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(^kronik äer v-icktigften Meltereigniffe im Sahre 1912. Januar. Anfang deS Monats trafen die ersten Nach richten ein, daß der Norweger Roald Amundsen am 14. Dez. 1911 den Südpol erreicht habe. — Am 3. starb in Breslau der bekannte Rechts- und Geschichtsforscher Felix Dahn. — Am 12. fanden im Deutschen Reiche die Neuwahlen »um Reichstage statt; sie erbrachten mit den Stichwahlen am 20., 22. und 25. ein starkes Anwachsen der sozialdemokratischen Mandate (110). Februar. Durch ein Kaiserliches Edikt wurde am 5. China zur Republik erklärt; sie konstituierte sich am 15. mit Vuan-Schikai als Präsidenten. — In Berlin wurde am 7. der Deutsche Reichstag eröffnet; in der Thronrede kündigte der Kaiser die neuen Wehrvorlagen an. — Am 8. starb der frühere Chef deS preußischen Militärkabinetts, Generalfeldmarschall v. Hahnke, am 17. der österreichische Minister deS Nutzern, Graf o. Aehrenthal, am 20. der be kannte Geograph Richard Andree, am 25. der Grobherzog Wilhelm von Luxemburg. März. Am 14. wurde auf den König von Italien ein Attentat verübt; der König blieb unverletzt. — Der deutsche Schatzsekretär Wermuth trat am 15. von seinem Amte zurück und wurde durch den Unterstaatssekretär Kühn ersetzt. — Geh. Oberregierungsrat Koch wurde am 18. zum Präsidenten der neuentstehenden Reichsver sicherungsanstalt für Angestellte ernannt. — Albert Träger, der bekannte Parlamentarier, starb am 26. in Berlin, 82 Jahre alt. April. Karl May, durch seine Abenteurerromane und zahlreiche Prozesse bekannt geworden, starb am 1. — Herzog Adolf zu Mecklenburg wurde am 15. zum Gouver neur von Togo, Dr. Schnee zum Gouverneur von Ost afrika ernannt. — Eine entsetzliche Schiffskatastrophe er eignete sich im Atlantischen Ozean: der englische Dampfer „Titanic* sank infolge Zusammenstoßes mit einem Eisberg. 1490 Paffagiere fanden mangels genügender Rettungs geräte den Tod, darunter der bekannte englische Friedens apostel Stead. Mai. Am 2. starb der Schriftsteller Edw. Bormann, bekannt durch seine „Bliemchen'-Gedichte und seine eigen artigen Shakespeareforschungen, am 3. Rud. v. Bennigsen, früher Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. — Am 13. wurde der Schlußstein zum Völkerschlacht-Denkmal bei Leipzig gelegt. — König Friedrich VUI. von Dänemark starb am 14. in Hamburg; ihm folgte sein Sohn als Christian X. — Der schwedische Dichter August Strind- berg starb ebenfalls an diesem Tage. — Am 15. wurde der frühere Staatssekretär Wermuth zum Oberbürger meister von Berlin an Stelle des ausscheidenden Kirschner gewählt. Juni. Lärmszenen im ungarischen Parlament vom "4. bis 7. führten zu einem Revolverattentat des Abgeord neten Kovacs auf den Präsidenten Tisza. Der Täter ging straffrei aus, da man ihn Erregung anrechnete. — Am 10. starb Freiherr v. Erffa, Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses, am 12. Frederic Paffy, der bekannte Vorkämpfer für den Weltfrieden. : Juli. Am 4. fand vor Baltischport in der Ostsee eine Zusammenkunft zwischen dem Deutschen Kaiser und dem Laren statt. — Der ehemalige Oberbürgermeister von Berlin und preußische Finanzminister Hobrecht starb nm 7. — Am 14. stiftete der Deutsche Kaiser eine neue Denkmünze für Teilnehmer an militärischen Unter nehmungen in den Kolonien. — Am 28. wurde dem Grobherzog von Sachsen-Weimar ein Thronerbe geboren. — Am 29. starb der Kaiser Mutsuhito von Japan, dem sein Sohn Poshihito auf dem Thron folgte, am 30. der Kardinal Erzbischof Fischer von Köln. August. Der Kaiser nahm am 8. an der Hundert jahrfeier