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»Du, Lvre, das sage ich dir, hast d^l die gräßlichen Dinger wieder durch den ho.lben Garten gesteckt, dann fliegen sie ohne Gnade über den Zaun. Ich habe keine Lust, mich in den Scheusälern wie in einem Fuchseisen zu sangen und alle Nasen lavig über sie zu stolpern. Nun komm mal schleunigst mit un'd bring' sie weg." Leonore gab lachend ihrer Kugel noch einen über mütigen Stoß, dann zog sie den Vater die Treppe hin unter. „Schrecklicher Tyrann! Nun bringt man das uner hörte Opfer, sich hier zu vergraben, und muß sich auch noch das letzte bißchen Lebensfreude verkümmern lassen." Der Justizrat schaute die hübsche, jugendliche Frau mit dem lebensfrohen Gesicht von der Seite an. „Du siehst mir gerade aus, mein Döchting, als ob du dir was verkümmern ließest." Leonore lachte. — „So, meinst du, alter Pa? Übrigens, von wem ich das Sichwehren gelernt habe, das wissen wir doch alle beide, nicht wahr?" Der Justizrat hatte ihren Arm losgelassen und brummte etwas von gerechter Vergeltung vor sich hin. Indessen merkte man ihm offen genug die Freude an der Tochter an. Leonore ging in ihrem schleppenden Sommerkleids die Wege entlang und zog einen Reifen nach dem andern aus dem Boden. Jedesmal, wenn sie sich bückte, stieg ihr das warme Blut in die Wangen. Dann ging sie wieder zu ihrem Vater. „Wer hat denn sein ganzes Leben den Menschen und dem Schicksal die Krallen gezeigt? Wer ließ sich nicht unterkriegen und b-ehauptete, es sei elende Schwäche, sich zum Amboß machen zu lassen, und wer's tue, verdiene nichts Besseres?" „Du zeichnest ja einen reizenden Egoisten. Alle Achtung!" sagte der Justizrat trocken, indem er sorgfältig eine herrliche La Francs aufband. Leonore lächelte. Hilfsbereit hielt sie ihm mit der Rechten die blütenschwere Krone des Rosenstammes. „Sieh' mal, welche Pracht! Mit den echten, edlen Rosen ist's doch wie mit der echten, edlen Schönheit — beide blühen bis spät in den Herbst hinein." „Hm!" Der Justizrat sah in das frische Gesicht vor ihm, das so plötzlich von nachdenklichem Ernst überzogen war. „Hm ja, wenn man beides hübsch hütet, die Rosen und die Schönheit nämlich. Vor allem nicht mehr das Blühen erzwingen wollen, wenn schon der Winter droht. Weißt du, kluge Lore, immer alles rechtzeitig." „Ja, du noch viel klügeres Papachen, immer alles rechtzeitig. Ach, lieber Gott welche Unsumme von Weisheit liegt in den paar Worten!" — Sie lächelte schon wieder. „Um übrigens nochmals auf den Amboß zu kommen — du fuhrst mir vorhin mit einer Anklage gegen den Egoismus und dergleichen zwischen meine Ausführungen — der also, der immer die Krallen zeigte, er tat's nicht aus Egoismus, sondern weil er wie ein Wächter vor seinem viel zu menschenfreundlichen, viel zu großmütigen Herzen stehen mußte, damit nur keine Meirschenseele etwas von seinem schrecklich altmodischen Idealismus ahne, sonst hätten ihm die Menschen auch den zertreten —" „Sei still, Lore, und gib mir mal den Bast da her." Bentin nahm gern in Momenten besonders guter Laune, und gerade seiner Tochter gegenüber, eine Barsch heit an, die durch den Mecklenburger Dialekt eine gemüt liche Färbung erhielt. Freilich paßte dieser Ton eigentlich nicht zu dem feinen, gsistvollen Gesicht, mit dem ungemein liebenswürdigen Ausdruck von Humor und ganz, ganz feiner Ironie. Er sah aus wie ein Mensch, der nach mancherlei Kampf oben steht und nun von dieser Höhe ruhig, zuweilen voll Mitleid, zuweilen voll leisem Spott auf das eifrige Gewimmel zu seinen Füßen blickt. So, als wolle er sagen: „Ich habe mich genug geplagt mit euch, nun habe ich die Sache satt. Nun helft euch selbst, ich will nichts mehr mit euch zu tun haben, sondern nehme mein eigenstes Eigentum und setze mich in eine 't>lle Ecke — und wer mich dort stört, den hole der Kuckuck!" Leonore reichte ihm denn auch den Bast ohne das ge ringste Verwundern über diese angenommene Schroffheit. „Na, also jener heimliche Idealist war mein Lehr meister, oder vielmehr