Volltext Seite (XML)
auf Bernrode gerade das Erntefest, kam anher sich, in höchster Erregung Tante Linda angefahren. Händeringend, ohne jede Fassung und Besonnenheit jammerte sie, wie gestern abend spät der Kammerherr angekommen sei, müde und apathisch, ein völlig gebrochener Mann. Er hätte seinen Abschied genommen, wollte nie wieder zurück nach Hannover — Gott mochte wissen, was dort alles hinter den Kulissen gespielt habe. Und Düsternkamp, ach Düsternkamp sei das aller schlimmste! Soviel man aus seinen Klagen verstehen könne, solle und müsse es verkauft werden. „Ach Lotte, Lotte, wohin dann mit uns! Ach, ich überlebe es nicht, wenn ich auf meine alten Tage noch fort zu Fremden muß.- Ich führte die weinende Frau in mein Zimmer, und wie ich ging und stand, eilte ich nach Düsternkamp. Nur ein Gedanke lebte in mir: Wußte Lothar von dem Zu- sammenbruch? Was sollte aus ihm werden? Wenn er die väterliche Scholle auch nicht in dem Maße liebte, wie ich die meine, der Verlust des alten Familiensitzes unter diesen Umständen mußte ihn dock schmerzen, ganz ab gesehen davon, daß er fortan ohne den notwendigen Zuschuß auskommen mußte, denn diesen von mir zu nehmen, bevor wir Mann und Frau waren, dazu würden ihn alle Bitten nicht bewegen. Während ich den Weg in hastender Eile nach Düstern kamp zurüctlegte, machte ich in aller Eile einen Über schlag. Wieviel betrug mein Hab und Gut? Wie hoch durfte ich mit gutem Gewissen Bernrode mit Hypotheken be lasten? Welche Summe mußte zu eventueller Anzahlung auf Düsternkamp flüssig sein? Und wie — wenn es überhaupt möglich gemacht wurde — fing ich es an, dies alles vor Lothar zu verbergen? So neu waren mir diese Erwägungen nicht. Oft genug war mir schon der Gedanke gekommen, das Gut zu erwerben, um es so den Hartmanns zu erhalten, nur daß die Stunde so nahe sti, hatte ich nicht geglaubt. Vor allen Dingen galt es nun zu erfahren, ob Lothar in die traurigen Verhältnisse eingeweiht war oder nicht. Ich fand den Kammerherrn, wie Tante Linda ihn geschildert, völlig zusammengebrocken. Das Messer saß ihm an der Kehle. In Hannover hatte er eine beträcht- liche «Schuldenlast, Wucherer waren ihm auf den Fersen, er lag so fest in ihrer Schlinge, ein Griff nur, und es war um ihn geschehen. Er verwünschte die Halsabschneider, die ihn ins Unglück gebracht, beklagte jammernd sein Mißgeschick, das ihn im Alter noch heimatlos mache, und ganz zuletzt auch das Schicksal seines Sohnes, der nun gezwungen sei, die bevorzugte, standesgemäße Lebens stellung auszugeben, um irgendwo ein Unterkommen zu finden, wenn er eben nicht vorziehen würde, schleunigst auf Bernrode einzuheiraten. Daß dies für Lo.har hieß, den Abschied nehmen, bedachte er nicht. Es war ein sinnloses Durcheinander von Klagen und Verwünschungen, aber kein einziger klarer Gedanke, nicht ' ein Schimmer von Erkenntnis der wahren Ursache dieses Unglücks. Was ich schließlich als mir am wichtigsten erfuhr, war, daß Lothar seit mehreren Tagen verreist sei, „irgendwohin abkommandiert", — mithin auch von der ganzen Geschichte, die ziemlich plötzlich gekommen sei, nichts wisse. Zunächst ließ ich dem alten Herrn, mr besten leibliches Wohlbefinden kein Mensch in dieser Situation zu denken schien, einen kräftigen Imbiß besorgen, und als ich nach mehreren Stunden eifrigen Unterredens und Rechnens ihm zum Abschied die Hand reichte, gehörte Düstern kamp mir. In der Tasche