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tzt stets und ließ die Gold- und Silbermünzen in der Tasche klappern. „Mir war damals, als müßte ich wahnsinnig werden", schluchzte Naomi. „Ich dachte natürlich, daß er die andere mehr liebte als mich und ich wollte auf keinen Fall seine Liebe mit ihr teilen. Ich sagte ihm das und forderte ihn auf, zwischen mir und der Unbekannten zu wählen. Da küßte er mich und nannte mich eine kleine Närrin. Mir gefiel jedoch sein ganzes Wesen nicht mehr; er war anders geworden, und ich beobachtete ihn so scharf ich konnte. /Von Brightwell kamen wir direkt Hierher. Als ich eines Tages im Ladywald dürres Hotz sammelte, hörte ich Stimmen in der Nähe. Die eine war Johns, ich konnte aber nicht verstehen, was er sprach. Vorsichtig schlich ich mich etwas näher und versteckte mich hinter dichtem Gebüsch. Da sah ich, daß sich John und Lady Beaumont zusammen im Wildhüterschuppen befanden und sehr eifrig miteinander sprachen. Die Worte konnte ich teider nicht verstehen, aber ich bildete mir ein, daß sie sich liebten." „Erschien dir dies nicht sehr unwahrscheinlich, Naomi?" „Nein, durchaus nicht. Ich hielt John für den schönsten Mann in ganz England und würde mich nicht gewundert haben, wenn eine Prinzessin gekommen wäre, um ihn von mir abzuwenden. Ich liebte ihn so sehr", fügte das Mädchen mit einem traurigen Lächeln hinzu. „Und dann?" forschte Herbert ungeduldig weiter. — „Dann ... ja dann wartete ich, bis Lady Beaumont ge gangen war. Die Eifersucht machte mich fast toll. Ich stürzte hervor und beschuldigte ihn des Verrats an mir. Er leugnete es nicht." „Er leugnete es nicht?" wiederholte der Herzog in unverhohlenem Staunen. „Nein, er hatte vielleicht nicht Lust, mir die Wahrheit zu sagen, und so ließ er mich glauben, was ich wollte, um mich auf eine falsche Spur zu leiten. Außerdem, sagte er, möge er nichts mehr mit mir zu tun haben. Er hätte jetzt viel Geld und vornehme Freunde und könne sich er lauben, ein wenig höher zu sehen. Eine arme Zigeunerin sei ihm eigentlich lange nicht mehr gut genug gewesen. Ich dachte, mein Herz würde brechen, als ich das hörte; ich weiß, ich betrug mich dann wie eine alberne Närrin, denn ich fiel ihm zu Füßen und bat und flehte, er solle mir treu bleiben. Da stieß er mich unbarmherzig von sich, nannte mich eine Lumpendirne, eine verdrehte Närrin und schwor, er hätte sich nie eine Spur aus mir gemacht. Plein Blut kochte — es schien mir wie glühendes Eisen durch die Adern zu rasen — in meinen Schläfen hämmerte es mit tobender Gewalt und eine teuflische Stimme wisperte mir ins Ohr: gib ihn nicht auf ... will er dir nicht gehören, so laß ihn auch keiner andern . . . da steht sein Gewehr... sei nicht die feige Törin, für die er dich hält. . . Ja — da stand sein Gewehr — das Unglück wollte es so. Es kann ihm jetzt nicht mehr schaden, wenn ich sage, daß John ein großer Wilddieb war. Jedenfalls hatte er an jenem Tage auch die Absicht, einen schönen Rehbock mit nach Hause zu nehmen, denn sein Gewehr lehnte an einem Baum dicht neben mir. In meine- wahnsinnigen Eifersucht ergriff ich es und richie-e den Lauf auf seine Brust. „Wer ist nun der grösste Narr, dn oder ich", fragte ich heiser vor Wut. „Du natürlich", lachte er höhnisch, „wenn du denkst, daß ich mich vor dir fürchten werde." Ich wollte an dem Hahn nur wenig rühren, damit sein Knacken John beweisen sollte, daß ich es ernsthaft meinte. Aber ich weiß nicht, wie es zuging, mein Ärmel muß sich darin verfangen haben — das Gewehr entlud sich von selbst. Im nächsten Augenblick sah im John mit dem Gesicht nach unten, auf einem Schneehaufen liegen. Er war tot — ganz tot . . „Bist du sicher, daß er tot war, Naomi?" „Ja, E. er Gnaden. Ich hob ihn auf und legte ihn auf den Rücken. Die Kugel muß gerade durchs Herz gegangen sein, denn als ich das Hemd öffnete, sah ich auf