muß eS noch sein, denn ick steb' leider oder auch Gott sei Dank — ich weiß zuweilen selbst nicht, was man da sagen soll — noch mitten drin im groben Kribbelkrabbel." „Sag' du getrost: „Gott sei Dank", mein Döchting, du hast das Alter und die Gaben dazu. Sieh' dich nur vor, daß Regen und Sonnenschein stets richtig verteilt sind, und dann denk' an das mit dem Blühen, wenn's naturgemäß zwar nicht Winter, aber doch Herbst sein müßte." Leonore warf die Reifen klirrend in den Krocketkasten. Die frischen Farben ihres Antlitzes wichen einer leichten Blässe. „Ich verstehe, Vater. Und da mein Lehrmeister auch zugleich mein bester Freund ist, so sage ich ihm: Keine Sorge! Ich hab' mein Lebtag einen klaren Kopf gehabt und weiß ganz genau, was sechs Jahre mehr in meinem Alter bedeuten. Allerdings, das bekenne ich, hätte sich er füllt, was ich gewünscht und gehofft habe — guter, alter Papa — es wäre ein Leben ganz voll Sonne gewesen. Glaubst du nicht, daß eine Edelrose lange dabei blühen könnte?" „Mein Kind, da wir denn einmal in Bildern sprechen — die alleredelste gerade nicht. Es ist nicht zu sagen, wie penibel man gerade mit dieser umgehen mutz. Da kommt eine gröbere, die urgesund und weniger sensitiv ist, schon besser fort." Er steckte die Rosenschere in die Joppentasche, zog den Arm seiner Tochter durch den seinen und ging mit ihr dem Hause zu. „Wir haben uns verstanden, Döchting, obgleich wir närrisch genug in allerlei Gleichnissen geredet haben. Be halte du den klugen, klaren Kopf und dein warmes Herz, treib' dich munter und fidel in dem Gewimmel herum, solange du Spatz an der Sache hast. Und wenn du mir meinen Winkel hier reichlich lebendig machst, ich will darob nicht brummen." Sie betraten durch den Bogengang die Halle. Hoch und hell wölbte sich die Decke des Treppenhauses. Unwillkürlich sah der Justizrat hinauf. — „Du, Lore, guck' sie dir noch mal an. Jst's nicht etwas zu Hübsches um diese freiragende Treppe? Vornehmheit, Anmut und Stolz, alles spricht sich in diesem freien edlen Schwung der Linien aus. Das nimmt den Druck vom Gemüte, oder läßt ihn gar nicht aufkommen." Lore nickte. Der Schatten in den hellblauen Augen begann zu weichen. Leichten Schrittes ging sie die Stufen hinan. „Wir werden schon fertig mit dem Druck, mein kluger Lehrmeister. Zuvörderst stellen wir das Nestchen hier auf den Kopf. Denke daran, morgen die erste Partie." Droben blieb sie einen Augenblick vor einer Flügeltür stehen, hinter der man Helle, abgebrochene Laute vernahm, wie Kinder sprechen, aber nicht heiter und zufrieden, sondern herrisch und scharf; dazwischen eine Frauenstimme, die weich und bittend zu beruhigen suchte. Schon legten sich Leonores Finger um den Türdrücker. „Sie wird wieder nicht mit ihnen fertig", murmelte sie halb mitleidig, halb spöttisch, aber dann zog sie doch die Hand wieder zurück. „Nein, noch nicht. Mag sie sich selber helfen." Lore wandte sich ab und schritt den teppichbelegten, mit farbenfreudiger Wandmalerei geschmückten Gang hinunter zu ihren eigenen Zimmern. Ein ganzer Stoß Briefschaften lag auf dem Schreibtisch. Frau von Torben hatte nicht allein eine sehr aus gedehnte Korrespondenz, sie führte auch alle Geschäfte selbst, verwaltete ihr eigenes Vermögen und stand, seit sie Witwe war, dem Haushalt des Vaters vor, wie sie es als Mädchen getan, in vollkommener Selbständigkeit. Sie setzte sich in den Armstuhl und begann ein Kuvert nach dem andern zu öffnen. Zuweilen schrieb sie eine kurze Notiz an den Rand oder legte verschiedene Sachen zur Beantwortung in ein besonderes Fach. Nun hielt sie ein Kuvert kleineren Formats als die großen Geschäftsbriefe in der Hand. Es war elegantes, englisches Papier, wie es gerade Mode war, die Auf schrift offenbar von Männerhand, der Poststempel der der Residenz. (Fortsetzung folgt.) ^)er rote Um. Von Rudolf Krauß-Stuttgart. (Nachdruck verboten.) Es war in einer friedlich stillen Sommerfrische des badischen Schwarzwaldes, wohin ich mich zurückgezogen hatte, um