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Ottendorfer Zeitung : 12.01.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190601128
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060112
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060112
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-01
- Tag 1906-01-12
-
Monat
1906-01
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 12.01.1906
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Der strengen Kälte i« den erste« Jannartage« find nach mehreren Meldungen m den Provinzen Schlrfien und Posen allem 14 Menschen zum Opfer gefallen. Um «m RanSerleve« zu führe», hatten mehrere Söhne Sonnenburger angesehener Bürger in der Marienhölzung eine Hütte her- gerichtet, in der fie gemeinsam hausten. Sie unternahmen von dort aus Plünderung? züge in die Stadt. Sväter reisten fie nach Däne mark. Nachdem fie von dort per Schub znrück- befördert worden waren, verübten drei von ihnen einen Einbruch in die katholische Schule und begaben sich dann zu Fuß nach Kiel, wo fie in Mmz verwahrlostem Zustande bei Verwandten eintrasen. Von diesen benachrichtigt, holten die Eltern die Ausreißer wieder ab. Einer der Hauptbeteiligteu hat bereits im Rauhen Hause bei Hamburg Ausnahme gefunden. I« der Haft taubstumm geworde«. Unter der Beschuldigung der vorsätzlichen Brand stiftung befand stch im Untersuchungsgefängnis zu Braunschweig fest einiger Zeit das 15jährige Dienstmädchen Elise Müller aus Börssum. Dieser Tage machten die Gefängnisbeamten die überraschende Wahrnehmung, daß daS Mädchen nicht mehr sprechen und hören konnte. Au? schriftlichem Wege gab es an, daß ihm in der Zelle ein weißgekleideter Engel erschienen sei, der ihr gesagt habe, daß fie zur Strafe für ihr Verbrechen fünf Jahre lang taubstumm sein solle. Das Mädchen wurde, da man an eine Simulation glaubte, von den Anstalts ärzten scharf beobachtet, wobei sich herans stellte, daß von einer Simulation nicht die Rede sein könne. Elise Müller ist »ach ärzt licher Bekundung tatsächlich taubstumm ge worden. Sie wurde infolgedessen sofort aus der Untersuchungshaft entlassen und befindet fich gegenwärtig wieder bei ihren in Börssum wohnenden Eltern. Der ärztlichen Wissenschaft wird es im Interesse der Bedauernswerten hoffentlich gelingen, diese seltsamen Folgen des ungewohnten Aufenthaltes in der Gefängniszelle dauernd zu beseitigen. Der giftige Schleier. Auf seltsame Weise ist kürzlich eine Frau ums Leben gekommen. Ein aus Pößneck stammender Herr, der sein Geschäft in Zürich hat, reiste mit seiner Gattin nach Pößneck, um dort die Feiertage im Kreise seiner Verwandten zu verleben. Bei den Spaziergängen trug die Frau einen grünen Schleier, der mit einer kleinen Wunde am Munde in Berührung kam. Dadurch zog fich die gesunde, rüstige Frau eine so gefährliche Blutvergiftung zu, daß fie nach kaum drei Tagen starb. Glue kuriose Bürgermrifterwahl wird der,Frkf. Zigst berichtet: In einem weimarischen Dörfchen mit dem schönen Namen Schafpreskeln, das ganze 69 Einwohner zählt, fand im De- zember die Wahl des Bürgermeisters und seines Stellvertreters statt. Sinn find nur 10 Schaf- preskelner nach den Landesgesetzen wahlberechtigt. Aber diese 10 Wähler lieferten eine Wahlschlacht, die