trug ich ein Verzeichnis der Gläubiger des Kammerherrn. — Am anderen Tage fuhr ich nach Hannover, um durch meinen Rechtsanwalt die Angelegen heit ordnen zu lasten. Von nun an bewirtschaftete ich beide Güter. Nach Düsternkamp schickte ick den erprobten, noch von meinem Vater geschulten Inspektor, den tüchtigen Unterverwalter behielt ick zu meiner Hilfe, denn Bernrode mußte fortan die Kosten für Düsternkamp tragen. Es war ausgemacht, daß der Kammerherr und Tante Linda bis an ihr Ende dort wohnen blieben, dagegen hatte der Kammerherr sich verpflichten müssen, vor Lothar das Geheimnis, wer die Schuldenlast bezahlt und somit Besitzer von Düsternkamp sei, unverbrüchlich zu bewahren, bis ich einst selbst sprechen würde. Die Zeit, die nun kam, war arbeits- und sorgenreich und doch voll Glück. Bald nach der Verabschiedung des alten Herrn auS seiner Hofcharge wurde unsere Verlobung veröffentlicht. Eine leere Formsache, denn alle Welt betrachtete uns seit Jahren als Brautpaar. Ich lebte den nun kommenden Winter zum Teil bei meiner Schwester in Hannover. — Es waren köstliche Tage. Kein Schatten trübte damals die heitere Stimmung bei Hofe. Die Künste, vor allem Theater und Musik, standen in Blüte, ein Fest jagte das andere. Meine Schwester Heloise, die sich zu einer überaus anmutigen Frau entwickelt hatte, war ein Liebling der Königin, mein Verlobter ein oft befohlener Gast des Königs an kleinen, intimen Abenden. Wolkenlos schien der politische Himmel, wolkenlos unser Glück. Zum Frühjahr sollte die Hochzeit stattfinden. Lothar wünschte, daß ich Bernrode auf eine Reihe von Jahren verpachtete. Ich willigte ein, denn ich als Soldatentochter würde ihn niemals veranlaßt haben, seinen Beruf auf zugeben, wußte ich doch, wie schwer meinem Vater daS angekommen. In der Nähe der Herrenhäuser Allee in Hannover mieteten wir eine Wohnung. Mitte April, nachdem am Ersten des Monats Bernrode dem Pächter übergeben war, wurden wir getraut. Im Hause meiner Schwester fand die Hochzeit statt — eines der letzten Feste, denen auch das hannoversche Königspaar beiwohnte. — Acht Tage danach beichtete ich meinem Manne das Geheimnis von Düsternkamp. Er wurde ein wenig blaß. Schweigend nahm er mich in seine Arme. — „Mußtest du wieder mal etwas bester wissen?" In der lächelnden Frage lag alles: Verstehen, Ver zeihen und Dank. Einige Wochen des Glücks waren uns beschieden, dann kam der Krieg. Ehe man das Schreckliche noch recht begriff, entschied sich Hannovers Geschick. Bei Langensalza wurde mein Mann verwundet. Ich holte ihn aus dem Lazarett nach Bernrode. Und nun zeigte sich, welche Last Düsternkamp für uns werden sollte. Die alten, ansässigen Adelsgeschlechter des König reichs waren damals in begreiflicher, fast kopfloser Auf regung. Vielen war das Vaterland io verleidet, daß sie in der ersten Bestürzung um jeden Preis verkauft hätten. Zu diesen gehörten wir nicht. Ganz abgesehen davon, daß mich der eben abgeschlossene Pachtkontrakt gewisser maßen band, ich wollte auch die Heimat nicht aufgeben. Der Herbst begann, als sich mein Mann von einer langwierigen Fieberkrankheit erholt hatte und daran denken konnte, neue Lebenspläne zu fassen. Daß er nicht in preußische Dienste trat, war für ihn fraglos, ebenso fest stand sein Entschluß, bei der Waffe zu bleiben, und so trat er gleich vielen anderen in die österreichische Armee. Anfang des Winters hatte es sich in seine