Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 30.03.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-03-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190603301
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060330
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060330
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-03
- Tag 1906-03-30
-
Monat
1906-03
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 30.03.1906
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
politilcke Kunälckau. Deutschland. * Der Kaiser empfing die Mitglieder der chinesischen Studienlommisfion in Audienz. Sämt liche Herren wurden durch Überreichung des Kronenordens erster Klasse ausgezeichnet. * Die Herzogin Wilhelm zu Meck lenburg, geb. Prinzessin Alexandrine von Preußen, ist in der Sonntag-Nacht auf Schloß Marly bei Potsdam gestorben. * Dem Reichstage ist zum Etat für 1906 ein Erqänzungsetat zugegang'en. Er verlangt 31700 Mk. für Umwandlung der Gesandtschaft in Tokoi in eine Bot schaft, er bestimmt weiter, daß die Minifter- refidentur in Korea in ein Generalkonsulat um gewandelt werde und wirft 6 330 500 Mk. für die Vervollständigung des deutschen Eisenbahn netzes im Interesse der Landesverteidigung aus. * Der Beginn der gemeinsamen Übungen der aktiven Schlachtflotte ist auf Montag, 14. Mai, festgesetzt; sämtliche Schiffe werden sich spätestens tags vorher auf der Reede von Helgoland versammelt haben. Ökterreich-UNgae«. * Verschiedene einflußreiche Politiker find bei der Arbeit, die Wahlreform zu ver eiteln. Die Regierung läßt sich aber nicht einschüchrern, sondern geht entschlossen auf ihr Ziel los. Eine Verschleppung in den Aus schüssen, die in der Absicht der gegnerischen Parteien liegt, wird nicht geduldet werden, weder von der Negierung, noch insbesondere von den reformsreundlichen Parteien. * Wie verlautet, werden demnächst der u n- garische Minister des Innern und der Justizminister aus dem Amte scheiden. Ersterer glaubt, seine volitische Existenz zu reiten, wenn er vor der Verkündung der Alleinherrschaft zurücknete, um fich dann an die Spitze der Kämpfe für die Rechte des Volkes zu stellen. "Vornehme Damen, hauptsächlich aus Kreisen des Hochadels, treten in eine Be wegung zur Förderung der unga - rischenBestrebungen auf allen Gebieten ein, hauptsächlich zur Hebung der heimischen Gewerbe-Erzeugnisse und zur Ausschließung fremder Artikel. Die Anhänger dieser Be wegung beschlossen, als äußeres Abzeichen eine Tulpe in den Landesfarben zu tragen. Frankreich. * Der Ministerrat hat beschlossen, die ParlamentSwahlen auf den 6. Mai festzusetzen. "In der Deputiertenkammer wurde das Budget mit 464 gegen 45 Stimmen ge nehmigt. Sodann vertagte fich daS HauS bis zum 3. April. "Die Inventaraufnahme in den französischen Kirchen macht nach wie vor große Schwierigkeiten. Da man das Militär nicht zu Hilfe nehmen will, find die mit der Durch führung der Inventaraufnahme betrauten Be amten meistens gezwungen, fich unverrichteter Sache wieder zurückzuziehen. ««gland. *Die Regierung hat aufs neue eine Note an die Türkei gerichtet, worin die Pforte dringend ersucht wird, ihre Truvpen von Taba tauf der Halbinsel Sinai) zurückzuziehen. Die Note droht versteckt mit einer Flottendemon stration. (Ob's etwas Helsen wird? — Der Sultan legt den Flottendemonstratiouen bekannt lich keinen großen Wert bei!) Schweiz. *Der Bund es rat beantragte bei der Bundesversammlung