fie in nicht weniger als fünf Parteien spal tete. Es gab dann also 10 Wähler und zehn Kandidaten. Die Bezirksdirektion hat die Wahl sür ungültig erklärt. Nun wird in Schafpreskeln zu einem neuen Wahlkampf gerüstet. Mit der Nase »«gefröre» ist, wie aus Ortrand (Kreis Liebenwerda) gemeldet wird, ein betrunkener Mann, der sich mit dem Geficht an einen eisernen Zaun gelehnt hatte. Passanten bemerkten, daß die Nase und ein Teil der Backe des Mannes an das Eisen angefroren war. Erst nachdem die Haut der Nase und der Backe losgelöst war, konnte der Bedauerns werte aus seiner schlimmen Situation befreit werden. Eime schwere Reise, die sür die Ladung titier Anzahl Rindvieh von traurigen Folgen war, haben die Dampfer „Dahlström" und -Bismarck" von Dänemark nach Kiel gemacht. Infolge des scharfen Windes in der Nacht wurden die kalten Wogen hoch über das fast ungeschützte Deck der Schiffe geschleudert und die armen Tiere überschüttet. Das Seewaffer vereiste sofort und nicht weniger als 21 Stück Rindvieh Erfroren unterwegs, und 31 mußten gleich bei der Ankunft abgestochen werden. > Uber ei« LiebeSdrama i« Flensburg wird gemeldet, daß das in Sommers Hotel er schossene Mädchen als Bertha Martensen, Tochter eines Aröeiterehevaares aus Nordstrand erkannt ist. Sie war seit Jahresfrist mit einem Kauf mann in Lübeck verlobt und als Stütze Sei Klemm tätig. Der junge Klemm, der erst fie und dann fich selbst erschossen hatte, ist Obsr- srkundaner. Ws«« MS« Psch hsbs« soll! Der steck brieflich verfolgte Arbeiter Alexander Przybilski war so unvorsichtig, fich einen andern Namen beizulegen; er hatte damit aber doch wenig Erfolg, denn der neue Name wurde, wie die ,Dirsch. Zig/ erzählt, auch — steckbrieflich ver folgt. So kam er schneller in Haft, als er dachte. ihm eine tiefe Bißwunde an der Hand bei. Trotz starkem Blutverlust setzte Pernelet kalt blütig die Vorführung seiner gefährlichen Zög linge fort und ließ fich erst am Schluß durch den Zirkusarzt verbinden. Kirche«ei»st«rz. In Ocoma (Spanien) stürzte eine längst als baufällig bekannte Kirche ein und verschüttete ein anstoßendes Wohnhaus, in dem fich vier Personen befanden. Ein Kind wurde als Leiche aufgefunden, die drei übrigen Personen wurden lebensgefährlich verletzt. Der wucherische Goldwurm. Nach vielen Debatten hat der rumänische Ministerrat die Ausweisung von neun Wucherern aus Bukarest beschlossen, unter denen fich ein mehrfacher Millionär namens Friedrich Goldwurm befindet. Das revolutionäre Komitee von Petersburg ist bekanntlich verhaftet worden und ist augenblicklich in der Peter-Pauls-Festung interniert. Diese düstere, alte Zitadelle, die einst Peter der Große am sumpfigen User der Newa zum Schutze gegen die Schweden anlegte und nach den beiden Aposteln Petrus und Paulus benannte, ist ein historisches Gefängnis in Rußland, hinter dessen Mauern sich viele Tragödien der Despotie abge'p elt haben. Die Gefangenen fitzen meist in Einzelzellen, in die die Strahlen der Sonne nur feilen Hineindringen. Die Zimmer find mit einem eisernen Stuhl, einem kleinen, eichenen Tisch und mit einem kleinen Schemel ausgestattet. Die Wände sind mit gelber Paviertapete bekleidet, doch hat man, um den Schall zu dämpfen, das Papier nicht unmittelbar auf der