der Stelle, wo ich so oft sein verräterisches Herz schlagen fühlte, ein kleines rotes Loch, aus dem ein paar Tropfen sickerten. Sein Unterkiefer war herabgefallen und die Augen starrten mich ganz verglast an. . . o, es war fürchterlich l Ich habe ihm die Augen zugedrückt... und . . . und ihn noch einmal geküßt . . . aber ich sehe, ich fühle immer noch den gräßlichen Blick auf mir ruhen l" Schaudernd barg Naomi das Gesicht in den Händen; die schwarzen Haarmassen fielen nach vorn und bedeckten es ganz. Wie eine büßende Magdalena lag sie zu Herberts Füßen. Er versuchte sie aufzuheben, aber Naomi ließ es nicht zu. „Ich bin noch nicht zu Ende", sagte sie leise. „Als ich mich überzeugt hatte, daß John wirklich tot war, be deckte ich ibn, so gut ich konnte, mit Schnee und ließ ihn allein in seinem weißen Grabe. Bevor noch der nächste Morgen anbrach, war ich schon mit meinen Leuten weit fort, und ich habe nicht eher etwas gehört, als bis wir jetzt wieder hierher zurückkamen. Da sagte man uns, daß John Norwood erschossen im Walde gefunden wäre und daß Lady Beaumont des Mordes an ihm beschuldigt und verhaftet sei." „Und warum bist du da nicht sofort mit einem Ge ständnis vorgekommen?" fragte der Herzog streng. „Die Leute sagten, die Herzogin würde sicher frei gesprochen werden", flüsterte Naomi kaum hörbar. „Und ich ... o, ich fürchte mich so entsetzlich vor dem Tode ... mich werden sie nicht wieder fortlassen ... es wird mir niemand glauben, daß der Schuß von selbst losgegangen ist ..." In grenzenloser Angst stieß sie die Sätze hervor und rang verzweifelt die Hände. „Es war deine Pflicht und Schuldigkeit, dich dem Gerichte zu stellen, sobald du hörtest, daß eine andere für deine Schuld büßen sollte", entgegnete der Herzog rauh. „Du sagtest selbst, daß Lady Jane dir stets eine gütige Wohltäterin gewesen ist, und dock konntest du so grausam, so schändlich an ihr handeln? Geh, Mädchen, ich habe kein Mitleid mit dir! Wenn ich an mein armes Weib denke, wie es mir gleich nach der Trauung aus den Armen gerissen wurde, um in den Kerker geworfen zu werden — o, dann könnte ich dir fluchen!" „O, nur das nicht!" schrie Naomi wild auf und erhob sich taumelnd vom Fußboden. Das Gewitter hatte sich inzwischen etwas verzogen, doch schien es jetzt wieder näher zu kommen. „Fluchen Sie mir nicht, gnädiger Herr", sagte Naomi mit heiserer, tonloser Stimme. „Gott wird mich schon hart genug straken." Sie bewegte sich nach dem Fenster zu, als wollte sie sich wieder durch dasselbe entfernen. Da hielt Herbert sie zurück. „Ich gebe dich nicht eher frei, als bis du dein Ge ständnis auch vor Zeugen gemacht hast", sprach er in ernstem, aber weniger hartem Tone. „Das ist bereits geschehen, Euer Gnaden", erwiderte sie, ihm fest und ruhig in die Augen sehend. „Die Polizei ist mir auf der Spur, aber hier ist der letzte, Ort, wo man mich suchen wird — deshalb war ich bis jetzt sicher. Doch nun habe ich alles gesagt und so muß ich denn gehen." Gerbert kämpfte einen Augenblick mit sich, dann sagte er leiie: „Wenn du hier sicher bist, so bleibe!" Bei diesen edelmütigen Worten zuckte es eigentümlich in den starren, finsteren Zügen der Zigeunerin. . Sie fiel -och einmal vor ihm auf die Knie und küßte mit leiden- chnstiicher Bewegung seine Füße. „ Penn Sie mir vergeben können, dann wird Gott es auch tun", murmelte sie, und ein wunderbarer Glanz leuchtete aus den großen, nachtdunklen Augen Herbert entgegen, als er sie sanft vom Boden aufhob. Plötzlich zuckte sie zusammen. Pferdegetrappel und Stimmengewirr hallten aus einiger Entfernung herüber. „Das sind die Gendarmen ... sie sind hinter mir... Gott sei mir gnädig!" rief Naomi in Todesangst und schw-anq sich blitzschnell aus dem Fenster. Herbert wollte sie festhalten, doch schon war sie draußen und raste in tollem Lauf über den freien Platz vor dem Schloß dem Parke zu. Da zuckte wieder ein greller Strahl vom Himmel und tauchte für eine Sekunde lang die Gestalt des Mädchens in blendendes Licht. Wuchtig dröhnte der Donner gleich hinterdrein und ließ die Fensterscheiben des Schlosses er klirren. Mit diesem letzten fürchterlichen Schlage schien sich die Macht des Unwetters endlich zu erschöpfen. Als der nächste, weit schwächere Blitz die Szenerie wieder erhellte, V *7 '^7 r-- d' -7- s K s?