die Ablehnung des vom Nationalrat eingebrachten Vorschlages betr. Übertragung des Baues von Telegraphen- und Telepyonlinien an die Privat- Industrie. Malte«. * Die Eröffnung derMailänderWelt- ausstellung durch König Viktor Emanuel wurde endgültig auf den 21. April d. fest gesetzt. * Der Papst empfing den amerikanischen i Finanzmann Piekpont Morgan in Audienz. ' Dieser Empfang hängt mit der Entschädigung zusammen, welche die Ver. Staaten an den Heiligen Stuhl für die Konfiskation von Kirchengütern auf den Philippinen fich zu zahlen ve>dfl'«bieten. Die Entschädigungssumme beträgt 35 Millionen. Da der Papst die An gelegenheit durch nordamerikanische Banken zu erledigen wünscht, so kommen viele Bankleute aus Amerika nach Rom, um vielleicht den Titel eines päpstlichen Bankiers zu erringen. Schweden. "Der Reichstag hat in gemeinsamer Abstimmung mit 189 gegen 173 Stimmen be schlossen, daß die Maiszölle unverändert bleiben sollen. Die Minderheit war für Zollfreiheit auf ungemahlenen Mais eingetreten. , . . Herzogin Wilhelm zu Mecklenburg ch. Spanten. "Aus Algeciras läßt sich so gut wie nichts berichten. Alle Gerüchte, die heute von dort kommen, werden morgen in ihr Gegenteil verkehrt. Englische und französische Blätter bringen um die Wette allerlei geheimnisvolle Skandalnachrichten, denen die Lüge aus jeder Zeile sieht. Soviel ist jedenfalls sicher, daß in dieser Woche, wenn nicht außergewöhnliche Er eignisse eintreten, nach einer oder der andern Richtung die Entscheidung fällt. * Der Kriegsminister ordnete die Bildung von zwei gemischten Brigaden an, die, in vier Abteilungen geteilt, die kartistische Bewegungum Barcelona unterdrücken sollen. Rußland. * Die äußerliche Ruhe, die von der russischen Arbeiterschaft seit dem Scheitern der letzten Streikbewegung bewahrt wird, kann nicht über die wahre Stimmung der armen und minderbemittelten Volksschichten im Zarenreiche hinwegtäuschen. Das Ver trauen zur Regierung des Grafen Witte ist allenthalben erschüttert, wenn nicht gar verloren gegangen und man darf wohl sagen, die Funken der Revolution glimmen unter der Asche weiter. Der Minister des Innern ist daher auch unausgesetzt tätig, um jede Ruhe störung im Keime zu ersticken oder schwer zu strafen. So find z. B.. sämtliche mit der Bewachung der Moskauer Kreditbank, in der bekanntlich 850 000 Rubel geraubt wurden, betraut gewesenen Schutzleute im Disziplinarwege angeklagt, ebenso alle ihre unmittelbaren Vorgesetzten. Auch sonst kehrt nach und nach das alte eiserne Regiment wieder. * In Russisch - Polen find auf Grund der kaiserlichen Verfügung über die religiöse Duldsamkeit über- 20000 Personen zur römisch-katholischen Kirche übergetreten. Amerika. * Der Staatssekretär Root soll anläßlich des allamerikanischen Kongresses ein Einvernehmen mit Brasilien erzielt haben, das dadurch der Vertreter der Union in Süd amerika würde und gegen kleinere Staaten ein schreiten könnte, ohne daß die Eifersucht der Union erregt würde. Afrika. "Ras Makonnen, der ungekrönte Vizekönig von Abessinien und Vetter des NeguS Menelik, ist in Hadat gestorben. Ras Makonnen, ein der europäischen Kultur durchaus geneigter Mann, hat sich insbesondere bei den Kämpfen mit Italien rühmlichst ausgezeichnet. Asten. "In Wladiwostok wurden in einem Fort zwei Matrosen der javanischen Handelsmarine verhaftet. Man fand bei ihnen Pläne der Forts und Notizen darüber. "Die Unruhen in Schanghai haben die amerikanische