der Kruppschen Werke teil und hielt eine be merkenswerte Rede. Auf der Grube „Lothringen* bei Bochum verunglückten am 9. durch eine Schlagwetter katastrophe 115 Bergleute. — Sultan Abdul Hamid von Marokko dankte am 12. ab. — Am 13. starb der be rühmte französische Komponist Jules Massenet, am 16. Prälat Schreyer, der Erfinder der Weltsprache Volapük, am 20. William Booth, Gründer und General der Heils armee. September. Der Deutsche Kaiser reiste am 4. zur Teilnahme an den Manövern nach der Schweiz. — Am 10. starb die Romanschriftstellerin Wilhelmine Seimburg. — Der König von Sachsen wurde am 12. anläßlich der Manöver zum preußischen Feldmarschall ernannt. — Am 14. starb der bisherige Oberbürgermeister Kirschner von Berlin, nachdem er erst am 1. in den Ruhestand getreten war, am 24. Herzog Franz Josef in Bayern und.der.zum oermmen Botschafter M London ernannte Freiherr Marschall o. Bieberstein, am 29. Graf Limburg-Stirum, ehemals Führer der konservativen Partei. Oktober. Am 1. traten die vom Reichstage bewilligten neuen Formationen der deutschen Armee in Kraft, zugleich auch die Erhöhung der Mannschaftslöhnung. — Auf dem Balkan spitzten sich die Verhältnisse zum offenen Konflikt der Balkanstaaten mit der Türkei so zu, daß Serbien und Bulgarien am 1. die Mobilmachung begannen. Nach Überreichung eines Ultimatums begann Montenegro am 9. den Krieg gegen die Türken. — Am 12. starb der frühere Staatssekretär Nieberding. — Die Türkei, die am 15. den Krieg mit Italien durch den Frieden von Ouchy (Abtretung ^on Tripolis) beendigte, beschloß gleichzeitig den Krieg gegen die zu einem Vierbund vereinigten Staaten Bul garien, Griechenland, Serbien und Montenegro und brach am folgenden Tage die diplomatischen Beziehungen mit 2 2 ff So bittet der eine, so flehen die andern. Indessen die Stunden geruhig wandern. Doch jede von ihnen vernehmbar spricht» Ohne Mühe wächst das Glück dir nicht. Du mutzt es selber zimmern und bauen, Drum magst du zunächst zum Rechten schauen. ff Ins Herz dir Pflanze Wahrhaftigkeit, Sei täglich zu gutem Werk bereit. Latz deinen Bruder in Ehren leben. Kein Anrecht an deiner Ferse kleben — Beginnst du also das neue Jahr, Daun wird das Glück dir offenbar. Gregorius. Vas neue ^akr. TU« stehe« und warten vor der Tür, Es tritt ein neues Jahr herfür. Wir grüßen das Jahr und öffnen die Hände» Erfülle mit Freuden uns ohne Ende; And bläst das Anheil wie SturmesbrauS, Vorüber zieh' es an meinem Haus. r i j 7 r i Viesen Staaten ab. — Am 24. starb Prinzessin Rupprecht von Bayern. — Die Türken, bei Kirkkiliffe geschlagen, in Adrianopel umzingelt, befanden sich Ende Oktober au dem Rückzüge. November. Auch die am 1. beginnende Ent scheidungsschlacht am Ergenefluß verlief für die Türken unheilvoll; die türkische Armee zieht sich auf die Tschataldscha- forts zurück, das letzte Bollwerk vor Konstantinopel. Die gegen die Türken stehenden bulgarisch-serbischen Truppen vor Tschataldscha können jedoch keine Erfolge mehr er zielen und werden mehrfach zurückgeworfen. — In München starb am 4. der bekannte Schriftsteller Anton o. Perfall. — Am 5. verschied der Staatsminister Graf Botho o. Eulenburg. — Reichstagsersatzwahl in Berlin I für Kaemps, der sein angefochtenes Mandat niedergelegt hatte. Kaempf wiedergewählt und abermals zum Reichstags präsidenten bestimmt. — In den Vereinigten Staaten wurde am 6. der Demokrat Wilson zum Präsidenten gewählt. — Am 24. begannen vor Tschataldschw Waffen stillstandsverhandlungen zwischen Balkanbund und Türkei. Inzwischen hat sich Albanien unabhängig erklärt. Dezember. Die