Mauer angebracht; es ist auf Leinwand geklebt, und hinter dieser befindet sich ein Draht gitter, das wieder auf einer Filzlage ruht. So wird der Gefangene verhindert, sich mit den In sassen der Nebenzellen durch Klopfen usw. in Ver bindung zu setzen. Eine wrereffame Doppelhochzeit ver einigte die Pariser Familien Chamau und Renaud. Dis 32 jährigen ZwilligsbrüderChantau, Kunstmaler, vermählten fich mit den zehn Jahre jüngeren Zwillingsschwestern Renaud. Zeugen der B Sutigame waren deren Vettern, gleich falls Zwillingsbrüder. M«e wütende Löwe«mutter. In der bekannten Menagerie von Bostok und Wombrll in London kam es dieser Tage wieder einmal zu einer aufregenden Szene. Eine Löwin griff ihren Wärter plötzlich an. Die Ursache war offenbar der Tod zweier junger Löwen, deren Blutter die Löwin war. Sie hatte vor einigen Jahren drei Junge, die ihr weggenommen und einer Hündin gegeben wurden, der man selbst ihre Jungen weggenommen hatte. Die Hündin war dadurch böse geworden und tötete zwei der jungen Löwen. Die Löwin konnte von ihrem Käfig aus sehen, daß die beiden Jungen tot waren, und sofort konnte man erkennen, daß fie in furchtbare Wut geriet. Sowie der Wärter den Käfig betrat, sprang die Löwin ohne werteres mit wütendem Gebrüll auf ihn los. Durch einen geschickten Sprung entkam der Wärter aber und es gelang ihm, das wütende Tier so lange vom Leibe zu halten, bis Hilfe herangekommen war. Es gelang ihm dann, unangetastet zu entkommen. Von ei«em Krokodil gebiffe« wurde in Brüssel der auch in Deutschland bekannte Bändiger Pernelet während einer Vorstellung in einem dortigen Zirkus. Bei der Fütterung der 25 Riesenechsen warf fich das größte Krokodil plötzlich auf den Bändiger und brachte Die Wucherer verleiteten dis Söhne vermögender Familien, enorme Wschselbeträge zu unter schreiben und dabei die Unterschriften zu fälschen. Die Namen der andern Menschenfreunde werden leider nicht mitgeteilt. Ghezwa«g. Die Behörden von Colon (im Staats Panama) haben soeben ein Zwangs- h-iratsgesetz erlassen, nach welchem allr Männer, dir mit den Damen ihres Herzens in freier Liebe und wilder Ehe leben, ihre Dnennen Sinnen vier Wochen heiraten müssen. Das neue Gesetz hat, bald nachdem es in Kraft getreten ist, vortre'fliche Ergebnisse geliefert, und man wird auf der Landenge von Panama bald nur noch „geregelte Verhältnisse" finden. Es muß hinzugesügt werden, daß das Heiraten dort nicht nur obligatorisch, sondern auch gratis ist: man braucht sür das Sichtrauenlassen auch nicht einen Pfennig zu zahlen. Gericktskatte. Glogan. Der Bankier Kistenmacher wurde wegen Konkursvergehens. Betrug? und Unterschlagung in 36 Fällen zu sechs Jahr Gefängnis und fünf Jahr Ehrverlust verurteile. Eisenach. Am 6. d. fand vor dem hiesigen Landgericht die erste Verhandlung gegen diejenigen statt, die am Tage der ReichStagSstichwahl in Eisenach bei den Demonstrationen sestgenommen wurden. Der Arbeiter Kart Gimmler, der sich als Neugieriger unter die Menge gemischt und über die Maßnahmen der Polizei gesch-mpft hatte, wurde wegen Aufruhrs und Landfriedens^ ucheS zu vier einhalb Morat Gefängnis verurteilt. New Dork. Die Verschiedenheit der Möglich keiten, an denen in Amerika eine an fich glückliche junge Ebe zu scheitern vermag, wird