^ KZ F sah Herbert auf demselben Fleck, wo er Naomi zuletzt erblickt hatte, einen dunklen Körper lang ausgestreckt liegen. Erschrocken griff er nach dem Klingelzug und läutete heftig. Das Pferdegetrappel kam inzwischen immer näher, und im selben Moment, als der Kammerdiener des Herzogs auf der Schwelle erschien, hielten die Gendarmen, Einlaß begehrend, vor dem Schloßtor. Herbert trat, von einigen Dienern gefolgt, den Polizisten selbst entgegen, hörte ihre Entschuldigungen und Wünsche schweigend an und führte sie zu der Stelle, wo er Naomi liegen gesehen hatte. — Auf seinen Wink hatten die Diener ein paar Fackeln herbeigeschafft, bei deren düsterem Schein und einem neu aufflammenden Blitze die Männer sofort erkannten, daß die Zigeunerin der welt lichen Gerechtigkeit entrückt sei. Naomis Geschick endete nicht weniger tragisch als das ihres Lisbhabers. Ein kleiner, dunkler Fleck an ihrer rechten Schläfe zeigte an, wo der elektrische Strom sie getroffen hatte. Im übrigen war sie nicht entstellt. Ihre Lippen schienen fast zu lächeln, eine selige Ruhe lag auf dem marmorweißen Gesicht, das in diesem Augenblick schöner als je im Leben war. Doktor Tremlin glaubte, ein durchgegangener Stier oder ein dem Irrenhaus Entsprungener breche verheerend in seine Wohnung ein, als an diesem Morgen der junge Herzog in aller Frühe in das Frühstückszimmer des An walts stürmte und dessen Hand ergriff, Lie er beinahe aus dem Gelenk schüttelte. „Doktor, sie ist gerettet!" keuchte er atemlos. „Die wahre Mörderin hat gestanden!" „Himmel, ist es möglich?" rief der Verteidiger etwas ungläubig. „O, Sie zweifeln noch. Aber Gott sei Dank, es ist wahr", sagte Herbert mit strahlendem Lächeln. In kurzen Worten schilderte er Doktor Tremlin die Vorgänge der letzten Tage und der vergangenen Nacht. Dann begaben sich beide unverzüglich nach dem Unter suchungsgefängnis. Es war die höchste Zeit für Janes Befreiung. Als Herbert zu ihr kam mit der freudigen Botschaft, daß sie in wenigen Stunden frei sein würde, lächelte sie matt und verständnislos und sagte, sie sei so müde, daß sie am liebsten bleiben möchte, wo sie wäre. Es dauerte noch Wochen und Wochen, ehe Herbert ein freudiges Lächeln auf den Lippen seines jungen Weibes sah oder sie dazu bringen konnte, das ge ringste Interesse am Leben zu nehmen. Er reiste mit ihr von Land zu Land, durch ganz Frankreich, Italien, die Schweiz und Deutschland. Jin kommenden Herbst kehrte das junge Paar nach Broadwood zurück, und bald darauf legte man ein Kind in die Arme der blassen, stillen Mutter. Ein einziges Mal nur kam ein Anflug der früheren Schwermut über sie. Sie saß mit Herbert auf der schattigen, blumengeschmückten Terrasse von Schloß Broad wood und sah wehmütig lächelnd dem fröhlichen Spiel ihres kleinen blondlockigen Knaben zu. „Was sinnst du, niein Herz?" fragte Herbert und er griff zärtlich die schlanke, weiße Hand seines geliebten Weibes. „O, ich denke nur darüber nach, was unser Lionel dazu sagen wird, wenn er eines Tages erfährt, daß seine Mutter keine hochgeborene Herzogstochter war", sagte Jane mit tiefem Seufzer. „Du närrische kleine Frau! Bist du denn nicht die Herzogin von Broadwood? Was sollte unser Junge noch mehr wünschen? Ich glaube, er wird stets ebenso stolz auf seine Mutter sein, wie ich auf meine Gemahlin, und das will viel heißen. Außerdem, ist es nötig, daß er es überhaupt erfährt?" „Ja, Geliebter. Ich hatte einmal ein