Garnison zu begeben — nach G. in Galizien. Ich blieb vorläufig zurück. Eine Unmenge geschäftlicher Angelegenheiten mußten noch abgewickelt werden. Die einander Schlag auf Schlag folgenden Ereignisse, dazu die Krankheit meines Mannes hatten mir keine Zeit gelassen, mich gründlich um die Gutsverwaltung zu be kümmern. Unmittelbar nach Lothars Abreise ging ich jedoch nach Düsternkamp, und was ich nun erfuhr, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Große, für solchen kleinen Haushalt viel zu große Summen waren wieder holt vom Kammerherrn der Gutskasse entnommen worden; der Inspektor hatte natürlich nicht gewagt, dieselben zu i verweigern. Außerdem erwies sich die Vernachlässigung i der Wirtschaft immer mehr als so groß, daß nur jahre ¬ langer eiserner Fleiß und immer neue Geldmittel dauernd Wandel schaffen konnten. Nach genauer Einsicht in die Bücher mußte ich dem Inspektor recht geben, daß es die Aufopferung BernrodeS bedeute, wenn ich Düsternkanw halten wollte. Jedenfalls mußte ich jenes abermals belasten, um die notwendigen Mittel für das Hartmannsche Besitztum zu beschaffen. (Fortsetzung folgt.) Der Koffer. Eine Komödie von der Reise. Von Mar Bittrich. (Nachdruck verboten.) „Weißt du', sagte Frau Schneider, als sie vierzehn Tage im Gasthaus zum Lamm im Wildtal gesessen hatte, „der Herr Direktor aus Dingsda gefällt mir nicht. Er ist ein unangenehmer Mensch.' „Wieso?* forschte Herr Schneider. „Ja, weißt du, das kann man nicht so sagen. Mancher hat etwas Besonderes an sich, etwas Unangenehmes. Das ist schwer zu begründen." „Aber kürzlich schien er dir ein sehr vornehmer Herr zu sein: er besitze, sagtest du, einen pikfeinen Koffer neuester Form. Natürlich hast du gleichfalls einen kaufen müssen — einen Koffer dieser neuesten Fasson!* „Du spottest!* „Lieber Schatz, ich erwähne nur Tatsachen. Oder sagtest du nicht etwas Ähnliches?* „Gewiß! Man kann von den Sachen ein bißchen auf die Leute schließen.* „Natürlich: feine Koffer — feine Leute! Soeben be hauptetest du jedoch, der Herr habe etwas Unangenehmes an sich, also trotz des unserm eigenen gleichenden Koffers l* „Ja, das sage ich allerdings sehr, es wird am besten sein, den Verkehr mit ihm aufzugeben. Ich wenigstens grüße ihn nicht mehr. Widersteht mir solche Bekannt schaft, so muß sie auch dir unerquicklich sein. Also bitte * „Gut, gut!' Drei Wochen später. Regen um Regen, Kälte um Kälte! Flucht aus dem Wildtal! Seit Beginn der Woche geht täglich eine kleine Karawane den halbstündigen Weg hinauf zur Bahnstation. „Hast du schon gehört*, sagt Frau Schneider, „vom Herrn Direktor?* „Nein, was denn?* „Der Mensch fährt genau wie wir ab, heute abend 7 Uhr!" „Dagegen wird sich nichts tun lassen!* „Er ist impertinent!',— „O, ol* „Natürlich nimmst du ihn in Schutz!* „Gar nicht, Liebste! Aber Bahnen sind öffent liche ' „Verschone mich mit deinen lehrreichen Abhandlungen! Du sollst sehen, er will uns nur ärgern!" „Ich wüßte ein gutes Mittel dagegen.* „Da wär' ich neugierig l* „Wir fahren erst morgen * „Das meinst du ernstlich?" — „Warum nicht?*' „Du würdest seinetwegen, eines stockfremden Menschen wegen, die Abreise verschieben?" „Nein: deinetwegen, damit du keinen Arger hast.