Volltext Seite (XML)
»Laß gut sein, Jane; du wirst gewiß bald wieder freigegeben werden/ Herbert sprach mit größerem Mut, als er ihn im Innern fühlte. „Aber wenn ich mit einem befleckten Namen zu dir zurückkommen müßte, dann will ich lieber gar nicht mehr wiederkehren, Herbert. Es ist genug, daß du ein niedrig geborenes Mädchen zu deinem Weibe gemacht hast, nie aber sollst du mich Wiedersehen, wenn ich von dem schreck lichen Verdacht, der jetzt auf mir ruht, nicht vollkommen gereinigt werden kann/ „Mein Liebling", murmelte er erschüttert, „ich würde überglücklich sein, dich unter jeder Bedingung zurück zuerhalten/ „Ich glaube dir, Herbert. Ich fange an, Leinen opferfreudigen Edelmut und deine große Liebe ganz zu verstehen, aber ich liebe dich auch viel zu sehr, als daß ich ein solches Opfer von dir annehmen könnte." „Was meinst du damit?" fragte er angstvoll und blickte ihr forschend in das bleiche, verstörte Gesicht. „Zwischen uns kann überhaupt nicht mehr von Opfern die Rede sein, Jane. Du bist mein Weib, und selbst wenn ich dich nicht so liebte, müßte ich ein Schurke sein, wenn ich dir nicht in der Stunde der Not zur Seite stehen wollte." „Ja, Geliebter, halte jetzt zu mir. Ich brauche so nötig Schutz und Beistand und ich habe ja niemand außer dir. Daß du später nicht deshalb zu leiden hast, dafür werde ich Sorge tragen." „Ich begreife wirklich nicht, was du meinst, Jane, aber ich muß dir gestehen, du vergrößerst meinen Schmerz und meine Sorge um dich mit diesen geheimnisvollen Reden. Mir ist nur die Trennung von dir so furchtbar, nichts anderes." „Die Schande ist schlimmer als Trennung, Herbert." „Was sprichst du nur van Schande, mein Herz? — Trägst du an irgendeinem dieser unglückseligen Vorfälle auch nur die geringste Schuld?" „Nein, aber die Welt wird mir die Verantwortlichkeit zuschreiben/ „Ich glaube kaum, daß die Welt so unbarmherzig mit dir verfahren würde, Jane. Du bist jung, schön und reich, und wer dich kennt, weiß, daß du nie einer solchen Hand lung fähig wärest. Und selbst wenn die Welt dich ver urteilte — brauchen wir nach der Meinung der Menschen zu fragen? Werden wir uns nicht selbst genug sein, so lange wir nur zusammen sind?" „Und wenn wir nicht zusammen sein dürfen?" — „O, Jane, lab uns nicht an so etwas denken! Wir haben genug an dem zu tragen, was uns bereits auferlegt ist. Wenn wir nicht beieinander sein dürften, was hätte das Leben dann für einen Zweck?" „In dem Falle wäre es allerdings zwecklos", er widerte sie mit der Ruhe, die ein Zeichen tiefster Re- signation ist. „Ich glaube, ich würde dann auch nicht weiter leben. Wenn man so ganz ohne Hoffnung ist, muß es leicht sein, zu sterben." „Ich weiß nicht, ob du recht hast. Man findet häufig, daß Menschen eine traurige, verfehlte Existenz lange Jahre weiterschleppen und schließlich an Altersschwäche und nicht aus Kummer sterben. Wenn man das Leben aus Leichtig keit von sich werfen könnte, sobald es einem zur Last wird, möchte es wohl wenig Menschen geben." „Doch kommt es manchmal vor", entgegnete Jane traurig. „Man armer Vater durfte in dem Moment gehen, in dem ihm das Leben den größten Schmerz brachte. Ihm ist viel Gram und vielleicht Schande er spart geblieben, und dieser Gedanke mildert ein wenig meine Trauer." „Ja, er ist schwerem Leid aus dem Wege gegangen", sagte Herbert und küßte leidenschaftlich Janes blaffe Lippen. „Wenn ich daran denke, daß ich dich jetzt fort lassen muß, nachdem ich jahrelang darauf gewartet habe, dich mein eigen zu nennen, ist mir's, als müßte ich wahn sinnig werden!" „Und alles um Ler Sünde anderer willen", murmelte Jane in starrer Verzweiflung. „Wenn Mrs. Norwood nie jenen Betrug verübt hätte, wäre ich als ihre Tochter und nicht als eines Herzogs Kind auferzogen worden. Ich würde mit meiner Lebensstellung zufrieden gewesen sein und du hättest eine andere geliebt und geheiratet." „Wobl kaum, Jane. Ich hätte dich als Miß