Geheimnis und das tötete mich beinahe. Ich will nie wieder ein anderes haben. Sobald Lionel verständig genug ist, soll er von uns die Wahrheit hören, ehe sie ihm von anderen ge sagt wird." „Ganz wie du wünschest, mein Herz. Und ich weiß auch, was er antworten wird: Meine Mutter ist die beste, schönste und vornehmste Frau, die überhaupt existiert. Papa sagt das auch, und der muß es wissen. Und nun, Jane, laß in Zukunft all diese trüben Gedanken. Du Uebsi mich wie ich dich, und dnT ist die ein^i-ze in Peirnchi kommende Frage zwischen Mann und Frau." — Ende. — Vie unäknlicben Liläer. Von A. Gottwald. (Nachdruck verboten.) Bei dem Photographen Müller in N. erschien eines Tages eine etwa vierzigjährige Dame von destinguiertem Aussehen und verlangte ein Dutzend Bilder in Kabinett format. Der Photograph brachte eine nach seiner Meinung besonders gelungene Aufnahme zustande und sandte nach etwa einer Woche der Dame die Bäder ins Haus. Schon am Morgen des nächsten Tages fand sich indes die Bestellerin der Bilder nochmals bei ihm ein. Sie hielt ein Bild in der Hand und fragte in zornig-verwundertem Tone: „Soll ich das sein?" „Gewiß, meine Gnädige", versicherte der Photograph. „Das sind Sie doch, wie Sie leiben und leben. Welche Frage!" „Nein, das bin ich nicht!" erklärte die Dame jetzt mit Entschiedenheit. „In diesen Bildern ist auch nicht eine Spur von Ähnlichkeit mit mir. Kein Mensch würde aus ihnen auf das Original schließen. Kurzum, ich kann die Bilder nicht gebrauchen und stelle sie Ihnen zurück." „Die Bilder sind Ihnen aber sprechend ähnlich, gnädige Frau. Ich wüßte gar nicht, wie ich es anfaugen sollte, um Ihnen ein getreueres Konterfei zu liefern. Ich nehme die Bilder auf keinen Fall zurück!" Ohne noch wester ein Wort zu verlieren, legte die Dame die Bilder hin und rauschte hinaus. Die Rechnung, die ihr der Photograph einige Tage später zuschickte, sandte sie ihm einfach zurück. Seine ursprüngliche Absicht, gegen die faule Kundin klagbar zu werden, gab der Photograph nach reiflicher Überlegung wieder auf, obwohl ein Prozeß zweifellos zu ihrer Verurteilung geführt hätte. Er glaubte ein be quemeres Mittel gefunden zu haben, um zu seinem Rechte zu kommen. In den nächsten Tagen war sein Schaukasten den ganzen Tag über von neugierig gaffenden Leuten umlagerr, die alle das Kabinettbild einer destinguiert aussehenüen Dame bewundern wollten, unter dem man rn großen Rundschriftlettern las: „Rosa, die Banditenbraut aus den Abbruzzen." „Aber, das ist ja die Baronin P.!" konstatierte ein Herr. „Wie kommt denn die zu der Bezeichnung ,Banditen braufi?" Bald erzählte man sich in der ganzen Stadt, die Baronin P. habe sich auf ihrer letzten Reise nach Italien mit einem der berüchtigt, m Banditenführer in den Abbruzzen verlobt und hänge bereits mit ihm im Kasten, vorläufig allerdings erst im Schaukasten des Photographen Müller. Von allen Seiten strömten nun die Neugierigen herbei, und Herr Müller mußte sich sagen, daß seine Bildauslagen noch nie in solchem Maße Aufsehen erregt hatten. Noch an demselben Tage sprach die Baronin P. noch mals Lei ihm vvr. Sie befand sich iri einem Zustande hochgradiger Aufregung. „Wie können Sie sich erlauben, mein Bild mit einer so nichtswürdigen Unterschrift aus zuhängen?" „Bitte sehr", antwortete der Photograph. „Sie haben selbst erklärt: „Das bin ich nicht". Wie ich die Bilder anderer Leute ausstelle, ist meine Sache." „Ich ersuche Sie aber, Bild und Unterschrift sofort aus Ihrem Schaukasten zu entfernen." „Nein, das werde ich nicht tun!" „Auch nicht, wenn ich die Bilder bezahle?" „Dann ja. Sie sind aber jetzt erheblich teurer ae- worden. Es liegen bereits eine Menge Nachfragen vor." Seufzend bezahlte die Baronin den verlangten Betrag. Sie sah so geknickt aus; daß zwischen ihr und de Bilde allerdings im Augenblick nur noch eine gerin e Ähnlichkeit bestand.