
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 23.05.1906
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politische kunälchau. Le«tschla«d. * Das Kais erpaar traf am 19. d. wieder di Potsdam ein. * Die feierliche Beisetzung der Prinzessin Friedrich Karl von Preußen fand in Gegenwart des Kaiserpaares und vieler Fürstlichkeiten am 19. d. in NikolLkoe bei Potsdam statt. * Der Kaiser hat den Hinterbliebenen von Karl Schurz durch den deutschen Bot schafter in Washington, Frhrn. Speck v. Stern burg, sein herzliches Beileid aussprechen lassen. ; * Oberst v. Deimling übernimmt daS Oberkommando in Südwestafrika, Major Quade das der Schutztruppe. i - * Der Bundesrat hat die Diäten ¬ vorlage nach den Beschlüssen des Reichstags angenommen. * Der von der Kolonialverwaltung ' fertiggestellte Nachtragsetat enthält außer , der Forderung von 10'/- Mill. Entschädigung l für die Anfiedler noch einen Betrag von 800 OVO Mk. zwecks Ansiedelung von ' Schutztruppensoldaten. Die Rate, i die für die Bahn Kubub-Keetmannshoop jetzt . gefordert wird, beträgt 5 Mill. Mk. Es liegt der Kolonialverwaltung ganz besonders daran, ' daß der Nachtragsetat noch vor der Vertagung , des Reichstags zur Verabschiedung gelangt. * Der internationale Hotel besitzer-Verein, der seinen Sitz in Köln bat und fast sämtliche Besitzer der großen Hotels in Deutschland zu Mitgliedern zählt, hat an Bundesrat und Reichstag unter Hinweis auf die billigen Fahrpreise in der Schweiz, Belgien und Holland einen Protest gegen den Fahrkartenstempel gerichtet. * Der von den deutschen Truppen in Süd westafrika über die englische Grenze in die Kap- kolonie gedrängte Morenga ist von den Engländern gefangen genommen worden. Damit ist der letzte und gefürchteiste Gegner Deutschlands abgetan. Der Aufstand dürfte sich nunmehr seinem Ende nähern. Fraukreia,. * Der Marineminister erklärte in einer Rede, eS sei für Frankreich eine große Unklugheit, jetzt an Abrüstung zu denken. Alle Mächte der Welt haben in letzter Zeit un aufhörlich ihr Kriegsmaterial verbessert und ver mehrt; wir müssen dies ebenfalls tun, um unsern zweiten Rang als Seemacht zu behaupten. Wir dürfen nicht Gefahr laufen, diesen Rang auch nur für einige Stunden zu verlieren; das ist unsre unmittelbare dringende Pflicht. Später werden wir dann sehen, daß noch andre Pflichten zu erfüllen find. ««gland. * Das Oberhaus lehnte in der zweiten Lesung den Gesetzentwurf, durch den verhindert werden soll, daß fremde Staatsangehörige nach England kommen, um englische Arbeiter während des Streiks zu ersetzen, mit 98 gegen 24 Stimmen ab. Der Gesetzentwurf war im Unterhause von Keir Hardie (Arbeiterpartei) eingebracht und dort ohne Einspruch in allen Lesungen angenommen worden. Schweiz. *Der Vorfitzende der Konferenz von Algeciras hat dem Bundespräsidenten die Konferenzbeschlüsse, soweit sie die Schweiz be treffen (Polizei und Bank in Marokko), offiziell mitgeteilt. Der Bundesrat wird erst um Vorschläge für den Polizeiinspektor- Posten ersucht werden, nachdem die beteiligten Staaten die Konferenzbeschlüsse genehmigt haben. Malte«. "In der stürmischen Donnerstags-Sitzung der Deputiertenkammer gelang es der Opposition, daS Ministerium Sonnino zu Fall zu bringen. Während Sonnino ver langte, daß spätestens am 28. d. der Kom- misfionSbericht über die Verstaatlichung der italienischen Südbahn in der Deputierten kammer vorgelegt werden solle, nahm die Kammer mit 179 gegen 152 Stimmen