in arbeitsamer Einsamkeit die heißesten Wochen des Jahres zu übersteheu. Anfangs waren die Mit bewohner des kleinen Kurhauses, das mich beherbergte, wenig angetan, meine Vorsätze ins Wanken zu bringen. Aber eines Tages traf zu längerem Aufenthalt ein Ehe paar ein, das alsbald meine Teilnahme in hohem Grade fesselte. Sie kamen aus einem westfälischen Jndustrie- bezirk, wo der vielseitig gebildete Mann Fabrikbesitzer war. Seine Frau mochte kaum über die Mitte der Dreißiger hinaus sein: trotzdem umrahmte schneeweißes Haar ihr feines Gesicht, dessen vom Gram durchfurchte Züge noch deutlich die Spuren allzu früh hingeschwundener Schönheit zeigten. Sie hatte etwas Scheues, Weltfremdes in ihrem Wesen und zugleich etwas Hoheitvolles, wie es nur das Unglück verleihen kann, so daß auch die Neu gierigsten und Taktlosesten aus unserer Umgebung von vornherein auf jeden Annäherungsversuch verzichteten. Ihre liebste Beschäftigung war, in den Hütten der be dürftigen Dorfbewohner einzukehren und die Eltern mit Geld, die Kinder niit allerhand nützlichen Gegenständen zu beschenken, wobei sie sich mcht scheute, den ärmlichsten und schmutzigsten Knaben und Mädchen Mutterdienste jeglicher Art zu leisten. Nach Verlauf von acht Tagen dehnte sie ihre wohltätigen Besuche auf die Nachbarorte aus. Ihr Gatte ließ sie still gewähren. Und sie schien es zu freuen, daß er mit seinem verdoppelten Bedürfnis menschlichen Umganges sich von Tag zu Tag enger an mich schloß, ob gleich sie sich selbst nicht minder von mir als von den anderen zurückhielt. Wir Männer saßen an der Tafel nebeneinander, während sie auf ihrem Zimmer speiste, und gingen oft gemeinsam spazieren. Nach drei Wochen war unser Verhältnis fast bis zur Freundschaft gediehen. Ich glaubte ihm anzufühlen, daß er schon einige Tage mit dem Entschlusse rang, mir über das seltsame Wesen seiner Frau Aufklärung zu geben. Eines Abends, als wir nach der Mahlzeit noch im Halbdunkel einen Gang auf ein samen Waldpfaden machten, begann er wirklich, nach kurzer Einleitung, mir die Geschichte seines Unglücks zu erzählen. Ich wiederhole sie möglichst mit seinen eigenen Worten, die ich in treuem Gedächtnis bewahre. „Vor drei Jahren verloren wir unser einziges Kind unter so entsetzlichen Umstünden, daß die Lebenskraft meiner Frau dadurch für immer gebrochen ward. Er zählte damals noch nicht ganz zwölf Jahre, unser prächtiger Junge: in einem halben Jahre sollte er in das Gymnasium der Nachbarstadt eintreten. Bis dahin ließ ich ihn die Volksschule des kleinen Ortes besuchen, an den mich mein Beruf fesselte, und unterrichtete ihn selbst ein bißchen in Sprachen und einigen anderen Fächern. So mußten wir ihn doch nicht gar zu früh aus dem Elternhause schicken, was uns um so bedenklicher geschienen hätte, als bei unserem Hilmar eine stark entwickelte Phantasie und ein leicht reizbares Nervensystem die liebevollste persönliche Behandlung erforderten. Eines Mittags war er in ungewöhnlicher Erregung aus der Schule heimgekommen; wir halten es sofort be merkt. Aber nach einer wiederholt an ihm gemachten Er fahrung nahmen wir an, seine Nerven würden sich am schnellsten beruhigen, wenn wir uns gar nicht weiter um die Störung und deren Ursache kümmerten. Um ihn auf andere Gedanken zu dringen, hatte ich ihn nach Tisch auf einen Waldspaziergang mitgenommen, was sonst seine höchste Lust war. Still aber und in sich versunken, ging er neben mir her, während ich ihm von dem natürlichen Schöpfungsprozetz so viel berichtete, wie mir seinem jugendlichen Fassungsvermögen angemessen schien. Da tönte plötzlich mitten in meine Belehrung hinein aus einer ganz fremdartigen Gedankenreihe heraus sein Aufschrei: „Er bringt mich um, er bringt mich sicher um!" Das Schreckenswort erschütterte mich fast mehr noch durch den Ton, in dem es hervorgestoßen ward, als durch seinen Inhalt. „Was ist dir begegnet? Wer hat dir etwas zuleide getan?" fragte ich sanft. Statt einer Antwort wiederholte er nun „Er bringt mich ganz gewiß