illustriert durch eins Verhandlung, die vor kurzem in New Uork im Jeffsrson-Market-Gericht stch abspielte. Vor dem Kadi standen Dr. D. S. Johnson, ein sehr be kannter New Korker Arzt, und seine Gattin, deren Mädchenname Margaret BurnS ist und die vor ihrer Eheschließung als gefeierte Operettendiva der Bühne angehörte. Das Ehepaar Johnson ist erst seit einem Jahre miteinander verbunden, trennte fich jedoch kürzlich, weil, wie Frau Margaret vor Gericht behauptete, der Gatte nur höchst mangel haft für den Unterhalt der Gattin gesorgt haben soll. Nach des Doktors Beschreibung aber gewann das Mld dieser merkwürdigen Ehe eine ganz andre Beleuchtung. Dr. Johnson erzählte, daß sein Schwiegervater seinem Frauchen einen gefräßigen Shetland-Pony geschenkt habe, dessen Unterhalt ihm Wöchentlich sechs Dollar kostete. Er habe seiner Gattin gesagt, daß er diese Kosten nicht erschwingen könne, worauf ihm Margaret geantworiet habe: „Ohne Pony keine Ehe I" Werde das Pferdchen ab geschafft, so kehre fie sofort zur Bühne zurück. Der Richter wies die Scheidungsklage der jungen Frau ab und bemerkte sarkastisch, seiner Ansicht nach habe fich der Doktor mit Margaret BurnS, nickt aber mit einem Shetland-Pony verheiratet: er hoffe deshalb, daß fich das Paar außergerichtlich einigen werde. SUU > l «EÜSSN Ein Roman in zwei Rapiteln. Vor mehrere« Wochen wurde die Hebamme deS OrteS Folgoet in der Bretagne von einem Unbekannten in der Nacht mit einem Kraft wagen abgeholt und in diesem, nachdem ihr die Augen verbunden waren, nach einem Schloß gefahren, dessen Lage fie selbstverständlich nicht anzugeben weiß. Dort fand fie ein junges Weib, das einige Stunden später mit ihrer Hilse einem Knaben das Leben gab. Die Hebamme wurde darauf mit Beachtung der gleichen Vorsichtsmaßregeln nach Folgoet zurück gebracht, natürlich wiederum nachts. Niemand würde von dem ganzen Abenteuer etwas er fahren haben, wenn die Frau fich nicht der reichen Belohnung gerühmt hätte. Auch über das andre Kapitel dieses Romanes schwebt ein bisher undurchdringliches Geheimnis. Man erfährt nämlich, daß kurz nach diesem Erlebnis der Hebamme von Folgoet eines Nachmittags ein sehr vornehmer Herr mit einer jungen Dame in einem Kraftwagen in dem Orte Plouneour-Tre-, einige Dutzend Kilometer von Folgoet entfernt, eintrafen. Vor dem Dorfe ließ der Herr den Wagen halten, ging in das Haus des Chauffsewächters, das gerade von aller Wett verlaffen war, legte ein Paket auf den Tisch nieder, stieg dann schnell auf den Wagen und verschwand. Als die Frau des Chauffsewächters ins Haus zurückkehrte, sand fie zu ihrem Erstaunen daS Paket auf dem Tssche. Ihre Verblüffung wurde aber noch größer, als fie beim Offnen des Pakets feststem-, daß es einen Säugling im Alter von ungefähr acht T^gen enthielt. Sie setzte voraus, man werde das Kind bald abholen, und legte es deshalb gut verpackt auf die Schwelle ihres Haufes. Die Frau eines Nachbarn hatte Mit leid mit dem Würmchen und nahm es zu fich, um es als das ihre aufzuziehen. Als fie das Kind entkleidete, um es in die Wiege zu legen, entdeckte fie in den Windeln 50 Tausend- Frank-Scheine, die natürlich nur ihren Ent schluß bestärkten, das Kind zu behalten. Sie ist gleichfalls nach Bekanntwerden dieser Aben teuer zu einem Verhör herangezogen worden, ohne selbstverständlich den Behörden, die auf den Kindesaussetzer fahnden, irgendwelche An deutungen geben zu können, da außer den Bankicheinen nichts in den Windeln zu finden gewesen war, was auf die Spur der Abkunft des Kindes hätte leiten können. iss,.