Norwood gesehen und würde in dir sofort meine zukünftige Lebens gefährtin erkannt haben." „Das möchte ich bezweifeln. Aber was nützt es jetzig über etwaige Möglichkeiten Betrachtungen anzustellen. Ich bin nun einmal zur feinen Dame erzogen worden; man hat mich gelehrt, anspruchsvoll, stolz und vornehm zu sein, und ich könnte mich jetzt um keinen Preis in niederen Verhältnissen zurechtfinden." „Man würde dir auch sofort anmerken, Laß du nicht hineingehörst. In der Tat, Jane, es wird mir schwer, zu glauben, daß Mrs. Norwood nicht im Fieber ge sprochen hat. Es erscheint ganz unmöglich, daß du ihre Tochter bist." „Es ist aber so. Ich bin überzeugt, daß die sterbende Frau die Wahrheit sprach, und ich muß mich schon mit meiner Stellung zufrieden geben." „Nein, mein Liebling, du bist jetzt die Herzogin von Broadwood und nimmst die Stellung deines Gatten ein", erwiderte Herbert mit inniger Zärtlichkeit und bedeckte Mund und Augen des geliebten Weibes mit heißen Küssen. (Fortsetzung folgt.) Försters Marie. Eine Erzählung aus dem Walde von Ludwig Staby. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Das wissen wir, Gerd", sagte Marie, „aber es ist schrecklich, mein Mann ist Tag und Nacht draußen, er reibt sich vollständig auf, ich sehe ihn fast gar nicht mehr zu Hause, und dabei hat er gar keine Ahnung, wer der Unhold sein könnte." „Das wurmt mich ja am meisten", rief der Förster aus, „ich habe gar keine Erklärung, wer mir diesen Tort antun konnte." „Ja, das weiß ich auch nicht, Herr Förster, mich kümmert weder Wild noch Jagd. Doch ich muß weiter, und deshalb adjes zusammen." Er rückte seinen Hut, und mit langsamen Schritten ging er den Waldweg hinauf. „Mit dem Griesgram ist nichts anzufangen", murrte der Förster, „der hockt auf seinem Hofe und kümmert sich um Gott und die Welt nicht." „Mich dauert der arme Mensch", erwiderte seine Frau, „ich glaube, daß ein guter Kern in ihm steckt, trotzdem er schon früher als Duckmäuser angesehen wurde. Mir kommt er auch gar nicht so brummig vor, er grüßt mich immer sehr freundlich und unterhält sich auch ganz gut, wenn ich ihn anspreche." „Verlieb dich nur nicht gleich in ihn", lachte der Grünrock, indem er seiner Frau, die ihm schalkhaft drohte, einen herzhaften Kuß gab, womit er sich ver abschiedete, La ihn sein Dienst wieder ins Revier rief. Allmählich legte sich die Aufregung des Försters, nachdem alles Suchen nach dem Wilddieb vergeblich ge wesen, und ruhig und still flossen die Tage dahin, bis auf einmal gegen Ende Oktober alles wieder zu Ende war. Der Förster hatte auf einem Gestell im Walde einen verendeten Rehbock gefunden, gefallen von einer Kugel des selben Kalibers, die er aus dem Hirsch herausgeschnitten hatte. In fürchterlicher Aufregung kam er nach Hause, er schwur Stein und Bein, nicht eher zu ruhen und zu rasten, als bis er den verruchten Frevler gefaßt habe, und schlimme, einsame Tage brachen nun für Marie an, denn ihr Mann gönnte sich Tag und Nacht keine Ruhe. Bald war er tagsüber, bald während der Nacht im Revier, aber es war wie verhext, zu finden war nichts, selbst der so spurensichere Jagdhund Hirschmann hatte mit seiner feinen Nase nichts ausspüren können. Eines Abends rüstete sich der Förster wieder, um die Nacht im Revier zu bleiben, trotz der dringenden Bitten seines Weibes, die ihn anflebte, doch endlich diese unnütze Jagd aufzugeben. Um ihn dazu zu bewegen, sagte sie ihm, daß sie sich nachts im Forst- Hause sehr ängstige. „Heute noch laß mich gehen", sagte er abschied nehmend, „und um dich zu beruhigen, laß ich dir den Hirschmann hier, bei Sonnenaufgang bin ich auch wieder zu Hause." Viel Schlaf fand die junge Frau in dieser Nacht nicht, und als der Tag dämmerte, stand sie auf, um ihren heimkehrenden Gatten mit einem beißen Kaffee zu sr- auicken, denn die Nächte waren schon recht kühl. Doch der Kaffee kochte vergebens, der Förster kam nicht, und als er selbst am