Regierung veranlaßt, dort- selbst ein Geschwader zusammenzuziehen. Wie ernst man die Lage ausfaßt, geht daraus hervor, daß das Linienschiff „Wisconsin" vom Admiral Train den dringlichen Befehl erhalten hat, so fort von Manila in See zu gehen und fich dem amerikanischen Geschwader vor Schanghai an zuschließen. Hus äem Aeicksrage. Am 24. d. beendete der Reichstag die Beratung des Etats für Südwestafrika. Die Anträge betr. den Vertrag mit der Firma Tipp-lsktrch wurden an die Budgetkommission zurückverwiesen, ebenso der Etatstitel betr. die betriebsfähige Wiederherstellung des Hafens von Swakopmund. Der von der Kom mission beschlossenen Streichung von 15 Millionen für die Expedition nach Südwestafrika trat der Reichstag bei. Die Kommission ist vei diesem Ab strich von der bestimmten Erwartung ausgegangen, daß die Regierung einen großen Teil der. Beamten zurückzieben werde. Die Forderung für die Bahn Windhoek—Rehoboth wurde gestrichen, wobei vofi mehreren Rednern betont wurde, daß die Fortsetzung der Bahn von Kubub nach KsetmannShoop- erheblich dringender sei. Die Sitzung, die im allgemeinen sehr still verlief, wurde einigermaßen lebhaft, als der Vizepräsident sich genötigt sah, in den Ausführungen des Obersten Deimling, die sich gegen Ledebour lsoz.) richteten, das Wort „Verhetzung" zu rügen. Nach dem sestgsNsllt war, daß von beiden Seiten Miß verständnisse obgewaltet hatten, schloß die Debatte und das Haus vertagte sich. Erster Gegenstand der Tagesordnung am 26. d. ist die erste Beratung eines Ergänzungs- etats für den Etat für daS Jahr 1906. Dieser ErgänzungSetat fordert für strategische Eisen bahnen lOldesloe, Neumünster, Pattburg—Tinaleff, Elmsho.n — Wilster, St. Margareten — Tondern, Oldenburg — Ellensendamm — Sonde) insgesamt 6 350 500 Mk. Ferner sieht der ErgänzunaSetat die Umwandlung der Ministerresidentur in Korea in ein Generalkonsulat, und die Umwandlung der bis herigen Gesandtschaft in Tokio in eine Botschaft vor. Auf Antrag v. Normann (kons.) wird der ErgänzungSetat ohne Debatte der Budgetkommisston überwiesen. Die zweite Beratung des Kolonialetats wird darauf fortgesetzt. Die Beratung beginnt heute mit dem Etat für Neu-Guinea. Abg. Erzberger (Zentr.): Die übergroße Zabl unserer Kolonialbeamten bringt es mit sich, daß die Ausgaben Deutschlands für Neu-Guinea und den Bismarck-Archipel 22 000 Mk. pro Jahr auf jeden Farmer ausmachen. Wenn ein Kauf mann derartig wirtschaften wollte, so würde er bald bankrott machen, auch wenn er Millionen als Reservefonds hinter sich hätte. Praktischer wäre da doch, die dortigen Deutschen als RcichSpensionäre zu- rückzuberufen. DieVerhängungderPrügelstrafe konnte eingestandenermaßen in Neu-Guinea zu Aufständen führen. Gerade die Südseeinsulaner sind ein sehr feinfühliger Menschenschlag. 25 Schläge führen in den meisten Fällen zu einer völligen Zerrüttung deL Nervensystems, und nach zweimaliger Wiederholung sind sie meist total körperlich und geistig gebrochen. Geheimer Legationsrat Rose: Der Abg. Erz berger hat hervorgehoben, wie teuer daS Schutzgebiet verwaltet werde. Ein Gebiet wie das von Neu- Guinea, welches in zahllose Inselgruppen verteilt ist, läßt sich nicht so einfach und leicht und mit so wenig Kräften verwalten wie die kompakten Landmaffen von Kameru", Togo und Ostafrika. Was die Aus sichten des Schutzgebietes betrifft, so steht der Abg. Erzberger zu schwarz. Wir haben mit dem Haupt- erzeugniS bis jetzt noch