«, Kuntes Allerlei. Er kevut fie. Mann (zur eintretenden Frau und Tochter): „Wo war't ihr?* — Tochter: „Bei der Nachbarin.* — Mutter: „Wir haben uns lange aufgehalten.* — Mann: „Über wen?* Jayrh.u Gege«dieb. Gast: „Ich muß Ihnen offen gestehen, Herr Wirt, daß Ihr Essen nicht der- anig ist, wie ich es gewohnt bin!* — Wirt: „Woh! Möglich, ich kaufe aber auch stets das Allerbeste!* Land gehen, ehe der Zufall den einen dem andern in die Arme führt. Er aber, Robert Madelung, hatte wirklich nichts dazu getan, Sie schmucke blonde Goldstickerin wiederzu- Aden. Ms fie fich kaum acht Tage nach Hrrr ersten Begegnung von neuem trafeu, ge schah eS gerade wie das erstemal, ganz von ungefähr. Es war aber diesmal am hellichten Tage, an einem Sonntag-Nachmittag, einem köstlichen Uchen Sommerlag mit Lämmerwolken am Ammei. Robert stand an der Ecke der Straße unter den Linden, unschlüssig, was mit der Zeit vor fich zu tun — er war in seiner Art km rechter Genußmensch — als plötzlich in sonntäglichen Menschengewimmel um ihn 77 ste — in lichtem Sommerputz aufmuchle. As fie seiner ansichtig wurde, färbten sich ihre Wangen rosenrot, wie das Sommerglwand, bas fie trug. Gar künstlich hatten fich die Knoten des Zufalls geschürzt, um das arme, arglose Mädchen aus den Weg ihres Schicksals zu führen. Erne «ttw'erparlie junger Mädchen des Geschäfts, für das die Goldstickerin tätig war, hatte dazu Rangier: werden müssen, und Netta, die fich «n dem Ausflug zu beteiligen versprochen, hatte dH an dem Sammelort der Gesellschaft vor bem Brandenburger Tor zu spät einfinden Men, so daß, als fie dort ankam, ihre beginnen fort waren und fie fich um ihre .Hoffte Sonntagsfreude gebracht sah. Sie be« Ad fich bereits auf ihrem Rückweg nach Hause, a>s plötzlich der junge liebenswürdige Mensch ihr stand, Ler ihr seit vergangener Woche mehr rm Sinne tag, als fie es stch ooer ihrer Mutter, der fie natürlich ihr Erlebnis aus dem Heimwege aus dem Geschäft erzählt hatte, hätte eingestehen mögen. Robert Madelung wußte, als fie ihm die Geschichte ihres Mißgeschickes gebeichtet hatte, mit einemmal, was er mit dem Nachmittag, der vor ihm lag, anfangen wollte. „Schade drum,* lachte er über ihre ver- trauensjelig und mit naiver enttäuschter Miene vorgetragene Klage, „zum Nachhausegehen in die stickige Wohnung ist das Wetter aber heute wirklich zu schön.* Sie war zudem nicht einmal ficher, ob fie zu Hause überhaupt in die Wohnung hineir- konme. Ihre Mutter hatte, wenn fie fort war, den Kirchhof und das Grab ihres Vaters be- suchen und begießen wollen. Und von dort wollte fie noch zu einer alten Freundin Heran gehen. Vielleicht daß fie also erst gegen Abend yetmkshrte. So lange hätte Netta dann wo möglich vor der Tür stehen können. Daher sagte sts, als der junge Herr ihr den liebenswürdigen Vorschlag machte, sür die versäumte Partie mit ihren Kolleginnen mit irgend einem Ausflug in die Umgegend der Stadt in seiner Gesellschaft vorlieb zu nehmen, nicht