Mittag noch nicht zurück war, ging Marie, Hirschmann an der Seite, ins Rxvier hinaus, eine große erstickende Unruhe im Herzen. Doch so oft sie auch den Namen ihres geliebten Hans in den Wald hineinrief, nur das Echo antwortete ihr, und als sie abgemattet gegen Abend wieder im Forsthaus ankam, wo ihr Mann immer noch nicht eingetroffen war, da rannte sie in ihrer .Angst ins Dorf zum Amtsvorsteher, um ihm das Verschwinden ihres Mannes zu melden. Der alte Herr redete ihr gut zu, ihr Mann werde schon zurückkommen, er lauere gewiß auf den Wilderer, aber als sie gar nicht nachlieb, ging er doch mit zwei Männern mit ihr auf die Suche, nachdem er noch Meldung von dem Vorgefallsnen an die Ober försterei geschickt hatte. Am folgenden Tage wurden die Grünröcke der ganzen Gegend zur Suche aufgeboten, ihnen schloffen sich noch viele Freiwillige an, aber trotzdem das ganze Revier durchstreift wurde, vom Förster Wendel fand sich nicht eine Spur. Marie war untröstlich, und auf alle Einwendungen, daß ihr Mann vielleicht im Moor verunglückt sei, hatte sie ein entschiedenes Nein. „Er kannte Weg und Steg", sagte sie, „im Revier so gut, daß ihm selbst in der Stacht das nicht passieren konnte, nein, er ist von demselben Menschen ermordet worden, der den Hirsch und den Bock geschossen." Tagelang lag sie nun selbst im Revier; sie durchsuchte jeden Strauch und jeden Busch, und so oft ihr alter Vater sie von diesem törichten Beginnen abhalten wollte, sie ließ nicht nach, sie fand nirgends Ruhe mehr. Auf ihr Be treiben wurden die Schulen aufgeboten, die Jugend durch suchte unter der Leitung der Forstleute das Revier von einem Ende bis zum andern, aber alles vergeblich. So gingen Wochen und Monate dahin, die Weih nachtszeit kam heran, und zu Neujahr sollte Marie das Forsthaus verlassen, um dem Nachfolger ihres Mannes Platz zu machen. Allmählich wurde das Verschwinden des Försters von anderen Geschehnissen in den Hinter grund gedrängt, nur sie, die verzweifelte Frau, sann und suchte unaufhörlich nach dem Mörder ihres kurzen Glückes. Eines Tages saß sie wieder sinnend am Rand des kleinen, mitten im Wald gelegenen Moores, nur das Quarren der Wildenten und der heisere Schrei eines Habichts unterbrach die unendliche Stille, da sah sie den Waldschmidtbauern langsam den Deich, der mitten durch das Moor lief, herunterkommen. Sie kümmerte sich nicht um ihn, doch als er, beinahe neben ihr, sie plötzlich ge wahrte, blieb er erschreckt stehen und bot ihr Guten Tag. Sie stand auf und begrüßte ihn, da sagte er mit weicher Stimme: „Was läufst du nun tagtäglich hier im Wald herum, es sind doch schon über zwei Monate, seit Lein Mann fort ist, er kommt nicht wieder." „Das weiß ich selbst, Gerd", antwortete sie, ihm voll ins Gesicht sehend, „aber ich habe keine ruhige Minute, bis ich weiß, wo er geblieben ist." „Das wirst du wohl nie erfahren, das Moor gibt seine Beute nicht wieder heraus, und wo könnte er sonst geblieben sein, als hier im Moor verunglückt." „Ermordet ist er, ermordet, nicht verunglückt", schrie da das unglückliche Weib auf, so daß der Bauer erschreckt einen Schritt zurückwich. „Wie kannst du so etwas behaupten, dafür sind doch gar keine Anzeichen vorhanden." „Aber ich weiß es bestimmt", schluchzte sie auf, „ach, wer mir doch helfen könnte!" In seiner unbeholfenen Weise suchte Waldschmidt sie zu trösten, indem er darauf hinwies, daß der Förster, wie er auch umgekommen sei, doch nie wiederkehre und daß sie sich endlich doch darin finden müsse. Als sie sich getrennt hatten und Marie grübelnd ihrem einsamen Heim zuschritt, dachte sie lange über diese Be gegnung nach, sie wunderte sich, daß sie während der ganzen Zeit Len Waldhofbauern nicht gesehen hatte, er mußte ihr geflissentlich ausgewichen sein, ja, er hatte sich , auch nicht mal an der Suche nach ihrem Mann beteiligt, wie ihr jetzt einfiel. Immer tiefer spann sie sich in diese Gedanken ein und schließlich