bei 40 Stimmenthaltungen eine Tagesordnung an, in der die Feststellung des von der Regierung geforderten Termins abgelehnt wird. DaS Ministerium hat aso in der Kammer für grund legende Fragen keine Mehrheit mehr und muß demgemäß abdanken. Spante«. *Der frühere Ministerpräsident Montero RioS erklärte hinsichtlich der für Spanien auf der Konferenz von Alge - ciras erzielten Ergebnisse, daß er schon vor Beginn der Konferenz mit dem französischen Botschafter einen vorteilhafteren Vertrag ab geschlossen habe; denn nach diesem hätte die Marokkobank ausschließlich mit spanischem Kapital begründet und die spanische Münze mit ZaylungSkraft in Verkehr gesetzt werden sollen. Christoph Kolumbus. Nm 21. d. waren eS 400 Jahre, daß Amerikas Entdecker in Valladolid (Tpanien) die Augen zum ewigen Schlummer schloß. Er war 1446 oder 1456 in Genua geboren. Hinsichtlich der Polizeifrage hätte der Vorteil für Spanien in dem Rechte bestanden, den Schmuggel zu Wasser und zu Lande zu verfolgen. R«stla«d. * Die gesamte Antwort-Adresse an den Zaren ist von der Duma in allen Punkten mit donnerndem Beifall ange nommen worden, ebenso die Agrarfrage unter Einschluß der Enteignung der Kirchen- und Klosterländereien. Professor Kowalewski versuchte internationale Politik in die Debatte zu ziehen, indem er äußerte, Rußland müsse die Vorherrschaft über alle slawischen Völker Rußlands wie des Auslandes ausüben. Nabokow (radikal) widerlegte den Antrag mit der Be gründung, die Duma habe genug im Innern zu tun. Die innere Politik müsse augenblicklich der äußern unbedingt fern bleiben. *Die Amnestie hat nun auch den Ministerrat beschäftigt. DaS Ministerium hat in seiner Mehrheit dem Zaren angeraten, an seinem Geburtstag (19. d.) eine Amnestie zu erlassen, von der jedoch Militärpersonen und Bauern, die an den Bauernaufständen beteiligt waren, sowie alle Räuber und Mörder aus geschlossen sein sollen. Gegen die Amnestie haben sich drei Minister, unter ihnen bezeichnen derweise Premierminister Goremykin, ausge- sgrochen. (Sehr beliebt war er schon nicht, durch seine Stellungnahme zur Lebensfrage der Duma dürfte er sich alles Vertrauen der Duma mitglieder verscherzt haben.) *Trepow hat seinen gefürchteten Ein fluß auf den Zaren immer noch nicht ver loren, denn aus sicherer Quelle verlautet, auch das Ministerium Goremykin kämpfe mit dem Einflüsse Trepows. Goremykin verlangt infolge dessen angeblich die vollkommene Entfernung Trepows und sträubt sich gegen die Ernennung des letzteren zum Minister des Hofes. Der Zar hingegen getraut sich nicht, den Gewaltmenschen, der mit eiserner Hand in Rußland die Revo lution riederhielt, zu entlassen. Balkanstaaten. * Der frühere serbische Kriegsminister Oberst Andrejew, der Gouverneur von Nisch, wurde seines Amtes enthoben und durch den Grenzkommissar Obersten Jurischitsch Sturm er setzt. Die Erhebung erfolgte zweifellos, well Andrejew der Antiverschwörerbewegung, deren Hauptfitz N sch ist, nicht Herr werden konnte. (DaS läßt allerdings tief in die Ge heimnisse deS serbischen Könighofes blicken.) Amerika. * Das Repräsentantenhaus in Washington verweigerte den Bau der geplanten großen Kriegsschiffe. Aste«. * Nachrichten aus Peking besagen, daß England und China einen Vertrag über die Rückgabe Wei-Hai-Weis abge schlossen hätten. Danach hat China Wei-Hai- Wei zu einer Flottenstation zu machen und darf es keiner andern Macht als Sicher heit geben oder verpachten. China verpflichtet sich