geringe Erfolge gehabt, aber das wird sich in kürzester Frist ändern. Die Kokos palme bedarf einiger Jähre, um vollständige Erträge zu liefern. Es find umfangreiche große Kulturen jetzt schon angelegt, deren Erträge erst in fünf, sechs oder mehr Jahren in die Erscheinung treten werde«. Es kann nach meiner Ansicht sehr wohl zweifelhaft sein, ob nicht die Prügelstrafe in gewissen Fälle« als Disziplinarstrafe angewendet werden kann. Diese Unklarheit erklärt fich zum Teil daraus, daß die Beamten vielfach keine gelernten Juristen Ware«. Abg. Dasbach lZentr.): In der Beschwerde schrist von 1901 ist behauptet, es bestehe ein „ge heimer Vertrag wit der Jaluitgesellschaft", durch den diese berechtigt sei, jeden ihr mißliebigen Beamten entfernen zu lassen. Dieselbe Beschwerde erwähnt die Käuflichkeit der Beamten für eine Flasche Sekt. Was die Prügelstrafe betrifft, so habe ich Zeugnisse eines Missionars, der der Vollstreckung zugeseben und die verheerenden Folgen an dem Körper der Geprügelten gesehen hat; er bestätigt, daß die Strafe in der grausamsten Weise vollzogen wird. Die Soldaten müssen aufs schärfste zuhauen, die Pritsche zischt, wenn sie gegen den zu Schlagenden herniedersaust. Dadurch wird eine Erbitterung bei den Eingeborenen erzeugt, die zu Aududen' führen muß. Geh. LegationSrat Rose: Ein geheimer Vertrag zwischen dem Reich und der Jaluitgesellschaft der Inhalts, daß mißliebige Beamte, die der Jaluit gesellschaft nicht gefallen, abberufen werden, existiert nicht und hat nie existiert. Die Behauptung, daß Räte der Kolonialabteilung für einige Flaschen Sekt für alles zu haben feien, was die Jaluit gesellschaft wünsche, ist nicht eine Anführung deS betreffenden Beamten in seiner Beschwerdefchrist aus -igener Wissenschaft, sondern er hat dies nur als Äußerung eines Angestellten der Jaluitgesellschaft berichtet. Abg. L e b eb o ur lsoz.): Interessant war eS zu hören, daß bis in die neueste Zeit hinein die Beamten im Zweifel darüber waren, ob die Prügel strafe ein rechtliches Strafmittel sei. Abg. Bassermann lnat.-lib.): Zweifelhafte Elemente in der Beamtenschaft sollten entfernt und durch erstklassige Beamte ersetzt werden. Die Prügel strafe wirkt verrohend auf den Empfänger und den Vrrabfolger. Ebensowenig, wie wir die Prügel strafe in Deutschland haben wollen, sollten wir sie in den Kolonien anwenden. . Abg. Müller-Sagan <srs. Vp.): Die neue Firma der Kolonialabteilung sollte nicht die Sünden der alten Verwaltung zu decken suchen. Durch Prügel werden sogar Hunde und Pferde demoralisiert, wieviel mehr denn Menschen ! Nach weiterer kurzer Debatte werden die Etats für Neuguinea, die Karolinen, Mariannen und Marschalltnscln, sowie die Etats für Samoa und Kiautschou bewilligt. DaS HauS gehl l araus zur zweiten Beratung der N o v e l l e zum F l o t t e n g e f e tz. Vermehrung des Schiffsbestandes um sechs, große Kreuzer, über. Die Kommission beantragt unveränderte Annahme der Novelle. Abg. Bebel lsoz.): Darüber, daß die Vorlage Annahme finden wird, haben die Kommisfions- beratungcn keinen Zweifel gelassen. Sie zeigen, daß die einzige ablehnende Partei die Sozial demokratie ist. Unsre auswärtige Politik hat unS daS Mißtrauen des Auslandes eingebracht, io daß wir vollständig abgeschlossen sind, Rußland, Frank reich und England geschlossen gegen uns haben und uns auf den Dreibund nicht verlassen können. Da machen wir nicht mit und lehnen auch diese Vorlage