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für MM Sormabenä, äen 7. Dezember 1912. Vom Kalkan unä cien hackten. Die Weihnachtszeit wird wohl auch schon dem viel geprüften Balkan den ersehnten Frieden bringen, nachdem am 13. Dezember die Friedensverhandlungen in London begonnen haben werden. Warum sind die Verhandlungen gerade in London? Erst vermutete man, der Engländer freund Kiamil habe den Vorschlag gemacht, jetzt verlautet aber aus Sofia, daß es Bulgarien war, das im Vertrauen auf die friedliebende englische Politik für London gewesen ist. Man erhofft jedenfalls von englischen Einfluß einen schnellen und günstigen ^Erlauf der Friedensoerhandlungen. So rüsten sich denn schon die Delegierten aller fünf Balkanstaaten zur Reise nach der englischen Hauptstadt. Wir Deutschen rönnen jedenfalls mit der Wahl zufrieden sein und im Gegensatz zu Frankreich neidlos auf die Engländer blicken, denn der berühmte Berliner Kongreß hat uns mehr Sorge und Arger bereitet als Ruhm geschaffen. PoinearL über dte Lage. Am Donnerstag nachmittag nahm auch der französische Ministerpräsident im Kammerausschub für auswärtige Angelegenheiten Veranlassung, sich über die allgemeine politische Lage zu äußern. Er betonte eingangs seiner Ausführung, daß er sich eine große Zurückhaltung auferlegen müsse, denn die Physiognomie der Ereignisse sei noch weit von einer endgültigen Festlegung entfernt. Die -wischen den Mächten gepflogenen Verhandlungen könnten nicht ohne vorheriges Abkommen bekannt gegeben Des Krieges Encle. Sofia, 4. Der. Der Waffenstillstand wurde von den bulgarischen Bevoll mächtigten im Namen Bulgariens, Serbiens, Montenegros unterzeichnet, Griechenland bedang sich eine Frist von 24 Stunden aus. Es gefällt unseren grausamen Instinkten mehr, einen Krieg deshalb beendet zu sehen, weil eine Nation unter dem kraftvollen Ansturm einer andern zusammenbricht, als aus dem Grunde, weil beide Kämpfer völlig außer Atem geraten sind und nur noch kraftlos mit den Armen fuchteln. Im Balkankriege haben wir dieses weniger heroische Bild, denn die bulgarische Völkerwelle brandet ohnmächtig an die Dämme von Tschataldscha, und um gekehrt, die Türken können eine Gegenoffensive nicht mehr durchführen. An dieser Lage haben die Kriegführenden sich ent- schlosien, einen Waffenstillstand einzugehen, an den sich am 13. Dezember unmittelbar der Beginn der Friedens verhandlungen knüpfen soll. Am Dienstag spät abends wurde der denkwürdige Beschluß nach genau achtwöchiger Dauer des Krieges unterzeichnet. Die beiderseitigen Armeen bleiben in ihren gegenwärtigen Stellungen, die Festungen bleiben zerniert und dürfen nicht etwa mit Lebensmitteln versehen werden, die Blockade der Schwarzen Meer-Küste wird nach zehn Tagen aufgehoben, so daß über Varna und Midia dem bulgarisch-serbischen Heere vor der Tschataldscha-Linie von da ab der Proviant auf dem be quemsten Wege zugestellt werden kann. Die Bedingungen dieses Waffenstillstandes, in denen die Übergabe der be lagerten Festungen, aber auch ihre Verproviantierung ab gelehnt wird, lassen deutlich erkennen, daß zwar der Sieg der Verbündeten nicht bestritten, daß man aber auch dem letzten energischen Widerstande der Türken gerecht wird Der Traktat über den Waffenstillstand ist also unter- librieben Nur fehlt vorläufig der griechische Bundes- gmosse unter dem Schriftstück, so daß es sich also unter Umständen um einen Separatfrieden von Bulgarien, Serbi n Montenegro mit der Türkei handeln würde. Une Separatfrieden, das lehrt uns die Weltgeschichte, be deutet immer den Keim zu einem neuen Kriege, der dies- mal vielleicht der .bulgarisch-griechische" heißen wird. Be, dem Einmarsch in Saloniki gerieten sich bereits die Truppen beider Kontingente in die Haare, und seit dem ist es noch schlimmer geworden, ja fast .wie früher", wo in Mazedonien griechische und bulgarische Banden einander massakrierten und ganze Dörfer in Schutt und Asche legten, um nur immer wieder die nationale .Sprachgrenze" verschieben zu können. Man bewarf einander an Ort und Stelle mit Dynamit, in der europäischen Presse mit Stinkbomben; in Berlin saß jahre lang ein von der Athener Negierung besoldeter Literat, Cleanthes Nikolaides, der nur die Aufgabe hatte, Notizen über „bulgarische Greueltaten" unterzubringen, und ähnlich arbeiteten die Bulgaren. Jetzt hat Griechenland sich zu nächst geweigert, den Waffenstillstand anzuerkennen, weil erstens die Frage, ob Saloniki griechisch oder bulgurisch sein solle, offen gelassen ist, und zweitens das belagerte Janina sich noch nicht ergeben hat. Man braucht diese .