* „Wieso Arger?" „Du sagtest eben, der Herr sei impertinent. Ich wollte dir den Anblick ersparen." „Er wird sich doch nicht zu uns setzen?" „Wenn er will, setzt er sich uns gegenüber. Weißt du ein Mittel dagegen?" „Nimm ihn nur wieder in Schutz!" „Tu mir den einzigen Gefallen, sag mir: wann willst du reisen?" — „Heut abend 7 Uhr!" „Auf die Gefahr hin, ihn als Reisegefährten zu haben?" „Ich habe keine Furcht!" „ sehr freundlich! Also werden wir reisen!" „Gewiß werden mir das!" Abends viertel sieben Uhr. „Liebe Frau, jetzt nimm aber schnell Abschied von der Wirttn, wenn es überhaupt sein muß! Der Wagen zur Bahn ist ohnehin fort, und wir stehen noch hier. Kannst du nun und nimmermehr eine Viertelstunde zu früh fertig sein, statt zu spät?" „Ich bin noch immer zurechtgekommen. Der Zug hat täglich Verspätung. Meinst du, ich stelle mich oben eine halbe Stunde in den kalten Wind? Übrigens: der Herr Direktor ist auch noch hier. Ich sah ihn eben beim Wirt.* „Vielleicht hat er noch abzurechnen. Wir haben das erledigt.* „Ich flüchte vor dem nicht!" „Man kann jedoch zur rechten Zeit in Gemütsruhe gehen, Frau! — Und nun noch der Koffer Den hätte wahrhaftig der Hotelwagen mitnehmen dürfen." „Nein, nein, den gebe ich nicht aus der Hand! Wenn du nicht magst, trag' ich ihn selber!" „Täusche ich mich nicht, so sehe ich in deiner Hand nichts als die Handschuhe * „Soll ich ihn etwa schon hier berumjchleppen?" Halb sieben Uhr. „Na also ade, Frau Wirtin!" „Ade! Auf Wiedersehen, Frau Schneider!" „Rasch, rasch, Frau! Wir haben gut eine halbe Stunde zu laufen. Ich allein käme auch leicht hinauf, doch wie mich das Rennen anstrengt, weißt du am besten l* „Bin ich vielleicht gar schuld * „Davon ein andermal! Und dann der Koffer: wo hast du ihn?" „Ängstige dich nicht schon wieder! Er steht gleich hier an der Treppe — ach nein, oben war er sicherer — nein, dort an der Tür. Ich nehme ihn!" „Aber rasch!" Sie packt den Koffer, trägt ihn über die Haustür schwelle und händigt ihn selbstverständlich sofort dem Mann ein: „Hier, o, ich bin froh!" Fauchen und jagen! Alle fünf Minuten wandert der Koffer — aus der Rechten in die Linke und zurück. „Eile doch nicht gar so sehr, Mann! Mich trifft der Schlag! Noch weit hinter uns kommen Leute." „Aber, ob die zum Zug, ob die reisen wollen * „Wo sollten sie hin?" .Du bist manchmal großartig, Frau!" Nach einigen Augenblicken hastet der ominöse Direktor leichtfüßig, ohne Last, vorüber. Jetzt beobachtet es auch Herr Schneider zum erstenmal: des Direktors Blicke scheinen lauter Hohn zu sein. „Gott sei Dank, daß er vorüber ist!" ruft Frau Schneider. „Schrei nicht so!' „Ich hab' keine Angst!" Sie jagen weiter, und der Koffer fliegt in die Rechte und in die Linke. Sie hören den Zug rasseln, pfeifen und halten. Da — da — jetzt sind auch sie droben. Nur fix hinein, denn der Bahnvorsteher will schon das Zeichen zur Abfahrt geben. Da stellt sich dem verspäteten Ehepaar der gehaßte Direktor gegenüber, in den Weg, er vertritt ihm sogar den Zugang zum Wagen. „Wollen mir die Herrschaften gütigst meinen Koffer geben?" „Ihren Koffer? Wieso?" Herr Schneider setzt ihn nieder und schwenkt die halb erstarrten Arme. „Wieso denn — Ihren —?" „Ich will ihn öffnen, damit Sie sich Überzeuger - Hier!" Die Kofferhälften fliegen auseinander. Des Direktors Eigentum liegt vor dem Ehepaar Schneider. Die Pfeife schrillt; der Direktor flüchtet mit ! seinem Eigentum in den Zug und fährt fröhlich von dannen. Schneiders Koffer aber steht im Gasthaus. „Hab ich dir's nicht vom ersten Tag an gesagt", zischelt Frau Schneider ihren Gemahl an, „ein angenehmer Mensch!"