ab. Staatssekretär v. Tirpitz: Die Zeiten und Be dingungen haben sich für die Flotte geändert. Des halb haben sich auch die Anschauungen der früheren Gegner der Flotte, soweit sie auf nationalem Stand punkte stehen, geändert. Allerdings gehört Herr Bebel nicht dazn, und ich glaube auch, daß er mit seinen Parteigenossen nicht ganz einig dasteht. Die Bezeichnung „Schwimmende Särge" für die alten Kriegsschiffe — dis tatsächlich für gewisse lokale Zwecke verwendet werden — ist als ein Schlagwort aufzufasien, wenn auch meiner Ansicht nach al? ein bedauerliches. Der Hinweis auf die Abg-schloff n- beit Deutschlands sollte doch für Herrn Bebel die Folge bieten, daß erst recht die Flotte schleunigst ausgebaut werde. Darauf vertagt sich das Haus. unci fern Der Sch«eost«rm, der in den letzten Tagen Wütete, hat in verschiedenen Teilen Deutschlands großen Schaden und erhebliche Verkehrs störungen verursacht. Ein Todesfall a« schwarze» Pocken i» Stenin. Im städtischen Krankenhause zu Stettin ist eine Arbeiterin an echten schwarzen Pocken gestorben. Da die Arbeiterin mit zahl reichen Personen in Berührung kam, wurden ärztlicherseits die weitgehendsten Vorsichtsmaß regeln getroffen. O Vie lernte Kate. Uf Roman von Karl Schmeling. (Fortsetzung.) Für jemand, der gegen tausend Leute be schäftigt und mit den Familien der verheiratete« Arbeiter über etwa zweitauserck Mensch«! beiderlei Geschlechts Md jeden Alters zu ver fügen hat, ist eS in einer Keinen Stadt von vielleicht zehntausend Einwohnern nicht schwierig, einem Geheimnis ms die Spur zu kommen. ES galt daher für Reuser -machst, deS Knaben habhast zu werden, der daS Billett für Luise überbracht hatte. Gnes der Mädchen LeS Hauses hatte sich den Burschen etwas ge nauer ängesehen und konnte deshalb eine Be schreibung seines Außem liefern. MS dem Mädchen ein Knabe, auf welchen die Be schreibung paßte, vorgeführt wurde, bezeichnete ihn dasselbe bestimmt als denjenigen, der das Billett tür Fräulein Luise überbracht hatte. Der Kommerzienrat nahm deu Jungen daher streng ins Gebet. ES zeigte sich indessen bald, daß der Knabe weiter nichts wußte, als was er schon früher gesagt hatte, jedoch fügte er seinen Mitteilungen hinzu, daß er den Herrn, der ihm daS Billett gegeben habe, seither täglich, wenn er tu die Schule gehe, in der Stadt auS dem Gerichts gebäude habe kommen sehen. Das war ein beachtenswerter Wink. Der Kommerzienrat gab daher dem Knaben einen vorsichtigen, gewitzten, halberwachsenen Burschen zur Seite, damit dieser sich den ge dachten Herrn von jenem zeigen lasse. Der sehr gewandte Kundschafter Neusers brachte dem mich schnell Klarheit in die Sache. Die Person, die ihm schon an einem der nächsten Tag« der Knabe bezeichnete, war ejn Kanzleiarbeiter deS Gerichts. In einer kleinen Stadt kennen fich so ziemlich alle Leute von Person. Sobald ReuserS Kundschafter erst den Mann gesehen hatte, wußte er auch de« Namen desselben. Es war ihm ferner bekannt, daß der junge Mam einen Kollegen und Freund hatte, md daß beide in gewissen Kressen „die Unzertrennlichen" gesamt wurden. Die jungen Leute waren Söhne von Kernen Beamten, die iu der Stadt Stellung hatten. Der Kommerzienrat ging bei feinen For schungen ganz systematisch zu Werke. Sobald er den Bericht erhalten hatte, zog er genaue Erkundigungen über das Lerhalten und den Ruf der jungen Lente sowie über deren Familie ein. Er hörte nur Gutes über alle Glieder derselben. Um so auffallender