„Unbedingten" nicht tragisch zu nehmen. Allein gelassen, werden sie bald klein beigeben müssen. Aber in den ge planten dauernden Balkanbund ist jedenfalls ein gründlicher Keil getrieben. „ Mit gesteigertem Interesse wird man nun den Friedens verhandlungen in London entgegensetzen, die am Freitag nächster Woche ihren Anfang nehmen. Was dabei heraus kommen wird, wissen die. Beteiligten selber wohl noch nicht, soviel aber ist klar, daß der Balkankrieg zu Ende ist; ein Heer, das wochenlang untätig liegt, während über den Frieden verhandelt wird, hat nachher keine Lust mehr zu groben Aktionen. Frieden für ganz Europa ist damit aber noch nicht geschafft worden. Von heute auf morgen kann ein bulgarisch-griechischer, ein rumänisch-bulgarischer, ein serbisch-österreichischer Krieg, ja ein Weltkrieg entbrennen. Von Köln aus ist in einem hochweisen Artikel „Krieg oder Frieden?" darauf hingewiesen worden. Sein offiziöser Ursprung wird dementiert, — aber dabei war es der offiziöse Telegraph, der den Artikel sofort verbreitete! Unser Pulver müssen wir immer noch trocken halten; in Osterreich-Ungarn rechnet man bestimmt mit einem Winter feldzug. werden. Nur die Grundzüge der französischen Politik vermöge er daher klar zu charakterisieren. Frankreich habe alles, was in seinen Kräften stand, getan, um den Konflikt der Balkanstaaten zu beschwören. Frank reich habe von Anfang an mit gutem Willen an dem regelmäßigen täglichen Meinungsaustausch zwischen allen Mächten Europas teilgenommen. Frankreich glaube, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten in einer gemeinsamen und übereinstimmenden Aktion gesucht werden müssen. Die bockbeinigen Griechen. Vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit hatte sich Griechen land zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes ausgebeten. Die Zeit ist dahin und immer noch fehlt die griechische Unterschrift unter dem Protokoll. Vorläufig sträubt man sich in Athen noch. Athen, 6. Dez. Griechenland beharrt aus der Fort dauer seiner Blockade im Ägäischen Meere, da es in der Vcrfolgnng seiner Interessen sonst zu sehr behindert sei. In allen anderen Kabinetten hält man jedoch an der Auffassung fest, daß Griechenland ebenfalls bald seine Zu stimmung geben werde, da es sonst bei den eigentlichen Friedensverhandlungen auf keine Unterstützung von feiten seiner Verbündeten werde rechnen können. Schon bei den Beratungen vor Tschataldscha wurden die Griechen von dm Bulgaren sehr schlecht behandelt. Neues Bombardement Valonas. Die griechischen Kanonenboote haben sich erneut an der albanischen Küste gezeigt und Valona wieder beschossen. Eine Granate schlug zwischen dem italienischen und dem österreichischen Konsulat ein. Auf Befragen durch Parla mentäre erklärte der griechische Flottenkommanbant, er habe den Befehl erhalten, die albanische Küste zu blockieren, da sie türkisches Gebiet sei, und glaube daher, rechtmäßig gehandelt zu haben. Er erklärte weiter, daß die Stadt sich Griechenland ergeben müsse, das bie Albanier stets wie Brüder behandelt habe. Hierauf entfernten sich die Kanonenboote. Ismail Kemal-Bei hat sofort telegraphisch bei den Großmächten und bei der griechischen Negierung Protest eingelegt. Wahrscheinlich werden Italien und Österreich energisch gegen ein solches Vorgehen protestieren. Dreibund und Tripelentente. Eine erfreuliche Friedensschalmei kommt aus Wien. Das offiziöse „Wiener Fremdenblatt" stellt fest, daß Drei bund und Tripelentente sich nunmehr vollkommen einig darin seien, jedwede aus dem Balkankriege entstehenden Ver wicklungen zu verhindern. Wichtige Anzeichen erlaubten diese Schlußfolgerung. Das Blatt führt dafür eine Reihe Beweise aus den letzten Tagen an, so vor allem den Vor