ferner, die dort von England gemachten Auslagen zu erstatten und Eingeborene und Ausländer in Wsi-Hai-Wei durch seine Truppen zu schützen. (England wird also sein Schmerzens kind ohne alle Verluste los.) Aus dem Keickstage. Der Reichstag nahm am Donnerstag nach kurzer Debatte die Börsensteuervorlage in dritter Lesung an. Hierauf folgte die Beratung der von der Mehr heit der Steuerkommisfion vorgeschlagenen Resolution betr. den Fortfall der Portoermäßigung für Karten, Drucksachen und Warenproben im Orts- und Nach barortsverkehr, sowie eine anderweitige Regelung der Gebühren für außerordentliche Zeitungsbeilagen. Da der Staatssekretär Kcätke noch nicht vom Weltpost kongreß zurück war, so übernahm UnterstaatSsekretär Sydow die Aufgabe, die Zustimmung der Postver waltung zu der Resolution zu rechtfertigen. Abg. Arendt (freik) empfahl seinen Antrag, das Post- karteuporto auf 3 Pf. zu erhöhen, während er der von der Kommission borgeschlagmen Heraufsetzung der Gebühren für außerordentliche ZeilungLbeilagen zustimmte. Reichsschatzsekretär Frh. v. Stengel be kämpfte den Antrag Arendt, der die zu erwartenden Mehreinnahmen um sechs Millionen Mark verringern würde. UnterstaatSsekretär Sydow äußerte sich in demselben Sinne. Die freisinnigen Abgg. Dovs und Singer (foz.) sprachen sich gegen die Resolution und den Antrag Arendt aus, der nach weiterer Debatte abgelehnt wurde. Die Resolution der Kommission wurde angenommen. Am 18. d. wird der Gesetzentwurf über die Aus gabe von Reichskassenscheinen über 10 Mk. nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Arendt (frei- konf.) in dritter Lesung angenommen. Es folgt die dritte Beratung der Reich 8- finanzreforw. In der GeneraldiSkusfion führt Abg. Büsing (nat.-lib.) aus: Die Reichs finanzreform ist vielleicht die größte Aufgabe, die der deutsche Reichstag seit seinem Bestehen zu lösen gehabt hat. Die Reichseinkommensteuer, die leider von der bürgerlichen Linken im Verein mit der Sozialdemokratie befürwortet wird, ist in einem förberativen Staate undurchführbar. Für eine Reichsvermögenssteuer ist eine Mehrheit hier im Hause nicht zu haben. Gewiß ist ein Teil der neuen Steuern nicht einwandsfrei. Jedes einzelne Mitglied der Mehrheit hat eben Opfer seiner Überzeugung bringen müssen iw Interesse der Wohl fahrt. Wir vertreten das nationale Werk derReich- Sfinanzrekorm mit gutem Gewissen vor dem Lande. Aba. Molkenbuhr (soz.): Die reichen Leute, die anstatt Bier Wein trinken, die nicht Zigaretten rauchen und nicht Automobil fahren, werden von den neuen Steuern gar nicht getroffen. Diese fallen natürlich nur den ärmeren Klaffen zur Last. Warum scheut man sich, direkte Reichssteuern ein zuführen ? DaS Reichsschatzamt kann sich ja bereit erklären, die Einkommensteuer als eine indirekte Steuer zu erklären. Die Zigarettensteuer ist ein beispielloser Beweis gesetzgeberischer Unfähigkeit, wie er bisher noch nie dagewesen ist. DaS geht schon daraus hervor, daß dieselben Herren, di« daS Gesetz gemacht haben, jetzt nicht weniger als 23 Para graphen ändern wollen. Wir werden die Steuer- gesetze mit aller Macht bekämpfen. Abg. Dietrich (kons.): Ich glaube, daß die Steuerkommisfion eine große gesetzgeberische Arbeit geliefert hat, an der sich jeder beteiligen müßte, der Verständnis für die Notwendigkeit der Gesundung der ReichSfinanzen hat. Die Kritik deS Abg. Molken buhr war höchst oberflächlich, er sprach gerade so, als handle «S sich nicht um die