mußte daher der Streich erscheinen, deu die beiden „Unzertrennlichen" mkgeführt hatten. Sie und ihre Angehörigen standen Reuser md dessen Tochter vollständig fern. ES mußte fich hier also notwendig noch ei« andrer hinter deu Kulissen befinden, waS ja auch mit Luisens Beobachtung überein- stimmte. Jenen zu entdecken, bildete um di« Hauptaufgabe. Der Kommerzienrat begab fich also mit dem Billett md seinem weiter ge- wonnenen Anhalt zu dem Leiter des in Lühne befindlichen Gerichts. Der GerichtSrat Straub« war ein sehr ernster, eigentlich sogar finsterer Mann. DaS merzienrat nennen, wie ich Sie Herr Gerichts „Kenne Sie," erwiderte der Gerichtsrat md schrieb ruhig Wetter. „Nun denn," rief der Fabrikant auffahrend, „so bitte ich Sie, mir Gehör zu schenken." Der GerichtSrat hielt mit dem Schreiben iune und legte die Feder fort. „WaS wollen Sie denn?" fragte er mit dumpfem Grollen. rat neMe," rief Reuser zomig, „denn ich dulde ebensowenig versteckte wie offene Beleibt» gungen." Das mochte dem galligen Herm wohl noch niemand geboten haben. Er saß da wie zsr Bildsäule erstarrt, doch nicht etwa vor Schrech sondem in unausgesprochener Wut. Er übe»» legte, während er sich zu fassen suchte, zugleich, welchen Ton er bei der femeren Unterhaltung Mit dem so bestimmt auftretenden Fabrikant« anschlagen sollte. Er verfiel schließlich auf eine sarkastische Ausdrucksweise und fragte in der selben mit bemerkbar übertriebener Höflichkeit, womit er dem Fabrikherru und Titular-Kom» merzienrat in aller Ergebenheit dienen könne. Reuser überhörte den Svott oder d« Hohn; er war über fich selbst unwillig ge worden. Es war sonst nicht seine Gewohnheit, fich ms seinen Titel oder seinen Reichtum zu stützen. Er hatte fich übereilt und ärgerte fich deswegen. Auch lag ihm nicht daran, d« Streit mit dem grämlichen Gertchtsrat noch weiter mszuspime« und bis mf die äußerst« Richteramt bietet nur zu viel Gelegenheit, den Menschen von dtzr unvorteilhaftesten Sette kennen zu lernen, und läßt daher leicht die Achtung vor dem ganzen Geschlechte verlieren. Der GerichtSrat Straube war im Laufe der Zeit geradezu Menschenhafler geworden; nie- mand hatte, gem etwas mit ihm zu tun, denn wer ihm nahe trat, gleichviel ob amtlich oder außeramtlich, durfte darauf gefaßt sein, von dem grämlichen Maune unfreundlich behandelt zu werden. Den Fabrikherm schreckte die? jedoch nicht, er konnte zuweilen recht rücksichtslos sein und bewies dak in diesem Falle schon dadurch, daß er oh«« besondere Umstände das Arbeits zimmer deS GerichtSherrv betrat und demselben recht gemütlich einen guten Morgen wünschte. „Morgen!" erwidert« der Gerichtsrat, so langgezogen, daß es wie «n Knurren Kang. „WaS gibt «S? Beschwerden über Mitglieder deS Gerichts müssen schriftlich eingereicht werden." .Habe ich denn schon von solche« Be schwerden etwas merken lassen?" bemerkte Reuser ärgerlich. „Sennen Sie mich, Herr GerichtSrat?" Spitze zu treiben. „Sie wissen vielleicht, daß meine Tochter Braut ist, Herr GerichtSrat," sagte er in gant ruhiger Weise. , „Gerüchtweise — ja, Herr Kommerzienrat, lautete die herbe Antwort. „Meiner Tochter ist nun von Herren d« Gerichts ein recht unangenehmer Streich S* spielt worden," fuhr Reuser fort und erzählte ausführlich , was in jener Hinficht gescheh« .Zuerst will ich, daß Sie mich Herr Som« 'war, indem er zugleich daS mehrfach erwähn« Billett überreichte.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)