Mongolei, bisher Streitobjekt zwischen Rußland und China, wurde am 1 .für autonom erklärt. — Am 3. erklärt der deutsche Reichskanzler im Reichstag, Deutschland werde seine DündniSpflicht gegen Österreich- Ungarn jederzeit getreu und fest erfüllen. — Am 4. Waffen stillstand zwischen der Türkei und Bulgarien, Serbien, Montenegro. Griechenland-Türkei bleiben im Kriegs zustände. — Am 9. Erneuerung des Dreibundes (Deutsch land, Osterreich-Ungarn, Italien) auf weitere sechs Jahre. — Am 12. starb der 91jährige Prinzregent Luitpold von Bayern. Ihm folgte in der Regentschaft sein Sohn Ludwig. — Der 16. brachte den Beginn der Friedens- oerhandlungen in London zwischen der Türkei und den Balkanstaaten. — Unentschiedene Kämpfe am 18. bis 20. zwischen der türkischen und griechischen Flotte. — Am 19. Schlagwetter-Katastrophe auf der Kohlengrube „Achenbach* in Westtalen, 52 Tote. — Am 22. Bombenattentat auf den Vizekönig von Indien Lord Hardinge. Der Vizekönig und 13 Personen verletzt. — Am 26. wird dem Prinzen August Wilhelm von Preußen, viertem Sohn Kaiser Wilhelms ll., der erste Sohn geboren. — Wegen starker Unstimmigkeiten bei den Londoner Friedensverhandlnngen am 27. Gerüchte vom baldigen Wiederausbruch des Balkankrieges. j^eujakrs-Orakel. Der größte Teil aller Neujahrsbräuche beruht auf der Vorstellung, daß in der Neujahrsnacht irgendwie daS Schicksal des ganzen kommenden Jahres bestimmt wird. Daß wir uns gegenseitig Glück wünschen, daß wir die Mitternacht mit Hochrufen und Gläserklang begrüben, be deutet weiter nichts, als eine Schmeichelei an das Schicksal. Das neue Jahr, das in die Welt einzirht, soll uns günstig gestimmt werden. Wir sind wohltätig und gefällig, damit das neue Jahr sieht, was für gute Menschen wir sind — und uns dafür belohne. Wir sagen uns gegenseitig Angenehmes, machen uns Geschenke. Im Mansfeldischen, in der ganzen Harz gegend ziehen die Kinder umher und fingen an allen Türm den Vers: Ich bin der kleine König, Gebt mir nicht zu wenig, Laßt mich nicht zu lange stehen, Ich muß an alle Türen gehen! Diese Sitte berührt sich, wie man sieht, mit den Bräuchen des Dreikönigstages (6. Januar), der an manchen Stellen geradezu Groß- oder Hohes Neujahr heißt. Ein Silvestersingen, das weniger eigennützig klingt, findet in Böhmen statt: Ich wünsch' fürs neue Jahr Ein Christkind mit krausem Haar, Einen goldnen Tisch, In jeder Ecke einen gebratenen Fisch, In der Mitte ein Glas Wein, Daß Herr und Frau kann recht lustig sein! In Ostpreußen wird ein grobes „Glücksgreifen* ver anstaltet. Unter umgekehrte Teller legt man besonderes Neujahrsgebäck in acht oder neun Formen: Brot, Ring, Mann (oder Frau), Wiege, Himmelsschlüssel, Himmels leiter, Geld, Totenkopf. Jeder tritt mit verbundenen Augen heran und wendet einen Teller um; was er oor- findet, bestimmt sein Schicksal für das Jahr. Wir sehen schon an diesen Andeutungen, um welche Schicksale es sich hauptsächlich handelt. Es gibt noch andere Orakel. Die Mädchen legen sich platt auf die Erde und schleudern mit dem linken Fuß den Pantoffel über sich fort. Fällt er so, daß die Spitze der Tür »ugekehrt ist, so werden sie im Jahre das Haus verlaffen, d. h. sich verheiraten. In Dänemark und im südlichen Schweden haben sich Gesänge erhalten, die darauf hindeuten, daß der alte Wettergott, der Gott des Landbaus, Tor, zu Neujahr seinen Umzug machte. Die Monate waren ja in der alten Zeit nicht die Kalendermonate, sondern wirklich „Monde*; der erste Neumond nach dem kürzesten Tage war der Beginn der neuen Zeit, die allmählich mit der Lichtzunahme dem