Steuerreform, son dern um den Zolltarif. Er hat wieder von der Be lastung der breiten Massen geredet. Ja, rauchen denn die in erster Reihe Zigaretten, fahren denn die in erster Reihe Automobie? Segen die Fahrkarten steuer habe auch ich mit einem Teil meiner Freunde Bedenken; aber sie find abgeschwächt durch die degressive Gestaltung, die der Stempel erfahren bat. Immerhin sind sie so groß, daß ein kleiner Teil meiner Freunde darüber nicht hinwegkommt und schließlich gegen die ganze Reform Simmen wird. Abg. Müller- Sagan (sreis. Vp.): Herr Büsing hat sozusagen auf mildernde Umstände für die ganze Vorlage plädiert. Die Angriffe des Abgeordneten Dietrich auf den 8 6 deS Flottengesetzes zeigen, wohin der KurS geht. DaS Zentrum hat bisher an dem § 6 des Flottengesetzes festgehalten, doch mehr dem Buchstaben als dem Geiste nach. Wir halten aber in der Praxis an diesem fest und lehnen diese mit ibm in Widerspruch stehende Vorlage ab. Abg. Spahn (Zentry: Die Fahrkartensteuer triff: den armen Mann nicht, denn der Nahverkehr ist ausgenommen. 8 6 deS Flottengesetzes wird durch die Vorlage nicht verletzt. Wir müssen schon deswegen die Reichsfinanzvorlage zur endlichen An nahme gelangen lassen, uw dem Auslande zu zeigen, daß Deutschland für seine Machtstellung Opfer zu bringen weiß. Abg. v. Karb orff (freikons.): Wäre die Re gierung niat, wie so oft, bedauerlich schwach ge wesen, so hätte sie das Flottengesctz auch ohne 8 6 erhalten. DaS Bier ist doch nicht bloß ein Getränk der armen Leute. Wir müssen der Regie rung dankbar für diese Vorlage sein Mit der An nahme dieser Finanzreform werden es wir dem Reich erleichtern, seine Weltmachtstellung nötigenfalls auch ohne Bundesgenossen aufrecht zu erhalten. Abg. Pach nicke (sreis. Vgg): Mit den in direkten Steuern wird man in letzter Linie die Konsumenten belasten, auf die doch alles abgewälzt wird. Man hätte zu einer ertragreichen Reform der Branntweinsteuer und zu einer Reichsvermögens steuer greifen sollen. Wir überlassen der Mehrheit die Verantwortung für diese Vorlage Abg. Schmidt» Berlin <soz.): Nach dem Abg. Büsing ist die ReichstagSmehrheit auch die Mehrheit des Volkes. DaS ist ein großer Irrtum. Die Herren Nationalliberalen mögen sich bei ihren Wählern erkundigen, wie diese über die neuen Steuervorlagen denken. Gewiß würden wir gerne eine Volksabstimmung über die Frage herbeiführen. Dian würde ja dann sehen, ob die Reichstagsmehr heit auch die Mehrheit des deutschen Volkes hinter sich hat. Abg. v. Gerlach <k. Vgg.): Herr Büsing hat heute die NeichSfinanzreform als die größte Auf gabe bezeichnet, die der deutsche Reichstag seit seinem Bestehen zu lösen gehabt hat. Mir scheint denn doch, daß der Reichstag glücklicherweise schon west bedeutsamere Ausgaben zu lösen gehabt hat. Damit schließt die Generaldiskussion. Es folgt die dritte Lesung der Brausteuer. Nach Ablehnung eines Antrages Müller-SagaN wird 8 Io in der Fassung der zweiten Lesung mit einem Zusatzantrag Rettich angenommen, der den Bundesrat bevollmächtigt, den Zucker von der Brau steuer gänz ich freizulassen. 