Volltext Seite (XML)
141, 30. Juni 1908. Nichtamtlicher Teil. Börlmdlatl f. d. Dtschn. vuchhandrl 6801 solche Materialiensammlung Freilich ist eine Geschichtschreibung und soll es nicht sein. Es ist nur ein Gerippe, das der Leser selbst mit Blut erfüllen und mit Fleisch bekleiden muß. Und das werden vor allen diejenigen ver mögen, die die ganze Bewegung miterlebt haben, namentlich die, welche als Soldaten oder Führer in den Reihen der Kämpfer gestanden und die Entwicklung mit herbeizuführen geholfen haben. Dreißig Jahre sind vergangen, seit das erste Stück dieser Sammlung: die erste Stuttgarter Verlegererklärung zur Auf-- rechterhaltung der Ladenpreise in die Welt hinausgegangen ist. Eine lange Zeit im Leben eines Menschen, doch eine kurze im Leben eines Standes! Muten diese Blätter uns heute schon fremd an, und erscheinen uns Worte, die wir selbst gesprochen wie ein fremder Klang, so mag uns dies zeigen, daß wir doch ein Stück vorwärtsgekommen sind, und uns die Zuversicht geben, daß wir weilerkommen und endlich doch den Weg finden werden, der das Ziel aller Reform bestrebungen im Buchhandel gewesen ist, die Erhaltung eines kräftigen, gesunden Sortiments zu sichern. Für diejenigen, die diese Zeit mitratend und mittatend erlebt haben, ist es ja nicht leicht, sich in das richtige Ver hältnis zu ihr zu setzen, wie es ein späterer Historiker ge winnen mag; das aber wird man aussprechen dürfen, daß das Studium dieser Blätter den Eindruck hinterläßt, daß trotz aller Meinungsverschiedenheiten und trotz mehr oder weniger berechtigter Hervorkehrung und Betonung von Sonder interessen alle Beteiligten von dem Wunsche beseelt waren, eine Besserung der Zustände herbeizuführen. Erwägt man, daß die Kämpfer Geschäftsleute waren, bei denen zum Teil große Interessen auf dem Spiel standen, so wird man den idealen Zug, der unleugbar in den Verhandlungen zu Tage tritt, nicht gering anschlagen dürfen. Leider tritt er für den, der die Dinge nur aus den Verhandlungen kennen lernt, nicht so klar in die Erscheinung wie für den, der sich der ganzen Situation, der ganzen Stimmung jener Tage noch entsinnen kann. Eine Frage wird sich aufdrängen, wenn man diese Blätter gelesen hat, die Frage nämlich, ob wir in den dreißig Jahren erheblich weitergekommen sind und ob wir namentlich dem Ziele, eine durchgreifende Besserung der Verhältnisse des Sortiments zu bewirken, nähergekommen sind. Eins ist erreicht: die Festhaltung des Ladenpreises im Verkehr mit dem Publikum. Dies ist nichts Kleines, wenn man damit die ersten Anläufe der Bewegung vergleicht. Damals nur ängstliches Tasten, ein Herausstrecken der Fühlhörner, das Bekenntnis, daß ein Rabatt nie abzuschaffen, ja daß ein Rabatt von 10 Prozent nie als ein Schleudern betrachtet werden könne. Und Schritt vor Schritt sind wir weitergegangen und sind heute dazu gekommen, daß entweder gar kein Rabatt oder nur bei Barzahlung oder regel mäßigem Kundenverkehr ein Diskont von 2—5 Prozent ge währt wird. Dies ist gegen die Zeit von vor 30 Jahren, wo bis zu 20 Prozent Rabatt gewährt wurde, ein un geheurer Fortschritt, der nicht unterschätzt werden sollte. Es kann ferner nicht geleugnet werden, daß dieser Fortschritt einem großen Teile des Sortiments auch tat sächlich genützt hat. Namentlich den Handlungen, die wissenschaftliches Sortiment vertreiben, bei dem der dem Sortiment gewährte Bruttonutzen 25 Prozent nicht zu über steigen pflegt, ist ein geordnetes Geschäft ermöglicht worden und ihre Gewinnquote dem normalen Nutzen, den ein Geschäft haben muß, wenigstens genähert worden. Auch der moralische Nutzen einer Festigung des Laden preises ist nicht zu unterschätzen. Durch die wilden Rabattangebote war der Buchhandel in den Augen des Publikums ganz erheblich diskreditiert worden. Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7b. Jahrgang. keine i Publikum wurde geradezu darauf hingewiesen, den Sorti- " menter, der keinen Rabatt gewährte, für einen Betrüger zu halten. Der Sortimenter, der die einzelnen Kunden verschieden behandelte, wurde nicht mit Unrecht als unreell angesehen. Dies ist nunmehr glücklicherweise anders geworden, das Publikum hat wieder Vertrauen zu seinem Buchhändler gewonnen, ja das Publikum unterstützt in seiner großen Mehrheit den soliden Sortimenter, anstatt, wie früher, zu dem zu laufen, der als der billigste galt! Wenn die Abschaffung des Rabatts aber nicht vermocht hat, das eigentliche Ziel der Reform, die Gesundung des Sortiments, zu erreichen, so liegen die Gründe hierfür viel fach in Verhältnissen, zu deren Änderung uns die Möglichkeit fehlt, vor allem in der übergroßen Anzahl von Betrieben, die sich mit dem Buchhandel beschäftigen. Nicht bloß im Sortiment, vielleicht noch mehr im Verlag ist dies der Fall und die Folge davon ist übergroße Konkurrenz, übergroße Produktion und die immer mehr wachsende Schwierigkeit, für diese Massen sich in geeigneter Weise zu verwenden. Hoffen wir, daß es uns trotzdem gelingen wird, auch dieser Schwierigkeiten Herr zu werden und nach und nach auch die Widerstände zu überwinden, die einer Gesundung des Sortiments im Wege stehen! Der uns vorliegende Band behandelt die Zeit von 1878—1883, während die ganze Veröffentlichung 1878 bis 1889 umfassen und so ein Bild der ganzen Bewegung bis zur Annahme der neuen Satzungen und des ersten Jahres unter den neuen Satzungen bieten wird. Den Anfang macht die erste Stuttgarter Verleger-Erklärung: Zur Aufrecht erhaltung der Ladenpreise, 1878, die als der erste praktische Versuch einer Besserung zu betrachten ist; den Schluß bilden die Verhandlungen des Börsenvereins-Vorstandes mit dem Vorsitzenden des Verbandsvorstandes, betr. die Meißnersche Resolution, am 17. Oktober 1883. Ein Verzeichnis der Redner erleichtert die Benutzung. Es soll und kann hier nicht eine Angabe des Inhalts des Bandes gegeben werden. Bei der Fülle des Stoffes würde ohne ein ausgiebiges Ausschreiben dies gar nicht tunlich sein, aber auch dann würde der Zweck der Orientierung kaum erreicht werden: jeder, der Interesse für die Sache hat, wird den Band selbst studieren und ihn sicher nicht ohne Nutzen aus der Hand legen. Hier soll nur versucht werden, darzutun, wie einige der wichtigsten Punkte der Reform, die Mittel zur Abhilfe usw., nach und nach sich gewandelt und vertieft haben, wie die Anschauungen im Laufe der Verhandlungen andere geworden und wie sich die Annäherung der Meinungen vollzogen hat, die zur Annahme der Statuten im Jahre 1887 geführt haben. Naturgemäß spielen in den Verhandlungen die Schleuderet und die Mittel, ihr zu begegnen, eine große Rolle: sie ist der rote Faden, der sich durch alle Verhandlungen zieht. Die Bewegung ging von den Verlegern aus. die es un liebsam empfanden, daß neben ihren eigenen Anzeigen mit Ladenpreisen andere erschienen, die diese Preise unterboten. So wendet sich auch die erste Stuttgarter Verleger-Erklärung lediglich gegen Anzeigen, Kataloge, in denen die Verlags artikel »zu willkürlichen Ladenpreisen — öfters weit unter den von uns angezeigten Ordinärpreisen — dem Publikum angeboten wurden«. Also nicht gegen die Schleuderei an sich, gegen das Verkaufen zu billigeren Preisen wenden sich die Stuttgarter Verleger, sondern lediglich gegen das An zeigen und bedrohen Handlungen, die diese Warnung nicht beherzigen, mit Reduzierung des Rabatts. In den Antworten, die auf die Fragebogen, die die Enquete-Kommission des Börsenvereins im Jahre 1879 aus gegeben hat, eingegangen sind, wird die Abschaffung des Rabatts für unausführbar gehalten, namentlich solange die 885