Frühling zuschritt, Tor segnete die Fluren. Vielleicht hängt mit derartigen Vorstellungen der Mummenschan- zuiammen, dm man an manchen Orten Ostpreußens treibt. Die jungen Burschen verkleiden sich als Neujahrs bock, wobei die Heugabel die Hörner bildet, als Bären, mit Erbsenstroh umwickelt, als Schimmelreiter, als Störche, reiten und spektakeln im Dorfe umher und erschrecken die Mägde. Auf Böden und Rumpelkammern rumort der Rosemock, ein unheimliches Fabeltier; es gilt als Probe des Mutes, hinaufzugehen und ihn zu verscheuchen, aber leicht stolpert selbst der Tapferste über allerlei Gerümpel. Vas Sekeimms von 191z. Von K. Petersen. „Ste glauben natürlich nicht daran*, sagte die schöne Ungarin und blies kampfesfreudig den Rauch ihrer Zigarette in die Luft. Der herausgeforderte Assessor blickte müde und über legen. -Ganz wie Sie befehlen*, antwortete er. „Ich glaube fest an Moses und die Propheten, inklusive alle Prophetinnen. Und wenn Madame de Thedes uns so bestimmt verkündet hat, daß im Jahre 1913 ein Weltkrieg entbrennen wird, so steht sie jedenfalls in Verbindung mit der politischen Ab teilung der vierten Dimension. Morgen mache ich mein Testament. Meine Schmetterlingssammlung vermache ich meiner alten Waschstau, meinen Hund Puck, . .* „Hören Sie aus!" ries die Dame geärgert. „Ich bin doch wahrhaftig nicht abergläubisch. Erst kürzlich habe ich sogar am Freitag eine Reise angetreten; freilich wurde mir kurz darauf ein reizendes Kostüm verdorben, doch das war wohl ein Zufall. Aber MadaMe de Thöbes ist keine ordinäre Wahrsagerin: sie hat einen Weltruf. Sogar der Präsident Felix Faure hat sich von ihr die Zukunft deuten lasten. Und an die schreckliche Zahl 13 glauben auch die größten Frei geister. In den feinsten Hotels werden Sie nie die Zimmer nummer 13 antreffen.* Ihr Gegner nickte beifällig. „Ich bin überzeugt: deshalb hat auch die Natur bloß 12 Monate und 12 Stunden am Tage eingerichtet, weil sie sich vor der Zahl 13 ge fürchtet hat.' „Warten Sie nur, mein Herr, Sie werden schon noch einmal ein anderes Gesicht machen., Übrigens glauben die Offiziere alle an den Krieg, und an der Börse wird auch damit gerechnet. Das wissen Sie doch, Herr Auermann?* Sie hatte sich an einen etwas dicklichen, milzsüchttg aus sehenden Herrn gewandt, der mit den andern in der behag lichen Salonecke saß und, wie es schien, an den Folgen des guten Soupers litt. Es war sehr gemütlich i« dem Raum; der Kamin brannte, und feines Tabakaroma zog durch die Luft. Vom Musikrimmer kamen diskrete Klaviertöne, und aus dem kleinen Nebenraum körte man stimmungsvolles Geräusch von Pokerspielern: „Noch eine Mark — ich will sehen!* - — Das angenehme Faulenzergefühl der Tage zwischen Weihnachten und Neujahr erfüllte die Seelen, und die dunklen Nätseischatten des nahenden Jahres, die Frau Lydia beschworen hatte, übten in dieser Atmosphäre nicht die rechte gruselig machende Wirkung. Aber der Hausherr, Herr Auermann. schien doch un angenehm berührt. Er seufzte und wiegte den Kops. „Weltkrieg! Weltkrieg! Man soll den Mund nicht zum Bösen auftun. Sprechen wir nicht vom Weltstieg! auf der Börse macht man nur faule Witze darüber. Könnte die geehrte französische Prophetin nicht einen anderen Beruf er greifen? Und Sie, gnädige Frau, sollten auch nicht so sprechen. Nehmen Sie lieber einen Chartreuse!" „Er hat wahrhaftig recht, Frau Lydia", sagte der Assessor. „Sie haben auch nicht die geringste körperliche Ähnlichkeit mit Hans Huckebein, dem Unglücksraben: viel eher könnte man bei Ihrem Anblick an einen Friedensengel denken — mit nur ein wenig, aber sehr wohtuendem Embonpoint. . .