8 3a enthält die Sreuersätze. Abg. Müller-Sagan beantragt, die Be stimmung zu streichen, wonach mehrere in ein« Hand befindliche Brauereien als ein Betrieb ange sehen werden, wenn sie ein wirtschaftlich zusammen gehöriges Unternehmen bilden. Nach einigen Bemerkungen deS Abg. Zubeil wird der Paragraph mit 160 gegen 106 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen angenommen und ter Antr ag Müller-Sagan abgelehnt. §8 3d und 3o werden darauf angenommen, letzterer mit einem Zusatzantrage Frölich (frei kons.), wonach die Steuer für einen Monat erst am 7. Tage des nächstfolgenden Monats entrichtet zu werden braucht. Der Rest des Gesetzes wird ohne Debatte nach den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen. Es folgt die dritte Lesung der Zigaretten steuer. Dazu liegt ein Kompromißantrag vor, der ün EinberständniS mit den Interessenten gestellt worde« ist und wonach der Eingangszoll auf Tabak uB Zigaretten erhoben werden soll in Höhe von 70» anstatt 800 Mk. pro Doppelzentner. Der Stückzoll für Zigaretten soll dagegen fortfallen. Fern« soll die Smffelung der Steuersätze für den Kleinvertam. eine andre Gestalt bekommen, indem die billigste« Sorten, bis zu 10 Mk. das Tausend im Klein- verkauf, nicht und Zigaretten mit 1 Mk. bis 10 W- stetgend pro Tausend und Zigarettentabak von 0,50 Mk. bis 7 Mk. steigend pro Kilogramm betzeuU» Werden. . 8 2 wird mit 156 gegen 96 Stimmen bet 1 Stimmenthaltung mtt dem Kompromißantrag an genommen. Der Rest deS Gesetzes wird darauf ohne Debatte im wesentlichen nach den Beschlüssen zweiter Lesung endgültig angenommen. Darauf vertagt sich das HauS. K Vie Mage äer Gerechtigkeit. S) Roman von Maximilian Brytt. (Fortsetzung.! Sie machte allerdings einen mitletderregenden Eindruck, wie sie da in ihrem lichten Fest- gewand zwischen den beiden Frackgestalten die Treppe herunterkam. Stephanie weinte nicht; ihr Antlitz war starr Md unbeweglich — ebenso starr und unbeweglich wie der Blick ihrer Augen. Grauen erfaßte die Damen, die — als die Beherzteren — wieder zur Treppe zurückgekehrt waren. Einige umringten Stephanie, mit verwirrten Fragen auf fie eindringend. Die Fassungsloseste war Fräulein von Reck. Sie hatte noch immer nicht den Mut gefunden, sich an die Stätte des Unfalls zu begeben. „Sagt einem doch nm, was geschehen ist! Ein Mord? . . . Man hat ihn umgebracht? . . . Aber wer denn — wer denn nur?' .Ruhe doch!' befahl der Arzt unwillig. „Schaffen Sie lieber die Gäste fort, Fräulein von Reck, damit die junge Frau zur Ruhe kommt! — Es ist nur ein unglücklicher Zu fall — ein unbeabsichtigter Zufall — wahr- scheinlich l' sagte Doktor Demelius, halb zu den andern gewendet. „Mit diesem unfinnigen Schießen ist ja schon so häufig . . .' „Aber wie kam er nur hinauf?' fragten ein paar Herren, die inzwischen oben gewesen, aber von Stadelmann, der die Neugierigen vom Betreten der Unglücksstatte abzuhalten suchte, zurückgewiesen worden waren. „Was hatte er denn da oben zu tun?' .Das wird man ja später erfahren!' sagte Benjamin, dem vor Aufregung die Knie zitterten. „Komm nur, Stephanie! Komm in dein Zimmer!' Fräulein von Rcä wollte sich der Nichte jammernd an den Hals werfen, ward aber vom Doktor zurückgehalten. Das energische Auf treten des Arztes imponierte. Nun fand auch die Mehrzahl der Herren die Fassung wieder. Einige unterstützten den Doktor dadurch, daß fie die im Wege stehenden Demen wegführten. Die jungen Damen, in denen noch das Tanz fieber glühte, hüllten sich mit zitternden Händen in ihre Abendmäntel. Viele nahmen auch ihre Umhänge und Überkleider bloß über den Arm und eilten die Treppe hinunter. Eine be sonders aufgeregte junge Dame, die als erste aus dem Hause herausstürmte, rief der im Garten noch immer ihren Walzer herunter- svielenden Kapelle atemlos zu: „Aber so lassen Sie das doch! Hören