nein. Es war ja gewiß, wenn nicht un gehörig, unbedacht genug von chr, die Ein- ladung eines fremden Henn so leichthin zu akzeptieren, aber dann dünkte ihr Robert Made lung auch kaum ein Fremder. Er halte fich so rasch — den ersten Abend vor acht Tagen schon — ihr ganzes Vertrauen und ihre Sympathie erworben, und dann hatte fie all die Zeit Moem, stündlich an ihn gedacht. Er war ihr wirklich kein Fremder. Und am Ende war fie auch keine von einem steifen Zeremoniell umgebene Prinzessin. Sie war eine einfache Goldstickerin, und unter ihresgleichen „hatte man fich nicht so gefährlich* und galt ein natür licher, freimütiger Verkehr zwischen zwei jungen Leuten nicht gleich für eine Sünde und ein Majeftätsverbreckm. Sie nahm Robert Madelungs Einigung ohne Argwohn an und hatte, als er fie am Abend zu einer sch ckkichen Zeit in das Haus ihrer Mutter zurück ührte, auch das Vertrauen, das fie ihm schenkte, nicht zu bereuen. Sie hatte einen glücklichen Nachmittag ver lebt. Sir waren durch Feld und Wald ge wandert. Robert Madelung ließ fich von ihr, wie fie fich hier an einem Feldbach, dort an einem Waldweg nach einem Veilchen oder blauen Vergißmemnichtstern bückte, die sts mit ihren zarten Fingern geschickt in einen Strauß wand, lhrs Lebsnsgeschtchte erzählen. Die war srsilich kurz. Ihr Vater war ein einfacher Eisenbahn beamter gewesen. Sie hatten, bis fie nach Berlin kamen, in einem Flecken der Mark ge wohnt. Sie hatte nur eine Dorfschule besuch:, wo Knaben und Mädchen zusammen aus den Schulbänken saßen, aber fie hatte fich jetzt in ihr Fach als Goldstickerin so eingearbeitet, daß fie mit ihrer Mutter, die auch noch eine kleine Pension hatte, ohne Sorgen lebte, zumal ihre ältere Schwester, - die eine höhere Bildung als fie erhalten hatte, die mit dm Töchtern des Gutsherrn in ihrem Heimatsort zusammen erzogen worden war und jetzt eine Sieüung als Gelell- schastLfräulein innehatte, es fich auch Nicht nehmen ließ, was fie erübrigen konnte, der Mutter zur Veriügung zu stellen. Und hatte fie nicht auch schon einen Schatz ? — Robert Madelung hatte die interessante Frage mit schelmischem, seine Neugier ent schuldigendem Lächeln gestellt, und fie war dabei rot wie die Klatschrose auf dem Feld wege neben ihr geworden. „Aber Herr Madelung I Herr Madelung!* hatte fie gerufen, und er halte dazu gelacht. Als ob es etwas Schlimmes wäre, daß eine achtzehnjährige Lame einen Bräutigam halte! Aber fie schüttelte ihr Köplchen. Sie hatte wirklich keinen. Es hatte fie, sagte fie mit naiver Koketterie, noch nümand gewollt. Und das hatte auch gerade noch Zeit. Der eine aber, der fich — um nicht zu lügen — doch schon für fie interessiert halte, den hatte fie nicht gemocht. „Ahal* lachte Robert. „So ist eS einer also doch auch schon gewesen —" „Allerdings, ein Cousin, von mir,* sagte fie. „Ein sonst braoer, rechl .^uer Mensch, der auch bei der Eisenbahn ist u.rd schon als Lokomotivführer angestelll ist. Aber ich Habs der Mutter, an die er fich wandte, gesagt: Ich kann ihn nicht nehmen. Ich werde miq über haupt nie verheiraten. Niet* „Papperlapapp, das ist, was alle, junge Mädchen so sagen. Und wenn dann Ler Richtige kommt — * FM i (Fortsetzung folgt.)
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