um, er haks sa ge ¬ schworen!" Ich legte meinen rechten Arm aus die Schulter deS zitternden Knaben; er schlang seinen linken um meine Hüfte und schmiegte sich dicht an mich. So schritten wir langsam weiter. Noch einmal fragte ich, von wem er rede. Das Bewußtsein der sichernden Vaternähe löste ihm endlich die Zunge. „Der Toni, weißt du, der rote Toni. Der widerliche Bengel, den keiner leiden mag, und den der Lehrer nur aus Barmherzigkeit in der Schule behält. Er sucht sich immer an mich zu drängen, obgleich er doch spüren mutz, wie er mir zuwider ist. Als wir heute auS der Schule gingen, hing er sich wieder an mich. Da bat er mich — es ist zu dumm — ich sollte ihn in meinem Bett schlafen lassen. Ich lachte ihn natürlich aus. Er wurde immer unverschämter. Nur eine einzige Nacht! Er wolle auch einmal wissen, wie es sich auf weichen Federn ruhe, statt auf Stroh und Lumpen. Denk dir, Vater: mein weißes, reines Bett! Ich Hütte mich nie wieder hineinlegen mögen, wenn der garstige Junge es beschmutzt hätte." „Und das hast du ihm gesagt?" „Hätt' ich denn nicht sollen?" gab er wehmütig zurück. „Du hast mich doch selbst gelehrt, stets die Wahrheit zu sprechen." Ich geriet ein wenig aus der Fassung. „Freilich tat ich so", bestätigte ich dann. „Aber es gibt doch Fälle, wo wir besser schweigen, verstehst du, schweigen, nicht lügen, falls wir durch die Wahrheit oder durch das, was uns Wahrheit scheint, andere kränken." „Also habe ich unrecht getan!" rief er traurig. „Aber es war doch keine so schwere Sünde, daß ich dafür den Tod verdient habe." Ich versicherte ihn, es handle sich um einen törichten Knabenscherz. In diesem Augenblick umgaukelte uns ein prächtiger Trauermantel, und ich lud Hilmar zur sonst stets willkommenen Schmetterlingsschlacht ein. Es gelang mir, wie es schien, ihn abzulenken, und wir kamen nicht mehr auf jenen Vorfall zurück. Aber ich merkte wohl, wie er innerlich in ihm fortwirkte. Er beherrschte sich bis zu dem Augenblick, da wir ihn zu Bett schicken wollten. Nun begann er mit hilfeflehenden Augen und geängstigter Stimme zu bitten und zu betteln, noch länger aufbleiben zu dürfen. Wir versprachen ihm, daß die Mutter bei ihm wachen werde, bis er fest ein geschlafen sei. Man mutzte ihm unter das Bett leuchten, hinter alle Möbel, in den Kleiderkasten hinein; dann ver langte er, die Türen sollten fest verriegelt werden. „Aber er kann doch durch das Fenster steigen", kam es von seinen bebenden Lippen. So sehr es meinen Erziehungsgrund sätzen widersprach, den Launen seiner Einbildungskraft nach zugeben, glaubte ich doch, in diesem heiklen Falle von der Regel abweichen zu sollen, da von einem Beharren darauf der Ausbruch einer schweren Nervenkrankheit zu befürchten gewesen wäre. Nachdem ich mit meiner Frau einen Blick des Einverständnisses gewechselt hatte, fragte ich Hilmar, ob man sein Lager neben dem meinen im großen Schlaf zimmer aufschlagen solle, während die Mutter in seinem eigenen Stübchen nebenan schlafen werde. Mit Freuden tränen dankte er mir für diesen Vorschlag. Die nötigen Umänderungen waren rasch vollzogen. Die Mutter blieb am Bett des jetzt völlig Beruhigten sitzen, bis ich mich selbst zur Ruhe begab, und als ich sie ablöste, fand ich ibn bereits eingeschlummertt Er schlief die ganze Nacht ohne Unterbrechung, und es war ganz überflüssig, daß die besorgte Mutter mehrmals aus dem Nebenzimmer herbeikam, um auf die gleichmäßigen Atemzüge ihres Lieblings zu lauschen. Ich war darauf gefaßt, daß Hilmar am andern Morgen sich weigern werde, die Schule zu besuchen, oder doch, ohne Begleitung hinzugehen. Das geschah aber nicht. „Er tut's bei Nacht, nicht bei Tag", hörte ich ihn vor sich hinmurmeln; verschlafen hatte er es also doch nicht. Gegen halb ein Uhr kam er in noch größerer Auf regung als gestern in das Speisezimmer gestürzt, wo meine Frau und ich, der Suppe- harrend, uns schon zusammeu- gefunden hatten. „Erdrosseln will er mich!" rief er. „Er hat's noch einmal geschworen!" (Schluß folgt.)