schlag Greys, der allseitig sympathisch ausgenommen worden sei, sowie die Auslassungen der „Rossija", die zeigten, daß das offizielle Rußland sich nicht der Einsicht ver schließe, daß die gegenwärtig schwebenden Fragen einer friedlichen Lösung entgegengeführt werden müßten. Man könne danach hoffen, daß die jetzige Krise mit diplomatischen Mitteln gelöst werden würde. Überraschungen ernster Natur scheinen daher, wie die Dinge heute liegen, nur von einer außerhalb der beiden europäischen Mächtegruppen liegenden Seite entstehen zu können Ferdinand sammelt Kriegsandenken. Von König Ferdinand von Bulgarien weiß man schon lange, daß er ein eifriger Naturwissenschaftler ist und seine darauf bezüglichen Sammlungen weit über das Laienhafte hinausgehen. Das schien neben der Politik sein Lebens zweck zu sein, indessen ist man bei richtiggehenden Sammlern nie vor einem plötzlichen Gesinnungswechsel sicher. So auch bei dem Zaren Ferdinand. Jetzt kommt aus Konstantinopel die seltsame Kunde, König Ferdinand, habe sich den türkischen Eisenbahnwagen, in dem das Waffenstillstandsprotokoll unterzeichnet wurde, als Andenken erbeten. Großwesir Kiamil hat sofort versprochen, diesem Ersuchen zu willfahren. Man versichert, daß die Unter fertiger des Protokolls ihre Namen in eine Fensterscheibe des Waggonabteils eingeritzt haben. — Fehlt noch, daß man um diesen Speisewagen der Orient-Gesellschaft ein Museum herumbaut. * Verschiedene Meldungen. Wien, 5. Dez. Die „Reichspost" fordert zu Samm lungen für „die österreichischen Soldaten auf, die Heuer das Weihnachtsfest fern von ihren Lieben, losgerissen von der Heimat, inmitten des rauhen Winters, in un wirtlichen Gegenden in verantwortungsvollem Dienst feiern müssen". Belgrad, 5. Dez. Kronprinz Alexander ist mii dem ganzen Armeestabsquartier aus Saloniki in Üsküb eingetroffen. . Cetjnje, 5. Dez. Der Befehl zur Einstellung der militärischen Operationen auf allen Gefechtslinien wurde im Laufe deS Tages den Truppenkommandanten mit- ^eilt. OKerreickiicb-lerbilcker Konflikt. Nachdem der Waffenstillstand von Tschataldscha, wenn auch zunächst ohne die Griechen, geschlossen ist und die Friedensverhandlungen in wenigen Tagen beginnen, darf man den Balkankrieg als beendet betrachten, falls sich die feindlichen Balkanbrüder nicht noch untereinander hauen, was schließlich nicht ausgeschlossen ist. Indessen steht das nicht mehr so im Vordergründe des Interesses, als die trotz aller Friedensversicherungen nach wie vor sehr gespannte Lage in Europa: Österreich auf der einen und das durch Rußland gestützte Serbien auf der anderen Seite. Bevorstehendes österreichisches Ultimatum. Nicht mehr der Adriakonflikt beherrscht jetzt allein die politische Situation in Wien. Da hätte man Serbien schon schnell klein gekriegt. Schlimmer ist eigentlich und für dte Aufrechterhaltung des Friedens gefährlicher der Fall des Konsuls Prochaska. Diesem und damit Osterreich- Ungarn selbst scheinen die Serben so übel mitgespielt zu haben, daß sich die Habsburgische Monarchie in ihrer Ehre verletzt fühlt. Und das sind leider Dinge, in denen die Völker nicht zu spaßen pflegen. Österreich hat auch bereits in Belgrad energisch Genugtuung verlangt, ohne daß die serbische Regierung bis jetzt diesem Verlangen Folge ge leistet hat. Sollte Serbien sich auch weiterhin nicht dazu verstehen wollen, so wird Österreich, wie mit Bestimmtheit aus Wien verlautet, Genugtuung in Form eines kurz sichtigen Ultimatums fordern. Dann muß sich die schwere Schicksalsfrage: „Krieg oder Frieden?" iv wenigen Stunden entscheiden. Die wilde russische Presse. Die Reichskanzlerrede hat in Rußland lange nicht den freudigen Widerhall ausgelöst, wie in fast allen übrigen Großstaaten. Die „Nowoje Wremja" behauptet, die öster reichisch-ungarische Kriegstüchtigkeit stehe lange nicht auf der Höhe, und fährt dann fort: „Unter solchen Bedingungen dürfte Deutschland eine Kriegsdrohung sich wohl über- legen, wie mächtig es auch sei. Mit ganz Europa könne es den Kampf nicht aufnehmen. Das deutsche Volk sei außerdem nicht gesonnen, die jahrelange Arbeit der Armee, der Flotte, des Handels und der Industrie einer Laune