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2100 Börsenblatt s. d. Dtlchn. »uchb-ndel. Fertige Bücher. 45, 22. Februar 1924. Jakob Boßharts Welt, wie sie aus den sechs Bänden „Erzählungen"*» sich erhebt, sieht dich mit einem Gesicht voller versteinter Furchen an, über die auö schmerzlich-gläubigen Augen ein verklärendes und gleichzeitig unter streichendes Licht fällt. Welch eine Welt voll Habsucht, Bosheit, Neid, Gier, Herzenskälte und Schwachheit! Über den Sarg der Braut hinweg schielt man nach einer neuen Geliebten, ganze Ortschaften werden vom Hunger nach Gold verdorben; Leidenschaft mordet, Ekel am Leben baut sich ein philosophisches System, dessen Gipfel der Selbstmord ist, das Gespenst der Vererbung haucht ganze Geschlechter mit Elend und Tod an, der Teufel geht wahrhaftig in der Welt um, sonst könnte ein einfaches Herz garnicht verstehen, wie es in Schuld gerät. Ehegatten verderben sich und das Kind, an dem sie zerren, mit ihrem Haß, der Sohn schlägt die Mutter, Mutter verflucht das Kind, man schwört Treue und bricht den Eid, wenn er keinen Vorteil mehr bringt, das vertrauende Mädchen wird verführt und das berechnende geheiratet, Eltern sind unnützer als Gerümpel, wenn sie alt werden und kein Geld mehr haben: Selbstsucht überall, eisige und brennende, immer aber rasende Selbstsucht, die Welt ist eine Hölle. Aber immer finden sich da und dort reine Opferseelen; erscheint in ihrem Licht die Hölle vielleicht nicht noch schrecklicher? Schadet nichts, man muß trotzdem an Gott glauben und das Gute im Menschen, jede Opferseele muß eine andere entzünden, dann wird schließlich doch diese Welt zögernd zu leuchten beginnen. Ist die Welt überhaupt von Anbeginn und rettungslos schlecht, oder ist sie es nur, weil sie Gott ver gessen hat? Boßhart ringt sich von dem lähmenden Anblick deö Schlechten los und spricht gläubig: Diese armen, jämmerlichen Menschen konnten nur so böse werden, weil sie Gottes Hand losgelaffen haben und nun blind in der Irre tappen, wütend gegeneinander stoßen und sich beißen wie Tiere, die man zu sammensperrt. Sein ,Rufer in der Wüst? schreit nichts als: Gott und die Liebe; man mag ihn Niederschlagen — der Ruf weckt Echo. Wäre eS anders, so müßte man die Welt ver giften, zertreten, denn es ist besser, daß nichts ist, als das Böse. Dieser Jakob Boßhart ist kein Literat, sondern ein Mensch und ein Dichter. Die Form, schwer, lakonisch, düster, ist nicht erdacht, son dern notwendige Folge der Einstellung eines schmerzlich-fühlenden Menschen zu den Dingen. Sie ist schwer von Blut und Tränen, innerlich vor Erschütterung bebend, hart und schmucklos hingesetzt wie ein Beweis, an dem eS nichts zu deuteln und zu beschönigen gibt. Dieser Schweizer hat nicht die weinselige FabulierungS- kunst wie der jüngere Keller und nicht die spießbürgerlich-rationalistische Art des alten Keller, er ist schon eher vom Holze Gotthelfs, aber, wie mir scheint, tiefer, freier und zu gleich gläubiger, was viel heißen will. Würde Boßhart gelesen, viel gelesen, so wäre das ein herrlich gutes Zeichen für uns. Fran; Herwig (im Oktoberheft 192Z im „Hochland") ') .Erzählungen' von Jakob Boßhar«. S Bände. (H. Haeffel, Verlag, Leipzig.) H. Haejsel/Verlag/Leipzig