stand es bei ihr fest, daß; Waldschmidt mehr von dem Ende ihres Mannes wisse, als er sagen wollte. Aber wie das von ihm erfahren? Tagelang verlieb sie jetzt das Haus nicht, immer mit diesem Gedanken beschäftigt, bis sie endlich mit sich im klaren war mnd einen festen Entschluß gefaßt hatte. Am nächsten Tage paßte sie am Fenster auf, und als der Bauer zum Dorf herabging, rief sie ihn an und bat ihn, doch einen Augenblick hereinzukommen, sie habe ihm etwas zu sagen. Zögernd betrat Waldschmidt das Forsthaus, aber die Försterin nötigte ihn zum Sitzen und sagte zu ihm: „Gerd, ich habe trotz deines verschlossenen Wesens immer Vertrauen zu dir gehabt, ich habe mir überlegt, was du neulich sagtest, und ich finde, du hast recht, mein Mann kommt nicht wieder, und ich muß und will ihn vergessen. — Ich bin noch zu jung, um mein ganzes Leben zu vertrauern. Aber was soll ich machen, wenn ich nicht bestimnkt weiß, ob ich Witwe bin oder nicht? Mögen alle sagen, dein Mann ist tot, ich weiß es nicht genau, und das quält mich am meisten. Deshalb, Gerd, zeige dich als Freund, für den ich dich immer gehalten, und hilf mir, daß ich zu dieser Gewißheit komme." „Was ich dazu tun kann, soll gewiß geschehen", sagte der Bauer, indem aus seinen Augen ein begehrlicher Blick die Gestalt der jungen Frau überflog, „aber ich glaube nicht, daß ich dir dazu helfen kann." „Nun, wir wollen sehen, und ich will auch wieder vergnügt werden", lächelte die Frau, indem sie ihm zum Abschied die Hand reichte. Als ani nächsten Tage der Waldhofbauer draußen am Moor mit Aufschichten seines Torfes beschäftigt war, wurde er plötzlich von einer Hellen Stimme angerufen, und als er überrascht aufblickte, stand die Förstermarie vor ihm, ihn niit freundlichem Handschlag begrüßend. „Na, Gerd", sagte sie lächelnd, „hast du noch nichts gefunden?" Und als er verneinend den Kopf schüttelte, legte sie ihm vertraulich die Hand auf die Schulter und sagte: „Mir ist eingefallen, wenn du mein Freund bist, muß ich dir auch alles sagen, komm, setze dich her zu mir." Dabei ließ sie sich auf dem Torfhaufen nieder, und er setzte sich an ihre Seite. „Was ich dir jetzt sage", begann sie, „ist nur für dich allein, ich habe es noch keinem Menschen anvertraut. Wirst du zu niemand darüber reden, sondern ewig Stillschweigen bewahren?" „Wie das Grab", beteuerte er beklommen, indem ihm eine heiße Glutwelle über das braune Gesicht zog, als sie zur Bekräftigung seine Hand umfaßte. „Sieh, Gerd, als ich den Förster Wendel heiratete, war ich ihm in herzlicher Liebe zugetan, und er mir an scheinend auch. Aber schon nach wenigen Monaten, als er mich so viel und oft allein ließ, kamen mir manchmal Zweifel, und als er eines Tages in seinem Schreibtisch den Schlüssel hatte stecken lassen, stöberte ich nach und fand zu meinem Schrecken mehrere Briefe eines Mädchens aus der Gegend, wo er als Forstaufseher in Stellung war. Ich ersah daraus, daß er das Mädchen liebte, er hatte sie aber im Stich gelassen, weil er mein Geld wollte. Was sagst du dazu?" „Der Schuft!" murmelte der Bauer erregt, indem sich seine Fäuste ballten. „Natürlich gab es bei seiner Rückkehr großen Krach", fuhr sie fort, und seit der Stunde war es aus mit uns, trotzdem wir nach Verabredung vor den Leuten so taten, als wäre nichts vorgefallen, als seien wir, wie zu Anfang, ein Herz und eine Seele." „Das konnte er dir antun, der schlechte Kerl," entrang es sich dem bebenden Munde Gerds, „das hätte ich ahnen sollen." „Nun siehst du, Gerd, deshalb muß ich die felsenfeste Gewißheit hasten, ob er tot ist, ich trauere ihm ja nicht nach, aber das muß ich wissen, denn wer weiß, vielleicht will mich doch noch einmal einer heiraten, und daran darf ich nicht denken ohne diese Gewißheit. Was meinst du?" Bleich bis in die Lippen saß der Bauer da, unruhig flackerten seine Augen hin und her, seine Brust arbeitete heftig, aber er sprach kein Wort. (Schluß fotzt.)