Österreichs zu opfern." Die „Nowoje Wremja" rät end lich der russischen Staatsrentei, die Milliarde Staats gelder, die sich in deutschen Banken befinden, vorsichts halber zurückzuziehen. Der „Retsch" fordert daraufhin Ssasonow auf, Rußlands Programm in der Duma dar- Politische Kunälckau. Deutsches K.eich. 4- Die Zweite sächsische Kammer hat das neue sächsische Volksschulgesetz angenommen, allerdings mit mehrfachen grundlegenden Abänderungen. Es wurde u. a. beschlossen, die Einführung der allgemeinen Volksschule mit einer höheren Abteilung vom dritten Schuljahre an, ferner Schulgeldfreiheit, konfessionelle Volksschule, Befreiung der Dissidentenkinder vom Religionsunterricht, Einrichtung der obligatorischen Mädchenfortbildungsschule, Wegfall des Gelöbnisses der Bekenntnistreue durch den Lehrer, die Möglichkeit, daß Frauen Mitglieder des Schulvorstandes sein können, sowie die Einführung eines Landesschul beirats. Die Abstimmung war eine namentliche, die An nahme erfolgte mit 61 gegen 28 Stimmen. Die Konser vativen stimmten geschlossen dagegen. Ein National liberaler enthielt sich der Abstimmung. Das Gesetz geht nunmehr an die Erste Kammer. Ob diese allerdings das Gesetz in der abgeänderten Form annehmen wird, scheint siniaermaßen fraglich zu sein. 4- In Dresden fand am Donnerstag in Gegenwart deS Königs August die Jubelfeier der fünf sächsischen Handelskammern Dresden Leipzig, Chemnitz, Zittau und Plauen statt, die vor 50 Jahren geschaffen wurden. Der König hielt bei der Gelegenheit eine Ansprache, in der er betonte: „Ich habe die feste Zuversicht, daß dem Deutschen Reiche unter der Führung seines Kaisers und unter dem Schutze seiner Land- und Seemacht die Segnungen des Friedens noch lange erhalten bleiben. Wir alle aber, die wir uns der Vorteile des Friedens er freuen, wir wollen es uns in diesen ernsten Zeiten gesagt sein lassen, daß wir uns dieses kostbare Gut nur wahren, wenn wir uns fernhalten von aller weichlichen Genußsucht und wenn wir gewillt sind, nicht nur im gebotenen Augenblick Gut und Blut einzusetzen, sondern unser persönliches Wohl dem Dienste des Vaterlandes unter zuordnen." 4- Die Bestimmungen über Diplomatenehen, die in der Praxis etwas sehr in Vergessenheit gekommen sind, sollen nach einer Verfügung des Reichskanzlers wieder schärfer gehandhabt werden. So ist es unseren Diplomaten im auswärtigen Dienst nicht gestattet, eine Ehe mit einer Ausländerin einzugehen, weil man das im Interesse deS Dienstes für unzuträglich hält. Dieses Verbot ist bisher kaum wirksam geworden. In Zukunft sollen jedoch die jenigen, die absolut eine Ausländerin heiraten wollen, keine weitere Verwendung mehr im auswärtigen Dienst finden. 4- Der Staatssekretär des Reichsamts des Innern Delbrück beabsichtigt schon jetzt vermittelnd in die Tarif- Verhandlungen im Baugewerbe einzugreifen. So hat er an den Vorsitzenden des Gewerbe- und Kaufmanns gerichts in München ein Schreiben gerichtet, in dem er es im öffentlichen Interesse für zweckmäßig erklärt, schon jetzt die Einleitung von Tarifverhandlungen im Baugewerbe vorzunehmen. Der Tarif läuft zwar erst am 31. März ab, es drohe jedoch ein so schwerer Kampf im Baugewerbe, daß alles getan werden müsse, um ihm schon jetzt vor zubeugen. 4- Der Kronprinz von Rumänien stattete am Mittwoch dem Reichskanzler Dr. o. Bethmann Hollweg einen etwa einstündigen Besuch ab und folgte dann einer Einladung des rumänischen Gesandten Dr. Beldiman zur Frühstücks tafel in der Gesandtschaft. Dazu war auch Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter geladen. Donnerstag vormittag um 8V- Uhr verließ der Thronfolger Berlin, um nach Bukarest zurückzukehren. Der Besuch in Berlin ist jeden falls von Bedeutung für die bevorstehenden Entschließungen Rumäniens in politischer oder militärischer Beziehung. Zur Verabschiedung war auf dem Bahnhof in Berlin Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter erschienen. Wie endlich die ^Reichspost" wissen will, wird sich der Kronprinz auf der Rückreise von Berlin in Wien aufhalten, bei Kaiser Franz Josef in Audienz erscheinen und auch mit dem Minister des Außem Grafm Berchtold eine Begegnung haben.