* Der Friedensengel blitzte ihn so kriegerisch an. daß er entsetzt aufsprang und in das Musikzimmer flüchtete, wo eben eine gesättigte Kommissionsrätin, sich in den Hüften wiegend, das schöne Lied: „Liebchen komm' in das duftige Grün!" angestimmt hatte. „Ich will Ihnen zu Hilfe kommen, gnädige Frau*, sagte ein älterer, langer Herr, der bis jetzt stumm zugehört batte. „Es gibt auch eine deutsche Prophezeiung für die drei Jahre 1911, 1912 und 1913. Sie lautet: ein Glutjahr, ein Flutjahr, ein Blutjahr. Sie sehen, für die beiden ersten Jahre ist sie ein getroffen. 1911 war es furchtbar heiß und 1912 furchtbar naß. Ferner möchte ich Ihnen eine kleine Zahlengeschichte erzählen. Als Kaiser Wilheln I. noch Prinz von Preußen war, besuchte er 1849 in Paris zum Scherz eine Wahr sagerin. Sie lieb ihn die Quersumme von 1849 zu der Jahreszahl hinzuzählen, und prophezeite ihm. daß er in dem errechneten Jahr Deutscher Kaiser werden würde. Die Quersumme von 1849 (1 > 8 -st 4 -st 9) ist 22. es ergab sich also das Jahr 1871. Dann zählte sie die Quersumme von 1871, das ist 17, zu 1871 hinzu und verkündete ihm für dieses Jahr seinen Tod. Es ergab sich 1888, das in Wirklichkeit das Todesjahr deS Kaisers werden sollte. Endlich zählte sie wiederum zu 1888 die Quersumme dieser Zahlsgleich 25 hinzu: für das Jahr 1913. das sich jetzt ergab, weissagte sie eine kritische Zeit in Deutschland. Ist dieses Zahlenorakel nicht merk- mürdlo?" Die Gesichter der beiden Zuhörer waren etwas länglich geworden. Frau Lydia hatte aufgehört zu rauchen und fächelte sich mit ihrem Taschentuch, Herr Auermann machte ein griesgrämiges Gesicht. Sie saßen noch eine Weile ver tieft in Zukunftsbckrachtungen, als sich die Tür öffnete und der Assessor wieder hcreintrat, begleitet von einer merkwürdig ausjehenden Figur. „Nach vielen Bemühungen" — so begann er feierlich — „ist es mir gelungen, die Neujahrsfee zu finden und hierher zu zitieren. Sie wird die Güte haben, den geehrten Herr schaften das Geheimnis von 1913 zu enthüllen." Die imposant wirkende Figur war malerisch mit Zeitungspapier umwickelt, nur für die Augen und den Mund waren ein paar Öffnungen gelassen. In der einen Hand trug sie eine grobe Tüte, die wohl ein Füllhorn bedeuten sollte, auch aus ZeitungSpapier, gefüllt mit Knallbonbons, in der anderen Hand eine Kindertrompete. Aus der Brust war in groben Zahlen und in schwarzer Farbe die Zahl 1913 gemalt. Sie blies in die Trompete und bat mit dumpfer Stimme um Stimmung. „Mein Name ist Pythia", sagte sie. „Ich habe die Ehre Ihnen mitzuteilen, daß der Weltkrieg im Jahre 1913 noch nicht stattfinden wird. Der Grund ist, dab Madame de Thöbes sich in ihren mystischen Berechnungen um eine Kleinigkeit geirrt hat. Das interessante Ereignks wird erst tausend Jahre später eintreten, und Sie werden sich noch so lange gedulden müssen. Im übrigen. . ." Die Fee konnte nicht fortfahren, denn Frau Lydia streifte ihr die Papierumhüllung vom Kopfe. Es entpuppte sich das gemütliche Gesicht eines Herrn mit weingeröteten Backen, der wie ein verkörperter Protest gegen die Fleischnot aussah. „Natürlich, das konnte ich mir denken", sagte die hübsche Frau lachend zu dem Demaskierten. Es war ihr Gatte. „Du scheinst mir nicht ganz die richtige Pythia zu sein." Und drohend richtete sie einen Knallbonbon gegen ihn. „Lab mich leben!" bat er zerknirscht. Der Assessor aber schwang fröhlich sein Glas. „Warum sollen wir die Neu- jahrsfee nicht leben lassen? Sie lebe hoch!" Und vergnügt stimmten die anderen in den Ruf ein.