Sie auf! Der Bräuti gam ist tot!' Vor dem Gitter hatte sich, wie immer bei außergewöhnlichen Anlässen, eine Schar Neu- gieriger angesammelt, die sich dem Genüsse des Zuhörens trotz der empfindlichen Kälte Hingaben. Es waren Dienstmädchen aus der Nachbarschaft, Kutscher der in langer Reihe auf dem Fahrdamm haltenden Droschken und Wagen, Austräger und abendliche Spazier gänger. Die überraschende Mitteilung war nicht sogleich von allen erfaßt worden; die wenigsten hatten gewußt, daß es sich da oben überhaupt um eine Hochzeit oder um einen Polterabend handelte. Die Musik brach nun ab, nicht auf einmal, sondern im Verlauf einiger Takte, während deren immer mehr Kapellmitglieder ihre Instrumente absetzten. „Was ist los?' fragte einer den andern. Die aus dem Hause kommenden Gäste, die auf der Straße nach den Droschkenkutschern riefen, wurden von der Schar der Neugierigen umdrängt. Der plötzliche Aufbruch der Fest versammlung brachte die ganze Nachbarschaft in Aufregung. Da und dort öffnete sich ein Fenster, man sah sich das Getümmel auf der Straße an, man fragte, was geschehen sei. Die Roffelenker hatten ein baldiges Ende des Festes natürlich nicht erwartet und sich ziemlich zahlreich in den nächsten Destillen begeben. In plumpem Galopp kamen fie nun auf ihren Holz sohlen an, die Wagentüren aufreißend. Wenige Minuten später war die ganze Droschkenreihe vom Fahrdamm verschwunden. Auf dem Bürgersteig drängte sich das Publikum aber um so dichter, ununterbrochen zu den hellerleuchteten Fenstern der ersten Etage emporstarrend, als ob fich da oben irgend eine auffällige Veränderung bemerkbar machen müsse. Inzwischen hatte fich Doktor Demelius mit Eckenbrecher in Verbindung gesetzt, der mit dem Portier zusammen bisher eine Art Wache an der Unglücksstätte gehalten hatte. Sie ließen keinen von den Herren, die fich nach der Leiche umsehen wollten, über den oberen Treppen absatz. Der Dampfmühlenbefitzer fand es lobens wert, daß Demelius die Gäste fortschickte. Endlich ward es stiller im Hause; auch die Musik schwieg. Nun vernahm man oben das um so lautere Rufen, Schwatzen und Schreie« auf der Straße. „Das wird fich bald ändern,' sagte d« Arzt, „wenn nur erst die Polizei da ist. 34 habe daS nächste Revier bereits telephonisch benachrichtigt.' „Haben Sie denn noch keine Ahnung, w>e daS Unglück geschehen sein kann?' fragte ei« Herr aus der auf dem unteren Treppenabsatz stehenden Gruppe. Der Portier meinte, es werde wohl einer der Arbeiter aus Versehen mtt einem scharf 6^ ladenen Revolver geschossen haben. Er habe erst vor einer helben Stunde noch auf dem Has den Leuten das Schießen untersagt. „Vielleicht ist ein Geschoß vom Hofe h« durchs Fenster eingedrungen und hat ihn ge« troffen?' meinte einer der Untenstehenden. „Der Revolver liegt ja dabei!' ward ihn« von oben erwidert. „Aber an einen Selbstmord ist wohl auch nicht zu denken?' fragte ein anderer. Eckenbrecher zuckte die Achfel. „Weiß d« Himmel ... An seinem Hochzeitstage — viel« mehr am Polterabend — ausgerechnet mitten im Fefttrubel drin! Eine ganz furchtbare Ge schichte!' Inzwischen hatte Doktor DemeliuS den Portier darüber ausgefragt, wie er dazu ge kommen sei, den Herrn Kalwoda gerade hm oben zu suchen. „Hallen Sie denn gesehen, daß er fich hier herauf begab? „Ei gewiß!' sagte der noch immer bis z» Tränen gerührte Alte. „Ich war doch schon zweimal oben gewesen, um den Herrn 3»'
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